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Morgenausgabe

Nr. 461

A 232

48.Jahrgang

Böchentlich 85 Bf. monatlich 3,60 m. ( davon 95 Pf. monatlich für Zuftel­lung ins Haus) im voraus zahlbar. Bostbezug 4,32 m. einschließlich 60 Pf. Boitzeitungs- und 72 Bf. Boftbestellge bühren. Auslandsabonnement 6,-M. pro Monat; für Länder mit ermäßig tem Drudfachenporto 5,- M

Der Vorwärts" erscheint wochentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel, mit dem Titel Der Abend" Joustrierte Gonntagsbeilage Bolt und Zeit".

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Freitag

2. Oftober 1931

Groß- Berlin 10. Auswärts 15 Pf.

Die einspalt. Nonpareillezeile 80 31. Reflamezeile 5,- RM. ,, Kleine An zeigen" das fettgedruckte Wort 25 Bi. ( zulässig zwei fettgedruckte Morte), jedes meitere Bort 12 Pf. Rabatt It. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Pf., jedes weitere Wort 10 Pf. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pf. Familien­anzeigen Zeile 40 Pf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3. wochen. täglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht dez Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Gewerkschaftliche Einheitsfront

Antwort an die Unternehmer.- Aussprechen was ift.- Der Weg aus der Krise.

Die Spitzenverbände der drei gewerkschaftlichen Richtun- arbeit zur Sicherung gesunder Kapitalverteilung und auf dauernde| Feststellung ist unwiderleglich. Sie vernichtet mit einem gen veröffentlichen folgende, in ihrer fachlichen Schärfe und in Lösung der Frage der internationalen Kriegsverschuldung und der Schlage das gesamte Programm der Unternehmer- Verbände. ihrem pofitiven Programm bemerkenswerte Kundgebung: Reparationen.

Die Spitzenverbände der Unternehmer haben in gemeinsamer Erklärung die Reichsregierung aufgefordert, die Wirtschaft von allen staatlichen und sozialen Bindungen zu befreien. Auf diese Weise soll der wirtschaftlich Sch ma che uneingeschränkt der Willkür des wirtschaftlich Starten ausgeliefert werden. Das würde den hemmungslosen Kampf aller gegen alle und die Auf­lösung jeder gesellschaftlichen Ordnung bedeuten. Diese Forderungen Stellen

dieselben Unternehmerverbände, die in Bergangenheit und Gegenwart in stärkster Weise öffentliche Hilfe verlangt und in Anspruch genommen haben.

Wenn jemals, dann haben insbesondere die Vorgänge der letzten Manate das Berjagen weiter Wirtschaftskreise und die Notwendig feit eines planvollen Eingreifens des Staates in die Wirtschaft bewiesen.

Der Versuch, die ungeheure Wirtschaftsnot der Gegenwart aus staatlichen Eingriffen und aus der deutschen Sozial- und Lohn politik zu erklären, ist völlig haltlos. In Wirklichkeit liegen die

Ursachen der deutschen Wirtschaftsnot in

den allgemeinen Auswirkungen des gegenwärtigen Wirtschafts­fystems

in der Welt, den internationalen politischen Störungen und dem

Mißtrauen unter den Bölkern. Berschärft wurde sie durch überspannten Protettionismus, Subventionspolitif, Ueberrationali fierung, Kapitalfehlleitung und systematische Senkung der Kaufkraft. Seit Jahren wird als Ausweg aus der Krise die Senkung der Löhne und Gehälter sowie der Abbau der Sozialpolitik propagiert und betrieben.

Das Ergebnis ist eine ungeheure Verschärfung der all­gemeinen Not.

Jeder Schritt weiter auf diesem Wege führt tiefer in das Elend hinein.

Die trasse Interessenten politit der Unternehmer­verbände kann nicht zu gemeinsamer Entfaltung der Kräfte und zur lleberwindung der Wirtschaftskrise führen. Niemals wird die deutsche Arbeitnehmerschaft ihre wichtigsten sozialen Rechte fampflos preisgeben.

Deshalb verlangen die Gewerkschaften sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch des Volksganzen die Abkehr von dem seither beschrittenen Wege und erheben erneut folgende vordringlich Forderungen:

1. Sicherstellung einer ausreichenden Bersorgung aller Arbeits lofen. 2. Berkürzung der Arbeitszeit- insbesondere durch Einführung der 40- Stunden- Woche zum Zwecke der Mehrbeschäftigung von

Arbeitskräften.

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3. Erhaltung und Steigerung der Kaufkraft der Löhne und Ge­hälter, Sicherung des Tarifrechts und des staatlichen Schlichtungs­wejens.

