Einzelbild herunterladen
 
Ni- 427» 48 Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Gounabend- 12 September 1931
Fahrt ins Wochenende Die Düne am Seddinsee Gosener Berg and Gosener Graben
Das Gebiet der Oberspree weist eine Fülle von schönen Wegen auf. Wir fahren mit der Straßenbahnlinie 86 bis Schmöckwitz  . Die Fahrt am Ufer des Langen Sees gehört zu den schönsten, die man mit der Berliner   Straßenbahn machen kann. Das wechselnde Panorama der Müggelberge, das blaue Wasser der zum Langen See ausgeweiteten wendischen Spree, der Dahme, und das lustige Sport- treiben sind einprägsame Bilder. Die Straßenbahn halt an der kleinen, dörflichen Kirche von Schmöckwitz  . Wenige Schritte führen von hier zur Schmöckwitzer   Brücke. Gleich links hinter der Brücke weist eine Wegetafel zur Seddin-Promenade, die zum Spree-Oder-Kanal führt. Nach etwa 20 Minuten er- reichen wir die rotgestrichene Kanalbrücke, überschreiten sie und wandern nun in fast nördlicher Richtung durch den Kiefernwald in das Gebiet derBerliner   Schweiz  ". Der Berliner   liebt seine Hügel zärtlich, und Bodenwellen von riesigen Ausmaßen sind oft Grund genug, den Vergleich mit der Schweiz   zu ziehen. Schon nach 1 Kilometer stehen wir vor den Sandhllgeln derG o s e n e r B e r g«", deren höchste Kuppe 82 Meter über dem Meeresspiegel und wohl etwa 50 Meter über dem Spiegel des Seddinsees aufragt. In der grellen Sonne leuchtet der märkische Sand, brennend gelb wie ein Fanal der Zerstörung. Nackte Baumwurzeln klammern ich verzweifelt in das feine Korngefüge der Düne. Der Wind jagt �en Sand durch die Wurzeln, so daß sie ihre phantastischen Formen offenbaren und zuweilen dastehen wie Tore, aus denen sich der Baumstamm aufbaut. Wir steigen durch den lockeren Sand empor zurS ch i l l e r w a r t e", die zwar architektonische Schönheit ver- missen läßt, aber doch einen weiten Rundblick bietet. Bon ihrer Höhe aus zeigt sich wieder die Weite der Spreelandschaft, Wälder und Seen, und in der Ferne die Schlote, die Türme der Weltstadt. Im Süden die Funktürme von Königswusterhausen  , im Norden die Fabriken von Kalkberge-Rüdersdors. Zu unseren Füßen der Seddin- see auf der einen und der verwunschene Wernsdorfcr See auf der anderen Seite. Die Kreuzform des Dorfes Gosen   enthüllt sich hier und auch die an den Spreewald geinahnende Landschaft des Gosener Grabens. Am Ufer des Seddinsees altbekannte Gastwirtschaften, die auch das Ziel vieler Berliner   Dampferfahrten sind. Man kann sich von hier aus auch zu der Gastwirtsinsel Seddinwald übersetzen lassen, die an heißen Sommertagen von vielen Ausflüglern besucht wird. Wir oerlassen nun die Gosener Berge und wandern in nördlicher Richtung weiter. Interessant ist der Weg am Ufer des W e r n s- dorfer Sees enllang, der die verschiedenen Stufen der Der- landung zeigt. Das hübsche Dorf Gosen  , das wir nach einer Biertelstunde erreichen, liegt bereits im Kreise Beeskow  -Storkow. Es wurde 1754 von Friedrich II.   gegründet, der hier Pfälzer-Fa- Milien ansiedelte. Wir verlosten alsbald das Dorf in nördlicher Richtung, schreiten auf guter Chaussee durch das Gebiet des Go> sener Grabens, durch den die Verbindung des Seddin» und Dämmeritzsee hergestellt wird und können uns hier einen Begriff machen von der gewalligen Ausdehnung, die die Spree   in früheren Zeiten der Erdentwicklung gehabt haben muß. Das ganze Riesen- gebiet zwischen Gosen  , Wernsdorf, Neu-Zittau  , Alt-Hartmannsdorf und Erkner   hat in noch