Morgenausgabe
Nr. 413 A 208
48.Jahrgang
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Freitag
sad 4. September 1931 14. Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Ein weithin hörbarer Paukenschlag: In der Nacht vom 2. zum 3. September hat König Alexander sich der unumschränkten Gewalt begeben, die er in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 1929 an sich gerissen hatte, und hat die Verfassungsmäßigkeit wiederherge stellt. Seit gestern zählt Europa eine Dittatur weniger, einen Verfassungsstaat mehr.
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Ein Aufruf ,, An mein teures Volt", an allen Mauern Belgrads flebend, tut dar, die Diktatur werde abgebaut, weil ihre bisherigen Ergebnisse den Uebergang zu einer end gültigen Organisation des staatlichen Lebens gestatteten; der Monarch greift also ganz aus freien Stücken ,, auf die unmittelbare Mitarbeit des Boltes" zurück. Die Verfassung der Herr hat sie genommen, der Herr hat sie gegeben, der Name des Herrn sei gelobt! Aber wer lächelt da nicht! Mögen dem König immerhin Bedenken über Bedenken aufgestiegen sein, ob er mit dem Regime des unkontrollierten und unkontrollierbaren Absolutismus auch im dynastischen Interesse auf dem rechten Wege sei, so hat doch sicher mehr oder weniger sanfter Druck ihn zu dem Schritt bewogen, den Diktatoren selten oder nie freiwillig tun.
Dieser Drud tam wohl faum aus dem Innern des Landes, denn obwohl die Diktatur bei Serben, Kroaten und Slowenen außer der dünnen Schicht ihrer Ausüber und Nuznießer nicht einen Anhänger zählte, durften sich die Machthaber bei der Willenslähmung der breiten Massen ficher fühlen, solange die Armee, das heißt, das Offizierkorps hinter ihnen stand. Auch war die Bombenlegertätigkeit der mit dem reaktionären Abhub von ganz Europa versippten froatischen Emigration nicht danach angetan, auf die Diftatoren im Sinne einer Aufhebung der Diftatur einzuwirken. Aber daß in der Tschechoslowakei , die innerhalb der Kleinen Entente Jugoslawien am nächsten stand, gerade die maßgebenden Staatsmänner wie Masaryk und Benesch das absolute Regime in Belgrad mit steigendem Mißfallen betrachteten, war fein Geheimnis, und es fehlte auch nicht an Bestrebungen, der französischen Regierung begreiflich zu machen, daß die Diktatur nicht geeignet sei, den militärischen Wert des jugoslawischen Bundesgenossen zu steigern. Vielleicht hat Paris deshalb in Belgrad den Wint gegeben, den es schon längst hätte geben sollen.
Vor allem aber hat zweifellos das Anleihebe dürfnis eines Staates, der unter einer Wirtschafts= frise in dreifacher Ausfertigung, der allgemeinen, der südosteuropäischen und der besonderen jugoslawischen, schwer leidet, zur inneren Einkehr der Macht. haber beigetragen, denn das Kapital schlägt um Länder, in denen nur die Bajonette den ruhigen Ablauf der Geschäfte zu verbürgen scheinen, einen ängstlichen Bogen.
Die Geschichte wird einmal von den Ereignissen der Jahre 1929 und 1931 in Jugoslawien sagen, daß Verfassungen, die von einem Herrscher nach Belieben mit einem Federstrich gegeben und genommen werden können, nicht eben hoch im Kurs stehen; auch für den Südosten unseres Erdteils gilt Uhlands Wort:
Noch ist kein Fürst so hoch gefürstet, So auserwählt fein ird'scher Mann, Daß, wenn die Welt nach Freiheit dürftet, Er sie mit Freiheit tränken kann,
und in Belgrad saß schon einmal ein Alexander, der für sein Bolk und Land das Licht der Verfassungsmäßigkeit nach Be lieben abdrehte und anknipste; er gehörte der Dynastie Obrenowitsch an, und wie er endete, ist bekannt. Auch ist unter dem neuen Stand der Dinge die Souveränität des Boltes wesentlich eingeschränkter als vor dem Staatsstreich; das Zweikammersystem und die Ernennung der Hälfte des Senats durch den König gibt der Krone ein Uebergewicht, das sie in der Verfassung von 1921 bei weitem nicht hatte.
Gleichwohl kommt dem Dekret des 3. September nicht geringe Bedeutung zu: ein Spieler, der 32 Monate ganz aus geschaltet war, das Bolt, betritt wieder die politische Bühne. Freilich ist die Hinterlassenschaft der letzten 2½ Jahre zu verhängnisvoll, als daß sofort normale Zustände zu erwarten wären. Wenn die Diftatur die Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit auf ihre Fahne schrieb, so hat, im Gegensatz zu den Nichtswissern und Wirrföpfen im Kommunisten- und Cafébausliteratenlager, die Kroaten und Slowenen als nationale moerheit bezeichneten und sich für die Rechte der montenegrinischen Nation" begeisterten, die Sozialdemokratie stets betont, daß die südslawische
Verständigungskundgebung der Gewerkschaften.
