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BERLIN  Dienstag 1. September

1931

Der Abend

Erfeluttagli anser Sonntags. Sugleich Abenbausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 m. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin   SW68, Lindenstr.3 Fernsprecher: Donhoff( A 7) 292-297

Spalausgabe des Vorwärts"

10 Pf.

Rr. 408

B 204 48. Jahrgang

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Die Lehrer danfen Grimme

Ein Telegramm des Preußischen Lehrervereins

Der preußische Unterrichtsminister Grimme hat sich dem vom! Finanzminister Höpfer- Aschoff vorgelegten Plan, im Rahmen der Eparpolitit des preußischen Staatsministeriums die Lehrer be­fonders in der Besoldungsordnung herabzusehen,

Erster Tag neuer Verkehrstarif

entgegengestellt und erklärt, daß die Regierung einen solchen Alles kauft Sammelfarten/ Autobus noch voller/ Teilstrecken werden gelaufen

Plan ohne ihn durchführen müsse.

Das hat in der Volksschullehrerschaft lebhaften Widerhall ge­funden. Die in Magdeburg   versammelten Führer der preu Bischen Lehrerschaft aus allen Provinzen des Landes dantten dem Minister in folgendem Telegramm:

,, Die aus allen Provinzen Preußens in Magdeburg   ver­sammelten Führer des Preußischen Lehrervereins anerkennen mit Sochachtung und Dankbarkeit Ihre entschiedene Haltung in der Abwehr jeglicher Sonderbehandlung der Boltsschullehrer. Sie hoffen, daß es Ihnen auch weiterhin ge­lingt, die Interessen der Volksschule mit Erfolg zu wahren."

Heute ist der neue Berkehrstarif der Berliner   auf die zwei oder drei Haltestellen der Anschlußfahrt verzichtet und Berkehrs- Gesellschaft in Kraft getreten.

Das erste sichtbare Zeichen dieser neuen Tarifregelung ist der recht beträchtliche Verkauf der Gammelfarfen, die 1 Mart fosten und für fünf Fahrten ohne Umsteigeberechtigung Gültigkeit haben. Diese Gammelkarte hat sowohl auf der Straßenbahn wie auf der Untergrundbahn Gültigkeit. Es ist übrigens erstaunlich und wurde vor den Schaffnern überall bestätigt, daß viele Fahrgäste von der neuen Tarifregelung heute morgen noch feine Kenntnis hatten. So gab man den Schaffnern immer wieder 25 Pfennig, um dafür den bisher üblichen Umsteigefahrichein zu erhalten. Dieser Umsteigejahrschein toftet aber ab heute 30 Pfennig. Als die Schaffner fragten, ob die Fahrgäste denn feine Zeitung lesen, erklärten vornehmlich die Frauen, sie fönnten sich das Abonnement einer Zeitung nicht mehr leisten.

Im weiteren Verlauf der Tagung wurde mit startem Nach brud darauf hingewiesen, wie weit die Volksschule bereits durch die wiederholten Abbaumaßnahmen in ihrem Bestand und in ihrer Arbeit geschwächt ist. Trotzdem folle fie aufs neue zu weiteren Ein­schränkungen und Abbauten gezwungen werden. Den heftigsten Widerspruch der Versammlung rief die Mitteilung hervor, daß der Versuch gemacht wird, die Richtlinien für die Maßnahmen vom Andere Fahrgäste meinten, als sie heute 30 Pfennige für den Finanz- und Innenminister her zu diftieren. Die Lehrer verlangen, Umsteigejahrschein bezahlen mußten, daß sie sich wieder ihr altes daß über die bisherigen nur negativen Maßnahmen der Sparsam Fahrrad hervorholen wollen. Derartige Tendenzen, einer 26 feit hinaus ein positives Aufbau und Arbeitsbewanderung von Massenverkehrsmitteln lassen sich nach jeder Tarif­ihaffungsprogramm durchgeführt wird, das die Bedeutung änderung feststellen. einer leistungsfähigen Schule als Grundlage für den notwendigen geistigen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes anerkennt und bem Niedergang der Wolfsschule Einhalt gebietet.

Die Sparvorschläge vor dem Kabinett. Das preußische Kabinett tritt heute um 15 Uhr zusammen, um fich mit den neuen Sparmaßnahmen zu beschäftigen. Sämtliche Refforts haben Vorschläge über Sparmöglichkeiten eingereicht. Bei dem umfangreichen Berhandlungsstoff rechnet man damit, daß end­gültige Befchlüsse heute noch nicht gefaßt werden können und die Beratungen noch den Mittwoch über fortdauern werden.

Tragödie in Zehlendorf  .

Mutter und Tochter gemeinsam in den Tod. Heute vormittag wurden die 38 Jahre alte Frau Erna Gerson und ihre 11jährige Tochter Ruth in ihrer Wohnung in der Schütallee 45 in Zehlendorf   durch Gas vergiftet leblos aufgefunden.

