Morgenausgabe
Nr. 455
A 229
48.Jahrgang
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Dienstag 29. September 1931
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Die neue Wirtschaftskommission.
Arbeitervertreter nehmen teil.- Gegen Zollerhöhungen.
Amtlich wird mitgeteilt: Der französische Ministerpräsident| gemeinen Bestrebungen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der französische Außenminister sind nach Berlin gekommen, um den Besuch zu erwidern, den ihnen seinerzeit der Reichskanzler und der Reichsminister des Auswärtigen in Paris abgeftattet haben. Zugleich war es ihre Absicht, ihre früheren Besprechungen zu einem Ergebnis zu führen.
Die Bertreter der beiden Regierungen haben wieder ihrer Ueberzeugung Ausdrud gegeben, daß
ihr Ziel die Pflege vertrauensvoller Beziehungen zwischen den beiden Ländern ist. Sie sind der Ansicht, daß die Wirtschaftskrise, unter der gegenwärtig die ganze Welt leidet, es ihnen zur gebieterischen Pflicht macht, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet ihre Bemühungen zu vereinigen, um Lösungen zur Milderung der Not zu finden.
Den deutschen und französischen Ministern scheint es geboten, ein besonderes Organ zu schaffen, dessen Arbeitsweise greifbare Ergebnisse zu gewährleisten verspricht. Sie sind dementsprechend übereingekommen, eine gemischte
deutsch - französische Kommiffion zu bilden, die aus Bertretern der beteiligten Zentralstellen unter Beteiligung von berufenen Vertretern der verschiedenen Zweige der Wirtschaft, wie auch der Arbeitnehmer, bestehen soll. Die Leitung der Kommission wird Mitgliedern beider Regierungen obliegen. Außerdem wird ein gemeinsames ständiges Generalsekretariat eingerichtet. Die Kommission wird ihre Sigungen je nach Bedarf in dem einen oder anderen Lande abhalten und ihre Arbeiten alsbald aufnehmen.
Die Kommiffion hat die Aufgabe, alle die beiden Bölker berührenden Wirtschaftsfragen zu prüfen, ohne dabei, die berührenden Wirtschaftsfragen zu prüfen, ohne dabei die Intereffen anderer Länder und die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit aus dem Auge zu verlieren. Sie wird vor allem
die Möglichkeiten prüfen,
die bereits bestehenden Wirtschaftsvereinbarungen zu
verstärken
und auszubauen und neue Vereinbarungen abzuschließen, und zwar gegebenenfalls in neuen Organisationsformen. Sie wird den gegenwärtigen Stand des Handelsverkehrs zwischen beiden Ländern untersuchen, um die seit dem Inkrafttreten des Handelsvertrages von 1927 gesammelten Erfahrungen nukbar zu machen. Sie wird weiter gemeinsam nach neuen Absahmöglich teiten suchen. Nach übereinstimmender Ansicht ist diese Aufzählung nicht erschöpfend.
Die Bertreter der beiden Länder legen Wert darauf, klar zum Ausdrud zu bringen, daß sich ihr Vorgehen nicht gegen die Wirtschaft irgendeines anderen Landes richtet. Sie erklären, daß sie es ablehnen, die Lösung der der Kommission zugewiesenen Fragen etwa in gemeinfamem Vorgehen auf dem Gebiete von Zollerhöhungen zu fuchen. Sie werden sich in Einklang mit den all
England vor den Neuwahlen.
Unüberbrückte Gegenfäße in der nationalen" Regierung.
London , 28. September. ( Eigenbericht.) Macdonald erklärte am Montag im Unterhaus, daß er noch teine Auskunft darüber geben könne, wann das Haus aufgelöst wird. Er hoffe, am Mittwoch die Entscheidung befanntgeben zu können.
Das Kabinett ist hinsichtlich der Auflösung des Unterhauses noch zu feinem Entschluß gekommen. Auch in ihm gehen die Meinungen über die Zweckmäßigkeit baldiger Wahlen start auseinander. Die Konservativen möchten Macdonald zur leitenden Figur einer „ nationalen Bolitik" im Sinne der Konservativen machen und Wahlen veranstalten, deren Schlachtruf sein soll: Alle Macht dem Premier. Die Liberalen sind gegen Wahlen. Käme es dennoch dazu, dann dürften die liberalen Minister mit Ausnahme von Sir John Simon zurücktreten. Dagegen würden die Liberalen für einen Nottarif zu haben sein.
Macdonalds Programm ist in erster Linie von dem Ausgang des Kampjes zwischen den konservativen und liberalen Elementen innerhalb der Regierung abhängig. Die von der Regierung ausgehenden Bemühungen, Henderson in die nationale Regierung einzubeziehen, sind, wie nun endgültig feststeht, erfolglos ge blieben. Dagegen finden zwischen Liberalen und einer stark freihändlerisch eingestellten Gruppe der Labour Party Annäherungs perfuche statt, die bis auf ein Wahlbündnis gegen die Konservativen abzielen.
halten und werden die Mitarbeit anderer Bölfer in jedem Falle nachsuchen, wo die Sachlage dies erfordert. So fönnte unter anderem die Durchführbarkeit internationaler Abmachungen über Schiffahrt und Luftverkehr geprüft werden.
