Der lehkc verhandlungstog im Prozeh der Ztczipogromislen brachte ganz unerwartet die Vernehmung des„Oberführers� Graf Helldorf und feines Skabsleiters Ernst als Zeugen, nicht etwa als Angeklagte. Sie halten sich in München bei Hitler die erforderlichen Znftruktionen geholt, konnten also gestern vor Gericht unbeirrt ihr Sprüchlein hersagen. -i- Aus Antrag der Parteien wurde noch einmal in die Beweis- aufnähme eingetreten. Neben einigen unwichtigen Zeugen sollten der Führer der Berliner SA., Graf Helldorf , und der „Stabsleitcr" Ernst, die nach ihrer Rückkehr aus München sich der Polizei gestellt hatten, vernommen werden. Als erster kam der Zeuge Ernst an die Reihe. Oer 23 jährige ,Stab6leiter*. Der Borsitzcnde macht den ZZjährigen Zeugen darauf auf- merksam, daß er unter Umständen auch vereidigt werden könne, daß er aber in bezug auf Tatsachen, durch deren Bekundung er sich s e l b st st r a f b a r machen würde, das Recht zur Zeugnis- Verweigerung hat. Er fordert ihn danach auf, zu erzählen, welche Beobachtungen er auf dem Kurfürstendamm gemacht habe. Zeuge: Wir fuhren im Opelwagen mit Graf Helldorf und dem„Leiter der Wache des Stabes", Gewehr, den Kurfürstendamm entlang. An der Meincckestraße hörten wir rufen: Brot. Hunger. Ecke Joachims- thaler Straße stiegen wir aus dem Wagen und gingen zur Ge- dächtniskirche und weiter am Romanischen Cafe vorbei zur Tauentzienstraße. hier trafen wir einen Sturmführer, der mit Helldorf einige Worte wechselte. Aus der Richtung von Michels hörte ich wieder rufen. Ich sah etwa 13 junge Leute, die vor einigen Beamten flüchteten. In der Ranke- straße bestiegen wir wieder unseren Wogen. Ecke Ioachimsthaler Straße kam ein Major aus unser Auto zu und forderte uns auf, wegzufahren. Später trafen wir noch einen anderen Sturm- fuhrer. Er sagte zum Grasen Helldorf , er sei hierhergekommen. weil er vom Klimbim gehört habe. Graf Helldorf befahl ihm, dafür zu sorgen, daß die Leute vom Kurfürstendamm verschwinden. Er habe bereits deswegen mit der Polizei gesprochen. In der Nähe des Bahnhofs Zoo wurden wir von einem anderen Auto angehalten. Die Insassen riefen uns etwas zu. Ich rief zu ihnen hinüber:„Macht. daß ihr weiter kommt, ihr verdammten Panschjuden." Dann wurden wir von Polizeibeamten zur Wache gebracht und später zur Ab- teilung I A. Vors.: Weshalb haben Sie die Fahrt überhaupt unter- nommen? Zeuge: Um Parteilokale zu besichtigen. Wir fuhren zuerst zum Afrika -Kasino in der Lüßowstraße, wir fanden da aber nur sehr wenige SA. -Leute. Dann besichtigten wir den Sturm tü in der Steinmetzstraße, hier trafen wir etwa 50 bis 60 Mann an. Graf Helldorf sagte zu den SA. -Leuten: „Ich komme zu euch noch zurück. Zungens', und gab den Befehl, zum Kurfürstendamm ZU fahren. Vors.: Wer hatte das Auto gemietet? Zeuge: Ich glaube, ich selbst. Vors.: Weshalb fuhren Sie zum Kurfürstendawm? Zeuge: weil uns im Afrika -Kasino gesagt wurde, daß die SA. - Leute dahin ge- gangen seien. Vors.: Wozu fuhren S i e denn dahin? Zeuge: Um uns die Sache anzusehen. Vors.: Und was haben Sie da gesehen? Zeuge: Das, was ich bereits geschildert haben. Vors.: Das war sehr wenig. Zeuge(patzig): Ich habe eben niemand erkannt. Der Vorsitzende rügt den Ton, den der Zeug« anschlägt. Trotz wiederholten Borhaltens bleibt der„Stabsleiter" Ernst dabei, daß er fast gar keine SA.