Frau Sch. litt an einer unheilbaren Kopftrantheit und bereits vor einem Jahre hatte sie einen Selbstmordver such unternommen, der jedoch mißglückte. Das furchtbare Leiden hatte sich inzwischen verschlimmert und abermals reifte in der Un­glücklichen der Plan, freiwillig aus dem Leben zu scheiden und ihr Kind mit in den Tod zu nehmen. Offenbar, als das Mädchen gestern abend schon schlief, erhob sich Frau Schüß noch einmal und legte von der Küche nach dem Schlafzimmer einen fünf Meter langen Schlauch an den Gashahn. Als heute vormittag Mieter auf den Gasgeruch aufmerksam wurden, war es bereits zu spät. Die Wiederbelebungs­versuche der Feuerwehr waren ohne Erfolg.

Der 42jährige Dentist Manfred Ka verübte heute Selbstmord durch Erhängen. R. sollte heute aus seiner Wohnung in der Dan­ziger Straße 72 ermittiert werden. Als der Gerichtsvoll­zieher erschien und keinen Einlaß fand, ließ er die Tür gewalt­fam öffnen. Als der Beamte das Schlafzimmer des Dentisten betrat, fand er den Mann erhängt auf. Seine furchtbare wirtschaftliche Notlage hatte ihn zu der Verzweiflungstat getrieben. Aus Angst vor einer Operation vergiftete sich heute in seiner Wohnung Graun­Straße 29 der 61 Jahre alte Werkzeugmacher Hermann Haufe.

Kindesmord bei Weimar  .

Darüber hinaus betonen die Schaffner, daß die starke An­forderung der Sammelfarten zeigt, daß ein Teil der Fahrgäste dazu übergeht, Teilstrecken zu Fuß zurückzulegen. Wer bisher von einem Außenbezirk zum Beispiel einen Punkt der Berliner   Innen­stadt erreichen wollte, benußte meistens erst eine Straßenbahnlinie, um dann zur Hauptlinie umzusteigen. Da man für eine derartige Fahrt aber heute 30 Pfennig bezahlen muß, hat das Bublifum

mittelbarer Nähe der Windmühle angetroffen und von dort aus mit in den Wald genommen haben, wo das unglückliche Kind in den frühen Morgenstunden des 31. August von Schulkindern und Einwohnern, die das Gelände abstreiften, mit einem Bündel Reisig zugedect, tof aufgefunden wurde. Als Mörder wurde ein Arbeiter Baul Daßler in der Ortschaft Döbritsche ermittelt und verhaftet. Er hat bereits ein Geständnis abgelegt und ist dem zuständigen Amtsgericht eingeliefert worden.

Magistrat gegen Nazihaus.

Nordsüdbahn wollte den Nazis ein Haus vermieten. In den sanierungsreifen Vierteln der Berliner   Altstadt besitzt die Stadt Berlin   mehrere meist abbruchreise Häuser, die zu den von der Berliner   Nordjüdbahn- A.- G. und ihren Untergesellschaften erworbe­nen Grundstücken gehören. Da die Stadtverordneten über die Ver­wendung dieser Grundstücke noch nicht beschließen konnten, liegt die Berwaltung dieser Häuser noch bei der Nordjüdbahn- A.- G. Zu diesen Grundstücken gehört auch das Haus Stralauer Straße 30. Bor einiger Zeit erschien bei der Nordsüdbahn A.-G. ein Herr Lorenz, der das Haus Stralauer Str. 30 für ein Vierteljahr mieten wollte. Es wurde mit ihm ein Vertrag mit vierwöchiger Kündigung zum Quartalsende abgeschlossen. Wie jest bekannt wird, stehen hinter diesem Herrn Lorenz die Berliner   Nationalsozialisten, die in dem Alt- Berliner Viertel ein Braunes Haus  ", eine Zentrale ihrer berüchtigten Sturmtrupps schaffen wollten. Auf Grund des Mietvertrages hätten also die Nazis in städtischen Räumen hausen dürfen. Der Fall wirkt um so ungeheuerlicher, als es anscheinend dem Herrn Direktor Bouffet, der im Auftrage der Nordfüdbahn die Verhandlungen mit dem Herrn Lorenz führte, nicht ganz unbekannt war, wer eigentlich ein folch startes Intereffe an dem Haus Stralauer Str. 30 hatte..

