Einzelbild herunterladen
 
  

Rr. 435 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Häuser im Sand

Zum Kapitel Wohnlaubenbau in Berlin

Es ist im Vorwärts" schon darauf hingewiesen worden, daß der große Siedlungsplan der Reichsregierung noch ausreichender Abänderung bedarf, sollen nicht aus den arbeitslosen Industrieprole­tariern hungernde Landproletarier werden. Wie den Erwerbslosen wirklich geholfen werden kann, zeigen die zahllosen Laubenkolonien, die sich wie ein Kranz um die Riesenstadt ziehen. Es ist notwendig, die Organisationen dieser Kleinsiedler zu hören, damit bei dem Großsiedlungsplan Fehler vermieden werden, die sich zum Schaden der Hilfsbedürftigen auswirken.

Die wirtschaftliche Unsicherheit der letzten Jahre hat in der Haupt­fache dazu beigetragen, daß der Großstadtmensch, ohne sich ganz von Berlin zu trennen, der Stadt den Rücken fehrt. Eine rege Siedler= tätigkeit setzte ein. Man fann nach jeder Richtung hin aus Berlin hin­ausfahren, um überall auf den Frei­flächen ein eifriges Parzellieren, ein Bauen und Buddeln vorzufinden, dessen Bedeutung in diesen Aus­maßen noch gar nicht richtig ge­würdigt worden ist.

Sicherlich sind es nicht nur spetu­lative Gründe, die den kleinen Sparer und Befizer von einigen tausend Mark veranlassen, das Geld.

in einem Grundstück anzulegen. Auch die Wohnungsnot, das Steigen der

Mieten, der Verfall des Altwohn- Eine Wohnlaube aus Holz, die auf 40 Quadratmeter Grundfläche ersteht und 2 Stuben, Küche, Veranda und Obergeschoß enthält

raums und vieles andere sind schuld daran, daß fich der städtische Mieter nicht mehr wohl fühlt und sich

gefinderen Prinzipien zuwendet. Es ist der natürliche Instinkt der Menschen, der ihnen sagt, es ist entschieden besser, auch unter be= scheidenen Ansprüchen draußen auf einem eigenen Grundstück zu wohnen und dadurch den Kopf klar zu behalten gegen alle die Widerwärtigkeiten, die einem in der Stadt bei jedem Schritt be­gegnen. Licht, Luft, Sonne und Weite im Raum zur Entfaltung find unersetzbare Werte, die man sich erringen kann, wenn man den Mut besitzt.

Hat num der Siedler draußen ein Stüd Land im Sand er= morben, das er bequem abzahlen kann, so setzt sehr bald der Ehrgeiz ein, ein eigenes Häuschen darauf zu bauen. Die Wohnlaubengebiete umfaffen heute schon den größten Teil des Berliner Freiflächen­gebietes und find ganz darauf eingerichtet, die Laubenkolonien ab­zulösen. Ueberall, mo baureife Terrains vorhanden sind, die aber voraussichtlich für die nächsten 10 Jahre noch keine größere bauliche Erschließung versprechen, gibt man diese zur Bebauung mit Wohn­lauben frei. Die Wohnlauben dürfen massiv aus Stein oder Holz gebaut werden, doch ist eine gewisse Größe und Höhe vorgeschrieben. Ursprünglich war auch festgelegt, daß die Besizer nur während der Sommermonate bis zum 1. Oktober in den Wohnlauben wohnen follten, doch sieht man heute über diese baupolizeilichen Beschrän­fungen hinweg und ist froh, wenn der städtische Wohnraum entlastet wird. Die Wohnlauben haben eine Größe von 40 Quadratmeter Grundfläche, für die noch 10 Quadratmeter Beranda hinzugenommen werden können. Als Höhe sind nur 4,50 Meter erlaubt. Das Haus ist also in seinem Flächenraum wesentlich kleiner als eine Zweizimmerwohnung. Der Siedler, der oftmals aus Sparsamkeitsgründen nicht einmal die erlaubte Grundfläche voll ausnügt, behilft sich dadurch, daß er den Dachraum für Wohn­zwede ausbaut, um mehr Raum zu erhalten. Das hat dann zur Folge, daß diese Häuschen überall mit einem flachgedrückten Dach erscheinen, dessen Längsseiten noch an der Hauswand herab­

WENN DERK

32]

"

DERKURS FALL

ROMAN

VON

Foly Scherret.