-Leulc gesehen hätte, auch keine Ausschreitungen oder sonst irgend etwas besonders Verdächtiges. Vors.: Wie lange hielten Sie sich am Kurfürstendamm aus? Zeuge: Insgesamt 30 Minuten. Vors.: Und weshalb stiegen Sie aus? Der Zeuge gibt eine vollkommen unbefriedigende Antwort. Der Vorsitzende fragt, ob nicht eine inoffizielle Parole aus- gegeben worden fei. Zeuge: Nicht von mir. Vors.: Ich krage ja nicht, ob von Ihnen, sondern ob-ine solche ausgegeben worden war. Zeuge: Meines Wissens überhaupt nicht. Die Vernehmung des Zeugen ist beendet. Er bleibt wegen Verdachts der Mittäterschaft unvereidigt. Der Graf als Oberführer. Als nächster Zeuge wird aus der Untersuchungshaft Graf Hell- d o r f vorgeführt. Im Gegensatz zu seinem nur 23jährigen„Stabs- leiicr" zählt er 35 Jahre und stellt sich als früherer Offizier und Landwirt vor. Vors.: Es handelt sich um Ihre Autofahrt auf dem Kurfürsten- dämm. Zeuge: Zu meinen Dienstobliegenheiten gehören Kontrollfahrten zu den SA. -Lokalen und Besichtigungen der Partei- Heime. Solch eine Fahrt fand am Sonnabend statt. Wir fuhren zuerst zur Lützowstraße, dann zur Steinmetzstraße. In dem SA.- Lokal Lützowstraße erhielt ich trotz scharfer Vorhaltungen von den wenigen anwesenden SA. -Leuten nur unklare Erklärungen darüber, wo die anderen SA. -Leute sind. Auf dem Kurfürstendamm sah'.ch einig: Gruppen von Leuten, Hörle auch gewisse Rufe in Sprechchören, wurde auch von mehreren Leuten erkannt und mit kzcilrusen begrüßt. An der Ioachimsthaler Straße stiegen wir aus, später fuhren wir wieder weiter. Polizeimajor Wecke kam auf unseren Wagen zu und stellte mich scharf zur Rede:„Was fällt Ihnen ein, hier herum- zufahren. Was ist das für eine Schweinerei?" Ich erwiderte, ich hätte nichts damit zu tun, es sei gar keine Schweinerei. Major Wecke erklärte in barschem Tone:„Scheren Sie sich fort." Als ich später einen SA. -Führer traf, bat ich ihn, dafür zu sorgen, daß die Leute fortgingen. Schon früher, als ich meinen Wagen ver- lassen hatte, hatte ich das getan, um die SA. -Leute zu veranlassen, sich zu entfernen. Vors.: War Ihnen bekannt, daß eine Art Parole, ein Finger- zeig, gewissar maßen ein i n o f f i z i e l l e r B e f e h l für diesen Abend ausgegeben worden war? Zeuge: Daß ein«. Parole vorgelegen haben muß. nehme ich an. Bon welcher Seite aber, darin bin ich mir nicht im klaren. Vielleicht war das'oon einer dritten Stelle geschehen, um die SA. zu belasten. Ich möchte hierzu folgende Erklärung abgeben: Die Verliner SA. besteht zu achtzig Proz. ans Handwerkern. sechzig Proz. sind erwerbslos, davon viele ausgesteuert. Die Berliner SA. lebt unter den schwierigsten Verhältnissen!, sie
hat auch außerordentlich unter den kommunistischen Drangjalierungen zu leiden. Uebersälle sind etwas Alltägliches. Das Tragen von Waffen ist aber von Hitler streng verboten. Wir find gezwungen, jeden, der mit Waffen angetroffen wird, auszuschließen. Die SA. -Leute sind deshalb wehrlos und können sich höchstens mit Stühlen verteidigen. Daß es unter solchen Umständen zuweilen zu Explosionen kommt, ist begreiflich. Sie werden geradezu künstlich herbeigeführt, da den SA. -Leuten jede Möglichkeit genommen ist, sich auszutoben; Märsche und sportliche Ausbildung sind verboten. In