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BERLIN  Sonnabend

29. Auguft 1931

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntag 6.

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Spalausgabe des Vorwärts

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Nr. 404

B 202 48. Jahrgang

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Programm der Sozialreaktion

Forderungen der Industrie: Radikaler Abbau der Sozialausgaben und der Bauwirtschaft- Abdrosselung der Gemeinden

Vor uns liegt ein Rundschreiben des Reichsverbandes der Deutschen Industrie an seine Vorstandsmitglieder, Fach­gruppen und landwirtschaftlichen Verbände, datiert vom 20. August. In diesem Rundschreiben, dessen wesentlichen Inhalt wir untenstehend wiedergeben, wird zwar nicht der Wortlaut, aber doch der Tenor der Eingabe des Reichsver­bandes der Deutschen Industrie an die Reichsregierung wiedergegeben. In dem Rundschreiben heißt es:

In Verfolg der Beratungen von Präsidium und Vorstand in der letzten Zeit und angesichts der außerordentlich bedrohlichen Lage in der Industrie wie in den anderen Wirtschaftszweigen haben wir nunmehr noch einmal unsere wichtigsten Forderungen und Bor­

schläge zusammengestellt und sie in der Form einer Aufzeich nung über die Stellungnahme des RDI. zu der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftslage" dem

Reichskanzler gestern schriftlich übermittelt.

Wir haben den Reichskanzler dabei ausdrücklich darauf auf­merksam gemacht, daß die sorgenschwere, zum Teil verzweifelte Stimmung der deutschen   Industrie so um sich gegriffen hat, daß nur noch allerschnellste Maßnahmen die Borausfegungen für eine Beruhigung schaffen fönnen und

daß die von uns gewünschte pofitive Zusammenarbeit von In­dustrie und Regierung nur dann mit Erfolg fortgeführt werden fann, wenn die notwendigen Maßnahmen auf den Gebieten der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik so schnell und umfassend durchgeführt werden, daß eine weitere Berschärfung der gegen­wärtigen Lage abgewandt wird und statt dessen die unbedingt erforderlichen Grundlagen für eine Wiederbelebung der deut­ schen   Wirtschaft geschaffen werden.

... Wir bedauern sehr, daß wir davon absehen müssen, den Wortlaut der Aufzeichnungen bekanntzugeben. Wir müssen aber im Augenblid, gerade mit Rücksicht auf den Erfolg, unbe dingt verhindern, daß unsere Forderungen im gegenwärti­gen Stadium Gegenstand öffentlicher Auseinander fegungen werden, weil dann nur zu leicht die Kräfte inner­halb und außerhalb der Regierung, die sich der Richtigkeit unserer Forderungen bewußt sind und sich in der von uns gewünschten Richtung einzusehen bereit sind, in ihrer Wirtsamkeit gestört und be= hindert würden.

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Der Ausgangspunkt der ganzen Darstellung ist der zwin­gende Gedanke, daß Deutschland   auf den Weg der Selbsthilfe angewiesen ist und daß dieser Weg gekennzeichnet ist durch eine energische, fofortige und umfassende Einsetzung aller in Deutschland  

selbst vorhandenen Kräfte. Mit eiserner Konsequenz müssen für Staat, Kapital und Arbeit alle notwendigen Schluß­folgerungen gezogen werden. Im Mittelpunkt des Selbsthilfepro­gramms muß die organische Umgestaltung der Selbst­toften im Sinne einer möglichst weitgehenden Herab drückung der Selbstfosten stehen. In der Aufzeich­nung ist im einzelnen dargestellt, wie dieser Grundsatz auf folgende vier Hauptgebiete angewandt werden muß:

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1. Steuern und Abgaben an die öffentliche Hand,