nicht allzu lange vergangenen Zeiten ein einziges Seengebiet gebildet. Damals war die Spree ein breiter, mächtiger Strom, mit besten Ausmaßen verglichen ihr heutiger Wasserlauf als ein armseliges Rinnsal erscheinen muh. Zwei Brücken führen über die kleinen Wasserläufe des Gosener Schilfparadieses. Nach der Ueberschreitung der zweiten haben wir die Försterei Fahlenberg erreicht. Links hinter der Brücke eine schön gelegene Gastwirtschaft. An ihrem Landungssteg viele Sportboote und im Gosener Graben selbst ein ewiges Hin und Her von Kanus, Segel» und Motorbooten. Wir gehen nun durch den Wald oder auch über
die Chaussee nach Müggelheim  , das etwa 3 Kilometer von der Försterei Fahlenberg entfernt ist. Von hier hat man die Möglichkeit, mit dem Autobus A 43 nach Köpenick   zu fahren. Schöner ist es
In den Gosener Bergen Vom Winde freigelegte Baumwurzeln jedoch über die Müggelberge hinweg oder am Ufer des Langen Sees entlang bis W e n d e n s ch l o h zu wandern und hier die Heimfahrt mll der Straßenbahnlinie 83 anzutreten, die in Köpenick   Anschluß an die in die Stadt führenden Linien bietet. Weglänge etwa 15 Kilometer. Wieder Schlägerei im Südwesten. Nazis gegen Kommunisten.- 2 Hakenkreuzler festgenommen Der Straßenkrieg zwischen Kommunisten und Haken- kreuz lern im Südwesten Berlins   geht trotz des blutigen Zwischenfalles in der Gneisenaustraße und trotz der Polizei» lichen Sicherungsmaßnahmen in dieser Gegend weiter. Gestern abend entstand zwischen den links- und rechtsradikalen Gegnern an der Ecke Nostiz- und Mariendorfer Straße wieder eine schwere Schlägerei. Den Anlaß hierzu soll ein Kommunist gegeben haben, der einen Hakenkreuzler mll einem Mester bedrohte. Durch die Polizei wurden sieben Nationalsozialisten festgenommen und der Abtellung IA eingeliefert. Den Kommunisten war es gelungen, rechtzellig zu flüchten. Die Schießerei in der Gneisenaustraße, die ein Todes- opfer und drei Berletzte forderte, ist noch immer Gegenstand der
polizellichen Untersuchung. Bisher war es noch nicht möglich, die Schützen zu ermitteln. Seit drei Tagen find in der Umgegend des Tatortes bei verdächtigen Personen Haussuchungen vor- genommen worden, die jedoch zu keinem positiven Ergebnis ge- führt haben. * In einem Haftprüfungstermin ist gestern die Freilastung der vier Kommunisten, die im Verdacht stehen, die tödlichen Schüsse auf die Polizeioffiziere Anlauf und Lenk am Bülowplatz ab- gefeuert zu haben, angeordnet worden. Die Verdächtigen wurden in Freiheit gesetzt. Von der Staatsanwaltschaft ist gegen die Haft- enllassung Beschwerde eingelegt worden.
209 Opfer eines Tropensturms. Gtadt Belize   in Britisch-Honduras   zerstört. Miami  (Florida  ), 11. September. Die Fluggesellschaft Panamericain Airways erhielt die inoffizielle Nachricht aus Belize   in Britisch- Honduras  , daß gestern bei einem Tropensturm 200 Menschen getötet worden seien. Der Leiter der hiesigen Station der Panamericain Airways erklärte, die Radwverbindung mit der Station Belize  , die seit gestern mittag unterbrochen war, sei seht wieder hergestellt und der Leiter des Flugfeldes Belize   habe gefunkt, das« Belize   durch den Tropen st urm zerstört sei und SSV Menschen umgekommen seien. Der genaue Zeitpunkt, wann der Tropensturm über Belize  hereingebrochen Ist, sei noch unbekannt. Inzwischen wurde ein in San Salvador   befindliches Flugzeug der Panamericain Airways beauftragt, alle verfügbaren Vorräte und Medikmente nach Belize   zu schaffen.
