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Hans Friedrich Blunck  : Der Andere

Die beiden Landstreicher winken dem Mädchen von der Garten­pforte zu: Wer hier denn wohne, wollen sie wissen und ob sie Holz fägen könnten. Da hebe ich mich vor ihnen wie ein Gespenst aus dem Dornbusch hoch; der eine der beiden legt betroffen den Finger an die Müze, der andere tut, als sähe er mich nicht und will lieber austundschaften, an welches Werk ich mich halte.

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,, Nanu," fragt er, weil fein Eimer gefüllt ist.

Los, pump doch!" Er blickt sich mit bösem Gewissen um, ob jemand die Lässigkeit gesehen hat.

Reine Lust mehr," sagt Jan Blund, schiebt mit dem Fuß die Eimer zur Seite, daß sie flirrend stürzen und hatt sich die Müze von der Pumpe.

wir's schon halb verdient haben?" Der Dicke kann sich's nicht er­,, Keine Lust, was soll das heißen," schnattert der Freund. Wo flären. Ist dir wohl nicht geheuer hier?"

,, Nee, nicht geheuer. Ich geh!" Der lange Kerl lacht, spuckt verächtlich auf den Hof, wirft die Jacke über die Schulter und stapft mit langsam großen Schritten zur Pforte. Der andere läuft murrend

,, Nun, Arbeit könnten Sie haben," sage ich. ,, Wenn Sie meinen Obstbäumen je einige Eimer Waffer schleppen wollen, soll es mir auf das Mittagessen und einige Groschen nicht ankommen." Die beiden Landstreicher treten zögernd ein oh, ich weiß, wo der Hausherr selbst mitarbeitet, ist es nie ganz geheuer für ihresgleichen. Es sind kräftige Menschen; der eine, graustoppelig ums Kinn, ist dick und fuzz er hat bei der Hize nichts als Hose und ein durchlöchertes Hemd am Leib; der Hut ist riesengroß wie der eines Zimmermanns. Er heißt Korel, wie ich beim Anweisen der Obstreihen so nebenbei höre. Für den anderen, der noch jünger ist- ein baumlanger Mensch und prächtig gewachsen, schleppt das Johannes Ladbeck Mädchen vier Massereimer zusammen und erflärt ihm, warum die Pumpe mitunter haft und wie er den Schwengel halten muß. Der Mann hat das Zeug der Erdarbeiter an, eine graue, verfilzte Hose und ein gelbes offenes Hemd; sein fnochiges etwas hochfahrendes Gesicht ist entstellt von tiefhängenden Augsäcken und dem groben Zeichen des Truntes um den vorgeschobenen Mund.

" Dann können wir ja anfangen," ſagt der dicke Meltere.

hab's leicht auf der Brust, Jan Blund kann ja pumpen." ,, Wie heißt er?"

Ich

Soso, Jan Blund! Ich bücke mich plößlich, wie um zu ſehen, ob die Eimer taugen. Woher kommen Sie denn?" frage ich schließlich.

,, Er fommt von Hogenholm runter," erklärt der Aeltere, der fich Mühe gibt, auch weiterhin die Verhandlungen zu führen. Ich sehe Jan Blund voll an, unsere Augen treffen sich böse. Geht niemand an, woher ich komme," will der Blick sagen.

Aber mich geht's an! Ein Großvater fam von Hogenholm allerdings gab es schon damals viele des Namens im Dorf. Soll ich weiterfragen? Unsinn! Die beiden Landstreicher sollen mir die Obstbäume begießen, das ist alles. Und weil ich den Hunde­draht im Knick fertig habe, gehe ich zur Kammer hinauf, in der meine Handschriften liegen. Ich habe meinen Tisch in dieser Sommerglut an ein Fenster nach Norden umgerückt.

