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Nr. 419 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Der Palast der Millionen.

Zur Wiedereröffnung der Börse in der Burgstraße.

Am Donnerstag murde die Börse wieder eröffnet. Wer in den letzten Wochen durch die Burgstraße an der Berliner Börse vorbeiging, der suchte vergeblich um die Mittagszeit nach dem Auto­part der hundertpferdigen Wagen mit den Luruskarosserien. Die Burgstraße war seit dem 11. Juli, dem Tage des größten Finanz­debakels der Welt, wie ausgestorben. In dem gewaltigen festungs­artigen Bau, in deſſen ſchattigen Nischen die kleinen und die großen Funktionäre des internationalen Kapitals in normalen Zeiten sich die Hälse heiser schreien, wenn sie ihre Wertpapiere, Wechsel, Geld sorten und Produkte verhandeln, herrschte Todesstille. Die zahl­reichen Kontrollen, die an Börsentagen 6000 Besucher herein- und herauslassen, waren geschlossen. Kaum ein Mensch passierte die weiten Räume, deren Architektur jonische massive granitene Säulen und bronzene Bogen in groteskem Gegensatz zu den modernen technischen Einrichtungen, den elektrischen Kursanzeigern und Rufern stehen.

Als Better Krämer und Handschuhmacher ...

Seit der ersten Börse, die am 29. Juni 1685 von dem Großen Kurfürsten mit den Worten ,, daß zu Beförderungen der Commercien die berlinischen Packhäuser zu einer Börse mit den dazu gehörenden Bequemlichkeiten adaptiert werden sollen" defretiert wurde, hat sich mancherlei im Börsenwesen geändert. Die Börse am Schinkel= play, das erste Heim der Gilden der Krämer und Gewandschneider, erlebte verschiedene Umzüge, bis sie endlich am 26. September 1863 in der Burgstraße eröffnet werden konnte. Der erste amtliche Rurszettel aus dem Jahre 1785 wies nur die Wechselkurse aus Frankfurt am Main , Leipzig , Hamburg , Wien , Amsterdam , London und Paris auf, die Notierung an Goldmünzen, Dukaten und Louisdor und schließlich noch die kurse der Aktien der könig­lichen Seehandlung und der Emdenschen Heringsgesellschaft. 1883 wuerden die ersten Telephone auf der Börse benutzt. Und nun fonnte der Börsenhandel aller Banten im großen internationalen Maßstab beginnen.

Und wie sieht es im Innern des mächtigen Gebäudes aus? Nichts von dem Lugus und der Ueberschwenglichkeit, mit dem sich sonst die Kapitalmächte so gern umkleiden. Hart und fahl ist die Einrichtung. Im Schatten klassischer Säulen haben die Bankherren und Direttoren ihre Nischen. Auf ungepolsterten Stühlen fijzen fie hier beim Schein von Bogenlampen vor glatten Holztischen, während um sie herum das Stimmenmeer der vielen Tausenden brandet. Nichts ist mehr von der aristokratischen Gebärde der alten Hanseatischen und englischen Kaufleute vorhanden. Zylinder und Frack sind dem Straßenanzug und dem weichen Hut gewichen. Das Aussehen eines Bantfürsten unterscheidet sich äußerlich faum von dem seiner Boten, die ihm die Funkmeldung und neuesten Tele­gramme vorlegen.

Die 72 Auserwählten...

Auf einem Metallstreifen stehen an der Wand die wenigen, aber inhaltsreichen Worte Darmstädter und Nationalbank "( Danat ). Das ist Jakob Goldschmidts engstes Reich. Wenige Schritte davon entfernt sind die Nischen der anderen Großbanten, Deutsche Bank, Dresdener Bank und Commerzbank. Ueberall nur kleine, rohe Tische mit ebenso rohen, versessenen Stühlen. Die Kleinen der Kapital­macht müssen mit weniger bequemen Arbeitsgelegenheiten vorlieb nehmen. Während die Wertpapierbörse und die Produktenbörse in vier Riefenhallen Unterkunft gefunden haben, ist die Devisenbörse, die eigentliche Schlagader der internationalen Wirtschaft, in einem fleinen bescheidenen Raum untergebracht. Wie ein größeres

WENN DER KURSFALL

24]

ROMAN

VON

Folly Scherret.