4. Senfung der Zölle mit dem Ziel der stärkeren Anpassung der deutschen Preise und Lebenshaltungskosten an das gejunkene Preisniveau des Weltmarktes; Drud auf überhöhte Handels- und Verarbeitungsspannen.

5. Aufloderung der monopolistischen Preisbindungen in allen Stufen der Wirtschaft bei gleichzeitigem Ausbau der öffentlichen Kontrolle.

6. Deffentliche Bankenaufsicht mit dem Ziel der Verhütung von Fehlleitungen des Kapitals und Sicherung volfswirtschaftlicher Kapitalverwendung.

7. Rücksichtslose Kürzung der überhöhten Spitzengehälter und Penfionen in Wirtschaft und Verwaltung.

Die Durchführung dieser wirtschaftspolitischen Richtlinien muß verbunden sein mit der Abwehr aller die Währung bedrohenden Experimente, ferner mit zielbewußter Förderung der internatio­nolen Verständigung, die gerichtet sein muß auf Konsolidierung der schmebenden Schulden Deutschlands , auf internationale 3ufammen

Berlin , den 1. Oftober 1931.

Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund : P. Graßmann.

Allgemeiner freier Angestelltenbund: Aufhäuser.

Deutscher Gewerkschaftsbund: Otte, Hegewald, Eudenbach . Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter- und Angestelltenverbände: Neustedt , Lemmer , Rössiger.

*

Die Antwort der freien, der christlichen und der Hirsch Dunderschen Gewerkschaften auf die Kundgebung der Unter­nehmer- Berbände, die wir vorstehend veröffentlichen, verdient in jeder Beziehung die größte Beachtung der Deffentlichkeit und der Regierung.

Die drei gewerkschaftlichen Spitzenverbände haben sich zu ſammengefunden zu einer Einheitsfront. Diese Ein­heitsfront ist nicht bloß kritischer oder negativer Natur. Sie be­schränkt sich nicht darauf, einen Angriff der Unternehmer: Berbände abzuwehren. Die Spizenorganisationen der drei gewerkschaftlichen Richtungen haben ein positives Pro= gramm, das aus der Notzeit der wirtschaftlichen und der politischen Krise herausführen soll und fann.

Der gemeinsame Aufruf zeigt zunächst, daß die Sentung der Löhne und Gehälter sowie der Abbau der Sozialpolitit, die feit eineinhalb Jahren als Ausweg aus der Krise propa­giert und betrieben werden, in Wirklichkeit zu einer ,, unge­heuren Verschärfung der allgeminen Not" geführt haben. Diese

Sie führt gleichzeitig in logischer Konsequenz zur Auf­stellung eines positiven Programms, das die Abkehr von den Forderungen der Unternehmerverbände und der in den letzten eineinhalb Jahren betriebenen Lohn-, Preis- und Sozialpolitik in sich schließt. Wenn dieses Programm an die Spitze die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung aller Arbeitslosen stellt, so gibt es auch die Mittel an, die aus der Krise herausführen und die Arbeitslosigkeit ein­dämmen: Einführung der 40- Stunden- Woche, Erhaltung und Steigerung der Kauffraft der Löhne und Gehälter, Senfung der Zölle, Druck auf überhöhte Handels- und Verarbeitungs­spannen, Auflockerung der monopolistischen Preisbindungen, öffentliche Bankenaufsicht, rücksichtslose Kürzung der über höhten Spitzengehälter und Pensionen in der Privatwirt­schaft und in der öffentlichen Verwaltung.

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Hier wird mit Klarheit und Deutlichkeit aufgezeigt, wo der Hebel anzusetzen ist. Dieses Programm das können wir mit Genugtuung feststellen stimmt weitgehend überein mit den Forderungen der Sozialdemokratischen Partei. Gegenüber dem demagogischen Geschrei der von den Groß­fapitalisten finanziell unterstützten Nationalsozialisten und ihren kommunistischen Gegenspielern, zeigen hier die verant­Dunderschen und freien Gewerkschaften in einem praktisch wortlichen Spizenorganisationen der christlichen Hirsch­fofort durchführbaren Programm den Weg aus der Krise.

Die Besorgnis, nur praktisch durchführbare Forderungen aufzustellen, hindert sie nicht, auszusprechen, was ist. Es sind die allgemeinen Auswirkungen des gegenwärtigen Wirt­schaftssystems" mit ihren zahlreichen Auswüchsen, die von den drei Spizenorganisationen angeprangert werden. Ihrer Bekämpfung und ihrer Ueberwindung gilt die Einheitsfront der Gewerkschaften.