den Sturnllokalen herrscht eine außerordenlliche Gereiztheit. Wenn nun Gerüchte in die Well gesetzt werden, so kann es nur allzu leicht angesichts der Verzweiflung der SA. -Leute zu Ausschreitungen kommen. Vors.: Sie reden um einen Punkt herum. wie kommt es, daß, wenn sechzig Prozent ihrer Leute erwerbs- los sind, sie dos Fahrgeld aufgewandi haben, um aus den ver- fchiedenea Teilen von Verlin nach dem kurfürstendamm zu fahren? Zeuge: Sie haben sich das Geld wahrscheinlich aus der Sturmkaffe als Darlehen genommen, vorf.: Mir fällt aber auf, daß ganze Stürme Spesen gemacht haben. Zeuge: Dazu kann ich nichts sagen. Vors.: Ich will Sie nicht im Zweifel lassen, es waren Mitglieder von zwölf Stürmen anwesend. Sie konnten nur aus ein« gewisse Parole nach dem Kurfürstendamm zusammengeströmt sein. Man kann ja einen inoffiziellen Befehl ge- geben haben und das nach außen hin nicht zugeben. Zeuge: Wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre ich nicht in Uniform und im offenen Auto herumgefahren. Die Parolenausgabe könnte von irgendeiner feindlichen Seite erfolgt fein. Wir haben ja in unseren Stürmen eine ganze Anzahl Spitzel; kommunistische Spitzel, solche vom Reichsbanner und von den Behörden. Sie sind äußerst rege. Als SA. -Männer verkleidete Spitzel verkehren in unseren Lokalen. Sie können auch die Parole ausgegeben haben. Vors.: Erscheint Ihnen diese Erzählung nicht clwos abenteuerlich? Zeuge: Weshalb? Wenn die Parole in sieben bis acht Stürmen ausgegeben worden wäre, einen besseren Dienst hätten sie sich nicht leisten können. Vors.: Könnte irgendeiner der Zwangsge- stellten als Spitzel in Frage kommen? Zeuge: Nein. Vors.: Was haben Sie am Sonntag, dem 13.. über die Ereig- nisse des Vortages erfahren? Was ist Ihnen darüber berichtet worden? Zeuge: Nur, daß einige im Polizeipräsidium festgehalten sind. Vors.: Standen denn die schweren Ausschreitungen nicht im Widerspruch zur militärischen Disziplin, die bei Ihnen herrscht? Zeuge: Ich habe die gerichtlichen Fest- stellungen abwarten wollen. Vors.: Das verstehe ich nicht. Es herrscht doch sonst bei den SA. -Leuten ein strafscr militärischer Ton. Ich begreife nicht, daß Sie zum Beispiel sich nicht ins Afrika-Kasino begaben, sich dort irgendeinen SA. -Monn vorgenommen und ihm gesagt haben:„Junge, jetzt sagst du, wie du aus den Kurfürstendamm gekommen bist." Es war Ihnen ja bereits bekannt, daß Demo- l i« r u n g e n und schwere Ausschreitungen stattgefunden haben. Zeuge: Ich mußte schleunigst nach München zu einer Gruppenführerbcsprechung. Es gibt in Deutschland im gan- zen elf Gruppenführer. Solche Besprechungen sind von größter Wichtigkeit. Mit der Untersuchung hätte es noch enige Tage Zeit gehabt. Staalsanwall: Wie erklären Sie sich das, daß Sie auf dem kurzen Räume um die Gedächtniskirchc Horum drei SA.- Führern begegnet sind? Der Zeuge bleibt die Antwort schuldig. Staatsanwall: Halten Sie es für möglich, daß auch die Sturm- führer aus Anordnung von Spitzeln aus dem Kurfürstendamm ge- wesen sind? Zeuge: Nein. Vors.: Was würden Sie aber dazu sagen, wenn Sie hier von Angeklagten hören würden, daß sie aus Anordnung von SA.-Zührerü nach dem Kurfürstendamm gekommen sind? Zeuge: Das ist mir völlig unverständlich. Auch der Zeug« H e l l d o r f bleibt unvereidigt.