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Klassenzimmer sieht der Devisenmarkt aus. An drei hufeisenförmigen Tischen sigen wie Schüler die 72 Devisenhändler der größten Banken und errechnen auf ihren Rechenschiebern die Unterschiede der Berliner zu den internationalen Kursen, um eventuell einzu­Bodium über allen thronen drei Herren, zwei vereidigte kaufen und im Ausland abzugeben oder umgekehrt. Auf einem ma fler und ein Protokollführer. In der Mitte der geräumigen Hallen stehen ovale Holzausbauten, die an Borringe erinnern und den amtlichen Vermittlern eingeräumt sind. Auf Hockern, wie an Bartischen, sitzen je zwei nebeneinander und schreien

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Börsensaal Nr. 1. Im Vordergrund zwei Hocker für ein Maklerpaar des Montanmarktes, auf der Schranke noch eine der alten Notierungstafeln, in der Mitte des Saales Plätze für: kleinere Bankiers, in den Nischen zwischen den Säulen die Arbeitsplätze der Großbankdirektoren, an den Säulen selbst elektrische Signalanlagen.

ihre Kurse mit gewaltigem Stimmenaufwand aus. Zu gleicher 3eit bedienen sie sich eines elektrischen Kursanzeigers, den sie vor ihrer Schalttafel mit einem Hebel regulieren. Seit etwa fünf Jahren hat die Berliner Börse ihr Gesicht beträchtlich geändert. Früher war es fast unmöglich, einen Ueberblick über die Kurse zu gewinnen, da die verschiedenen Märkte zu weit auseinanderlagen und die Kurse von den Maklern nur auf schwarzen Tafeln dem

einem militärischen Ruck, und ein schwaches Lächeln huscht über das verzerrte Gesicht.

,, Entschuldigen Sie bitte, Herr Silvester, daß ich solange habe warten lassen." Die Stimme fladert. Ich wollte den Blod vom Schreibtisch nehmen, und da stellte mich der Hund. Ich hab ihm nie etwas getan, ich begreife es nicht." Jezt hat fich Herr Ziege wieder in der Gewalt. Merkwürdigerweise verspürt er nun feinen Niesreiz.

James will antworten, als das Telephon flingelt. Herr Ziege sieht, wie sein Chef einen Federhalter, mit dem er gespielt hat, in der Mitte zerbricht.

Ich tomme sofort zu Ihnen."

James steht einen Augenblick da, ohne einen Gedanken fassen zu können. Er stiert vor sich hin, und diesen Anblick fann Herr Ziege nicht ertragen. Herr bleibt Herr! Er räuspert sich vorsichtig, um den Chef an seine Gegenwart zu erinnern.

Ich danke Ihnen, Herr Ziege." James rafft sich auf ,, Sagen Sie bitte Herrn Christians, er möchte den Vertrag mit Endrufat in Ordnung bringen. Hier sind die Unterlagen. Ich gehe sofort zur Bank." Ich gehe sofort zur Bank."

Ohne Gruß verläßt er das Zimmer.

In jenen sonnigen Tagen wußte er noch nicht, was dieses Stillſtehen in einer verrückten Haltung, die eines Bieder mannes unwürdig ist, bedeutet. Die Muskeln schmerzen, und die Nerven drohen den Dienst zu kündigen. Am vernünf­tigsten, man würde das schwere Marmortintenfaß ergreifen und dem Köter damit auf dem Kopf einen Scheitel ziehen. Aber wenn man fehl greift oder nicht schnell genug bei der Hand ist, sitzt einem der Hund in den Hosen, oder was noch schlimmer iſt, am Hals. Herr Ziege fühlt am Kragen ein unangenehmes Juden, dazu steigt ihm ein Kribbeln in die Nase. Der Kopf schwindelt. Wenn ich jetzt nieſen muß, bin ich verloren. Der Köter faßt es als ein persönliches Attentat auf seine Hundewürde auf. Dabei will ich ihm wohl, durch­aus wohl. Niemals führte ich gegen ihn Böses im Schilde. Autosuggestion! Darauf fommt es an! Ich brauche nicht zu niesen. Gott bewahre! Weshalb soll ich ausgerechnet in Diesem kritischen Augenblick niesen? Ich niese nicht, wenn auch das Herz mir bricht. Ein ähnliches Lied eristiert wirk­lich. Ein deutscher Mann hat da etwas vom Grollen ge­sungen. Riesen und Grollen, dazwischen liegt fein grund­legender Unterschied. Aber Herr Ziege weiß, daß er nielen er muß, und dann ist die Katastrophe da. Ich niese nicht, wenn auch das Herz mir bricht. Nur ablenken! ablenken! Ob ein Reim auf Riesen eristiert? Alles idiotisch! Nur stillstehen! Augen rechts! Parademarsch! Warum denke ich überhaupt an Niesen? Mich plagt doch kein Schnupfen! Und niemand fommt. Er ist hier einsamer als auf den Einsfeldern des Nordens. Das Kribbeln in der Nase ist nicht mehr auszu­halten. Still betet er: ,, Lieber Gott, laß mich nicht niesen, wenn du nichts dagegen haft!"

