Mecklenburgischer Ministerinlrnth Sattgfesd i Die Mecklen-burgische Regierung hat von jeher aus dein Standpunkte ge-standen, daß sowohl von feiten des Staates wie der Kirchegegen die fakultative Zivilehe schwerwiegende Bedenken be-stehen und daß diese die für den Staat wie für dielutherische Kirche am wenigsten angebrachte Form ist.Zwischen meiner Regierung und den obersten Organen unsererLandeskirche besteht darüber keine Meinungeverschiedenheit.Allerdings hat meine Regierung nicht verkannt, daß die bürger-liche Form der Eheschließung mit den kirchlichen Anschauungeneines großen Theils der Bevölkerung nicht übereinstimmt, inandarf aber den Einfluß der Zivilehe auf das kirchliche Lebennicht überschätzen. 138S haben in Mecklenburg-Schwerin von64 000 Paaren nur 3ö die kirchliche Trauung verschmäht. Mögediese Mittheilung die Agitation für die fakultative Zivilehe, diesich neuerdings auch bei uns erhebt, abschwächen.Abg. v. Hodenberg(Welse) erklärt sich im Prinzip fürd e n A n t r a g R o o», der allerdings mancher Abänderungbedürfe; es bestehen bei ihm zum theil dieselben Bedenken, wiebeim Abg. Lieber.Abg. Bebel: Herr Schall ist in seiner Polemik gegen unsstets sehr unglücklich gewesen, aber so unglücklich wieheute niemals; heute ist er selbst für feine Parteigenossenein enfant terrible geworden. Der längere Aufenthalt im Hauseist für Herrn Schall verderblich gewesen; seine Logik hat� sehrstark abgenommen. Meine Geschichtsanführungen, die ich gegende» Grafen Roon vorbrachte, hat er nicht widerlegt, sondernbestätigt, nanientlich die Doppelheirath des Landgrafen Philippvon Hessen. Es ging ihm hier wie beim Duell; waser nicht verlheidigen wollte, suchte er zu entschuldigen.Mit der Krankheit der erste» Frau entschuldigte Herr Schall, daer sich eine zweite gesunde Frau nahm. Soll heute jederMann einer kranken Frau sich eine zweite Fraunehmen oder eine Frau, die einen krankenMann hat. einen zweiten Mann?(Heiterkeit.) Daswürde eine schöne Geschichte werden!(Heiterkeit.) Die Kon-servativen haben alle Veranlassung, zu sagen: Der Himmel be-wahre uns vor unserem Freunde Schall! Und die evangelischeGeistlichkeit hätte alle Ursache, Herrn Schall auf den Knien zubilien, daß er möglichst schnell sein Mandat niederlegt, weil erdurch seine Taktlosigkeit die evangelische Kirche diskreditirt.(Heiterkeit.)Präsident v. Buol rügt den Ausdruck„Taktlosigkeit" als«»parlamentarisch.Abg. Schall bestreitet, daß er den Landgrafen Philipp vonHessen vertheidigt habe. Er habe ausdrücklich sei» Bedauernausgesprochen über die große Konnivenz Luther's. Den Stand-pnnkt des Herrn Kropatscheck habe er nicht als einen solchen desUnglaubens bezeichnet.Abg. Graf Roon bleibt dabei, daß das Zentrum und Abg.Lieber gegen seine Ueberzeugung für die Zivilehe eintrete undverwahrt sich dagegen, daß er allen denen, welche für die Zivileheeintreten, Unglauben vorgeworfen habe.Damit schließt um 51/» Uhr die Debatte.Präsident v. Bnol erklärt, daß der Antrag auf namentlicheAbstimmung nur von Anwesenden unterstützt werden könne. Erwerde daher die UnterstiitzungSfrage stellen.Nach einigen Bemerkungen der Herren Gröber, Manteuffeln»d Bennigsen erklärtAbg. Bebel(Soz.); Ich muß dagegen Verwahrung einlegen,daß der Präsident, obwohl thatsächlich die Unterschriften von dvMitgliedern vorliegen, und zwar von Unterschriften, die sammt undsonders heute hier in der Sitzung gesammelt worden sind(Leb-hafter Widerspruchs— die Namen der in Abwesenheit Unter-zeichneten sind nachher durch andere ersetzt worden!