Nr. 441- 48. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 20. September 1931
Oer Anfang einer Bankenkontrolle. Die Anerkennung des Prinzips. — Ein Apparat von zweifelhafiem Wert.
Es ist der Regierung Brüning nicht gegeben, mit Kühnheit und Klarheit den Weg des Umbaues des Wirtschaftssystems einzu- schlagen, der die richtige Folgerung aus den Krisenerscheinungen dieses Sommers aus dem Versagen der privatkapitalistischen Organisation und ihrer Funktionäre sein mühte. Nicht mit der Zielklarheit und dem starken Willen, der die Führer aus der Not kennzeichnen sollte, werden von der Reichsregierung die Reform- wege beschritten. Vielmehr wird mit einem bescheidenen Maß von Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Bestehenden, mit einem bescheidenen Maß an Willen zur Neu- gestaltung, hin- und hergezerrt von den verschiedensten Interessenten- einflüssen, mühselig der Weg zur Neugestaltung wirtschaftlicher Verhältnisse gesucht und zaghaft beschritten. Ein Dokument dieser Situation der Regierung, die natürlich nicht nur der Ausdruck persönlicher Unzulänglichkeften, sondern gleichzeitig ei« Ausdruck der verworrenen politischen Lage seit den Seplemberwahlen von 1930 ist, bildet auch die nunmehr nach langen Beratungen fertiggestellte Notverordnung über die Bantenaufsicht. Wir haben an dieser Stelle seit der Bankenkrise im Juli, die, weithin sichtbar für jedermann, die wahre Situation im Verhältnis von Bonken und Staat und von Banken und Gesamtwirtschaft entschleiert hat, nicht ausgehört aufzuzeigen, welche Folgerungen aus der Tatsache gezogen werden mühten, daß im entscheidenden Augenblick der Staat das Risiko der privaten Großbanken zu übernehmen ge- zwungen war und aus der Tatsache, daß unter der rein privat- wirtschaftlichen Bankenleitung die Lenkung des spärlich fließenden Kapilalstroms in der deutschen Wirtschaft nicht den gesamtwirtschost- lichsn Bedürfnissen entsprich. Wir haben aus dieser Erkenntnis als das sofort durchführbare Gebot der Stunde die Durchführung einer weitgehenden öffentlichen Kontrolle über das private Bankwesen abgeleitet und als das Ziel dieser Kontrolle nicht nur die Be- reinigung privatwirtschaftlicher Schwächen im deutschen Zkrcditwesen bezeichnet, sondern darüber hinaus die Anbahnung einer planmäßigen Lenkung des kapilalstroms im gefamtwirtschafklicheu Interesse gefordert. Wir haben wetter gefordert, daß die Organe für dies« dringliche volkswirtschaftliche Aufgabe nicht rein bürokratische sein sollen, fondern daß die notwendige beamtet« Leitung ihre Er- gänzung finden müßte durch eine demokratisch aufgebaute Mitwirkung von Vertretern aus allen Kreisen der Wirtschaft, wobei für uns natürlich die Mitwirkung der berufenen verkreker der Arbeiterschaft von entscheidender Vedutung wäre. Diese Forderungen führen, wie es bei allen Maßnahmen, die heute dazu dienen können, den Aus- weg aus der Krise zu weisen, zwangsläufig über das kapitalistische Wirtschaftssystem hinaus, sie tragen infofern den Charakter fozia- liistscher Lösungen, als sie zwar auch durch ihre Verwirklichung nicht den Sprung in den Sozialismus bedeuten würden, wohl aber einen Schritt vorwärts auf dem Wege des Ueberganges von der gescheiterten rein kapitalistischen Wirtschaft zu einer besseren plan- mäßigen Wirtschastslenkung. Wenn wir mit unseren Vorstellungen von dem, was not tut. die jetzt erlassene Notoerordnung über die Bankenoufsicht ver< gleichen, so können wir das Ergebnis etwa wie folgt formulieren: die Forderung, daß Bankgeschäft und kapllallentung nicht reine Privatsache bleiben darf, sondern der öffentlichen Kontrolle zu ualerwerseu ist, ist im Grundsatz durch die Notoerordnung anerkannt. Aber mit der Anerkennung der Forderung im Grundsatz ist die Erfüllung der Forderung nicht verbunden. Der Schuldner, der in diesem Falle der Gesetzgeber ist, leistet nach dein Muster weit verbreiteter Zahlungssitten nur eine bescheidene An- Zahlung. Die Lieferung der notwendigen Bankenkontrolle und Kapitallenkung wird„auf Stottern* in die Wege geleitet. Als erste für unseren Geschmack viel zu kleine Anzahlung auf unsere anerkannte Forderung sind wir bereit, die Notoerordnung anzunehmen. Der Wert dieser Anzahlung wird in letzter Linie davon abhängen, ob. manu und in welchem Maße die weiteren notwendigen Ratenzahlungen erfolgen