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Ob ich nicht noch einmal umstelle? Ich muß wieder und wieder zu Jan Blund hinunterblinzeln, ich verwünscht, ich beginne irgendwoher Vergleiche zu ziehen. Ich höre, wie die beiden sich etwas zurufen und horche auf ihr Lachen, ich verwandle das Geficht des Landstreichers, ich hebe die Verwüstung des Trunks von ihm ab und sehe Aehnlichkeit mit diesem oder jenem Herrgott, alle Menschen der Landschaft sehen einander ähnlich! Und dabei muß ich nachdenken, von welcher Seite er stammen fönntc Einbildung, schon vor siebzig Jahren gab es sieben Höfe des Namens im Dorf. Ich will mich also ernstlich ans Werk machen. Aber es plagt doch. Nicht etwa aus erbarmungsseligem Mitleid; dieser Mann würde mir grob fommen, wenn ich ihm Arbeit oder Ratschläge geben wollte. Am meisten quält mich eine fremde Aehnlichkeit in der Stimme, quält mich dies heisere halblaute Singen bei der Arbeit, zu dem eine Kumpanei von Landsknechten gehört, quält mich diese raubtier­starte Gestalt, die immer wieder in unserem Blut auftaucht und meist irgendwo in einer Ferne verfchollen geht. Ich tomme von den Vergleichen nicht los, sie bedrängen mich. Was tat ich selbst, daß das Leben mir besser gelang? Haben nicht alle unseres Namens diesen schweifenden Drang ins Ungebändigte, der sich erst mühsam einordnet? Was hab ich vor diesem Mann voraus, der nicht nachgab und das Land abstreunt und einmal König der Straße sein wird? Was ist's, daß ich dichte und Obstkerne pflanze und etwas mie Neid vor diesem Riesen empfinde, den's nicht zurückhielt, weil er um einiges, vielleicht nur um einiges ungezähmter das mitbekam, was in allen unseres Namens brennt? Denn die schlimmen Leiden schaften sind den vielgelobten zu nah, als daß ich mich überheben darf; der böse Geist lebt in unser aller Brust und vorm Ende soll feiner fich feines Lebens rühmen.

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Das Mädchen kommt aus der Küche, ein hübsches Ding und wie oft die Bauerntöchter bei uns von frausem gelben Haar und dunklen Augbrauen. Sie geht in den Schuppen, um das Rad zu holen, gewiß soll sie ins Dorf zum Krämer.

Die beiden Männer haben augenblicklich zu arbeiten aufgehört. ,, Du, Jan!" fragt der kleine Dicke und setzt flappernd zwei leere Eimer nieder.

,, Was denn?"

,, Ich meine, wo wir uns nun zu Mittag vollschlagen können-" Jan Blund sagt nichts, er hängt die Mütze über die Pumpe, sein gelbes Haar ist auf dem Schädel gelichtet. ,, Du hast doch noch die drei Groschen ob die uns was holt?" Der Lange antwortet nicht, er pumpt wieder, daß mir um das Schwengelgelenk bange wird.

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st nämlich verwünscht heiße Arbeit, man müßt sich mal stärken Der Dicke holt die helle Flasche aus dem Rock und läßt sie verführerisch auf dem kleinen Finger tanzen." Aber ich glaube, die ist zu fein, he?" Der andere antwortet nicht. Da fommt das Mädchen und führt ihr blizsauberes Rad im Bogen an den beiden vorbei.

,, Du, fag mal," fährt Jan Blund sie an; er hat eine Stimme, daß fie ängstlich stehen bleiben muß. Du, wie heißen die hier eigentlich?" Er weist zum Dornbusch, aus dem ich auftauchte; seine Stirn ist verzogen, er hebt ungeduldig noch einmal den riesigen Arm hinüber.

,, Wie das Haus heißt?"

( Rom  ):

1 hinterbrein und versucht ihn zurüdzuziehen, ich fann nicht mehr ver stehen, was er sagt. Aber Jan Blund scheint es taum zu spüren, daß man ihn zurückhält, er sett mit einer Flante über die Pforte, mustert noch einmal aus verfniffenen Brauen Haus und Garten, tippt an die Müze, zuckt mit der Schulter und geht.