Die Tür wird aufgerissen. ,, Wo bleiben Sie so lange?" James ist ungeduldig ge= worden. Ring!" schreit er, als er die Situation erkennt und greift in das Halsband der Dogge. Was ist los?"

Herr Ziege, lehnt sich erschöpft an den Schreibtisch, doch nur einen Augenblick, dann reißt er sich zusammen, so mit

Auf der Deda muß er warten. Herr Direktor Marr hat noch Konferenzen. Es ist scheinbar unerläßlich notwendig, daß Direktoren konferieren, wenn man sie dringend sprechen will. Das gehört zum Nimbus. James tut dasselbe, aber man vergißt so etwas schnell. Die Erinnerung daran er­wacht erst, wenn sich die Verhältnisse umgekehrt haben.

Endlich ist Herr Direktor Marr frei. Das Zimmer, in dem er James empfängt, gleicht einem farg möblierten Saal. Bier große Fenster führen auf die Straße. Der Besucher muß die ganze Breite des Raumes durchqueren, bis er end­lich vor dem Schreibtisch steht, hinter dem Herr Marg etwas zu winzig thront. Wie bei Mussolini , denkt James, und ihm fällt ein Bild aus einer illustrierten Zeitung ein und ein längst vergessener Leitartikel.

Herr Marg ist geschäftlich liebenswürdig. Ein verbind­liches Lächeln schüchtert über sein Gesicht, weicht dann aber fofort einem schönen Ernst.

Ja, Herr Silvester, ich habe Sie zu mir gebeten, um mit Ihnen persönlich die peinliche Angelegenheit zu besprechen." Eine eckige und abrupt vorschnellende Handbewegung weist auf den Ledersessel. Herr Marg entwickelt heute nicht den gewohnten, betulichen Eifer. Er dehnt die Worte und setzt

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Dienstag, 8. Geptember 1931

Publikum mitgeteilt werden konnten. Der Lärm hat sich seit der technischen Neueinführung wesentlich verringert. Die Bankiers geben von ihren Plätzen aus durch Ruflampen, die grünes, rofes und gelbes Licht zeigen, ihren Angestellten Signale, damit sie sich in ihren Rischen zum Empfang von Orders einzufinden haben.

Die Stadt im Keller.

daß aus Plazmangel nur eine geringe Anzahl von Telephonzellen Die große Anzahl von Börsenbesuchern hat es mit sich gebracht, Börse ist man deshalb zu einem großzügigen Ausbau geschritten. in den Hallen untergebracht werden kann. In den Kellern der Eine Stadt für sich ist mit der Zeit unter der Erde entstanden. Büros für die Banken, sogenannte Kojen mit direkten Verbindungen 507 Telephonzellen wurden errichtet. Das Postamt selbst hat un­

zu den Zentralinſtituten, ein Poſtamt, ein Reſtaurant und mittelbare Verbindung mit den Börsen in Bremen , Breslau , Chemniz, Dresden , Frankfurt a. M., Hamburg , Leipzig und direkte Leitungen mit den Telegraphenämtern in Köln , Düsseldorf , Magdeburg , München , Nürnberg und Emden . Bierzig direkte Fernleifungen gehen vom Telegraphenamt Börse aus. Spezialschalter nehmen nur bestimmte Aufträge an: Schalter 1 dient dem Verkehr mit Desterreich, Ungarn , Tschechoslowakei , ein Schalter dem Dienst mit Polen und Danzig , ein anderer dem Ver­tehr mit Hamburg , Sachsen und Thüringen . Durch Zettel werden die Börsenbesucher davon benachrichtigt, daß sie auf einer Fern­leitung gewünscht werden und sich in Zelle 308 zum Beispiel einzu­finden haben. Auch die Presse ist selbstverständlich auf der Börse vertreten, um die Kurse an die Zeitungen weiterzuleiten. Mehrere Nachrichtenbüros haben ihre ständigen Vertreter in der Burgstraße.

*

Wer mit Illusionen zur Börje geht, um irgendwelche großen Geheimnisse und großen Aufwand zu finden, der wird enttäuscht. Der Lugus, die schweren Mercedeswagen und die Austria - Daimler bleiben vor den Toren der Burgstraße. Es ist fast ein Symbol. Auf der Börse ist noch niemand reich geworden. Dem Aufstieg folgte noch immer der rasende Abstieg. Die Zusammenbrüche der letzten Monate haben das wieder einmal gezeigt. Den Pluszeichen an den Maklertafeln folgen ebenso schnell und unverhofft die Minus­zeichen. Was der Kapitalismus aufbaut, muß er auch wieder zer­stören. Dafür ist das tägliche Börsenspiel der sinnfälligste Ausdruck.