,, Geh nicht so frumm! Schlenker nicht!" ermahnte Vilma, deren Gang aufrecht und schwingend ist. Wenn du nicht eine olle Gouvernante wärst, würde ich dich nach Hause begleiten..." Lili ist wirklich im höchsten Grade mißmutig. Sie sieht beim Gehen auf ihre schmalen Füße und bemüht sich, einwärts zu latschen, um Vilma zu ärgern. Sie döst: es ist beängstigend, wie abhängig ich von Gert bin. Kann schon bald nicht mehr ohne ihn leben. Wenn er nicht da ist, ödet mich alles an. Auch Bilma . Dabei ist Vilma so nett. Das mit den zehn Mark war doch wirklich lieb. Ich begleite sie doch nach Haus.

Vilma lächelt vor sich hin, als Lili an der Straße, die zu ihrer Haltestelle führt, vorbeigeht. Sie versteht Lilis Ver­ärgerung. Sie selbst kennt die Abende, an denen man nichts anzufangen weiß. Keine Bekannten, und zum Lesen ist man zu abgespannt, und zu Hause gibt es bestimmt Bratkartoffeln, nach denen die ganze Wohnung riecht.

,, Geh' früh schlafen, Kleine, rät Bilma . ,, Das ist immer noch das beste!"

,, Kommt drauf an, mit wem", sagt Lili. Sie sind vor Bilmas Haus angelangt. ,, Morgen arbeite ich durch. Nachmittag werde ich mir das" Kleid von dir abholen. Grüß James. Atschö!" Lili schneidet der Schwester eine Grimasse.

"

Vilma lacht. Grüß schön zu Haus. Sage, daß ich in den nächsten Tagen hinkommen werde. Auf Wiedersehen, Baby!"

Frau Mia Aumüller, bei der Vilma wohnt, mottet in der Diele ihren Nerzmurmel ein.

Die üppige, jugendliche Witwe lebt mit ihren beiden Kindern, kleinen Mädchen von sieben und neun Jahren, in der vornehm eingerichteten Fünfzimmerwohnung und gibt zwei Zimmer davon ab, denn die Rente, die sie bezieht, reicht nicht meit.

,, Es geht zum Sommer, Fräulein Vilma, ich trag' von jekt an nur den Maulwurf

flappen wie richtige Sargdedel. Selten sieht man etwas Neues, was eine bessere Lösung verspricht. Neuerdings ist man dazu über­gegangen, dem kleinen Haus ein Flachdach aufzulegen und die Wohnung auf ein Untergeschoß zu errichten, was die Raumfrage sehr glücklich löst und auch gefällig wirken fann. Man kann die überraschende Feststellung machen, daß es vielfach Arbeitslose find, die als Siedler zum Hausbau schreiten. Die Arbeitslosigkeit

Wohnlaube, die sich als schmucker, geräumiger Steinbau präsentiert. Preis etwa 4000 Mark

Donnerstag, 17. Geptember 1931

gibt genügend Zeit, die meisten Arbeiten am Neubau, z. B. das Ausschachten und das Legen der Fundamente, selbst zu besorgen, die anderen Arbeiten werden mit Hilfe befreundeter Arbeitskollegen oder gar arbeitslosen Bauhandwerkern in eigener Regie verrichtet. Manche Wohnlaube ist auch nur während des Wochenendes langsam Stein um Stein aufgebaut worden oder im 3 ellenbau, indem man erst einen Wohnraum baute und dann die umliegenden Räume später. So manches Haus ist aus den wöchentlichen Arbeitslöhnen fleißiger Arbeiter errichtet worden und die größten Schwierigkeiten ergaben sich, wenn bei plötzlicher Arbeitslosigkeit die Mittel zur An­schaffung neuer Baumaterialien nicht mehr vorhanden waren. Frau und Kinder müssen beim Hausbau tüchtig mit Hand anlegen, aber das alles geschieht mit Freude und mit der Genugtuung, dem Verfall etwas Positives entgegensetzen zu können. So hat jede Wohnlaube eine schicksalsschwere Geschichte, in deren Verlauf sich noch viel ver­ändern kann und deren Abschluß vielleicht erst in späteren Jahren erfolgt. In Müggelheim , eines der begehrtesten Wohnlauben­gebiete, findet man Siedlerfamilien, die das billige Terrain einer Sandgrube gekauft haben und die nun Monate hindurch umfang­reiche Erdbewegungen vornehmen müssen, um das Gelände zu pla­nieren und die durchgehende Straße aufzuschütten.

