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ftriert, daß das Auto nichts taugte und daß überhaupt die Erfindung des Kraftwagens ein Unfug war. Zu den neuen Vorwürfen, die von nationalistischer Seite gegen den Völkerbund erhoben werden, gehört die Behaup- tung, daß er in diesem Sommer nicht eingegriffen hätte, als die deutsche Krise ein allgemeines politisches Chaos in Europa   zu entfachen drohte. Wieder einmal habe also der Völkerbundversag t". Ein Hugenbergsches Blatt leistet sich dabei die geschmackvolle Behauptung, daß der General- sekrctär Sir EricDrummond zu jener Zeit seelenruhig Forellen in Schottland   fischte. Nun, es hat in jener Zeit auch in Deutschland   Per- sönlichkeiten gegeben, die durch die ganze Krise hindurch ihren Sommerurlaub fern von Berlin   verbrachten. Aber ab- gesehen davon ist doch die Gegenfrage am Platze: Wer war denn damals z u st ä n d i g für eine etwaige Einberufung des Völkerbundrates? Grundsätzlich jedes Völkerbundmitglied, vor allem jedes Mitglied des Rates und in allererster Linie der amtierende Ratspräsident. Wer war nun von Mai bis September der amtierende Ratspräsident, der so kaltherzig, so gleichgültig gegenüber den Nöten des deutschen  Volkes war, daß er die Initiative zu einer Einberufung des Rates nicht ergriff? Es war ausgerechnet der d e u t s ch e Ver- treter, der Reichsaußenmini st er Dr. Curtius! Nun mag Dr. Curtius gute Gründe gehabt haben, ein Eingreifen des Völkerbundes für zwecklos zu halten. Zum Beispiel, daß man in Berlin   Hilfe vor allem von Amerika  erhoffte, das leider dem Völkerbund nicht angehört.(Wofür man den Völkerbund auch nicht verantwortlich machen kann.) Dann mag er sich gesagt haben: auch der Rat wird doch nichts ohne die Bankiers tun können, und die sitzen in Basel  , oder vielmehr in New Port, London   und Paris  . In sträflicher Verkennrjng der tatsächlichen finanziellen Machtver- Hältnisse hat man in Berlin   lange Zeit geglaubt, daß man sich um die Pariser Bankiers überhaupt nicht zu kümmern brauche. Außerdem hatte man Angst vor Hugenbergs und Hitlers   Ge- schrei und wollte vomErbfeind" zunächst selbst ohneBin- düngen" überhaupt kein Geld annehmen. Man soll doch lieber offen gestchen: an einen Appell an den Völkerbund hat man in Deutschland   schon deshalb nicht gedacht, weil man eine poli- tische Aussprache mit Frankreich   scheute. Man scheute diese Aussprache, weil man außenpolitisch kein ganz gutes Gewissen und innenpolitisch keinen Mut hatte. Während die deutschnationale Presse den förmlichen Aus- tritt aus dem Völkerbund fordert, gibt das Auswärtige Amt dieser Stimmungsmache insofern nach, als es zumindest den Eindruck einerzunehmenden Abkehr" Deutschlands   vom Völkerbund erweckt. Schon die rein bürokratische Zusammen- setzung der diesjährigen deutschen Völkerbundsdelegation ist für diese Tendenz symptomatisch. Es werden zum TeU Männer ohne Genfer   Erfahrungen, ohne persönliche Verbin- düngen und sogar solche mit ausgesprochen völkerbundfeind- lichen Vorurteilen Deutschland   auf dieser internationalen Ta- gung vertreten. Wenn dann das Ergebnis besonders mager ist, wird es erst recht heißen: der Völkerbund hat wieder ein- malversagt". Die Sozialdemokratie lehnt jedenfalls vor aller Welt die Verantwortung für eine solche Außenpolitik ob, die, nebenbei bemerkt, der Stresemannschen Tradition ins Gesicht schlägt. Sie rückt ebenso unzweideutig von jener Aeußerung des Reichskanzlers Dr. Brüning gegenüber einem Vertreter derDaily Mail" ab, wonach er von großen internationalen Zusammenkünften nicht viel halte, dafür um so mehr von Besprechungen zwischen Staatsmännern im engsten Kreise. Mag auch dieser Ausspruch nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt gewesen sein, so war er doch recht un- vorsichtig und auch sonst befremdend. Denn über so große außenpolitische Erfahrungen verfügt der gegenwärtige Reichs- kanzler kaum, daß er sich ein solches weittragendes Urteil ge- statten könnte. In Genf   ist er unseres Wissens überhaupt noch nicht gewesen. So bleibt diese Aeußerung bezeichnend für eine allgemeine Tendenz, vor der man nicht eindringlich genug warnen kann. Nicht der Völkerbund versagt, sondern die Regierungen, einschließlich der deutschen  , die es nicht wagt, einen deutlichen Trennungsstrich nach rechts zu ziehen, dafür immer wieder der nationalistischen Ideologie Konzessionen macht. Die deutschen Nationalisten haben durch ihren Auftrieb vor Jahres- frist den deutschen   Kredit im Ausland ruiniert: die Versuche der Reichsregierung, ihnen durch eine sogenannteAktivität" außerhalb von Genf   und durch eine kühle Passivität i n Genf   das Wasser abzugraben, haben die Lage nur ver- schlimniert. Wenn jetzt die Urheber dieser neuen Isolierung Deutschlands   ihre Tinte in die Welt verspritzen mit der Be- hauptung, daß der Völkerbund versage, mit der Forderung, daß Deutschland   aus ihm austrete, und mit der Unterstellung, daß der Generalsekretär Forellen fange, anstatt sich um die deutsche Krise zu kümmern, so ist das nichts weiter als die übliche Taktik der völkerverhetzenden journalistischen Tintenfische. Preußische Sparmaßnahmen. Heute Fortsetzung der Kabinettssitzung. Die gestrige Sitzung des preußischen Staatsministeriums, die sich mit den Sparmaßnahmen auf Grund der Notverordnung des Reichspräsidenten   vom 24. August zur Sicherung der Hausholte be- schäftigte, wurde nach viertelstündiger Dauer abgebrochen und aus Mittwoch, den 2. September, nachmittags, oertagt. Beschlüsse wur- den in der Dienstagsitzung nicht gefaßt.
Zieichsbankbiskont 8 Prozent. Aushebung der Krediirestrikiionen.
Die Rcichsbank hat mit Wirkung ab Mittwoch, dem 2. September, den Diskontsatz von 10 auf 8 Proz. und den Lombardsatz von 12 auf 10 Proz. herabgesetzt. In der gestrigen Sitzung des Zentralausschusscs der Reichs- bank begründete Reichsbankpräjident Dr. Luther die Senkung der Reichsbankzinsen wie folgt: Die reibungslose Durchführung des Anfang August wieder aufgenommenen vollen Zahlungs- und Bank- Verkehrs hatte es der Reichsbank ermöglicht, ihren Diskontsatz vom 12. August ab von IS aus 1l) Proz. und den Lombardsatz in zwei Etappen von 20 Proz. bis auf 12 Proz. zu ermäßigen. Eine weitere Senkung des Diskontsatzes war schon damals in Aussicht ge- nommen für den Fall einer befriedigenden Weiterentwicklung der allgemeinen Lage. Inzwischen ist eine gewisse Klärung eingetreten, wobei auf die in Basel   gepflogenen Verhandlungen übdr die weitere Belassung der in Deutschland   noch vorhandenen Auslandsgelder, deren förmlicher Abschluß freilich noch aussteht, hingewiesen sei. Der Status der Reichsbank hat sich im Lause des Monats August im Sinne fortschreitender Entlastung entwickelt. Die Anlagen der Reichsbank, die am 7. August noch 3849 Millionen betragen hatten, erfuhren bis zum 22. August eine Verringerung um 69S Millionen. Die rückläufige Bewegung setzte sich auch in der letzten Augustwoche zunächst noch fort, erst vom 28. August ab zeigte sich infolge des einsetzenden Ultimobedarfs wieder eine Zu- nähme. Eine etwa gleichartige Bewegung hatte der Noten- Umlauf aufzuweisen, der seinen niedrigsten Stand am 26. August mit etwa 39S6 Millionen Mark erreichte. Die täglich fälligen Ver- Kindlichkeiten erfuhren bis zum 25. August eine Zunahme auf rund 600 Millionen: erst vom 28. August ab überwogen die Abzüge. Schon heute ist erkennbar, daß die U l t i m o b e l a st u n g