Als der Magistrat heute vormittag Kenntnis von dem feltsamen Mietabkommen erhielt, wurde die Nordfüdbahn- A.- G. fofort angewiesen, den Mietvertrag mit fofortiger Wirkung zu Am Sonntag, dem 30. August, in den Abendstunden ist das lösen. Wie wir dazu ergänzend erfahren, ist Vorsorge getroffen achtjährige Mädchen eines auf dem Rittergut Bösen bei worden, daß feiner der Hitlermannen das Haus mehr betreten darf. Bucha  , Landkreis Stadtroda beschäftigten Gutsarbeiters von einem In einem Teil der Presse versucht man den Eindruck zu er Unbekannten in der Nähe der bei Bucha   gelegenen Windmühle in meden, als sei die Berliner Verkehrsgesellschaft für das den Wald geschleppt und dort getötet worden. Das Kind hatte Borkommnis verantwortlich. Demgegenüber stellen wir noch einmal 10 M. bei sich, die es nach der Windmühle schaffen sollte. Der Wind. ausdrücklich fest, daß mit der Verwaltung dieser Grundstücke die mühlenbefizer war abwesend. Der Täter muß das Kind in un-| BBG. weder sachlich noch persönlich irgend etwas zu tun hat.

den Weg zur Hauptlinie zu Fuß zurückgelegt. Von hier aus fostet die einfache Fahrt, die Lösung einer Sammelfarte voraus­gesezt, dann 20 Pfennige, man spart also einen Groschen. Es kann übrigens nur immer wieder auf den Gebrauch der zweckmäßigen Sammelfarte, die eine unbeschränkte Zeitdauer hat, hingewiejen werden, denn ein Einzelfahrschein ohne Umsteigeberechtigung kostet bekanntlich 25 Pfennige.

In die neue Umsteigeberechtigung ist nun ab heute auch der Autobus miteinbezogen. Für 30 Pfennig fann man somohl von und zur Straßenbahn, Untergrundbahn und zum Ominibus umsteigen. Diese Erweiterung der Umsteigemöglichkeit hatte augen­scheinlich eine stärkere Inanspruchnahme des Omnibus zur Folge.

Der teure Umsteiger zur S- Bahn. Bedauerlich bleibt, daß die neue Tarifregelung keine Aende­rung des teuren Umsteigens zur Reichsbahn gebracht hat. Der Unfteiger hierfür fostet nach wie vor noch 40 Pig. Es muß inumer wieder gefordert werden, daß in die großzügige Bereinheitlichung des Berliner   Berkehrssystems auch die Stadt- und Ringbahn zu einem erschwinglichen Fahrpreis mit einbezogen wird. Uns wurde sowohl von der BVG. wie von der Reichsbahn versichert, daß man über eine derartige Vereinheitlichung bereits verhandelt hat. Leider ist man bisher noch zu feinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Verhandlungen baldmöglichst eine Erleichterung für das umsteigende Publikum bringen würden.

Wie wir erfahren, haben übrigens die Kommunisten in allernächster Nähe des Hauses Stralauer Str. 30, in der Jüden­straße 20, für den Kampfbund gegen den Faschismus  " auch ein Haus gemietet. Sicherlich hat es die Nazis aus diesem Grunde besonders in diese Gegend gezogen. Nach den Erfahrungen des Bolksentscheids zu urteilen, hätten sich die Nachbarn auch sicher­lich in brüderlicher Eintracht gut vertragen. Warum also schreit die ,, Rote Fahne" wieder einmal so hysterisch?

Die Million für Arbeitsdienst.

Es wird untersucht, wo sie bleibt.

Für den sogenannten ,, Arbeitsdienst" ist eine Million aus aus der Reichstasse zur Verfügung gestellt werden, die ge­mäß den Richtlinien nach der Notverordnung verwendet werden sollen.

Ob dieses Geld etwa wirklich für die Landesleiter und ihre Büros verwendet wird, wobei, wie behauptet wird, die Landes­leiter je 25 000 m. Jahres gehalt bekommen sollen, wird untersucht werden. So versicherte man wenigstens an Amtsstelle. Inzwischen wird die Million wahrscheinlich schon verschwunden sein.

Bollunion wird zurückgestellt. Desterreichisch- deutsche Erklärung im Europa  - Ausschuß. Genf  , 1. September.  ( Eigenbericht.)

Die Haager Entscheidung über die deutsch  - österreichische Zoll­union hat hier nicht überrascht. Desterreich und Beutschland werden eine im Wortlaut noch zu vereinbarende gemeinsame Ertlä­rung im Europa  - Ausschuß abgeben. Ihr Hauptinhalt wird sein, daß mit Rücksicht auf die im Mai eingeleiteten und aussichtsreich schwebenden europäischen   Verhandlungen über meitgehende Wirtschaftsverständigungen zwischen den europäischen  Staaten Deutschland   und Desterreich die Durchführung ihres Planes zurückstellen.

Die dänische Freundschaft für Deutschland   tam neuerdings wieder zum Ausdrud, als eine Reisegesellschaft von Berliner   Ver­tretern der Auslandspreise im Kopenhagener Rathaus empfangen murde. Der sozialdemokratische Bürgermeister richtete u. a. den Appell an die Gäste, das ihrige dazu beizutragen, daß Deutschland  die notwendige Hilfe des Auslandes erhalte.