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Nr. 465 48. Jahrgang

5. Beilage des Vorwärts

A.Lehnert: Die russische Fliege

Durch heftiges Kribbeln an seiner Nasenspike wurde der Re­porter Konstantin Iwanowitsch um die Mittagszeit aus unruhigem Schlummer aufgestört. Er machte eine fahrige Handbewegung und blinzelte. Brr- 111- eine bide blauschwarze Fliege flog auf, umfreiste ihn wütend und nahm dann beobachtend an der Zimmer­decke Blah.

" Wo das Biest bloß herkommt, es gibt doch um diese Jahres­zeit gar feine mehr," fnurrte Konstantin. Er wickelte sich fester in die schäbige Pferdedecke und drehte sich auf die andere Seite. Bald verkündeten heisere Schnarchlaute, daß er die Unterbrechung über­wunden hatte. Doch nicht lange sollte seine Ruhe währen. Die Fliege hatte ihren Beobachtungsposten verlassen und machte fich daran, seine Ohrmuschel zu untersuchen.

,, Berdammt noch' mal," Iwanowitsch fuhr mit einem Ruck empor, der das alte Feldbett um Hilfe freischen ließ. Mit mord­gierigen Augen perfolgte er den Quälgeist, der höhnisch in der taubenschlaggroßen Dachtammer herumfurrte. Nach einigen provo­zierenden Kurven flog das Insekt zum Spind in der Ede. Dort ließ es fich häuslich auf einer alten verstaubten Schaumweinflasche nieder, mitten auf dem Etikett. Seit Jahr und Tag stand diese Flasche dort. Woher sie rührte, wußte niemand. Sie diente als Behältnis für alle möglichen Flüssigkeiten, nur nicht für die, wofür sie anfänglich bestimmt gewesen war. Denn auf dem arg befleckten Etikett war immer noch zu lesen ,, Veuve Cliquot". Konstantin ver­fiel häufig in schwelgende Träumereien, wenn er sie ansah. Ueber das Cliquot" frabbelte gerade die Fliege. Da geschah es, daß ein genialer Einfall wie ein Blitz sein schlaftrunkenes Gehirn erhellte. Mit einem Satz war er aus dem Bett, ergriff das Handtuch und pirschte sich vorsichtig an den Schrank heran. Schwapp! Das Wild war erlegt. Den Leichnam legte er behutsam in eine leere Zündholzschachtel.

Den Nachmittag verbrachte Jwanowitsch damit, daß er sorg­fältig Toilette machte. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten ab; denn die Rasiertlinge war alt und auch schon zur Hühneraugen operation benutzt worden. Seife war schon seit langer Zeit un­erschwinglich für ihn. Weniger Sorge machte ihm seine Kleidung. Bor ein paar Tagen hatte ihm ein amerikanischer Journalist für gegebene Informationen einen abgetragenen Anzug geschenkt, der für sowjetrussische Verhältnisse durchaus als elegant bezeichnet werden fonnte. Jedenfalls machte Konstantin Iwanowitsch einen distinguier. ten Eindruck, als er gegen Abend das Haus verließ.

Seine Bekannten wären vor Staunen starr gewesen, hätten fie das Ziel seines Spazierganges gesehen. Dieses war nämlich ein fleines verschwiegenes Weinrestaurant, dessen Preise dem Durch schnittsbürger ein Grufeln über den Rücken jagten. Mit der Miene eines wohlbestallten Volkskommissars betrat Konstantin das Lokal. Gedämpftes Licht, schluchzende Zigeunerweisen empfingen ihn. An einem kleinen Tischchen ließ er sich nieder und streckte sich behag­lich in dem weichen Sessel aus. Er blickte sich um. Von den übri­gen Gästen war nur wenig zu sehen, denn das Lotal bestand zur Hauptsache aus fleinen, lauschigen Nischen, aus denen dann und wann ein filbernes Frauenfachen aufflatterte.

Der Kellner nahte. Sett, echten französischen," bestellte Konstantin nachlässig. Der Kellner wurde noch um einige Grade depoter, ließ jedoch schnell einen tagierenden Blid über den Gast schweifen. Der amerikanische Anzug beruhigte ihn.

Sehr wohl, mein Herr," dienerte er, wir haben einen fabel. haften Cliquot auf Lager."