werden. Unsere Aufgab« wird es sein, die Rolle des unerbittlich auf die Zahlung der weiteren Raten drängenden Gläubigers zu spielen. Wir werden dazu mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen haben, was mit dem als Abschlagszahlung gelieferten Instrun»ent praktisch geschieht. Die Eintreibung d«r nächsten Raten wird ent- scheidend abhängen nicht nur von unserer Achtsamkeit, sondern auch von den Möglichkeiten, die folgenden Raten einzutreiben, das heißt in letzter Linie von der politischen Macht der Sozialdemokratie. Di« Notverordnung legt die Bankenaufsicht in die Hand eines Reichskommifsars und eines Kuratoriums, das die Richtlinien für die Tätigkeit des Bankenkommissars auszustellen hat und darüber entscheiden soll, ob und inwieweit für die Geschäfts- führung der Banken allgemein« Grundsätze aufzustellen sind. Die so zusammengesetzte Vankenaufiicht soll sich und die Reichsregierung fortlaufend über die Lage und den geschäftlichen Stand der deutschen Kreditwirtschaft unterrichten, und sie soll, was uns das Entscheidende erscheint, die allgemeine Bankpolitik vom Stand- punkt der deutschen G e s a m t wi r t s cha f t beein- flussen. Jeder Beeinflussung muß die Unterrichtung voraus- gehen, und deshalb erhält der Konmüssar weitgehende Rechte auf Auskunft durch die kontrollierenden Banken. Er soll das Recht haben, sich über alle Vorgänge im Bankgeschäft zu unterrichten, die Bücher einzusehen, Nachprüfungen zu veranstalten, an den Sitzungen des Vorstandes und Aufsichtsrates von Banken teilzunehmen, die Einberufung derartiger Sitzungen und nötigenfalls auch die Ein- berufung einer Generalversammlung zu verlangen. Der Kommissar kann seine Befugnisse teilweise auf andere Stellen übertragen, d. h. also: sich vertreten lassen, er hat über den engeren Bankenkreis hinaus auch das Recht, von Privat- Personen, die nicht Bankiers sind, Auskunft über ihre Aus- landsverpflichtungen und Auslandsforderungen zu verlangen. Der Kommissar berichtet über seine Feststellungen an das Kuratorium und an die Reichsregierung. Das Kuratorium hat seinerseits darüber zu entscheiden, ob es für die Gofchäftssührung der Banken allgemeine Grundsätze festlegen will. Es hat also ohne Zweifel das Recht, solch« Richtlinien auszustellen und nur in Zweifelsfällen, insbesondere dann, wenn innerhalb des Kuratoriums, dem der Bänke nkommisfor angehört, Meinungsverschiedenheiten aus- treten, ist die letzte Entscheidung der Reichsregierung vorbehalten. Wenn durch die vorstehend erwähnten Bestimmungen an sich der Ansatzpunkt für eine wertvolle Ausgestaltung der Banken- kontrolle auch inst dem Ziele volkswirtschaftlicher Kapitallenkung gegeben wäre, sö nruß doch die Zusammensetzung des entscheideichen Bankenkuratoriums als sehr' unbefriedigend bezeichnet werden. Es besteht nämlich aus fünf Mitgliedern: dem Reichsbank- Präsidenten als Vorsitzenden, einem zweiten Vertreter der Reichsbank, dem Staatssekretär des Reichswirtschaftsministeriums, dem Staatssekretär des Reichssinanzministeriums und dem Bankenkommissar selbst. Wenn wir auch selbst immer betont haben, daß eine zentrale Lenkung der Bankenpokitik stets mit der Reichsbank eng zusammen- arbeiten müßte, so scheint uns doch bei der Zusammensetzung des Kuratoriums der unmittelbare Einfluß der Reichsbank, deren Prä- sident den Vorsitz führen wird, viel zu stark. Die Bedenken gegen den überbetonten Einfluß der Reichsbank müssen natürlich solange um so stärker sein, als Reichsbankprösident und Reichsbankdirektorium in dem Maße, wie es nach dem bisher geltenden Recht der Fall ist, von dem Generalrat, d. h. also praktisch wiederum von den Vertretern der privaten Bankinkeressen beeinflußt und » abhängig sind. Wir glauben deshalb, daß diese Gestaltung der Bankenaussicht die Forderungen nach Umgestaltung der Verwaltungs- Organisation de r Reichsbank nur noch, dringlicher macht, als sie bisher schon waren. Ob sich die Staatssekretäre der Reichs- Ministerien als hemmende oder als vorwärts treibende Kräfte für eine wirksame Ausgestaltung der Bankenaussicht erweisen werden, ist natürlich nicht nur eine Personenfrage— von den beiden der- zeitigen Staatssekretären dürste jedenfalls sehr viel vorwärts treibende Kraft kaum ausgehen—, sondern wiederum eine Frage der politischen Machtgestaltung.