Ich laufe die Treppe hinab; den halben Lohn, den sie sich ver­dient haben, sollen die beiden doch haben! Aber an der Pforte ärgert's mich, hinterherzurennen, sie sind auch schon um die Busch­ede, wer weiß, welchen der drei Wege sie gehen.

Gerade wie ich so warte, kommt der Landjäger auf dem Rad vorbei; er springt ab, als er mich an der Pforte sieht und meist die Straße entlang: Haben die beiden gebettelt?" fragt er.

,, Nein, ehrlich gearbeitet"

,, Haben Sie Papiere gesehen?" fragt er zögernd.

Ich schüttele seufzend den Kopf: Lassen Sie die zwei man laufen. Rommen Gie lieber herein, Wachtmeister, und erflären mir mal die Geschichte mit der neuen Gemeindeſteuer."

In den Sabinerbergen

Allein schon um dieses eines Bildes wegen wäre ich gern, gäbe| Klosters, eine ganze Woche in dieser begnadeten Bergeinsamkeit es nicht tausend überraschende Blicke, den ganzen Tag in den Sa­binerbergen herumgefahren, dort, wohin die Fremden und auch die befahrbaren Straßen aufzuhören, also gerade dort, wo erft wirkliche

Römer fast nie kommen. Denn hinter Tivoli scheinen für sie die

Schönheit und Ursprünglichkeit beginnt. Allein um dieses einen Bildes willen, das wie eine Bision tief in der Seele haften bleibt: der abendliche Heimgang von Bauern und Bäuerinnen auf Efeln. Hinter Subiaco   war es, der Stätte des ältesten Mönchordens im Abendlande, dem Mutterkloster des Benediktinerordens, der mit seinen reichen Abteien und Bibliothefen, seinem großen Bildungs­gute an Europas Zivilisationsgang einen wichtigen Anteil gewann. Wilde Berghänge, enge Schluchten, zerrissen wie in Qualen der Geburt, erschaffen wie zu Gottes und der Heiligen Einsamkeit Von den Tälern weht der Silberschleier der Olivenwälder, und dunkelgrün breiten sich hier und dort nach unten hin die Wälder von Edelkastanien, von Nußbäumen und Buchen bis zu den lila Dünsten, die im Abend aus der weiten Campagna steigen. Erschütternde Bielfalt der Farben, feinster, ineinander gleitender, sich neu ver­mischender und mit der Feder gar nicht zu schildernder Farben zwischen Blaßviolett, Gelb und brennendem Rot liegt in dem milden Abendschein nach kurzem Gewitter.

Unter solchem Himmel, in solcher Landschaft nun, wie ein ver­irrter Pilgerzug, der aus Ewigkeit kommt und in Ewigkeit geht, taucht jäh an einer Wegbiegung die Vision der reitenden Bauern auf. An die hundert mögen es sein, Frauen und Männer und Kinder, auf etwa fünfzig Efeln. Zu zweit und sogar( mit Kind) zu dritt sigen sie auf dem lieben, langsam dahertrottenden Eselein. Was schmückt so bunt die Köpfe der Efel, was leuchtet so hell von fern schon an diesen Menschen auf? Trägt gar jeder sein Taber­nakel leuchtend vor sich hin? Von sonntäglicher Prozession? Ist jeder in diesem Gebiete des Sankt Benedikt ein Heiliger geworden in der Heiligkeit dieses Abends und wandert mit heiliger Familie in ein fernes Morgenland? Denn biblisch ist dies Bild in seiner Reinheit und wie aus Verschollenheit entstanden.