Mainz , 3. September. ( Eigenbericht.) der Versammlung den Arbeitern ausdrücklich seine Achtung aus für ihr mutiges und tapferes Berhalten.
Die Mainzer Stadthalle war am Donnerstagabend der Schauplag einer gewaltigen Rundgebung der freien Gewerkschaften für ben Frieden und für die Verständigung der Völker. Die Kundgebung, die um 7 Uhr begann und unter ungeheuer starter Beteiligung der Arbeiterschaft vor sich ging, wurde eingeleitet durch einige furze Ansprachen des Staatspräsidenten Dr. Adelung, des Bundesvorsitzenden des ADGB . Theodor Leipart , des Generalsekretärs der französischen Gewerkschaften Jouhaug, des Sekretärs des Internationalen Gewerkschaftsbundes Schevenels und des Bürgermeisters der Stadt Mainz Dr. Krau B. Im Mittelpunkt der Kundgebung stand eine wuchtige Rede, in der Peter Graßmann, Vorsitzender des ADGB. , der tiefen Sehnsucht der deutschen Arbeiter nach Frieden und Verständigung, nach einem Ausweg aus der Not beredten Ausdruck verlieh
Wir wollen Berständigung mit allen Bölfern, wir wollen Frieden ganz besonders mit unserem„ Erbfeind".
Im Gegensatz zu dem, was aus so manchen Rheinlandfeiern unter großem Wortschwall erzählt wurde, betonen wir mit allem Nachdrud, daß es vor allem das Verdienst der Gewert schaften war, wenn während der Besetzung die Einheit der deutschen Republit gerettet wurde. Wie war es denn? Darf ich einige Erimerungen auffrischen? Notwendig ist es; denn das Gedächtnis mancher Leute ist furchtbar schwach, wenn es sich um Erinnerungen an Großtaten der Arbeiter handelt.
Längs dem Rhein stand fremdes Militär. Das Rheingebiet war gegen das Reich abgeriegelt. Das Wirtschaftsleben stockte. Der Bersonen- und Wagenverkehr war unterbunden. Jeder Einwohner, der über 12 Jahre alt war, mußte im Besige eines Passes sein. Die Sofdatesfa und besonders die Offiziere benahmen sich, als ob sie noch mitten im Kriege wären. Gewerkschaften und Sozialdemokratie unternahmen Schritte bei dem General Mangin zur Erleichterung der Lage der Bevölkerung. Es folgten dann auch einige Erleichterungen. Trotzdem? es war eine schwere Zeit. Es gab feine Berbandszeitung, es gab feine Beitragsmarten, Reisegenehmigungen wurden nur selten erteilt. Reifen ohne Genehmigung waren mit Lebensgefahr. verbunden. Dazu tam das Versammlungsverbot. Das Bestreben, die Gewerkschaften intakt zu halten, wurde gefährdet durch die
Separatisten, polifische Abenteurer und Streber, von denen manche heute in den Reihen der radikalen Flügelparteien sind. Es sind dieselben Leute, die die Ausrufung der rheinischen Republik unter Dr. Dorten mitgemacht haben.
Die Gewerkschaften waren der Stüß- und Sammelpunkt aller der deutschen Republik Treugebliebenen. Am 2. Juni 1921 wurde ein Generalstreif allgemein durchgeführt. Es war ein fühner Schlag. Die Betriebe standen still. Die Läden waren Am geschlossen. Die Straßenbahnen stellten den Verkehr ein. 3. Juni erklärten die Gewerkschaftsfunktionäre in einer von Offizieren überwachten Sigung, niemals würden die freien Gewerkschaften sich dazu zwingen lassen, die Separatisten am Rhein zu dulden. Scharfe Kritik wurde in dieser Versammlung an dem Verhalten der Befagungstruppen geübt wegen der Duldung und Unterſtüßung des Separatismus. Der überwachende Offizier drückte beim Verlassen
Einheit nicht nur eine Wahrheit, sondern auch eine Tatsache, von revolutionärer Bedeutung sei. Aber ebenso dick hat die Sozialdemokratie bei jeder Gelegenheit unterstrichen, daß die Diktatur hier eine revolutionäre Tatsache mit urreaktionären Mitteln aufrecht zu erhalten unternahm; wie der preußische Friedrich Wilhelm I. auf dem Rücken seiner Untertanen den Bambus tanzen ließ: Lieben sollt ihr mich, Ranaillen!", so suchte das Regime des 6. Januar 1929 Serben, Kroaten und Slowenen die Liebe zum jugoslawischen Gedanken mit Stockprügeln einzubläuen. Mag deshalb eine Reihe von Gesetzen wie vor allem die Aenderung des Staatsnamens und die Neueinteilung des Staatsgebietes durchaus auf dem Wege zur jugoslawischen Einheit liegen, so bewirkten alle Verordnungen doch nur ein Mechanisches, ein Aeußerliches; das Organische, das Innerliche, das seelische Hinein wachsen der Volksmassen in die Staatseinheit fann nur Ergebnis eines langsamen Entwicklungsprozesses, nie und nimmer einer überſtürzten Gewaltpragis sein. Weil diese Praxis zum Teil mit wahrhaft asiatischen Methoden eine Unsumme von Erbitterung erzeugt hat, steht das neue Ber
Was war die Folge der Abwehr der Arbeiter? Die deutsche Verwaltung fonnte zunächst wenigstens ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Trotzdem bestand natürlich der Druck der Besagungsbehörden weiter. Noch schlimmer wurde die Lage beim Einmarsch der Besaßungstruppen ins Ruhrgebiet . Die Gefängnisse füllten sich, aber die dadurch entstehenden Lücken in der Front des Widerstandes wurden sofort ausgefüllt. Die Lage war reif zur Explosion. Im Augenblick der Hochspannung entriffen Hunderte von Arbeitern, nur unvollkommen bewaffnet, den schwerbewaffneten Separatisten die von ihnen besetzten Gebäude.