Die Vertreter der deutschen und der französischen Regierung sind überzeugt, daß sie hiermit
den Grundstein zu einem Werk des Aufbaus legen. Dies Werk soll der erste Schritt zu einer Gemeinschaftsarbeit sein, die ein Gebot der Stunde ist und an der mitzuwirken alle berufen find.
Zu dem Ergebnis der Besprechungen wird in deutschen offi
ziellen Kreisen über das Kommuniqué hinaus weiter erklärt:
Die vertrauensvolle und offene Aussprache hat sich nicht auf die praktischen Fragen beschränkt, die schon vorher festgelegt waren, sondern
auf die großen politischen Probleme der beiden Länder und Europas sowie auf die Weltpolitik erstreckt.
Lösungen dieser Fragen haben wir zunächst zurückgestellt und die prattische Arbeit in den Vordergrund gerückt, nämlich auf die Einsehung des deutsch - französischen Komitees und seinen Aufgabenfreis. Das Komitee besteht aus hohen Bürokraten, die von den beiden Regierungen ernannt werden, außerdem werden je nach Bedarf und nach den zu behandelnden Aufgaben Persönlichkeiten der Wirtschaft, der Finanz und des sozialen Lebens( Gewerkschaften) hinzugewählt werden. An der Spize des Komitees wird jeweils ein Minister stehen, je nachdem ob in Berlin oder Paris getagt wird. Ein Generalsekretariat von zwei Beamten wird für die Organisation der Konferenz eingerichtet; von diesen zwei Beamten ist je einer ein Deutscher oder Franzose. Wir wollen die zum Teil schon sehr engen Wirtschaftsbeziehungen weiter ausbauen in Kartellen, im Handelsverkehr und in der Aufsuchung gemeinsamer Wege für weitere Möglichkeiten. Das ist nicht eine deutsch - französische Orientierung gegen dritte Staaten, sondern man wird sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit halten. Wo dritte Staaten unmittelbar interessiert sind, werden sie unterrichtet werden. Das Komitee wird mit seiner Arbeit nicht beschränkt, es soll elastisch sein und wird selbst seinen Weg unter der Leitung der dafür verantwortlichen Regierungen finden. Neben diesen wirtschaftlichen Aufgaben soll das Komitee ein Instrument für die Zusammenarbeit, anschließen kann als diese ersten Aufgaben. ein Kristallisationsfern sein, an dem sich hoffentlich auch anderes anschließen fann als diese ersten Aufgaben. Sobald die technischen Vorarbeiten beendet sind, wird das Komitee zusammentreten. Das wird hoffentlich mitte Oftober geschehen.
Reichspräsident von Hindenburg nahm am Montag, in seinem Arbeitszimmer den Besuch des französischen Minister präsidenten Laval und des französischen Außenministers Briand , die Don dem Botschafter Frankreichs in Berlin Francois- Poncet begleitet waren, entgegen.
Snowden gegen Inflation.
Im Unterhaus antwortete Snowden auf die Frage, ob die Regierung die 3medmäßigkeit einer Rückkehr zum Gold. standard erwogen habe, es wäre wohl verfrüht, eine Erklärung darüber jetzt schon abzugeben, da die künftige Entwicklung Englands später unter der Einwirkung der dann im Inland und im Ausland herrschenden Umstände beschlossen werden müsse. Der Schatz fanzler fügte hinzu:„ Ich halte es jedoch für richtig, zu wiederholen, daß die Regierung fest entschloffen ist, jede inflationistische Maßnahme zu vermeiden. Den zeitweiligen Schwankungen follte feine zu große Beachtung geschenkt werden."
Der zweite Teil der Frage, der dahin ging, ob zwischen der englischen und anderen Regierungen Verhandlungen zur Einberufung einer internationalen Konferenz für die Fixierung eines internationalen Währungsstandards geführt wurden, wurde von Snowden verneint.
Berliner Börse geschlossen. Bis auf weiteres.- Die übrigen deutschen Börsen folgen nach. Der Berliner Börsenvorstand hat am Montag beschlossen, die Berliner Börse bis auf weiteres für jeden Verkehr und für jeden Besuch geschlossen zu halten. Man darf annehmen, daß sich auch die übrigen deutschen Börsen diesem Schritt anschließen
werden.
Wieder allein.
Nach dem franzöfifchen Ministerbesuch.