— gegen allebisherige Praxis plötzlich die Unterstützungsfrag« in Aussichtgestellt hat. Das ist eine Beleidigung für diejenigen Mitglieder,die ihre Unterschrift gegeben haben(Zustimmung). Die bisherigePraxis kann nur durch einen Beschluß geändert werden. DasSammeln der Unterschriften nimmt längere Zeit in Anspruch.Verschiedene Mitglieder sind nicht gleich bereit, man muß ihnenzureden und ihnen klar machen, warum man ihre Unterschriftwünscht, unter Umständen gehen darüber Stunden hin und eskann passiren, daß Mitglieder, welche vorher ihre Einwilligunggegeben haben, genölhigt sind, den Saal zu verlassenund dann die namentliche Abstimmung nicht unterstützen können.Abg. Gröber: Jedes Mitglied hat das Recht, die Anträgeeinzusehen, um zu wissen, wer sie gestellt hat. Wir haben in denletzten Wochen Erfahrungen auf dem Gebiete der Geschäfts-ordnung gemacht wie früher nicht.(Sehr richtig! im Zentrum.)Wenn Mitglieder Hinausmarschiren, um das Haus beschlußunfähig zu machen, kann man auch nachsehen. ob diehier sind, welche den Antrag unterstützt hgben. Dieprinzipielle Seite der Frage wollen wir heute nichtentscheiden und ich beantrage, die Frage der Geschäfts-ordnungs- Kommission zu überweisen. Wir wollen niemandemden Antrag auf namentliche Abstimmung abschneiden undunterstlltzen ihn.Abg. v. Liebermann: Es sind 63 Unterschriften vorhandengewesen, wir sind dem Präsidenten entgegengekommen und sinddeshalb dagegen gewesen, daß er trotzdem die Unterstützungsfragestellen wollte.Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. Graf Mirbachund Lenzmann wird die Frage der Geschäftsordnungskommissionüberwiesen.In namentlicher Abstimmung wird darauf derAntrag de? Grafen Roon zum§ 1299». mit 196 gegen33 Stimmen abgelehnt; 4 Abgeordnete enthalten sich derAbstimmung; dafür stimmt nur etwa die Hälfte der Deutsch-Konservativen; von der Reichspartei Graf Bernstorff, ferner diePolen v. Janta- Polczynski und v. Dziembowski, die Welsenv. Hodenberg und Graf v. d. Decken, die Antisemiten Jskraut,v. Liebennann und Wenwr und der Wildkonservalive v. Dalwitz.Gegen den Antrag stimmen die Sozialdemokraten, die beidenfreisinnigen Gruppen, die deutsche Volkspartei, die National-liberalen, das Zentrum mit Ausnahme des Abg. Wolny, von denKonservativen die Abgg. v. Herter, Gras Holstein, Kropatscheck,v. Leipziger, v. Massow, v. Podbielski, Sachße, Eaurma v. d. Jeltsch,Gras Schwerin, v. Buchka und Graf Douglas; ferner die Anti-semiten Förster und Vielhaben und die Wilden Prinz Hohenlohe-Schillingsfürst, Küchly und Uhden.Der Antragsteller zieht die übrigen Theile sein«? Antrageszurück.Gegen 6'/« Uhr wird die weitere Berathung ansDonnerstag 11 Uhr vertagt. Unter großer Heiterkeit desHauses setzt der Präsident auch noch die Margarine-vorläge auf die Tagesordnung.UoKales.A» die Parteigenossen des erste« verliuer Reichstags-Wahlkreises! Nachdem infolge deS Köllerkoups der Wahlvereinmonatelang geschlossen war, findet nunmehr am Freitag wiederdie erste Versammlung statt. Da es sich um Neuregelung derVereinsthätigkeit handelt, ist es Pflicht der Mitglieder, sich zahl-reich an der Versammlung zu bctheiligen. Der Vorstand.Auf die hente, Tonnerstag, Abend Schwedterstr. 23/24bei Wernau stattstndende Volksversammlung werdenbesonders die Frauen aufmerksam gemacht. In derselbenwird die Broschüre von Gustav Keßler vorgelesen:„Die Zieleder Sozialdemokralischen Partei." Die Einberuferin.?nr Lokalliste. Das Lokal des Herrn Paul TimmBellevue" in R u m m e l s b u r g. Hauptstr. 