der Bank, deren genaue Ziffern im Augenblick noch nicht vorliegen, sich in durchaus gemäßigten Grenzen gehalten hat: insbesondere überschreitet der Notenumlauf mit etwa 4380 Millionen in keiner Weise das übliche Maß. Die Deckung der Noten durch Gold und deckungsfähige Devisen wird etwa 39,3 Proz. betragen gegen- über 36,1 Proz. Ende Juli. Angesichts dieser Gestaltung der Lage glaubt das Reichsbank- direktorium, die für die W i r t f ch a f t nach wie vor außerordentlich drückenden Zinslasten durch eine Senkung des Diskonts auf 8 Proz. und des Lombardsatzes auf 10 Proz. erleichtern zu sollen. Ob und wann weitergehende Erwartungen zu verwirklichen seien, bleibt von der künftigen Entwicklung des Kredit- und Devisen- Marktes abhängig. Der Reichsbankpräsident gab ferner der Persammlung davon Kenntnis, daß die unter dem Zwange der Verhältnisse im Juni angeordneten und im Juli weiter verstärkten restriktiven Maßnahmen dank der seit der Wiederaufnahme des vollen Zahlungsverkehrs eingetretenen Beruhigung auf. gehoben werden konnten.
und daß die Reichsbant bestrebt ist, ihre wiederhergestellte Kredit- bereitschaft tunlichst weiten Wirtschaftskreisen zugute kommen zu lassen. Vor einigen Tagen ist zur Bestätigung dieser seit längerer Zeit verfolgten Tendenz ein besonderer Grunderlaß an alle Reichs- bankanstalten ergangen, in dem darauf hingewiesen wird, daß jetzt jeder gute Handelswechsel, der als reichsbankfähig an- zuerkennen ist, bei der Reichsbank soll Unterkunft finden können. Außerdem sind Besprechungen mit den Banken usw. aufgenommen, die die Schaffung erweiterter Vcrwertungsmöglichkeiten für gute Warenwechsel zum Ziele haben. Von größter Wichtigkeit hierfür ist, daß Handel und Gewerbe durch Bereitstellung eines geeigneten Materials von auf Güter- umschlügen basierenden Wechseln ihren Banken die Möglichkeit geben, einen tunlichst großen Teil der gegenwärtig von ihnen bei den Banken in Anspruch genommenen Kontokorrentkredite in Diskontkredite für Handelswechsel umzuwandeln. Damit würde nicht nur eine straffere und gesündere Gestaltung unserer Kreditverhältnisse geschaffen, sondern auch den Banken er- möglicht, ohne wesentliche Verringerung ihres Kreditbestandes, ihre Liquidität zu verbessern und zum Nutzen der deutschen  Wirtschast die von der Reichsbank gebotenen Kreditmöglichkeiten für Warenwechsel besser auszunutzen. Ablieferungspflicht für Devisen. Für alle Beträge über 1000 Mark. Es wird darauf hingewiesen, daß die Ablieferung der Devisen aus Grund der Verordnung vom 29. August bis zum S. September 1931 zu erfolgen hat. Hierzu ist jeder verpflichtet, der Devisen im Werte von mehr als 1000 Mark besitzt, und zwar ausländische Zahlungsmittel(z. B. ausländische Banknoten. Goldmünzen, Schecks, Wechsel usw.), Forderungen in ausländischer Währung(z. B. sämtliche Bankguthaben in ausländischer Währung bei in- und aus- ländischen Banken oder sonstige Forderungen in ausländischer Wäh- rung, die in den nächsten drei Monaten fällig werden), ausländische Wertpapiere, sofern sie nach dem 12. Juli 1931 erworben sind, und schließlich Gold(außer den vorerwähnten ausländischen Goldmünzen alle außer Kurs gesetzten Goldmünzen, Feingold und legiertes Gold sowohl Rohgold wie Halbfabrikate, nicht dagegen Schmuck- fachen). Die Anbietung und Ablieferung der Devisen hat bei der Reichsbank und ollen Devisenbanken zu erfolgen. Bordrucke brauchen nur in den Fällen ausgefüllt zu werden, wenn jemand beantragt, ihm seine Devisen zu belassen, da er sie zu volks- wirtschaftlich gerechtfertigten Zwecken gebraucht. Wer seinen Verpflichtungen zur Ablieferung nicht nach- kommt, wird streng bestraft. Auskunft erteilen die Reichsbankanstalten und die Devisenbanken.