2. Soziale Belastungen,

3. Löhne und Gehälter,

4. Verkehrstarife und Tarife der kommunalen Versorgungs­betriebe.

Ein weiterer besonderer Abschnitt befaßt sich mit den Aufgaben einer richtigen und einwandfreien Kreditpolitit, ins­besondere in der öffentlichen Hand, um eine Senkung der Kreditkosten zu erreichen und im Rahmen einer pfleglichen Berwal­tung des vorhandenen Kreditvolumens erweiterte Kreditmöglichkeiten für die private Wirtschaft zu schaffen. Im Zusammenhang damit wird sowohl

die Kreditpolitik wie überhaupt die Finanzpolitik der Gemeinden einer scharfen Kritik unterzogen,

und es werden positive Borschläge dafür gemacht, wie eine Siche rung dafür erreicht werden kann, daß sich die bisherigen Fehler nicht wiederholen.

Ein anderer pofitiver Vorschlag erstreckt sich auf die Schaffung einer Möglichkeit für vermehrte Aufträge an die wirt. schaft. Selbstverständlich enthält die Eingabe auch die nachdrüc liche Forderung,

alle Reffe Zwangswirtschaft, insbesondere auch die Zwangswirl­schaft im Wohnungswesen, endgültig zu beseitigen.

Auf reparationspolitischem Gebiet wird ausgeführt, daß

Ungeheuerliches Zeitungsverbot

Wegen Beleidigung des russischen Außenministers

Das Organ der chriftlichen Gewerkschaften ,,, Der Deutsche", hat| gestört oder eine deutsche   Regierung in schmähender Weise herab­den eben in Berlin   anwesenden russischen Außenminister Litmi now in dummer und flobiger Weise beschimpft. Es hat ihn wegen der ehrenvollen Strafen, die er als Kämpfer gegen den Zarismus zu

verbüßen hatte, einen Buchthäusler" genannt. Die Reichs­regierung hat eine Erklärung erlassen, in der sie diese plumpe Be­leidigung ihres Gastes aufs schärfste mißbilligt. Darin wird ihr

jedermann recht geben.

Nun hat man aber noch ein übriges getan, und den ,, Deutschen  " bis zum 2. September verboten. Wir nehmen ohne weiteres an, daß der Berliner   Polizeipräsident, der für diesen Att verantworts lich zeichnen muß, nur ausführendes Organ ist und daß der wirklich Berantwortliche in der Reichsregierung zu suchen ist. Auf alle Fälle stehen wir vor der Tatsache, daß eine deutsche Zeitung megen Beleidigung eines Mitgliedes einer fremden Regierung ver­boten worden ist. Bir glauben, daß die Sozialdemokratische Partei  als berufene Hüterin der verfassungsmäßigen Rechte dieser Tatsache gegenüber nicht gleichgültig bleiben kann.

Das Verbot ist ein Willtüraft, der mit der Notverordnung des Reichspräsidenten nicht gerechtfertigt werden kann. Diese Notver ordnung schützt die öffentliche Ruhe und Ordnung und das Ansehen, der deutschen   Regierungen. Niemand fann behaupten, daß durch die Beschimpfung eines ausländischen Ministers die Ruhe und Ordnung

die Durchführung des Selbsthilfeprogramms zugleich die Borbedin, Inangriffnahme der zu erwartenden neuen Reparationsregelung gung für eine erfolgversprechende Reparationspolitik ist und daß die parallel mit der Selbsthilfeaktion unverzüglich geschehen muß. Ab­schließend wird betont, daß es eine völlige Berdrehung der Tatsachen ist, wenn man von einem Verfagen der Privatwirtschaft spricht.

Nicht die Privatwirtschaft hat versagt, sondern gescheitert ist ein System, das mit politischem Zwang die Privatwirtschaft fünstlich ihrer natürlichen Entwicklungsgrundlagen

Es ist erreicht

( zu dem neuen nationalistischen Kurs der KPD  .).

THALMAN

Thälmann huldigt dem alten Preußengott.

gefeßt werde. Denn auf die rabulistische Konstruktion, wer den Gast der Reichsregierung beleidige, der treffe damit diese selbst, tönnte nur ein sehr schlechter Rechtsanwalt verfallen. Dem

Berbot fehlt also jede rechtliche Begründung.