Die Gäste aus Frankreich verlassen heute morgen wieder Berlin , um zu ihren häuslichen Sorgen zurückzukehren. Sie lassen uns bei den unseren, die durch die Ergebnisse ihres Besuches nicht viel geringer geworden sind. Es ist die Einsehung eines Komitees beschlossen worden, das die Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet prüfen und fördern soll. Dieses Komitee fann eine gute Sache werden, aber es schafft von heute auf morgen nicht Arbeit und Brot. Ob das Komitee eine gute Sache wird, hängt wiederum davon ab, in welchem Geist die Politic beider Länder gelenkt wird. Man kann sich vorstellen, daß das Komitee sehr lebendige und sehr fruchtbare Arbeit leisten wird; aber ebenso möglich ist, daß es vertrocknet und schrumpft. Viel wird von den leitenden Personen des den soll. Entscheidend aber wird sein, wer in Berlin und Generalsekretariats abhängen, das geschaffen wer= wer in Paris regiert.
Die katastrophale Wirtschaftslage hat mehr als eine Ursache. Eine von den vielen ist zweifellos die politische Unruhe Europas und sein handelspolitischer Kriegszustand. Die Herstellung einer deutschfranzösischen Zusammenarbeit ist daher eine Idee von unwiderlegbarer Vernunft. Aber ob diese Idee wirklich ausgeführt wird, und wie sie ausgeführt wird, davon hängt alles weitere ab.
Wenn sich die deutsche Sozialdemokratie zu dem Ergebnis. der Berliner Ministerbesprechungen grundsäglich zuft i mmend stellt, so dient sie damit den Interessen des deulschen Volkes besser, als jene es tun, die unbedingt einen sie wissen nur anderen Kurs der Außenpolitik wünschen nicht welchen. Besser als die Kommunisten, die jeden Versuch deutschfranzösischer Annäherung freischend als eine Ge-, fahr für Sowjetrußland denunzieren, besser als die Nationalsozialisten, deren Berliner Organ gestern abend die Franzosen ozialisten, deren Berliner Organ gestern abend die Franzosen als Schurfen" bezeichnete, mit denen es nichts anderes als Schurken" bezeichnete, mit denen es nichts anderes geben fann als Kampf. Es ist wirklich schade, daß das Experiment nicht gemacht werden kann, wie Deutschland nach drei Monaten kommunistischer oder nationalsozialistischer Herrschaft aussehen würde, und wieviel dann noch von den Stimmen übrigbliebe, die in Hamburg und anderwärts für Hakenkreuz und Sowjetstern abgegeben worden sind!
Leider kann man dieses Experiment nicht machen, es wäre zu teuer! Alte Weisheit und jüngste Erfahrung lehren, daß in der Außenpoliti: eine gewisse Kontinuität unentbehrlich ist, daß hier nichts gefährlicher ist als ein Zickzackkurs. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß ein Personenwechsel im Außenministerium- auch wenn er einen Personenwechsel im Kanzleramt nach sich ziehen sollte
mit einem außenpolitischen Kurswechsel nicht verbunden sein darf. Man stelle sich nur einmal vor, wie es wirken würde, wenn ein paar Tage nach den Berliner Trinksprüchen eine Regierung nach den Wünschen der Hakenkreuzler ins Amt wäre! Man stelle sich vor, daß eine solche Regierung sich als erste Aufgabe sezte, die gewiß nicht überwältigenden, aber doch zu Hoffnungen berechtigenden Ergebnisse der Konferenz zunichte zu machen. Nicht nur in Frankreich , in der ganzen Welt würde das deutsche Volk in den Ruf kommen, ein nicht verhandlungsfähiger Partner zu sein.
Die erzieltet Ergebnisse sind eigentlich nur der äußeren Form nach Ergebnisse der Berliner Ministerkonferenz. In Wirklichkeit sind sie Ergebnisse der zähen unermüdlichen Arbeit, die von den Sozialdemokratien beider Länder und den Gewerkschaften geleistet worden ist. Es ist darum nur folgerichtig, daß in dem zu schaffenden Komitee den Vertretern der Arbeiterschaft Sitz und Stimme gegeben wird. Es wird ebenso folgerichtig sein, wenn zwischen den Arbeiterorganisationen der beiden Län= der eine noch engere Verbindung hergestellt wird, als sie bisher besteht. Die Verständigung der Kapitalisten beider Länder bedingt eine enge Gemeinschaft der Arbeiter als Gegenstück und Gegengewicht. Nur durch diese Gemeinschaft wird es möglich sein, den Gefahren vorzubeugen, die eine allzu große Intimität der Kapitalisten untereinander für die Arbeiter stets in sich einschließt.
Auch die beste Idee kann in ihrer Ausführung zum Zerr
bild ihrer selber werden. Das offiziöse Kommuniqué versichert beruhigend, daß die deutsch - französische Zusammenarbeit feine Spitze gegen Dritte haben und auch nicht zu 3ollerhöhungen führen soll. Wäre der Einfluß der Arbeiter in beiden Ländern schon so groß wie wir ihn wünschen, so würde sich das Kommuniqué ebenso wie gegen Zollerhöhungen auch gegen Lohnfürzungen aus