2, steht derArbeiterschaft zu Versammlungen nicht zur Verfügung. DerWirth giebt an, daß er in Rücksicht auf die Rriegervereine ,c.sein Lokal nicht hergeben wolle. Die Lokalkommission.Zehn Sabeldnelle oder noch mehr sind, wie hiesige Blättermelden, die Folge des hitzigen Wahlkampfes in der AkademischenLesehalle. Am Dienstag hat die 132. Adtheilung des hiesige»Schöffengerichts an einem Messerstecher, dem ungebildeten Ar-beiter Ernst Hennig ein Erentpel statuirt, indem es ihn wegenKörperverletzung zu einem Jahre Gefängniß verurtheilte und ihnsofort in Haft nahm. Eine derartige exemplarische Bestrafunggebührt den Raufbolden unter der gebildeten Studentenschaftebenfalls. Aus ihnen bilden sich bekanntlich später die Stützender heutigen Ordnung.Wegen Mordes ist der Jnvalidenstr. 147 wohnende, bereitsdreimal wegen Kuppelei bestrafte Arbeiter Gustav Wobserverhastet worden. Wobser, der mit einer lüderliche» Frauens-person ein sträfliches Verhältniß unterhielt, lebte nnt seiner Ehe-srau in Unfrieden und hatte dieselbe, sowie seine Kinder in derletzten Zeit schlecht behandelt. Dienstag Morgen kam Wobser zuseiner Schwägerin, der Frau S., und theilte derselben mit. daß ihreSchwester soeben sich den Hals durchschnitten habe. FrauWobser lag im Blute schwimmend mit zwei Schnittwunden amHals auf der Erde, neben ihr ein blutiges Messer, welches sienach Angabe ihres ManneS in der Hand gehalten haben soll.Im Lazarus- Krankenhause wurden an der bewußtlosen Frauauch Kopfverletzungen und ein R i p p e n b r u ch fest-gestellt. Hierdurch erschien die Annahme eines Selbstmord-Versuches ausgeschlossen. Die Wobser ist gestern früh verstorben,ohne vernommen werden zu können. Vor ihrem Tode hat sieaus eine Tafel die Worte geschrieben„Mann, Beil". Einblutbeflecktes Beil. mit welchem die Kopfverletzungen beigebrachtsein können, ist am Thatorte vorgefunden worden. Der Beschuldigteleugnet die That.Beschlagnahmte Fische. Gestern wurden in der städtischenMartthalle am Alexanderplatz bei derselben Fischhändlerin, beiwelcher am 22. Juni 600 Kilo Schellfische beschlagnahmt wurden,wiederum 260 Kilo Häringe beschlagnahmt. Man thäte vielleichtgut, endlich die saubere Fischhändlerin zu„beschlagnahmen".Auf der Suche nach Arbeit ist am Dienstag Nachmittagder 20jährige Arbeiter Emil Prieba schwer verunglückt. AlsPrieba, der am Montag aus Stettin hierher gekommen war undnoch keine Wohnung hatte, in der fünften Stunde über denHackeschen Markt ging, um sich nach Beschäftigung umzusehen,wurde er von einem Geschäftswagen überfahren und am rechtenArme, am rechten Oberschenkel und am Kopse so schwer verletzt,daß ein Schutzmann des 13. Reviers ihn in ein Krankenhausbringen mußte.Tie Frau Meisterin. Bei dem Schuhmachermeister G. inder Wiesenstr. 31 arbeitete und wohnte ein Geselle Rudolf S.,ein Mann von 30 Jahren, der hin und wieder wohl etwas mehrtrinkt, als er vertragen kann. Das war auch Dienstag Nach-mittag wieder vorgekommen. Ans irgend welcher Veranlassunggerielhen Meister und Geselle in Streit und es kam bald auch zuThätlichkeiten. Obwohl der Geselle ohnehin schon den kürzerenzog, so mischte sich doch auch die Frau Meisterin noch ein undkam ihrem Manne mit dem Messer zu Hilfe. S. erhielt von ihreinen Stich in den Kopf, der ihn bedeutend verletzte. Das Blutrieselte sogar noch durch«inen Nothverband hervor, den manihm anlegte, und der