„Fünfundsiebzig Traber hat der junge Baron in seinen Stal- lungen gehabt", erklärt uns achselzuckend der Beamte der Siedlungs- gcsellschaft auf unsere Frage, warum der üppige alte Herrensitz hier im gesegneten Osten Mecklenburgs unter den Hammer gekommen sei.„Zehntausend Morgen bestes Land, komplettes Inventar, Wert vier Millionen: so hat er es, 21 Jahre alt, als Erbe übernommen. Nach drei Jahren war olles verpulvert. Fünfhundert Jahr ist dos Gut in der Familie gewesen. Wie gesagt: fünfundstebzig Traber, und was dann so daran hängt.. Wir verstehen und lassen den Blick über all die sauberen neuen Bauernstellen gleiten, die fast über Nacht auf dem schweren Boden, mitten in der menschenleeren Landschaft aufgebaut worden sind und in diesem deutschen Sibirien — oder ist die Kopfzahl pro Quadratkilometer hier noch geringer als dort?— ein junges Dorf bilden. „Unglaublich war das Ding heruntergewirtschaftet", fährt unser Führer fort, der aus seiner konservativen Grundstimmung gar kein Hehl macht.„Schon während der Zwischenwirtschaft, also zwischen Ankauf und Weitergab« an die Siedler, hat unsere Gesellschaft den Kornertrag von 13 MI Zentnern auf 40 000 steigern können. Jetzt, nachdem die Siedler ihre Stellen haben, wird die Geschichte noch ganz anders kommen. Dort drüben", er zeigt auf eine Turmspitze jenseits unermeßlicher Weizen- und Roggenschläge, deren reifes Gelb in der Sonne brennt,>chort drüben haben wir die Begüterung der Baronin von M. angekauft, die heute in einer Mansarde in Paris an die Unsummen denkt, die sie oerplempert hat. Davon habe ich übrigens ein« genaue Aufzeichnung hier." Er liest ab:„Auf dem Gute leben heute statt 4SS Einwohner 1103. Die Zahl der Pferds ist von 179 auf 314 gestiegen, der Rindviehbestand von 393 auf 1098, die Anzahl der Schweine von 330 auf 2660, der Hühner von 1000 auf 8000. Nur die Schafe, 1783 Stück, sind verschwunden." Stumm hören wir zu. Vor unfern Augen sehen wir di« grenzen- losen Weiten des deutschen Ostens. Und däneben die Elendsguartiere in Berlin und an der Ruhr. Gut bei Gut steht zum Verkauf. Auf jedem zweiten Schloß klebt das blaue Siegel. Da siegt langgestreckt Haus und Park des Junkers von O. Zwei Millionen in bar hat er in zwei wilden Jahren verspielt. Eine vor dem Kriege, eine nachher. Seine Tochter sitzt jetzt auf einer neuen Arbeiter- siedlung und schlägt sich tapser durch auf dem gleichen Boden, auf dem ihre Väter seit 300 Iahren Herren gespielt haben. Eben fährt unser Wagen an der Burg des Grafen Schl. vorbei. 33 000 Morgen allerbestes Land hat er 1924 schuldenfrei über- nommen. Heute leistet er den Offenbarungseid. Der Graf von Ba., der 10 000 Morgen Land eingegattert hat, um 300 Hirsche darin zu hallen, wird seiner Tochter nicht mehr erlauben, nach Paris zu fahren, damit sie sich dort den Bubikopf einwandfrei schneiden lassen kann. Der alte Herr ist restlos pleite. Der Freiherr von Th. neben ihm ebenso. Ein« runde Million hat sein Schloßbau gekostet. Für 80 000 Mark Perser wurden erstanden, als die alten Teppiche nicht mehr gefielen. Ein Marmorkamin für 30 000 Mark wird eingebaut. Kaum in Betrieb, reißt man ihn heraus, weil Dampf- Heizung bequemer ist. Wir staunen ungläubig und erbittert in eins. Die Beamten um uns, alles Männer, die kraft ihrer Stellung genau« Einficht haben, nicken bestätigend. Der Feudal-Adel im ganzen Osten gehl kaputt, wo er nicht umlernt. Sinnlose Vergeudung wie ehedem bedeutet heute unaus- weichlich das Ende.„Bis vor zwei Iahren hatten sie alle selber schuld, wenn sie oerkaufen mußten", entgegnen un» di« Fachleute der Siedlung auf unsere Fragen..Letzt allerdings ist es nicht mehr Schuld allein, sondern auch die Wirtschaftsform an sich, die nicht mehr zu halten ist." Das groß« Gütersterben hat begonnen. Herrenlaad muß wieder Bauern laad«erden. Altes Unrecht wird gesühnt. Die Gesetze der Wirtschaft vollziehen an diesem müden Adel, dessen Kultur sich von der Armut scheuer Tagelöhner nährte, ein Strafgericht. Nie hat deshalb der Osten eine solche Chance von wahrhaft historischer Größe gehabt wie heute, wo der Junker dem Dauern weichen muß. Werden wir sie nutzen können? *** 10 000 neu« Bauernhöf« pro Jahr, das war das Programm Serings, das dem verkalkten Wirtschaftskörper des agrarischen Osten junges Blut zuführen sollte. Das Programm, vor kurzem noch nichts als eine schillernde Utopie, ist in diesem Jahr in Preußen zum ersten Male erreicht, im ganzen Reichsgebiet sogar überschritten worden. 