Während des Baus wohnt die Familie ganz primitiv in einer Erdhöhle oder in einem Schuppen neben der Baustelle. Wenn keine Barmittel vorhanden sind, so wird trotz des bescheidenen Häuschens sich der Sorgenkampf auf dem eigenen Grundstück noch verschärfen, da zu den steuerlichen Abgaben dann noch Kosten für Straßen­pflasterung, Lichtleitung, Kanalisation, Beiträge für einen Schul­neubau usw. hinzutreten.

Alle diesen kleinen Besizer aber verdienen unumschränkte Hoch­achtung, weil sie es verstanden haben, aus Eigenem und geringen Mitteln, die oft 2000 Mart nicht übersteigen, aufzubauen. Die Siedler in ihren Wohnlauben sind die Pioniere der späteren städte­baulichen Gestaltung, die zwischen blühenden Gärten ein gesundes und widerstandsfähiges Geschlecht heranwachsen lassen wird.

Unter dem Asphalt.

Mißglückter Anschlag auf Warenlager am Görliger Bahnhof

Durch einen unterirdischen Gang versuchte sich eine Einbrecherkolonne Zutritt in das Zigarrenlager der Firma Kohl in der Wiener Straße 38, unweit des Görlitzer Bahn­hofes, zu verschaffen. Nur einem Zufall ist es zu danken, daß der geplante Beutezug mißlang.

Als der Geschäftsmann fürzlich spät abends heimkehrte, ertönte im Geschäft plötzlich die Alarmglode. Da sich aber nichts Berdächtiges zeigte, glaubte der Zigarrenhändler, daß sich die Alarm­vorrichtung selbst ausgelöst habe und stellte teine weiteren Nach­forschungen an. Später stellte sich dann heraus, daß die Kellertür sich nicht öffnen ließ und offenbar von innen verrammelt war. Der Händler benachrichtigte die Polizei, und als man die Tür gewaltsam öffnete, stießen die Beamten auf einen unterirdischen Gang, der vom Nebenhaus Wiener Straße 37 angelegt war. Wie der Befund ergab, hatte eine Einbrecherkolonne offenbar in mehrtägiger mühe­voller Arbeit einen Stollen von 5 Meter Länge, 1,75 Meter Tiefe und Meter Breite gegraben. Bermutlich sollte in der Nacht vom Sonntag zum Montag zum großen Coup ausgeholt werden. Bei dem Versuch, mit modernsten Einbrecherwerkzeugen die Decke zum Bigarrenlager zu durchstemmen, ist dann die Alarmanlage in Tätigkeit gesetzt worden, so daß die Bande Hals über Kopf alles im Stiche ließ und flüchtete.

Der Fall erinnert an ähnliche Einbruchsversuche und an den Bankraub am Wittenbergplatz vor einigen Jahren, der den Verdacht auf die Gebrüder Saß lenkte. Es scheint, daß sich eine neue Kolonne gebildet hat, die nach diesem Muster arbeitete". Die Täter sind so geräuschlos vorgegangen, daß im Hause nicht das Geringste bemerkt worden ist. Um den Ein- und Ausgang des Stollens zu verdecken, hatten sie Sand aufgehäuft und altes Gerümpel darübergedeckt.

Hat jemand angerufen?" Mit dieser Frage betritt| imponiert es, dessen bin ich sicher. Jedermann will schließlich Vilma stets die Wohnung. Frau Mia Aumüller neigt dazu, um seiner selbst willen geliebt werden.. Telephonanrufe zu vergessen. ,, Das wird Herr Silvester sein", meint Frau Mia, als es flingelt.

"

,, Aber nein...! Das hätt' ich Ihnen doch gleich gesagt." Das volle Grübchengesicht sieht sehr ernsthaft aus. ,, Ich erwarte Herrn Silvester. Er ist bei mir zu Abend. Ich geh' schnell in die Küche und bereite eine Kleinigkeit vor." Frau Mia nickt verständnisinnig. Sie ist nicht allzu reich­lich mit Geistesgaben ausgestattet. In der ersten Zeit witterte sie hinter den Besuchen Silvesters bacchantische Ausschweifun­gen und benahm sich Vilma gegenüber streng zurückhaltend, wie es einer ehrbaren Frau zukommt. Inzwischen hat sie sich von der Solidität ihrer Mieterin überzeugt und begegnet Vilma mit großer Freundlichkeit. Sie weiß, daß Silvester verheiratet ist, und ein geheimer Stolz erfüllt sie wegen ihrer fortschrittlichen Gesinnung in diesen Dingen.