Frauen und Burschen und Eselein und Kinder tragen Blumen in grellen Farben. Es find nicht die Blumen der Campagna, die überall griffnahe blühen. Es mußte etwas Besseres" sein, roh aus Buntpapier geschnitten. Das scheint stolzerer Schmud für fonntägliche Andacht. Ach, sie sind alle so arm, diese Wein- und Olivenbauern der Sabinerberge, diese halb noch leibeigenen Ro­Ionen der Großgrundbesizer, daß ihnen das reich dünft und allein mürdig der gnadenreichen Madonna. Mitten in ihrem Zug halte ich das Auto an, um ein Weilchen mit ihnen zu Fuß zu wandern, mit teilzuhaben an ihrem abendlichen Heimgang, mitzuschwingen im Gleichmaß dieses Rhythmus zwischen Landschaft und Mensch. Auch ihr Festgewand ist armselig und zerschliffen. Und nur manche junge Frauen und Mädchen sind so ursprünglich schön, mit dem oliven braunen, gemmenhaft geschnittenen Oval des Gesichts, den großen schwarzen Augen, der reinen schmalen Statuenstirn, daß sie wie antite Hirtenköniginnen auf ihrem Eselein sigen, daß Glanz über die armen Fezen tommt und man nicht der Füße in verwaschenen Halbsocken achtet, nicht der abgetretenen Pantoffeln. Arm, wie sie find, bieten sie gleich, nach schöner Landessitte, dem Fremden von ihrem Wein und ihrem Brot, haben dazu schon die Satteltaschen geöffnet, denn fie glauben, es sei darum, daß der Fremde mit ihnen geht, weil ihn dürftet. Ihn dürstet nur nach eurem unvergeßlichen Bild und eurer unfaßlich sanften Bescheidung in Armut und Mühsal des Lebens.

Sie erzählen, daß sie zur Prozession in dem Felsenneste Su­ biaco   waren, dessen Bergsilhouette mit dem drohenden Kastell noch hier und da auftaucht, und daß sie auch weiter hinaus im Kloster des heiligen Benedikt waren, vor seiner Felsenhöhle knieten, damit er, der Schußherr dieses Landstrichs, der Heimat gute Ernte gebe an fetten Oliven und süßem Wein. Ja, ich habe sie gesehen, wie fie in ihren armseligen Festtagskleidern( die nicht der lezte Bauern­fnecht in Deutschland   trüge) und ihren bunten Papierblumen durch die engen, minteligen Gaffen dahersangen. Und ich habe sie auch oben in dem reichen Kloster Sankt Benedikts und seiner Schwester, der Sankta Scholastica, gesehen. Da lagerten sie, sehr arm und, oh, sehr malerisch, in dem langen Gange des Klosterhofes mit Weib und Kind und Efeln. Heu froßen die Esel, an offenstehender Mutterbruſt fog der Säugling schmaßend seine Milch, Frauen und Burschen aßen das harte Bauernbrei mit Ziegenfäse und mit jungen Zwiebeln und Oliven( nirgends ein Stückchen Fleisch) und tranten ,, Wie die Leute heißen, frag ich." von dem füßen, felbstgebauten Wein Olevanos. Andere schliefen ,, Daß du das nicht weißt, du kommist hier wohl nicht oft vorbei," müde auf dem Steinboden der Gänge. So lagerten sie nach der fragt das Mädchen und dafn nennt sie meinen Namen. Mühfal langer Wanderung und langen Betens inmitten ihrer Tiere. Aber dem heiligen Benedikt, der da ohen in schier unzugäng­lichem Felsengebirge in einer nadten Grotte, dem ,, Sacro Speco  ", viele Jahre hindurch einsam gelegen und um Gott   gerungen hatte, waren sie in ihrer Armut und Einfalt vielleicht näher als die feinen, weltgewandten und hochkultivierten Mönche der Abtei, die jahr hundertelang über sie herrschten und noch immer als das Abbild der Herrschaft Gottes über ihnen stehen. Zwei von diesen Mönchen führten uns mit guten Worten, feinen Sitten, großer Bildung, welt­bedeutendem Gespräch durch ihre abgeschlossene Welt sehr erträg licher, sehr beneidenswerter Einfamfeit durch diese zauberischen Höfe und Kreuzgänge aus drei Bauperioden, wie sie das weite Kloster der Sankta Scholaftica bilden, durch diese reichen Kapellen und Bogengänge, wie sie weiter hinauf um Benedikts nackte Felsen­grotte gebaut find.