Der silberne Kübel, aus dem der verheißungsvolle Flaschenhals lugte, erschien, und Konstantin verbrachte zwei Stunden ungetrübten Glücks. Doch als der edle Saft zur Neige ging, wurde er unruhig. Vorsichtig schaute er ringsum. Niemand beobachtete ihn. Da 30g er aus seiner Tasche eine Zündholzschachtel, entnahm ihr die Leiche einer dicken, blauschwarzen Fliege und warf diese schnell in das warf diese schnell in das lette halbgefüllte Glas.

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Der Kellner wurde durch Konstantins lautes Rufen aus seinem Nickerchen aufgeschreckt. Eilig kam er herzu. ,, Bitte, was..

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Berfluchte Schweinerei hier Betrug unerhört!" Verständnislos starrte der Kellner den schimpfenden Gast an. ,, Da, sehen Sie, hier!" feuchte Konstantin und wies auf sein Glas. Eine Fl- Fliege," stotterte der Kellner. " Jawohl, eine Fliege! Rufen Sie sofort den Geschäftsführer." Bald schnaufte, versöhnendes Lächeln auf den glänzenden Wan­gen, der Verlangte heran.

" Eine Fliege, nu ja, das kann mal vorkommen, die ist halt reingeflogen," sagte er mit öliger Stimme.

" Ha, ha! Reingeflogen!" lachte Konstantin, Bitte zeigen Sie mir um diese Jahreszeit eine lebendige Fliege! Außerdem, wenn fie soeben reingeflogen wäre, müßte sie ja noch zappeln, aber sie ist tot, mausetot! tot, maujetot! Bissen Sie, was das heißt? Das heißt, daß diese Fliege schon in der Flasche war!"

Der dickliche Herr Geschäftsführer bekam einen roten Kopf. ,, Verzeihen Sie, mein Herr," stammelte er, dann müßte die Fliege wohl zufällig in Frankreich hineingekommen sein."

Konstantin erstickte fast an seinem höhnischen Gelächter. Frant­reich ist gut, ist wirklich sehr gut! Berehrtester! Ich bin Insekto­loge, eine Rapazität auf diesem Gebiete, ich verstehe was von Fliz gen! Dieses hier ist eine ganz gewöhnliche russische Fliege. Sie hat im Gegensatz zur französischen eine viel stärkere Behaarung. Eine russische Fliege, das bedeutet, daß dieses Gelöff hier ein ganz gewöhnliches Gepantsche aus der Krim ist! Das ist glatter Betrug! Darauf muß man die Presse aufmerksam machen!-Außerdem herrscht in der Krim die Cholera, und Sie wissen doch sicher, daß Fliegen die schlimmsten Batterienträger sind und.

Bitte, bitte," unterbrach ihn der leichenblasse Geschäftsführer." bitte, beruhigen Sie sich doch. Die Gäste werden aufmerksam. Kommen Sie doch mit in mein Kontor!"

Die Angelegenheit wurde zu beiderseitiger Zufriedenheit ge­regelt. Als Konstantin Iwanowitsch nach Hause ging, hatte er einz leere 3ündholzschachtel und mehrere Geldscheine in der Tasche. Jetzt ist er auf der Suche nach einer neuen echt russischen Fliege und einem neuen Weinlokal.

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Trude E. Schulz: Achtzig Jahre Berlin

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Berlin ist gar feine Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort| dazu her, wo sich eine Menge Menschen, und zwar darunter viele Menschen von Geist versammeln, denen der Ort ganz gleichgültig ist; diese bilden das geistige Berlin . Der durchreisende Fremde sieht nur die langgestreckten, uniformen Häuser, die langen, breiten Straßen, die nach der Schnur und meistens nach dem Eigenwillen eines einzelnen gebaut sind und feine Kunde geben von der Dentweise der Menge. Nur Sonntagskinder vermögen etwas von der Privat­gefinnung der Einwohner zu erraten, wenn sie die langen Häuser­reihen betrachten, die sich, wie die Menschen selbst, voneinander fern zuhalten streben, erstarrend in gegenseitigem Groll. Nur einmal, in einer Mononacht, als ich etwas spät... heimtehrte, sah ich, wie jene harte Stimmung sich in milde Wehmut aufgelöst hatte, wie die Häuser, die einander so feindlich gegenüberstanden, sich gerührt bau­fällig christlich anblickten und sich versöhnt in die Arme stürzen wollten, so daß ich armer Mensch, der in der Mitte der Straße ging, zerquetscht zu werden fürchtete. Manche werden diese Furcht fächer­lich finden, und auch ich lächelte darüber, als ich nüchternen Blicks den anderen Morgen durch eben jene Straße wanderte und sich die Häuser wieder so prosaisch entgegengähnten. Es sind wahrlich mehrere Flaschen Boesie dazu nötig, wenn man in Berlin etwas anderes sehen will als tote Häuser und Berliner . Hier ist es schwer, Geister zu sehen. Die Stadt enthält so wenig Altertümlichkeit und ist so neu; und doch iſt jenes neue schon so alt, so welt und abge­storben. Denn sie ist größtenteils, wie gesagt, nicht aus der Ge­sinnung der Masse, sondern einzelner entstanden... So manch dummes, abergläubisches Gebäude würde sich nicht unter die alten Häuser angesiedelt haben. Ich will nicht mißverstanden sein und bemerke ausdrücklich, ich stichle hier feineswegs auf die Werdersche Kirche , jenem gotischen Dom in verjüngtem Maßstabe, der nur aus Ironie zwischen die modernen Gebäude gestellt ist, um allegorisch zu zeigen, wie läppisch und albern es erscheinen würde, wenn man alte, längst untergegangene Institutionen des Mittelalters wieder neu aufrichten wollte unter den neuen Bildungen einer neuen Zeit."