10 000 Höfe, das heißt 200 Dörfer zu je 40 Bauernstellen. Heißt pro Woche fünsjunge Dörferl Heißt neue Heimat für jährlich 3 000 Menschen. Heißt produktive Tätigkeit für Taufende von Bauarbeitern. Ein«
Leistung der Republik , von der kaum je gesprochen wird. Ihrs Gegner schweigen sie tot. Trotzdem erst ein Ansang! Unheimlich reißend ist immer noch der Strom der Hunderttausende von Londflüchtigen, der aus den Dörfern in die Sammelbecken der Städte schwemmt und ihr soziales Fassungsvermögen bis zum Bersten anfüllt, während das platte Land wirtschaftlich ausdörrt. Wenn das Sterben der großen Güter in dem Tempo einsetzt, wie wir es heute befürchten müssen, dann erhebt sich zu allem anderen drohend das Gespenst der Versorgung von jährlich hunderttausend Landarbeitern, deren Existenz der Malstrom der Agrarkrise vernichtet. Die Landstädtchen in den weiten Ackergebieten verdorren. Und dabei flüchtet die Phantasie und der Instinkt des alten Bauernblutes Tausender von Großstadterwcrbs- losen bereits wieder zurück in das von den Vätern verlassene Dorf. Ganz große Aufgaben recken sich da empor. Nicht zuletzt vor der Sozialdemokratie! wir müsien die Siedlungsarbeit glatt verdoppeln. Verdoppeln, das bedeutet angesichts unserer Armut: doppell so billig wie bisher und dadurch doppelt so viel. Ist das siedlungs» technisch möglich? Jawohl! Die Not hat uns auch das Problem der Einfachsiedlung lösen gelernt. Im mecklenburgischen Amte Güstrow , auf dem gleichen Boden alfo, auf dem einst Fritz Reuter sein.Lein Hüsung", diese Tragödie des landlosen Dorfarmen, den Junkern anklagend ins Gewissen rief, liegt weitab vom Wege das Gut S. Dort hat man vielleicht den beherzten Versuch gemacht, mit vertriebenen Deutsch- russen und bodenstämmigen Landarbeitern, beide vom Leben gleichermaßen geschmiedet und erbarmungslos gehärtet, die Idee der Einfachsiedlung zu realisieren. Häßlich! Das ist das erste Wort, das einem entfährt, wenn man das neue Dorf bettitt. Nicht mehr die leuchtend roten Ziegel- dächer der jungen Vollbauernhöfe, die uns in den Siedlungen Preußens und Schlesiens entgegengrüßen. Hier in S. und im benachbarten Sch. hat man ganz einfach die vorhandenen Guts- gebäude umgebaut. Das Herrenhaus, die langegestreckten Stallungen, die Speicher, die Brennerei, die Gutsarbeiterwohnun- gen, die Schnitterkaserne, die Feldscheunen und sogar die Schweine- ställe. Dieser ganze große Komplex massiver Bauten ist Wohn- räum. Stallung und Scheune der neuen Bauern geworden. Von den 37 Siedlungen, in die das alte Gut aufgeteilt worden ist, konnten 30 in den vorhandenen Baulichkeiten untergebracht werden. Die Wohnräume sind nicht eben üppig, aber ausreichend. Die Stalleinrichtungen sind zum Teil in Eigenarbeit aus dürftigem Material zusammengeflickt worden. Aus Rundhölzern und Schilf hat man da und dort so gut es ging Geräteschuppen nachträglich zugebaut. Noch einmal: Häßlich! Aber: billig! Billig und durchaus genügend! Die Menschen werden sich in diesen Primittvgehöften ganz gewiß wohler fühlen als ihre Kollegen in den komfortablen Normalsicdlungen, deren Bauzinsen den Ertrag ihrer Arbett auffressen. Sie alle, so gut wie mittellos, haben tapfer mit Hand angelegt bei der Herrichtung ihrer neuen Heimat. Ihre Mitarbeit, das war ihr Anzahlungskapital. Materialtransporte, Holzbearbeitung, Abbrucharbeit, Brunnengraben..Steine herstellen: es gab Möglich- ketten genug für willige Fäuste. Die Deutfchrusien hoben ihre Neubauten aus Lehmbatzen aufgeführt, wie sie an der Wolga üblich waren. 11000- Lehmbatzen— soviel brauchte man für ein Gehöft— kosteten ganz« 68 Mark ön Bargeld! Das Haus sieht famos aus.