Vilma hängt Hut und Mantel in ihr Zimmer und geht mit den Lebensmittelpäckchen in die Küche. Sie hat eine Gummischürze vorgebunden und bemüht sich, die appetitliche Platte so hübsch wie möglich herzurichten. James soll sich wie zu Hause fühlen, ach was, besser als zu Hause! In Gegenwart dieses ewig tränkelnden Huhns fann es gar nicht gut schmecken. Sie schneidet mehrere Sorten Brot auf.

"

,, Soll ich Ihnen behilflich sein, liebes Fräulein Vilma?" Frau Mia Aumüller möchte immer gern wissen, was andere Leute essen.

,, Dante, ja!" lacht Vilma fröhlich. Wir wollen noch schnell russische Eier zurecht machen. Hier ist Kaviar."

Frau Mia Aumüller ist begeistert. Sie focht für ihr Leben gern. Dann, als alle Vorbereitungen getroffen sind, und der hohe Gast tommen tann, eilt Bilma ins Schlaf­zimmer, um sich umzufleiden. Inzwischen deckt Frau Mia nebenan den Tisch. Sie ist großzügig und gibt ihr bestes Service her.

,, Sehr hübsch!" lobt Bilma .

" Sie sehen ja bezaubernd aus!" Frau Aumüller be­wundert das neue Kleid aus bleu Crepe Satin, deffen Farbe gut zu Bilmas fraulicher Blondheit paßt.

Jeht denkt dieses harmlose Gemüt, James hat es mir geschenkt, freut sich Bilma . Es ist immer nett, die Leute zu durchschauen. Und wenn ich ihr wahrheitsgemäß sagen würde, daß ich es selbst bezahlt habe, glaubt sie's nicht. Es flingt auch unwahrscheinlich. Die Freundin eines reichen. Mannes hat es nicht nötig, zu arbeiten und für sich zu sorgen. Das würden die guten Leute gar nicht verstehen. Aber James

Ich gehe selbst öffnen." Vilma schiebt gre Wirtin zur Tür hinaus.

,, Lieber!" Bilma hält James den Mund hin. Bitte, lege hier ab. Schade, daß du nicht den Hund mitgebracht hast." Vilma hat wirklich etwas für King übrig. Warte, ich bringe gleich den Tee herein."

James sieht sich in dem behaglichen, hellen Raum um. Diese möblierten zwei Zimmer sind das einzige, das Bilma sich von ihm bezahlen läßt. Er hat darum das Gefühl, hier heimisch zu sein. Sonst bestreitet sie alles von ihrem Gehalt als Sekretärin, das nach den Abzügen immerhin etwas über 300 Mart ausmacht. Außer Blumen, Parfum und Konfekt werden sämtliche Geschenke abgewiesen. James fennt den Refrain: ,, Ich bin kein Flittchen..."

Sie ſizen an dem runden Eßtisch.

,, Wie du wieder aussiehst...!" James tüßt Vilma die Hand. ,, Ich mach' dir einen bunten Teller zurecht, ja?" Sie legt ihm verschiedene Salate auf und bedient ihn mit Tee. Du magst doch diese Kinkerligchen gern."

"

,, Du bist wirklich eine famose kleine Hausfrau!" ,, Nett, daß du meine Talente anerkennst."

Nachdem sie gespeist haben, räumt Vilma alles fort. Ein abgegessener Abendbrottisch bietet teinen erbaulichen Anblick. James zündet sich eine Zigarre an und läßt sich in einem der modernen, verstellbaren Sessel vor dem kleinen Tisch in der Ede nieder.

,, So, Pappi, jetzt machen wir es uns gemütlich." Vilma setzt sich zu James, lehnt für einen Moment ihre Knie an feine und nimmt sich eine Zigarette.

Ich muß sagen, die Aktiengeschichte hat mich aufgeregt", berichtet James. Es ist für ihn eine Beruhigung, mit Bilma darüber zu sprechen. Die Tatsache, daß er einfach zugeben fann, er hätte sich aufgeregt, macht alles viel leichter.

Das ist ganz natürlich", sagt Vilma munter. Es würde jedem so gehen! Die Spannung, mit der eine Spefu­lation verbunden ist, muß sich auswirken. Komm', trinten wir einen Kognak! Das ist ein gutes Beruhigungsmittel." James blüht förmlich auf. Bei Vilma wird alles so herrlich unkompliziert. Ihre Art, die Dinge anzupacken, ist direkt erfrischend. ( Fortsetzung folgt.)