,, halloh, was sagst du?" Der kleine Dice ist bei dem Wort in Bruschen ausgebrochen, er stellt die Eimer hin und schlägt sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

Aber der Lange schiebt den Kopf einmal zu ihm hinüber, daß ihm das Grinsen vergeht.

Das Mädchen schwingt sich vor der flingelnden Pforte aufs Rad. Ich erhebe mich vom Schreibtisch und warte, was jezt fommt, bereit zu antworten, vielleicht bereit zu helfen. Die beiden sind an der Brunnenpumpe stehen geblieben. Jan," sagt der Dide nach einiger Zeit und blidt unsicher in die Runde, das könntest du viel leicht auch haben, wenn du zu Haus geblieben wärst," und nach einer andern Weile fast mitleidig: ,, Möchtest es nicht haben, Jan Blund?" Der feufzt. Immer auf demseiben Blacken figen?" fragt er und blickt aus den dicken rötlichen Brauen unschlüssig um sich. ., Mun, so'n hübsches Deern in der Küche und immer was für den Schnabel! Aber dir ist das wohl zu klein, du müßtest gleich ein Rittergut haben, was?" Der Dice hebt die beiden Eimer und madelt von dannen, wie um dem Freund Zeit zur Wahl zu geben. Nach einer Weile tommt er wieder, er ist nicht weit gewesen.

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Ich beneide den französischen   Priester aus Paris  , der sich uns beiden angeschlossen hat, um sich die Erklärungen von mir übersegen zu laffen und zwischendurch auf einer Gartenbank, mit dem Blid in die wilden Berghänge, manch weltläufiges Gespräch zu führen. 3 beneide ihn, weil er in der Foresteria", den Gasträumen des

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leben kann. Denn hier muß es leicht sein, den Frieden der Seele zu gewinnen. Es ist ein eleganter, geradezu graziöser Weltpriester voli Geist und großstädtischer Munterfeit und sehr verschieden von den Mönchen, die ſtill und fein und ſanſt mit uns herumgehen. Er ist so weltläufig, aber er glaubt dabei fest daran, daß die Therese von Konnersreuth   eine fleine Heilige sei und in Trance aramäisch gesprochen habe. Dagegen für die Sabinerbauern hat er nur einen schnellen, jast verächtlichen Seitenblick und ein mitleidiges Achsel­zucken ob ihrer Armut, die im reichen Bauernstande Frankreichs  unfaßbar wäre. Aber warum sind die so arm? Weil aller Reichtum aus ihrer Hände Arbeit, gewiß nicht im Geiste des armen Stifters, in diese vielen Klöster gegangen ist und zu den großen Herren, die unter dem Schuhe von Aebten und Päpsten standen. Mit den Armen, wie es sich für mich gebührt, kehre ich in den Abend heim. Biblisch ist, wie je vor Jahrtausenden, ihr Bild noch und ihr Leben. Immer zogen sie gleich einem verirrten Pilgerzuge dahin, der aus Ewigkeit kommt und in Ewigkeit geht. Mit Weib und Kind und Eselein versinken sie im Abend, in die zeitlose Ewig­feit dieser Landschaft aus Gottes lächelndem Schöpfungsschmerz.

Hans Smolik: Belrogen

Ueber dem Schutzgitter des Kunsthändlerschaufensters lehnte Rademacher. Lehnte schon stundenlang und starrte unverwandt auf einen idealisierten weiblichen Akt in Gelb. In schwülem aufreizenden Gelb.

Versunken war die breite Straße, mit allem, was über fie hastete, raste, hupte, flingelte.

Nur dieses Bild war.

Bar greifbar nahe. War herausgewachsen aus tiefverschütteter Wunschwelt. War zum anschaulichen Objekt geworden.

Rademacher, der Hilfsarbeiter, der gekrümmte Sechziger, dem das Leben, sein Proletendasein, nichts von allen Wundern und Schönheiten dieser Welt gegeben hatte, lehnte und starrte und dachte und erlebte.