Bleibt schließlich die Person des Bankenkommissars selbst, von de? wir hosten müssen, daß sie, vor eine große Ausgabe gestellt, nicht den Wunsch haben wird, eine Attrappe zu bleiben, sondern eine wirkliche Leistung für die deutsche Gesamtwirtschaft zu vollbringen. auch dann, wenn sie mit großen Widerständen auf der Seite der privaten Interessen zu kämpfen haben wird. Auch eine Bankenkontrolle, die wirksamer wäre als die jetzt in die Wege geleitete, würde niemals die Banken im einzelnen von der vollen Verantwortung für ihre Geschäftsfichrung ent- lasten. Ebenso wird auch in Zukunft die Sicherheit der Banken- gläubiger keineswegs unter eine allgemeine Staatsgarantie gestellt. Es ist vielleicht notwendig, diese Tatsachen besonders hervorzuheben, weil es zum Teil gerade die Gegner einer wirksamen Bankenkontrolle sind, die schon den bescheidenen Schritt dieser Notverordnung in der Richttrng einer Bankenausticht so darzustellen belieben, als ob eine entscheidende Maßimhive gegen den privatwirstchaftlichen Ausbau des Bankwesens und gegen die volle Verantwortlichkeit seiner Leiter getroffen wäre. Wir wissen genau, daß mit einer bescheidenen Abschlagszahlung das große Ziel einer volkswirtschaftlichen Neugestaltung, das wir einer auf planmäßige Kapitallenkung eingestellten Bankenkontrolle setzen, nicht erreicht werden kann. Solange man zaghast bei den Anfängen stehen bleibt, kann man deshalb eine Wirkungslosig- keit der Maßnahmen auch nicht als einen Beweis gegen die Zweck- Mäßigkeit der von uns geforderten Einrichtungen ausspielen. Aber man muß nicht stehen bleiben. Die Notverordnung kann einen Start, wenn auch vielleicht keinen sehr glücklichen, bedeuten, uni» unsere Aufgabe wird es sein, daraus zu drängen, daß das Rennen nicht abgebrochen wird, fondern bis zum Ziel fortzusetzen ist. Je krasser die Schäden der kapitalistischen Wirtschaft zutage treten, je mehr sich die Erkenntnis von der Unfähigkeit privater Wirtschaftsführung, im besonderen in Deutschland , ausbreitet, desto größer wird der Zwang. Schritt um Schritt um den Um- bauderWirtschaftzuringen. die öffentliche Kontrolle und Führung der Anarchie der privaten wirstchafl gegenüberzustellen. Zn diesem Kampfe, der gleichzeitig ein Kampf gegen die Krise und ein Kamps für die Verwirklichung des Sozialismus ist, kann die Einführung der staallichen Aufficht über die Banken eine wichtige Etappe bedeuten. Sie kann es, wenn wir die politische Macht haben, auch die nächsten Raten einzutreiben. Fritz Naphtali .
Gerüchte um Lokomotivfabrik Henschel. Keine Stillegung de« Kasseler Werkes. Seit einiger Zeit sind Gerüchte im Umlauf, daß die Verwaltung der Henschel u. Sohn A.-G. in Kassel , der größten deutschen Lokomotiofabrik,«ine gänzliche Stillegung des Werkes be- absichtige. Bei der ausschlaggebenden Bedeutung, die trotz der seit Iahren ständig verringerten Belegschaft die Henschel - Betriebe für Kassel und Umgebung besitzen, haben diese Gerüchte unter der Ar- beitnehmerschaft große Unruhe hervorgerufen. Jetzt wird von der Verwaltung des Unternehmens dieses Ge» rücht strikt dementiert. Zugleich wird erklärt, daß die im Zusammenhang mit der Stillegung aufgetauchte Behauptung, daß die Lokomotivquote der Henschel A.-G. mit 36 Prozent an die AEG. verkauft würde, völlig aus der Luft gegriffen sei. Die er- folgten Kündigungen und Betriebseinschränkungen seien im Gegen- teil ein Beweis, daß die Leitung des Unternehmens gewillt sei, unter Anpassung der Betriebstätigkeit an den jetzigen Auftragsbestand das Werk aufrechtzuerhalten. Auch in USA . schlechte Kapitalrenten. In ihrem letzten! Monatsbericht stellt die New-Porker Bundes-Reserve- dank fest, daß bei 436 Gesellschaften der Reingewinn im ersten Halbjahr 1931 um 61 Proz. gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres und sogar um 66 Proz. gegenüber 1929 gesunken ist. In der Schwerindustrie bettägt der Gewinnrückgang gegenüber 1930 rund 86 Proz. In der Petroleum-, Kupfer» und Gummiindustrie haben die ehemals so hohen Dividenden über« wiegend Vertu st en Platz gemacht.
IS/J �/FA/A/ZO" Azer z/GA/i£rr£NFA bq/k. g.m.b.h fambufg
. M m M,
Tartrieb: TI.ABAT
M. B. H. Zweigniederlassung