Sie zogen die grün- weiße Separatistenfahne ein und installierten die deutschen Behörden wieder in ihren Funktionen. Die Arbeiter des ganzen besetzten Gebietes haben ihr Leben und ihre Existenz eingesetzt für die Unabhängigkeit des Reichsgebiets. Sie haben nicht nach Dank gefragt und feine flingende Entschädigung erwartet im Gegensatz zu anderen Schichten.
Ohne den zähen Kampf der Gewerkschaften, ohne die Nuhbarmachung ihrer nationalen und internationalen Beziehungen wäre nie ein Umschwung am Rhein eingetreten, wäre die vorzeitige Räumung der zweiten und driffen 3one nicht erreicht worden.
Das muß einmal festgestellt werden gegenüber denjenigen, die mit ihrer Vaterlandsliebe prahlen, die aber in den schlimmen Jahren sich entweder im Hintergrund hielten oder gar mit dem Separatismus liebäugelten.
Diese Erinnerungen haben nichts gemein mit Nationalismus, aber fie beträftigen, was stets die Auffassung der Gewerkschaften war: Voraussetzung wirklicher internationaler Verbundenheit und internationaler Solidarität ist die Freiheit und politische Unabhängigkeit jedes Boltes.
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Nur der denkt und handelt so hat Jean Jaurès ausgedrückt- wirklich international, der zu seinem Wort steht. Je mehr er dies tut, um so mehr wird er vermeiden, cinem Volt anzutun, was für das eigene abzuwehren er für unabweisbare Pflicht halten muß.
Die bitteren Erfahrungen der letzten Jahre, die Nöte der jüngsten Zeit sie sind die stärkste Rechtfertigung für unsere Idee: Wir wollen Brücken schlagen zu allen Völkern, wir wollen vor allem die Berständigung mit Frankreich . Wir fordern die Abrüstung auf der ganzen Linie und engste wirtschaftliche Beziehungen, die in eine Befriedigung Europas und damit in einen Frieden der Welt ausmünden. Die internationale Familie der Arbeit ist durch den Weltkrieg auseinandergerissen worden. Befenner derselben politischen und wirtschaftlichen Ideen standen sich mit der Waffe in der Hand gegenüber. Das soll niemals mehr sich wiederholen. Es lebe der Frieden, der Frieden am Rhein , der Frieden mit Frankreich , der Frieden. der Welt!
Ein Beifallsorkan trug Graßmanns Friedensgrüße aus dem großen Saal hinaus in das Land am Rhein .
fassungsleben vor nicht geringeren Schwierigkeiten als das alte, und nur die glückliche Eigenschaft südlicher Völker, rascher vergessen zu können, bietet eine gewisse Gewähr dafür, daß Jugoslawien nicht abermals in das vor der Dittatur herrschende heillose parlamentarische Durcheinander stürzt. Es bedarf aber der Demokratie, der wahren, underfälschten Demokratie, um die Wunden auszuheilen, die die Diktatur dem Lande geschlagen hat, der Sozialdemokratie fällt hier eine nicht kleine Rolle zu, und vor allem hängt es, Konstitution hin, Parlament her, von den Verwaltungsund Polizeiprattiken ab, ob Jugoslawien über das Geographische hinaus wieder zu den europäischen Staaten zählen wird.
Die Wirkungen der Umkehr auf einem bösen Wege müssen sich sehr bald zeigen, und es mag ein gutes Vorzeichen sein, wenn all jene, die von der Zerrüttung des jugoslawischen Staates ihr Heil ermarteten, also Makedonisierende" in Bulgarien , Erwachende in Ungarn und Faschisten in Italien , die Abschaffung der Belgrades Dittatur mit einem: O weh! quittieren werden.