Gomas also gibt es!? Solch Weib! Und ihm erstand eine andere Frau: Eine Frau mit aufgetriebenem Leibe, mit hartfnochigem, edigem Geficht, von Furchen umrissen, mit trostlos lächelnden Augen. Rademacher, das war dein Weib! Zur Fruchtbarkeit verdammt! 3um Kindermord verdammt! Zur Häßlichkeit verdammt!

Rademacher, was weißt du von einem Weibe? Dein Weib war abgehegt, sant zerschlagen ins Bett. Rosen schien albern. Scherzen zerbrach vergällter Mund. Was war euch Lust? Traurige Betäu­bung, lezte Erschöpfung, verzagtes Bäumen ausgemergelter zer­räderter Körper. Rademacher, fie haben dich um das Weib betrogen! Sie haben die zarte bleiche Blume deiner Sehnsucht in den Dreck getreten. Sie haben dir nur gelassen, was jedes Tier ahnt, was jedes Tier schöner hat! Und du selbst haft alle deine Träume ver­geffen. In der Monotonie deiner Arbeit, in der Stumpffinnigkeit deines Lebens, hast du vergessen, was du als junger Kerl geträumt hast. Nun ist es wieder da!

Nun schreit dir dieses Bild alles in Erinnerung!

Dir arbeitslosem, vegetierendem, zermürbtem Opfer falter 3med­mäßigkeit, dir abgewirtschaftetem Wrad, dir altem Krüppel. Nicht einmal zur Wut, zur Empörung reicht heute deine Kraft. Zu feinem Fluche ringst du dich aus deiner Troftlosigkeit. Zentnerschwer wuchtet es auf deinen alten müden Schultern:

Du bist betrogen worden! Du hast nicht gelebt! Du hast nichts für die quälenden Stunden bis zum Verrecken! Du bist leer, müde, ausgebrannt!

Geh heim, Rademacher, was willst du hier noch lange stehen. und schaue nicht um dich, damit du nicht die blizenden Autos, die eleganten Fragen, die herrlichen Villen, damit du nicht die siehst, die dich um alles gebracht haben.

Damit du nicht die siehst, die für einen vollen Tisch, für geile Weiber, für lächerliche Scheinwerte, für Tand und Kram, für ihren machtfizel noch heute Tausende, Hunderttausende, Millionen wie dich entwürdigen und betrügen!

Ersatzleildienst im dunkelsten Afrika  Eine Gruppe von Kraftfahrern, die sich auf einer Tour durch den dunkelsten Teil des schwarzen Erdteils befand, wurde infolge Motorschadens bei Dschuba  , mitten in Zentralafrita, festgelegt. Sie fabelten wegen Erfaßteilen nach England. 15 Stunden nach Eingang des Telegramms hatte die Fabrik diese Teile bereits im Flughafen Croydon bei London   angeliefert, wo sie das nächste flugplanmäßige Flugzeug der Imperial Airways   mitnahm. Sieben Tage nach Ab­gang des Kabelgramms sahen sich dessen Absender in Dschuba   be­reits im Besiz der Ersatzteile. Es gelang also, in dieser furzen Zeit eine Strede von 8000 Kilometer zu überbrücken, was unter Be­mugung anderer Berkehrsmittel ebenso viele Wochen, vor nicht langer 3eit mehr als ebenso viele Monate gedauert hätte. Man denkt dabei gerne daran, wie vor einiger Zeit Junkersflugzeuge in wenigen Tagen Serum nach seuchenbedrohten Gegenden Persiens   schafften und amerikanische   Flugzeuge nordkanadischen Siedlern über Eis wüsten hinweg Hilfe brachten. Selbst in den Einöden der Erde ist der Mensch heute nicht mehr von seinesgleichen und der Hilfe ab­geschlossen. Flugzeug und Radio haben die Entfernung überbrüdt.

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Die größte Auflage aller Zeitungen der Welt hat der franzö­fische Betit Parisien" mit über 2 Millionen. Die größte Auflage unter den englischen Blättern hat Daily Mail", das Blatt North­cliffs, mit über einer Million.

Cynchjustiz. In Amerifa fommen auf zwei gefeßlich hin­gerichtete brei Opfer der Lynchiustiz