Bom politischen Standpunkt gesehen stellt sich der verübte Mißgriff noch schlimmer dar als vom juristischen. Bisher hat sich das Auswärtige Amt stets gegenüber den Beschwerden fremder Re gierungen über Angriffe in der deutschen   Bresse darauf berufen tönnen, daß in Deutschland   Pressefreiheit bestehe und eine gesetzliche Handhabe zum Einschreiten fehle. Maßt sich aber die Reichsregie­rung das Recht zu, deutsche Zeitungen wegen Beleidigung ausländi­scher Regierungen zu verbieten, so übernimmt sie damit praktisch die Verantwortung für alles, was über ausländische Regierungen ge­schrieben wird.

Daß nun ein Präzedenzfall geschaffen ist gerade zugunsten Ruß­ lands  , ist besonders grotest. Denn es ist doch bekannt, daß gerade die russische Presse, obwohl sie unter der allerstrengsten Aufsicht ihrer Regierung steht, vor den ungeheuerlichsten Beschimpfungen aus­ländischer Staatsmänner nicht zurückschreckt. Unter solchen Um­ständen wirkt das übereifrig erlassene Berbot als ein Akt der Liebe­dienerei, der den Respekt vor der Reichsregierung in Mostau be stimmt nicht erhöhen wird.

beraubt hat. Diese grundsätzliche Einstellung verpflichtet uns andererseits, dauerlicherweise in der Privatwirtschaft gezeigt haben, sondern auch nicht nur bestimmte Auswüchse und Fehler zuzugeben, die sich be­dafür einzustehen, daß einer Wiederholung solcher Erscheinungen vorgebeugt wird.

Parallel mit dieser noch maligen energischen Eina wirtung auf das Kabinett, die von mündlichen Vorstellun gen ergänzt wird, führen wir die Arbeiten auf allen unseren Tätig­

teitsgebieten mit verstärktem Nachdrud fort."

Wie man aus dem Rundschreiben sofort ersehen kann, haben die Herrschaften vom Reichsverband der Deutschen In­ duſtrie   nichts gelernt und nichts vergessen. Die Wirtschafts­tatastrophe, die ungeheuerlichen Fehlleitungen in der Privat­industrie, die zu der Wirtschaftskatastrophe geführt haben, find an den Herren vom Reichsverband der Deutschen In­ dustrie   spurlos vorübergegangen. Statt aus der Vergangen­heit zu lernen, fordert man von der Reichsregierung, daß die Fehler, die gemacht wurden, noch verzehnfacht werden und daß die falschen Maßnahmen noch verstärft werden. Der Reichsverband der Deutschen Industrie   verlangt nichts anderes als die Fortführung dieser verhängnis­vollen Politik bis zu ihrer letzten Konsequenz. Nicht die 3wangswirtschaft der Kartelle, die diese ver­tehrte Wirtschaftspolitik erst ermöglicht hat, soll beseitigt wer den, sondern die ohnehin schon abgebaute öffentliche Bewirt­schaftung des Baumarktes. Nun wird auch flar, was die Ver­bände der Bauunternehmer veranlaßt hat, sich mit einer Eingabe an die Reichsregierung zu wenden und warum dort ein Eiertanz um die öffentliche Bewirtschaftung des Bau­marktes aufgeführt wird. Die Bauunternehmer waren ent= setzt, als sie das Programm des Reichsverbandes lasen. Sie fuchten daher die Wirkung möglichst abzubiegen, ohne in offenen Widerspruch zu ihrer Spizenorganisation zu treten.

Zeppelinstart nach Südamerika  .

Ohne Zwischenlandung hin und zurüd. Friedrichshafen  , 29. Auguff. Das Luftschiff Graf Zeppelin   begibt sich heute abend gegen 9 Uhr also früher als vorgesehen auf seine zehntägige Reise nach Pernambuco   und zurüd. Die Führung wird Dr. Edener haben. Die Hin- und Rückfahrt wird ohne 3wischenlandung durchgeführt werden.

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