„Dos steht länger als 100 Jahre." lächell überlegen der Bauer in seinem stark russisch gefärbtem Dialekt auf unsere Frage nach der Wetterbeständigkeit. Es ist gelungen, die Baukosten pro Dollbauernstelle von 16000 auf 6000 Mark im Durchschnitt zu verringern! Die Austeilung und der Neubau haben noch nicht drei Monate beansprucht, während man anderwärts die Zwifchenwirtschast auf zwei und drei Jahre verschleppte, und dabei belastet jeder Monat dieser Zwischen- zeit die Gesamtsiedlung mit 10000 Mark! Das Ergebnis ist: Senkung der Sofien pro Stelle auf die Hälfte des früheren Aufwandes und Senkung der Belafiuug pro Morgen von 24 auf 12 Mark, also ebenfalls auf die Hälfte. Hier werden die Leute sich halten, auch in den Wirbelstürmen der Weltagrarkrise. Man fordert vom deutschen Volk Osthilfe. Das Wort hat für die Nolleidenden der Städte einen gallenbitteren Geschmack. Oft- Hilfe im Sinn der Arbeit, wie sie oben angedeutet worden ist, wäre eine produktive und soziale Tat der Republik . Was für ungeheure Energien harter, arbeitshungriger Land- und Stadt- Proletarier ließen sich hier mobilisieren. Der Osten ruft nach Ver- jüngung. Eine historische Stunde! Wir wiederholen unsere Frage: Wird man sie nutzen wollen? Doppelt so intensiv wie bislang?
in Zentraleuropa offenharte, trat m DewkschlanZi die Kaia- ftrophe ein. Frankreich , das allein gegenwärtig über die für eine große Stützungsaktion notwendigen Reserven ver- fügt, weigerte sich, einem Deutschland zu helfen, das durch Rüstungsausgaben, Zollunionspläne und Stahlhelmparaden den' Verdacht erzeugte, als steuere es einen aggressiven, natio- nalistischen Kurs und als hätte die Regierung Brüning nicht den Mut, der Hetze Hitlers und Hugenbergs die Stirn zu bieten. Das ist die einfache, u übe st reitbare Ge- schichtederdeutschenKreditkata ftrophe in den letzten Monaten. Und nun, stellt sich ein Goebbels hin und deklamiert:„Deutschland bekommt keinen Kredit, weil wir— die Nazis— noch nicht an der Macht sind."!! Bon wem erwartet denn dieser Demagoge jene Kredite, die er für den Tag verspricht, an dem er und seine Horden in Deutsch - land herrschen würden? Heraus mit der Sprache! Etwa von der internationalen Finanz? Nun: wir lesen ja täglich im„Völkischen Beobachter, daß die internationale Finanz total verjudet sei. Wenn das wahr ist, dann fragt man sich, ob denn die internationalen„Finanzjuden" ausgerechnet auf den Tag warten, an dem die deutschen Antisemiten am Ruder wären, um Deutschland Milliarden zu leihen? Die Nazipresse zetert täglich über die Golddiktawr, die Frankreich gegenwärtig in Europa ausübe, um feine poli- tischen Forderungen durchzusetzen. Auch uns gefällt die jetzige geldliche Uebennacht Frankreichs und ihre außenpolitische Aus- Nutzung ganz und gar nicht. Aber wer glaubt, daß die franzö- fischen Banken nichts eiligeres zu tun haben werden, als einer Regierung Hitler-Goebbels-Hugenberg Milliarden zu leihen? Kann der Demagoge Goebbels sie etwa zwingen, will er Frankreich etwa den Krieg erklären? Oder erwartet er Geld von Amerika , dessen Banken zum Teil von der franzosen - freundlichen Morgan-Gruppe beherrscht sind und zum anderen Teil von deutschfreundlichen, allerdings meist jüdischen Finanziers wie Warburg und Speyer ? W�n aber nicht von Frankreich oder Amerika , von wem denn�sonft erwartet der Naziführer die Kredite, die er so selbstbewußt verspricht? Bon England, das jetzt selbst auf die Hilfe Amerikas und Frank- reichs angewiesen ist? Bon Italien, das selbst über und über verschuldet ist oder am Ende gar von der berühmten „Regierung des Mondes" der Ruch Fischer? ' In Wirklichkeit hat Goebbels wieder einmal einen bodenlosen Blödsinn oerzapft, nur weil der Satz so schön wuchtig klang und weil er sich an ihm berauschte. In normalen, gesunden Zeiten wäre ein Politiker, der sich mit einer solchen Phrasendrescherei als Scharlatan und Betrüger entlarven würde, endgültig erledigt. In verrückten Zeiten wie den heutigen gibt es aber Millionen Menschen, die ihm gläubig folgen: je toller, desto blinder.