Verwundete war gezwungen, ein Kranken-Haus aufzusuchen.Hundefängcr und Soimtagsruhe. Der deutsche Thier-schutzverein therlt uns folgendes mit: Ans Anordnung desköniglichen Polizeipräsidittms muß von jetzt ab der Hundefangauch Sonntags ausgeübt werden. Demnach sei es Hundebesitzern,welche sich vor Unannehmlichkeiten und Koste» schützen wollen,dringend empfohlen, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Hundeauch an Sonntagen stets vorschriftsmäßig mit Maulkorb undSteuermarke versehen aus die Straße gelangen.In einem Gasthofe der Friedrichstadt hat sich in derNacht zu Mittwoch die etwa 30 Jahre alte Frau des Ritter-gulsbefitzers Macketanz aus Eberswalde aus dem Fenster gestürzt.Sie starb auf der Stelle. Die Unglückliche war mit einemquälenden Nervenleiden behaftet.Unglückliche Liebe zum Militär. Zwei Finger der linkenHand hat sich in Stendal ein Husar abgehauen. Es geschahdies in der Absicht, sich dadurch vom Militärdienst zu befreien.Nach geschehener That hielt sich derselbe 24 Stunden verborgen,während dessen die verstümmelte Hand unverbunden blieb. DerHusar wurde nach dem Lazareth gebracht und wird nach seinerWiederherstellung wegen Selbstverstümmelung vor ein Kriegs-gericht gestellt werden.Hinrichtung. Heute Morgen 6 Uhr sollen in Plötzenseeder Agent Karl tiurz, sowie der Kutscher Karl Wohlan durchden Scharfrichter Reindel aus Magdeburg hingerichtet werden.Tie beiden haben am 1. Dezember v. I. den 82 jährigenfrüheren Bahnwärter Schulz in Teltow umgebracht und beraubt.AuS dem Polizcibcricht vom 24. Juni. Gestern wurdeam Opernhaus« der Bäckermeister Czerner, WUsnackerstraße 25wohnhaft, durch einen Pferdebahnwagen angefahren und an-scheinend schwer am Kopfe verletzt.— In der Oranien-straße wurde ein Dienstmädchen durch eine Taxameter-droschke überfahren und an beiden Beinen verletzt.—Aus dem Hackeschen Markt an der Ecke der Oranien-burgerstraße fiel der schlafende Arbeiter Priebe von einemGeschäftswagen und wurde überfahre», anscheinend jedochnicht erheblich verletzt.— Infolge des rücksichtslose»Nadfahrens wurden überfahren in der Voßstraße eine Frau durchden stud. techn. Doerry und in der Adalbertstraße ein Kind durchden Friseur Schmieder.WitternngSiiberficht vom 24. Jnnt 18S6.Wetter-Prognose für Donnerstag, de» 2S. Juni»8»«.Zeilweise heiteres, vielfach wolkiges Wetter mit leichtenRegenfällen und schwachen westlichen Winden; Temperatur wenigverändert. Berliner Wetterbureau.1896«Arbeitsverhältnisse der Kellner. Geradezu empörend istdie Lage der K e l l n e r im R i e s e n z e l t auf der Ausstellung,in welchem ein Wiener namens Leopold Schwarz bis auf dieNacht zum Dienstag Oekonom war, dann aber auf Veranlassungder Eigenthümerin des Unternehmens, der Radeberger Brauerei,urplötzlich durch einen anderen Chef abgelöst wurde. Auf einemBogen Papier, der Kontrakt genannt wird, aber nur in einemExemplar einzig in de» Händen des Oekonomen ist. hatten dieaus Wien hierher gelockten Kellner die Bedingung der eintägigenKündigung und eine geradezu horrende Reihe von Strai-bestimmunge» bedenklichster Sorte zu unterschreiben. Bezeichne»»für die Art, wie die Strafgelder eingetrieben wurden, ist;ol-gender Vorfall: Vier Kellner hatten einen Wortwechsel mit-einander und sie wurden hierfür mit sofortiger Entlassungbestraft. Aber, so wurde ihnen erklärt, sie könnten bleibe», wennsie je 3 M. Strafgeld an den Wirth entrichten würden. DieKellner blechte» und blieben. Ein Wiener Kellner hatte