Landtag erst am 13. Oktober. Frühere Einberufung abgelehnt. Die preußischen Regierungsparteien haben am Dienstag im Aeltestenrat des Landtags dessen Einberufung abgelehnt. Hinsichtlich des deutschnationalen Antrags mrs sofortige Ein­berufung gab die Mehrheit des Aeltestenrats der Austassung Zlus- druck, daß die Bestimmungen des Artikels 17 der Preußischen Ver- fassung sich lediglich auf den Fall beziehen, daß der Landtag g e- schloffen worden ist, während im vorliegenden Falle nur eine Vertagung erfolgt ist, die der Landtag mit Mehrheit beschlossen hat. Hinsichtlich des kommunistischen   Mißtrauens- antrages wurde von den Regierungsparteien der Standpunkt vertreten, daß es allerdings zutreffe, daß über einen solchen Antrag innerhalb 14 Tagen nach seiner Einbringung abgestimmt werden müsse. Alseingebracht" könne ein Antrag jedoch erst gelten, wenn ihn der Präsident dem versammelten Landtag vor- gelegt habe. Daher laufe die vierzehntägige Frist erst vom Tage des Wiederzusammentritts, aliso vom 13. Oktober an. Bon den Re- gierungsparteien wurde erklärt, daß bei einer anderen Auslegung eine kleine Minderheit die Möglichkeit haben würde, den Landtag jede Woche zum Zusainrnentritt zu zwingen; das könne nicht Sinn der Verfassung sein. Die deutfchnationale Landtagsfraktion ruft den Staats« gerichtshof an. Die deutschnationale Landtagsfraktion wird, nachdem der Aeltestenrat des Preußischen Landtags   eine Zwischentagung ob- gelehnt hat, nünmehr, wie bereits in Aussicht gestellt war, den Staats�erichtshos anrufen, damit dieser über die Verpflichtimg des Landtagspräsidenten auf Einberufung des Landtags ein Votum ab- gebe, wenn ein Mißtrauensantrag gegen das Staatsministerium oder einen Minister vorliegt oder wenn die Zusammenberufung des Landtags von einem Fünftel der Zahl der Mitglieder gefordert wird.
Genosse hilserding soll nach Meldung eines kommunistischen Skandalblattsin einem engen Kreis seiner Schüler und Mit- arbeiter" eine Rede gehalten haben, über die das Standalblatt aus- führlich berichtet. Hilferding   hat von dieser Rede, die er gehalten haben soll, erst aus dem Standalblatt erfahren; er hat kein Wort von alledem gesagt! Gibt es ein Mittel gegen eine solche Art von .Journalismus"? Boncour soll Senator werden. Der sozialistische Abgeordnete Paul Voncour hat die chm angebotene Kandidatur für einen frei gewordenen Senatssitz im Departement Tarn  , das er bisher in der Kammer vertrat, angenommen.
Kreitag Aeliestenrat. Entscheidung über Zieichstagseinberufung. Präsident Lobe hat den Aeltestenrat des Reichstags für Frei- tagnachmittag 4 Uhr zu einer Sitzung einberufen, in der über den kommunistifchen Antrag mif Einberufung des Reichstags ent­schieden werden soll.
Deutsches Theater. Uraufführung vonKat". Em Schauspiel nach dem amerikanischen   Roman von Ernest Hemingway   von Karl Zuck mayer und Heinz Hilpert  . Eine traurige Liebesgeschichte mit dem düsteren Hintergrund des Weltkrieges. Kein Theaterstück, ein Bilderbuch. Großer Beifall für Gustav Fröhlich  , Paul Hörbigcr und K ä t e Dorsch. Dxr.