Nächsten Montag: Neue Welt! Die Kommunisten bleiben heute unter sich. .. Per sozialdemokratische Bezirksvorstand erhielt gestern nachmittag als Antwort auf das schon veröffentlichte Schreiben des Gen. K ü n st l e r folgenden Brief: Wir erhielten Ihr Schreiben vom 7. September, in dem Sie mitteilen, daß Herr Franz Künstler deshalb nicht in der Der- fammlung in der„Neuen Welt" sprechen will, weil Eintrittsgelder für Erwerbslose erhoben würden. Wir machen Sie darauf aufmerk- sam, daß das Eintrtttsgeld so festgesetzt ist, daß die Saalkosten zum Teil gedeckt werden.(Der Saal tostet 800 M.). Der wahre Grund Ihrer Forderung ist jedoch nicht die Sorge um die Erwerbslosen, sondern dadurch soll es der SPD - mit Hilfe der Polizei ermöglicht werden, schon am Nachmittag den Saal zu besetzen. Wir wissen bereits, daß das Reichsbanner seine erwerbs- lofqji Mitglieder angewiesen hat, schon nachmittags um 3 Uhr nach der„Neuen Welt" zu kommen. Diese Anweisung zeigt, daß eine Vereinbarung mit der Polizei besteht, den Saal entgegen den An- Weisungen der Veranstalter schon ftühcr zu öffnen, damit das Reichsbanner den Saal besetzen kann. Das ist aber nach Meinung des Polizeipräsidiums nur möglich, wenn kein Eintrittsgeld erhoben wird. Weiter ist uns bekannt, daß der Leiter der„Aktion im Saal" ein Mitglied der technischen Leitung des Reichsbanners ist, und zwar Herr B r ü ch. Um Ihnen jede Möglichkeit zu nehmen, der Auseinandersetzung fernzubleiben, haben wir beschlossen, auf die Erhebung von Ein- trtttsgeld zu verzichten. Gleichzettig fordern wir Sie auf, Herrn Bruch, den technischen Leiter für die Aktion des Reichsbanners, in dos Präsidium zu entsenden. Wir machen aber darauf aufmerksam, daß der Saal erst um 18 Uhr geöffnet wird und die Versammlung pünkttich um 19 be- ginnt. Wir ersuchen Sie, Ihren Mitgliedern und dem Reichsbanner durch Veröffentlichung im„Abend"-Vorwärts und im„Vorwärts" am Dienstag mitzuteilen, daß es zwecklos ist, schon um 3 Uhr nach» mittags nach der„Neuen Welt" zu kommen. Kommunistische Partei Deutschlands , Bezirk Berlin-Brandenburg . W. Ulbricht . Auf dieses Schreiben erfolgte am gestrigen nachmittag die �Zlgende Antwort: Ihr Schreiben vom 7. September erhielten wir durch unser Brandenburger Parteisekretariat heute nachmittag zugestellt. Wir nehmen davon Kenntnis, daß Sie nach unserer Belehrung begriffen haben, daß polittsche Versammlungen nicht noch kapttali- stischer Art zu einer Einnahmequelle gemacht werden dürfen, und daß insbesondere erwerbslose Arbeiter nicht durch Erhebung eine« Eintrittsgeldes von der Teilnahme an einer polttischen Versamm- lung ausgeschlossen werden. Ihr hinterhältiges Verhalten, das lediglich auf schlotternde Angst vor einer politischen Auseinandersetzung über Ihre führende Teil- nähme am fchwarzweißroten Volksentscheid zurückzuführen ist, be- weist uns, daß Sie die mit uns getroffenen Vereinbarungen keines- wogs hakten werden. Ihre Phantasien, daß zwischen den arbeitslosen Reichsbanner- orbeitern und der Polizei«ine Vereinbarung zweck« frühzeittgen Einlasses getroffen ist, sind jedenfalls darauf zurückzuführen, daß Sie nach der Kampfgemeinschaft mit Herrn Goebbels beim Volks- entscheid weiße Mäuse sehen. Wir nehmen daher von unserem im„Abend" vom 7. September veröffentlichen Schreib«» nichts zurück. Wir stellen Ihnen anheim.