dieKühnheit, den Oekonom kürzlich bei Einführung einer neuenStrafbestimmung zu bitten, doch den Angestellten eine unbeanf-sichtigte Besprechung über den neuen Ukas zu gestatten. DieAntwort des Oekonomen lautete dahin, daß der Fragesteller als„Agitator" mit zwei„Strichen" im Buche vermerkt werdensollte. Dieser letztgenannte Wiener Kellner erhielt dieser Tage vomPolizeipräsidenten die Bolschaft, daß er als lästiger Ausländerbinnen acht Tagen das preußische Staatsgebiet zu verlassen habe,denn er sei in Wien zweimal wegen Ueberiretungen mit je24 Stunden Haft bestrast worden!Kürzlich hat das mannhafte Berliner Bürgerthum,soweit es auf der Ausstellung vertreten ist, der bis dahin iniveitesten Kreisen unbekannten Institution ok naval architects unbändige Ehren erwiesen, nachdem wenige Wochen vorher erst dieoffiziöse Engländerhetze ine Werk gesetzt worden war. Nunmehrveranstaltet der Arbeitsausschub dem berühmten Knackfnsbildezum Trotz für Herrn Li-Hung-Tschang ein großes Fest, das amSonnabend bei Adlon u. Dressel mit 400 Gedecken beginnt undmit einer großartigen Illumination endet. Uns soll es nichtwundern, wann der chinesische Vizekönig sich eiligst eine Reinkulturvon guten Deutschen ansbittet, um sie in China neben den Pagodendem Volk als Muster guter Gesinnung vorzuhalten.Das Tropenhaus in der Kolonial- Ausstellung ist zumPreise von 20 000 M. an das Auswärtige Amt verkaust worden.Es wird als Regierungsgebäude in Togo aufgestellt werden.Ktmpk und MiffeuMufk.Im Schiller-Theater kommt hente Bauernseld's Lustspiel„Bürgerlich und Romantisch" zur erstmaligen Aufführung. FrauClara Meyer spielt in diesem Stücke als letzte Gastrolle dieKatharine von Rosen.JTritz Fvirdmauu.(Fortsetzung aus der zweiten Beilage.)In der weiteren Verhandlung versucht der Angeklagte es sodarzustellen, daß er von den Klienten schlecht unterrichtet und inden Glauben versetzt worden sei, die Leute wären froh, dasGeld los zu werde». Der Präsident konftatirt, daß der An-geklagte 300 M. Vorschuß genommen aber sast nichts dafür ge«than habe.I» bezug auf seine persönlichen Verhältnisse erklärte der An-geklagte, daß er die felsenfeste Ueberzeugung hatte, daß man ihmsein Amt nicht absprechen würde.„Ich halte dem Ehrenralh ge-beichtet, daß ich mir durch wahnsinnige Spekulationen in den Jahren1890 und 91 eine große Schuldenlast aufgebürdet hatte. Gleich-zeitig hatte ich aber das Versprechen gegeben und die Aussichtdazu nachgewiesen, es erfüllen zu können, durch ein mühevollesund arbeitsreiches Leben mich von meinen Verbindlichkeiten be-freien zu können. Der Ehrenrath hatte mir wohl auch Vertrauengeschenkt und es schien mir, als sollte es ein Zeichen des Wohl-ivollens sein, daß man den Termin vor dem Reichsgericht immerwieder hinausschob, wie ich annahm, um mir Zeit zu geben, inmeine Geldangelegenheiten etwas Ordnung zu bringen!!"Der Angeklagte behauptet, daß sein Vetter Hermann aufein Guthaben von 13 000 M. verzichtet und 50 000 M. zurRegulirung zur Verfügung gestellt. Die vorhandenen Schuldenbetrugen etwa 260 000 M„ davon kommen etwa 100 000 M. andie Firma Mühsam u. Co. für Getreidespckulation. Im No-vember v. I. brach das Unglück herein. Vetter Hermann Friedmannzahlte in diesem Monat nicht mehr und bald wurde F. bekannt,daß derselbe sich in kolossale Spekulationen eingelassen und sicheine Schuldenlast von etwa anderthalb Millionen Mark ans«gebürdet habe.Damit war auch der Zusammenbruch des Angeklagten be-siegelt. F. ordnete mit seinem Mitarbeiter Dr. Lowenstein dievorhandenen Akten, beauftragte ihn, daß er von den Einnahmenzunächst 600 M. monatlich an seine Frau abzuführen habe, so-dann kämen 2000 M. zur Ablösung des Berger'schen Darlehnsund dann erst seien die Bureaukosten und sein Gehalt zu decken.