Braunes Haus und Nordsüdbahn. Auch Kommunisten wird gekündigt. Wie lange noch Nordsüdbahn A.-G.? Gestern fand eine Aufsichtsrakssihung der Nordsüdbahn- Slkkiengesellschast stall, jener Gesellschaft, die längst abbaureis erscheint und bisher als städtisches Bauamt für die llntergrundbahn- bauten fungierte. Die Stadtverordnetenversammlung hat in ihrer letzten Sitzung eine Vorlage, die sich auch mit der Auslösung der Nordsüdbahn-Aktiengesellschaft beschäftigte, an einen Ausschuß über- wiesen. Esttst zu hassen, daß die Stadtverordneten möglichst bald zu einer Entscheidung kommen werden. In der gestrigen Auftichtsratssitzung stand die Skandal- affäre der Vermietung des städtischen Hauses Stralauer Str. 30 an die Nationalsozialisten, die hier einBraunes Haus  " für ihre SA.-Kolonnen schaffen wollten, im Mittelpunkt der Beratungen. Direktor B o u s s e t hat sich als Mitverantwortlicher für den Ab­schluß des Mietvertrages bereits vor einigen Tagen bereit erklärt, sein Aull niederzulegen. Eine Entscheidung des Aufsichtsrats ist noch nicht getroffen worden. Dagegen hat der Aufsichtsrat beschlossen, auch den kommunistischen   Organisattonen, die städtische Häuser ge- mietet haben, sofort zu kündigen. Der kommunistischeKampfbund gegen den Faschismus  " hat das Haus Iüdenstraße 20 gemietet und in der Nähe des Molkenmarktes ist der gleichfalls unter kommu- nistischer Leitung stehendenIAH."«in« Etage vermietet worden. In dem letzteren Hause sind die Räume noch nicht bezogen worden und die Kommunisten dürften jetzt kaum noch in den Besitz der Wohnung gelangen. Schwere Bedenken wurden in der Sitzung gegen die Geschäftsführung des kaufmännischen Direktors R a a z erhoben, der seine Unterschrift gleichfalls unter den Mietvertrag mit den Nazis gesetzt hat.
281 Der alte, weißhaarige Prokurist Christians legt sein gut- mutiges Gesicht in Falten und sieht James mit den wasier- blauen Augen ernst an. Er oersteht schon. Abbau der Ge- hälter ist ein aktuelles Thema. Es liegt in der Lust. Und da Hab ich mir ausgerechnet, daß eine zehnprozentige Gehaltskürzung bei meinem Personal unumgänglich not- wendig ist. Die einzelnen Angestellten merken es nicht, dazu ist der Betrag zu klein, und bei uns summiert es sich zu einem immerhin recht beachtenswerten Posten." Herr Silvester, wenn ich etwas sagen darf, möchte ich erwähnen, daß die dadurch entstehenden Ersparnisie für die Firma unbedeutend sind, während der Angestellte selbst bei einer Kürzung des Salärs" er braucht immer diese alter- tümliche Bezeichnungoon nur zwanzig Mark sich sehr viel mehr einschränken muß. Wir zahlen außerdem nur Tarifgehälter." Er redet langsam, wählt bedächtig die Worte und macht James durch seine sachliche Ruhe nervös. Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen sagen, daß Ihr Gehalt selbstverständlich nicht gekürzt wird. Ich weiß, was ich einem langjährigen, treuen und verdienstvollen Mitarbeiter der Firma schuldig bin." James spricht ein wenig von oben herabDeswegen brauchen Sie sich nicht zu ängstigen." Es geht mir nicht darum. Ich will keine Ausnahme bilden. Die Bedingung müßte wohl lauten: wenn abgebaut wird, dann bei allen." Christians bleibt ruhig und bedacht. James ist beschämt und ärgert sich darüber.Wollen wir zur Sache kommen", sagt er kurz.Bon den Buchhaltern Mende und Krüger ist einer überflüssig; sagen wir: der Mende. Der kann durch einen Volontär ersetzt werden. Was tut denn mein Bürochef Ziege den ganzen Tag? Warum hat er zwei Buchhalter unter sich?" Christians zieht einen Bleistiftstummel von seinem vhr und rechnet.Die beiden Buchhalter sind nicht unbedingt notwendig. Wir könnten einen entlassen und uns einen jungen Mann nehmen. Dadurch würden etwa 220 Mark im Monat wegfallen."