Hildegard Wegscheider. Zu ihrem 60. Geburtstag. Genossin Hildegard Wegscheider, die heute da? 60. Lebensjahr vollendet, gehört zu den Frauen, die schon den Weg zur Sozialdemokratischen Partei gesunden haben, als noch der Glanz des Kaisertums die bürgerlich-liberolen Kreise an sich zog. Das ganze Misteu, in dem sie aufwuchs, wies sie schon in früher Jugend auf ein« selbständige Stellungnahme zu den Problemen des Lebens hin. War doch schon der Vater, Lehrer am Gralien Kloster in Berlin  , vom Prooinzialschultoller.ium wegen seiner sreisinirigen Theologie gemaßregelt worden, so daß er diese Stelle verlassen und in Licgnitz in einer freier denkenden Gemeinde Pastor werden mußte. Für sie kam also von vornherein nicht die übliche bloße Töchterschulausbil- dung jener Zeit in Frage, sondern eine wirkliche Berufsaiis- b i ldu n g. Der einzige Beruf, der für Mädchen aus guter bürger- licher Familie möglich war, war der der Lehrerin. Zum Abiturium und Studium waren Möschen noch nicht zugelassen, wenigstens nicht in Deutschland  . Aus dieser gesellschaftlichen Situation heraus wurde Genossin Wegscheider eine Vorkämpferin der Frauen- rechte. Sie ging nach dem Lehrerinnensxamen zum Studium noch Zürich  , wo Richard Avenarius   ihr Lehrer und väterlicher Freund wurde. BebelsFrau und der Sozialismus" bewies ihr, daß der Kampf der Frau nur in den Reihen der Arbeiterklasse geführt wer- den könne. So trat sie der sozialistischen   Studentengruppe bei und klebte nach ihrer Rückkehr in Deutschland   Frauenkarten, da eine andere Form der Mitgliedschaft noch nicht möglich war. Zunächst galt ihr ganz persönlicher Kampf in dem sie sich hier noch durch- aus mit der bürgerlichen Frauenbewegung in einer Linie befand dem Recht auf die höchste Bildung, den Zugang zur Universität. Sie wurde die erste Frau, die das Abiturium in Deutsch  - land ablegen durste, die erste Frau, die in Preußen den Doktor machte. Die Berliner   Universität, auch damals keine Führerin im sozialen Fortschritt, versagte ihr unter dem Dekanat Treitschkes die Zulassung. Halle, wo Eduard Meyer   und Benno Erd- mann ihre Lehrer waren, erteilte ihr 1898 den Doktorgrad. Von da an war die Linie ihres Lebens, waren die Ziele, für die sie nun ein Menschenalter gekämpft hat, eindeutig festgelegt. Sie arbeitete zuerst an den Kursen von Helene Lange  , gründete dann eigene Kurse zur Vorbereitung von Mädchen auf die Universität, mußte aber hier die Erfahrung machen, daß die verheiratete und nun gar die schwangere Frau als Lehrerin von der Regierung in Potsdam   als unsittlich empfunden wurde! Die Regierung löste 1903 deshalb sogar ihre Kurse auf. In der Zeit der erzwungenen Muße konnte sie sich unmittel- barer in der Arbeiterbewegung betätigen, und zwar wiederum auf einem Gebiet, das ihr als Frau besonders nahe lag, in der Be- tämpfung der besonders in den Arbeiterfamilien fühlbaren zerstören- den Wirkungen des Alkohols. Selbst als Studienrätin in Bonn   hat sie bei aller Reserve, die ihr geboten war, in der sozialistischen   und in der Gewerkschafts- jugend durch Vorträge, besonders über die Geschichte der Revolutio- nen, gewirkt. So war es selbswerständlich. daß die Partei sie nach der Revolution, zunächst für den Wahlkreis Köln  , dann für ihren heimatlichen Kreis Liegnitz   in den Landtag schickte. Dieser reiche äußere Lebenslauf sagt viel über den Menschen Aber«r säet sicher vielen, vielen Menschen zu wenig, die sich j» allen möglichen materiellen und seelischen Nöten an Hildegard Wegscheider gewandt und immer ihre Hilf« erhalten haben. Es wäre nicht in ihrem Sinn, wollte man darüber heute reden. Von ihr oiu wie von ganz wenigen, daß ihr nichts Menschliches fremd blecht.