„Am 9. Dezember reiste ich nach Leipzig. Ich hatte den Kopfverloren und kehrte nicht nach Berlin zurück."Der Angeklagte will nur 700 M. bei seiner Flucht besessenhaben, von denen er 800 M. von Maximilian Harden geborgthatte. Seine Begleiterin hat er im Bellealliance-Theater kennengelernt und natürlich hat sie ihm falsche Vorspiegelungen gemacht.Präs.: Na, kurz und gut, das Mädchen ist mit Ihnenauf die Reise gegangen.— A n g e k l.: Alle Welt weiß, daß ichnachtblind bin und nicht allein reisen kann.— Der Präsident geht nun eingehend die Vermögenslage des Angekkagtenzur kritischen Zeit durch, um festzustellen, ob er überhaupt hoffenkonnte, die 6000 Mark an Berger auszuzahlen. Er hebt dabeihervor, daß fast von sämmtlichen Gerichtsvollzieher» Berlins seitdem Jahre 1893 Pfändungen in Beträgen von unter 100 Markgegen ihn vollstreckt worden seien.Der Präsident konftatirt, daß die 6000 M. am 9. Junidieses Jahres mit Zinsen und Kosten gezahlt wurde». Der An-geklagte erklärt, dies sei von Freunden geschehen.Präs.: Ich muß nun noch einmal auf IhreVermögenslage zurückkommen. Sie hatte» 100 000 M.väterliches Vermögen gehabt, haben dieses aber ver-borgt und es war unwiderbringlich verloren. Im Jahre1888 trat dann jemand mit der Anregung an Sieheran, sich durch Börsenspekulationen, namentlich Roggen-spekulationen, das Verlorene recht bald wieder zu gewinnen.Sie verdienten auch auf einen Schlag 8000 Mark, da»»aber kam die große Schwänze und nun kamen Sie inunermeßliche Differenzen und Ihre Verluste bezifferten sich mitKourtagen und Wucherzinsen auf 400 000 M.— Angekl.: ImSommer 1390 habe ich mir versprochen, niemals mehr zu spekuliren.In der Zwischenzeit hatte ich aber Wuchergeld aufgenommen.Ich wurde aber von diesen Leuten in ungeheurer Weise ge-peinigt und ich kam in eine sehr schlimme Lage. Ich ging zudem mir bekannten Wirkl. Geh. Legalionsrath Lindau, dieserverwandte sich für mich und es kam dann eine Gruppe vonGeldmänner», zu denen der Generalkonsul Landau, RudolfMosse, Bleichröder:c. gehörten, die eine Summe von 60000 M.mir zur Verfügung stellten gegen das Versprechen, nichtmehr zu spekuliren. Der Kommerzienrath Anton Wolffzog sich zurück, weil er selbst vor dem Zusammenbruchestand, dazu kam die Affaire Friedländer u. Sommerfeld.—Die Thatsache, daß Pfändungen in zahlloser Menge bei ihmvorgenommen wurden, giebt der Angeklagte zu, er meintaber, diese hätten nur de» Charakter einer Pressiongehabt. Es sei wahr, daß er keinen Stuhl mehr in seinenRäumen hatte, an dem nicht ein Siegel sich befunden, aberer wußte ganz genau, daß nichts passirte und nicht? abgeholtwerde» würde. Einzelne seiner Gläubiger standen auf dem Standpunktdes Generalkonsuls Landau, der stets sofort klagte und sagte dabei:Wenn man Sie nicht drückt, bekommt man nichts von Ihnen.Er versichert nochmals, daß er seit 1390 nie wieder einen Pfennigpekulirt habe.— Der Vertheidiger läßt feststellen, daß inder Zeit vom Oktober 1894 bis November 1895 die Einnahmendes Angeklagte» noch 130 000 M. betrugen.— Präs.: Ihnenwar es bei der Pflicht zu ziemlich umfangreichen Abzahlungenalso jedenfalls sehr angenehm, die Berger'schen 6000 M.zu Ihrer Verfügung zu habe»?— Angekl.; Gewiß.—