50 000 Marf aus Einschreibebriefen! Ein Betrug, an dem auch das Publikum schuld hat.

Die Kriminalpolizei ist riesigen Beruntreuungen eines Postbeamten auf die Spur gekommen.

Der 38 Jahre alte Richard Hennig , der mit seiner Frau in der Berliner Straße 107 in Niederschönhausen wohnt, war im Innendienst des Postamts W. 8 in der Französischen Straße beschäftigt. Er hatte hauptsächlich die Einschreibebriefe zu be= arbeiten. Gerade in seiner Abteilung häuften sich die Klagen über abhanden gekommene Briefe und gaben Veranlassung zu einer ge= naueren Kontrolle. Weder Hennig noch seine Frau fielen durch be= sonderen Aufwand auf. Am Sonntag wurde in dem Amt und in der Wohnung eine Durchsuchung vorgenommen, die den Schuldigen entlarvte. In der Wohnung wurde in allen möglichen Verstecken Durchsuchung die den Gebeden Bargeld in größeren Summen gefunden, das aus Einschreibe­briefen entwendet worden ist. Die Veruntreuungen, die Hennig fich zufchulden kommen ließ, belaufen sich auf mindestens 50 000 m. Er wurde festgenommen. Seine Frau, die von den Unter­schlagungen gewußt hat, ist ebenfalls eingeliefert worden.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Schuld trifft aber auch das Publikum. Wie wir erfahren, hatte ein Geschäftsmann in einen gewöhnlichen Einschreibebrief, für den die Bost nicht erfaßpflichtig ist, nicht weniger als acht Tausend martscheine gelegt. Der Brief fiel als willkommene Beute dem Hennig in die Hände. Das beschlagnahmte Geld wird für die Geschädigten sichergestellt.

überhaupt eine verschlossene Miene auf. Die Situation hat fich grundlegend geändert. Jetzt erteilt er Gefälligkeiten, aber solange er und das Institut keinen Schaden erleiden, darf er höflich und entgegenkommend sein, allerdings vorsichtig temperiert, doch immer noch höflich, und James Silvester ist troß eines Fehlschlages eine seriöse und bedeutende Firma. Er kann unter Umständen noch gewinnen. Die Attien­labyrinthe bleiben auch für einen Kenner unerforschlich. ,, Der Kurs der Westkohle ist beträchtlich zurückgegangen. werden es aus den Notierungen ersehen haben, und wir er­hielten soeben von unserer Berliner Zentrale die telephonische Mitteilung, daß weitere starte Rückschläge zu erwarten sind."

Sie

James zuckt zusammen, und Herr Marx unterbricht sofort ſeine sachlichen Auseinandersetzungen.

,, Ich bitte Sie, wie ist es möglich, daß ausgerechnet West­tohle unter so großen Kursdifferenzen leidet?" James glaubt, das Schicksal verfahre hier im höchsten Grade ungerecht und verteile ganz wahllos seine Gunstbezeugungen. Ich stehe vor einem Rätsel. Boll belegt, gute Bilanzen und trotzdem diese scharfen Rückschläge?"

So fann nur ein Dilettant sprechen, denkt Herr Marr und reibt die Fingerspigen intensiv aneinander. Immerhin würde sich eine Lektion lohnen.

,, Herr Silvester, ich sehe darin auch nicht klar. Bielerlei Konstellationen sind möglich. An sich wirkt sich vielleicht die Weil man andere Verbind­allgemeine Geschäftslage aus. lichkeiten hat, müssen Aktienpakete abgestoßen werden. Das ist durchaus möglich, aber doch wohl nicht entscheidend. Ich glaube, es wird augenblicklich dort im Westen ein anderes Spiel gespielt, denn einfache Spekulanten fönnen wohl den Kurs vorübergehend beunruhigen, aber ihn nicht ständig fallen lassen." Er macht eine Pause und sieht James bedeut= fam an. Es ist sehr gut möglich, daß der Trust selbst die Kurse durch Scheinverkäufe drückt, um die anderen nervös zu machen und zum Abstoßen zu zwingen. Nachher kauft er die Pleite auf und ist plößlich im Besitz der überwiegenden Aktienmajorität. Was ist Wahrheit, mein verehrter Herr Silvester?" Herr Mary legt aber einen Nachdruck auf die Pilatusfrage, daß jeder fühlen muß, der Herr Direktor weiß, wo man die Wahrheit findet.

James schweigt eine Weile. Also man hängt immer ab. Freiheit des Handelns, Selbstbestimmung und ähnliche hübsche Begriffe sind nichts weiter als Phrasenschwall un Wortgebimmel. ( Fortsetzung folgt.)