einen Redner Ihrer Partei in die von uns angekündigte Ver- fammlung zu entsenden. Bezirksverband Berlin , SPD., Berlin SW. 68, Lindenstraße 3. Franz Künstler . Carl Litt«. Wendt. Danach bleibt es dabei, daß die heutige Versammlung in der Neuen Welt eine rein kommunistische Veranstal- tung ist, in der Sozialdemokraten nichts zu tun haben. Gen. Künstler spricht an der gleichen Stelle am nächsten Montag.
Justiz aus Lahuseu-Giadi. Gn krasses Fehlurteil in Bremen . Bremen . 7. September. Das Bremische Schnellgericht verurteilt« hcut« mittag vier Per- sonen, di« leichtfertigerweise unwahre Gerüchte über die Sparkasse in Bremen und eines ihrer Vorstandsmitglieder weiterverbreitet hatten, zu Gefängnis- bzw. Geld st rasen. und zwar den Kaufmann Becker und den Friseur Hotes zu s e ch s Wochen Gefängnis, den Angestellten Schröder zu einem Monat Gefängnis und die Lehrerin Meyer zu 200 Mark Geldstrafe. Am vergangenen Sonnabend war bekanntlich durch Gerüchte eine Art Run auf die Sparkasse herbeigeführt worden. Der Staatsanwall hatte Gefängnisstrafen von«in bis drei Monaten beantragt. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, die Ange- klagten hätten die Gerüchte zwar nicht aufgebracht, aber doch weiter- verbrettet. Sie müßten für die vielen anderen, di« nur ein Gleiches getan hätten, deren Namen aber üu einzelnen dem Gericht unbekannt seien, mitbüßen. Der unverantwortlichen Ge- rüchtemacherv müsse ein Riegel vorgeschoben«erde». Bewach«
rungsfrist wurde den zu Freiheitsstrafen Verurteilten nicht zugebilligt. » Dies Urteil ist ein ausgesprochenes Fehl» urteil. Daß Bremen den günstigsten Boden für wildeste Gerüchte darstellt und daß in der Bremer Bevölkerung eine Nervosität herrscht, in der die dümmsten Gerüchte Glauben finden— das ist nicht die Schuld von Schwätzern, sondern von ganz anderen Leuten! Wo ein La Husen wirtschaftete und die Schröder-Bank in Konkurs ging, wo der Bremer Staat durch seine Engagements bei der Schräder- Bank erhebliche Verluste erlitt, ist Schwätzereien Tür und Tor geöfsinet. Die Rückwirkung der ungeheuerlichen Skandale auf die Bevölkerung wird nicht durch derartige Urteile aus der Welt geschafft, sondern durch Reinigung in Wirt- schaft und Verwaltung— wozu auch die Gerichts- behörden beitragen könnten! Daß von den Schuldigen noch niemand verurteilt ist, daß aber ein paar arme Schacher ins Gefängnis gesteckt werden, weil sie unter dem Eindruck der Skandale das Augenmaß verloren haben, ist eine schreiende Ungerechtigkeit! Juristisch ist ein Urteil völlig unhaltbar, das dem Ver- urteilten sagt, er müsse für die ganze Stadt büßen! Warum nicht gleich die ganze Stadt verdonnern? Die Verurteilung ist aus§§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches erfolgt, wegen Beleidlgung des Sparkassendlrektors. Böswilligkeit ist den Verurtellten nicht nachgewiesen— und trotzdem diese harten Gefängnisstrafen und die Verweigerung der Bewäh- rungsfrist. Angst haben um Ersparnisse und auch noch Maulhalten" Das ist etwas zu viel verlangt! Die Bremer Justiz scheint völlig alle Besinnung verloren zu habeni