Gegen r;i6 Uhr erhält Staatsanwalt Stehnig das Wort zum Plädoyer. Er schildert die Ereignisse am Sonnabend, dem 12. September, auf dem Kurfürstendamm und stellt fest, daß unge- fähr 15 bis 20 Personen schwere Verletzungen davongetragen haben müssen. Die Staatsanwaltschast habe in dieser Verhandlung davon abgesehen, sämtliche Verletzten als Zeugen zu laden. Die Aus- schreitungen, sagt weiter der Staatsanwalt, hatten eine ausgc- sprachen antisemitischeTendenz. Die von den National- sozialisten gestellten Zeugen bestreiten aber, daß antisemitische Aus- rufe gefallen sind. Dieses Leugnen zeigt nur, wie die Aussagen dieser Zeugen zu bewerten sind, wie leichtsinnig heutzutage junge Leute mit der Wahrheit umspringen. Sodann beschäftigte sich Staatsanwaltschaftsrat Dr. Schade eingehend mit der Täterschaft der einzelnen Angeklagten. Der Staatsanwalt stellt gegen die Angeklagten folgende Skrasanlräge: Gegen die Minderjährigen Schuster Bonin, Schulz, Pawlik, Rehfeld. Cornelsen. Chavier, Couvreux, Schefsler, Meyer-Michlhaus, Heckendorf wegen einfachen Landfriedensbruches in Tateinheit mit Anreizung zum Klassenhaß je ein Jahr Gefängnis: gegen die volljährigen Angeklagten Merker. Friste, Bartz, Soy, Fedtke, Kuhn, Matzdorf, Dziemian, Michalak. Koch. Milde- brach und Hecke wegen einfachen Landfriedcnsbruchcs in Tateinheit mit Anreizung zum Klafsenhaß ein Jahr drei Monate Gefängnis: gegen die Angeklagten Meede und. Riedel, die Gewalttätigkeiten ver- übt haben, wegen schweren Landfriedensbruches in Tateinheit mit Anreizung zum Klassenhaß ein Hahr neun Monate Gefängnis: gegen Schubert, der eine Waffe bei sich gehabt hat. ein Dohr fünf Mcnale Gefängnis: gegen Utpvtt ein Jahr ein Monat Gefängnis: gegen Fischer, der sich der Anstiftung zum einfachen Landsriedcnsbruch schuldig gemacht hat, zwei Jahre sechs Monate Gefängnis: gegen die Rädelsführer Sturmführcr Ponte und den Autobesitzer Kühn wegen schweren Landfriedensbruches zwei Jahre Gefängnis(der letztere hat sich der BeihUfe schuldig gemacht): gegen den„Leiter der Stobswache" Gewehr und gegen den Stahl Helmführer Brandt je zwei Jahre Zuchthaus und Ehr- vertust auf die Dauer von drei Jahreo. außerdem ist auf Einziehung der beiden Kraftwagen zu erkennen. Nach einer kurzen Pause ergriff der erste her drei Ver- t e i d i g e r das Wort. Er wie seine Mitoerteidiger bemühten sich, darzulegen, daß den einzelnen Angeklagten eine strafbare Handlung nicht nachgewiesen sei. Sie kommen deshalb zu dem Antrag, samt- liche Angeklagten von der Anklage des Landfriedensbruches sreizu- sprechen. Die Ausführungen des Rechtsanwalts H a r n a ck veronlaßten den Vorsitzenden Landgcrichtsdirektor Schmitz zu einer scharfen Abfuhr. Er erklärte:„Sie sprechen hier vom Sonderschutz einer Rasse, während das Gericht hier nur bemüht ist, die U n- oerletzlichkeit der Person und des Eigentums zu schützen. Ich sage es Ihnen gleich: Durch Ihre Ausführungen erreichen Sie nur, daß das Gericht zu härteren Strafen kommt, als es vielleicht sonst der Fall gewesen wäre. Sie vernichten den erzieherischen Einfluß der Gerichtsoerhandlung auf die Angeklagten, die zum größten Teile noch ganz junge Leute sipd." Die Staatsanwälte verzichten auf«ine Erwiderung. Sämtliche Angeklagten, die vorschriftsmäßig das letzte Wort erhalten, schließen sich den Anträgen der Verteidigung an. Neuerlich gestellten 5iaftentlassungsanträgen widerspricht die Staatsanwaltschaft. Um Mitternacht zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Das Urteil ist erst in den frühen Morgenstunden zu erwarten.
Lanötagseinberusung abgelehnt. Vertteinewng des Gtaaksrats. Der Aeltestenrat des Landtags lehnte am Dienstag den komnw- nistischen Antrag auf vorzeitige Landtagseinbcrufung ab. Dem Staatsrat ist«in Entwurf vorgelegt worden, wonach der Staatsrot verkleinert wird. In Zukunft soll statt auf 500 000 Ein- ivohner erst aus 750 000 ein Vertreter entfallen.
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