Sehr schön!" sagt James so begeistert, daß über das Gesicht des alten Christians ein schwaches Lächeln huscht. Das wäre aber wohl die einzige Entlassung, die in unserem Büro vorzunehmen ist." James wird durch Christians' langsam gesetzte Worte zum Rasen gebracht.Hergott nochmal", schnaubt er.mein Büro ist voll von Personal, und ich sehe nie, daß jemand etwas tut. Die Stenotypistin Hinzelmann sitzt ganze Tage unbeschäftigt da." Die können wir nicht entlassen, wir brauchen eine per- fekte Kraft an der Schreibmaschine. Dann eher Frau Caspar!...?" Die bleibt!" bestimmt James. Was die zehnprozentige Gehaltsreduzierung betrifft, so werde ich das Nötige veranlassen. Ich schlage vor, ab 1. Juni. Man muß einen Monat Spielraum lassen. In Betracht kämen die Damen Rosolf, Hinzelmann und Caspa?i, und die Herren Ziege, Mende und Krüger, sowie meine Wenigkeit." Lassen Sie das mit Ihrem Gehalt. Sie stehen außer- halb dieser Aktion.", Der Prokurist Christians nickt dankend. Ich werde Vilmo ein Konto einrichten und ihr die zehn Prozent daraus einzahlen, beschließt James, dem die ganze Angelegenheit plötzlich überflüssig und dumm vorkommt. Na, nun ist es geschehen, ich kann jetzt nicht wieder zurückpfeifen. .Lllso gut. die Sache ist damit erledigt." In Christians' Zimmer steht Bürochef Ziege vor dem Schreibtisch. Er hält einige Schritte Distanz, damit es um Gottes willen nicht so aussähe, als schnüffle er in anderer Leute Briesschaften. Ziege ist in den verschiedenen Räumen der Firma schon oft in dieser Stellung angetroffen worden. Immer wenn er eintritt, ist niemand anwesend. Pech! Er gibt sich mit biederer Miene das Ansehen eines geduldig Wartenden. Ich hätte hier..." .Lassen Sie man." Christians wischt sich mit dem Taschentuch über das Gesicht.Er will abbauen." Nanu?! So aus hetterm Himmel?" Ist eben kein heit'rer Himmel! Gott  , er sieht's bei den anderen, bei den Erikson, Damme   und Konsorten, da ver» sucht er's auch." Christians verspürt Lust auf einen stärken- den Schluck Rotwein. Wieviel denn?" .Lehn Prozent!" Bürochef Ziege atmet auf. Der entstehende Verlust ist
nicht so groß, wie er fürchtete. Nach und nach könnte man die zehn Prozent in Spesen verrechnen, ohne daß der Chef sie findet. Der Mende soll entlassen werden." Den Mende brauch ich", sagt Bürochef Ziege leise, aber sehr bestimmt.Er ist meine rechte Hand. Der Krüger kann gehen, wenn für ihn ein Lehrling eintritt." Bürochef Ziege mag den eleganten Buchhalter Krüger nicht leiden. Der junge Mann läßt es ihm gegenüber an der nötigen Ehrerbietung fehlen v-« liefern Grunde fällt er jetzt. Schönchen!" Ja, ja", wiegt Ziege sein rotblondes Haupt.Wir müssen wieder einmal bluten. Aber ich bleibe dabei: wir ziehen alle an einem Strang." Er streicht über sein Spitz- Kärtchen, ergreift zwei lange, mit vielen Korrekturen versehene Briefe, die Fräulein Hinzelmann getippt hat und geht ins Schreibmaschinenzimmer. Die Briefe müssen umgeschrieben werden Fräulein Hinzelmann sträubt sich dagegen. Was wollen Sie denn? Ich verstehe Sie nicht." Büro- chef Ziege runzelt die Stirn.Erlauben Sie mal, jetzt ist's halb zwei, Sie haben geschlagene zwei Stunden Zeit. Er läßt seine Uhr, die an einem Lederriemen befestigt ist, zurück in die Westentasche gleiten. Ich Hab aber noch die ganzen Abrechnungen zu schreiben. Daß um den Letzten herum immer viel zu tun ist, dürfte wohl bekannt sein." Fräulein Hinzelmanns Ton klingt spitz. Sie sieht verbissen auf die Remington-Schreibmaschine. Sie hat sich pünktlich um halb vier nach Büroschluß verabredet und will unter keinen Umständen zu spät kommen. Der Kampf entbrennt weiter. Wie gesagt, Sie müssen die beiden Briefe noch einmal abschreiben. So voller Korrekturen kann ich sie nicht weg- schicken." Dann hättest du alter Esel sie gleich richtig diktieren müssen, begehrt Fräulein Hinzelmann innerlich empört aus. Sie sagt nichts, aber ihr Grimm prägt sich auf dem runden Gesicht aus. Herr Ziege erwartet eine Antwort. Ich will zusehen, daß ich es schaffe", macht Fräulein Hinzelmann eine schwache Konzession. Herrn Ziege gefällt das nicht.Sie wollen zusehen, ist nicht gut. Sie werden eben ein bißchen Ueberstunden machen müssen. Das kann mal vorkommen. Ich muß es täglich tun!" belehrt er milde und väterlich.(Fortsetzung sotgt.)