Deutsch - französische Zollunion. Vor der neuen Notverordnung.

Ein Vorschlag Paul Löbes.

Bukarest , 1. Oftober.

( Eigenbericht.)

Auf dem Kongreß der Interparlamentarischen Union , den Ministerpräsident Jorda begrüßte, sprach Reichstagspräsident Löbe zur Weltwirtschaftskrise: Diese ist nicht von Naturgewalten herbei­geführt worden, wie der Warenüberfluß zeigt, sondern fünstlich von Menschen. Die Künstlichkeit der Krise erweckt indessen die Hoffnung, daß auch Menschen sie wieder beseitigen fönnen. Rascheste Aktivität der verantwortlichen Staatsmäner ist erforderlich; denn die Krije ist, wie die englischen Ereignisse zeigen, ein gleich schweres Problem aller Länder, zwar verschieden im Tempo, aber gleich im Verhängnis. Als sich Löbe für eine deutsch franzö fische Bollunion aussprach und seine Freude über den Berliner Besuch der französischen Staatsmänner ausdrückte, erhob sich ein Beifallssturm.

Von der sozialdemokratischen Reichstagsfrattion nehmen Löbe, Sollmann, Moses , Ebert, Luise Schröder und Adele Schreiber an dem Kongreß teil; unter den acht Vertreter bürgerlicher Reichstags­parteien find Bell, Joos, Pfarer Uligta und Jänice.

Das rote Wien spart.

Zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Von S. Aufhäuser.

Die große Rundgebung der sogenannten Wirtschaftsver­bände vom 29. September kennzeichnet die politische und öko­nomische Situation. Die Unternehmer lehnen es ab, die Ver­antwortung für das Versagen des Kapitalismus zu tragen, da man ihn ,, eines großen Teils seiner Wesensart entkleidet" habe. Sie sprechen von Verblendung der Po­litiker", und lassen schließlich ihre Weisheit in dem Sazz münden:

,, Wohl ist schärfste Kritik am Plaze gegenüber einem politisch diktierten Wirtschaftssystem, welches zwischen Kapitalismus und Sozialismus hin und her schwankt und zur Folge hat, daß dem Kapitalismus die Fehler des Sozialismus zur Last gelegt

werden."

Es flingt wie ein Wit, von Fehlern des Sozialismus zu sprechen, da wir inmitten eines Hochkapitalismus leben und leiden. Die glorreichen Wirtschaftsführer geben aber im ein­zelnen Aufschluß, was sie unter Sozialismus von heute ver­stehen. Sie meinen: Tarif- und Schlichtungswesen, Zwangs­wirtschaft im Wohnungswesen, staatliche Sozialversicherung. Das alles ist gewiß noch fein Sozialismus, wohl aber sind es innerhalb der kapitalistischen Profitwirtschaft Fremdkörper, die bei der bevorstehenden Notverordnung be­seitigt werden sollen. Die Industrie duldet nicht länger ,, Kom­promisse", und sie fordert von der Reichsregierung, daß sie sofort und umfassend" die notwendigen Maßregeln trifft.

Die Exponenten des noch herrschenden, aber völlig ver­

20 Prozent Gehaltsverzicht seiner Führer. Der Wiener Bürgermeister Genosse Karl Seiz. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, und die amtsführenden Stadträte haben ab 1 Oktober auf 20 Proz. ihres Einkommens Derzichtet, unbeschadet eventueller weiterer Kürzungen durch Bundesgefeß. Mit den meisten Gruppen der Stadträte und Anlagenden Systems empfinden bereits selber, daß die Gesell­gestellten wurde ein Uebereinkommen erzielt, wonach die Urlaubs- und Weihnachtszuschüsse um je 25 Broz. gekürzt, ferner com 1. Ottober ab die Pensionsbeiträge um 3 Proz. er= höht werden und auch bei den Ruhegehalts- und Versorgungs­gebührenempfängern, mit Ausnahme Familien ernährern und Doppelmaisen mit einer Pension unter 170 Schilling, vom 1. November an ein Abzug von 3. Broz. cintritt.

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schaft den Weg von einem absinkenden Kapitalismus zum mit stärkstem Druck auf die Reichsregierung und mit größter Sozialismus finden muß. Gerade deshalb aber wird Gilbedürftigkeit eine radikale Säuberung der kapitalistischen Wirtschaft in Deutschland von jedem Rest an sozialistijden Fremdkörpern entschieden gefordert.

Es wird sich nun zeigen müssen, ob Reichskanzler