Diese Reportage, die auf das ehrwürdige Alter von 105 Jahren zurückblicken fann, stammt aus der Feder eines sehr befähigten Jour. nalisten; Heinrich Heine schrieb fie. Er hat mehr gesehen als mur das Berlin seiner Gegenwart. Der Geist der preußischen Haupt­stadt, der in seiner Grundstimmung bis zur Nachfriegsrevolution durch Generationen und Epochen immer der gleiche blieb, ist hier aufgezeichnet mit jener flugen Bosheit, die ihre Wurzel in unbe­friedigter Liebe hat. Die Berliner Geistigkeit übte eine starke An­ziehungstraft auf den jungen Heine aus, der doch in dieser nüchternen Stadt sich immer als Fremder fühlte.

Denn es war schwer, in dieser Stadt Heimatrecht zu erobern, Die äußerlich so wenig Anziehendes hatte und die sich so gut hinter Dieser Oberfläche zu verbergen wußte. Man mußte schon mit der Hellsichtigkeit eines E. T. A. Hoffmann begabt sein, um ihr eigent­liches Wesen zu erfassen. Das oben angedeutete", sagt eine in feinen Reisebildern, gilt bloß von Berlins äußerer Erscheinung." Wie es dahinter aussieht, läßt Hoffmann immer wieder in seinen Berliner Novellen und Erzählungen vor dem Leser aufleuchten. Die Buntheit der Einzelerscheinungen wird bei ihm charakteristisch für

die Berliner Masse; Menschen, Straßen, Architektur, Geist, volfs­tümlicher Wiz und praktisches Handeln fließen in den einen Begriff Berlin zusammen, jenes Berlin , das dem Kammergerichtsrat Hoff: mann so viele bittere Stunden bescherte und von dem doch der Künstler Hoffmann schreibt: ,, Ich möchte sagen,( daß) in dem Augen­blick, als ich den Fuß in Berlin hineingesetzt, die Versöhnung erfolgt ( ist) mit all den feindlichen Mächten, die mich zu Tode hetzen wollten!"

Die Stadt ist im ganzen schön gebaut mit schnurgeraden Straßen und großen Blähen; hin und wieder trifft man Alleen von halbverdorrten Bäumen, die, wenn der unheimlich sausende Wind dichte Staubwoften vor sich hertreibt, ihr fahlgraues Laub traurig schütteln. Der Bazar, bei flappernden, tosenden Mühlen gelegen, flein und versteckt, ist mit dem in Konstantinopel gar nicht zu ver­gleichen." In dieser Schilderung, die eine Griechin in Hoffmanns Erzählung Die Irrungen" von Berlin gibt( der Bazar ift die Trödel­straße Der Mühlendamm), zeigt der Dichter, daß er sich durchaus flar darüber war, welchen toten Eindruck die Stadt fremden Be­schauern gewähren mußte; er aber liebte sie, daher begriff er ihr Leben.

Nicht als Dichter, sondern aus der Perspektive des fachlichen Betrachters sah Paul de Lagarde die Stadt im Anfang der vier­ziger Jahre, die er so beschreibt: Die Stadt zerfiel in sehr ver fchiedenartige Teile. Neu- Kölln am Waffer bot den eigentümlichsten Anblick. Der Fluß, an einem Ufer von einer breiten Gracht be­gleitet, war nicht belebt, obwohl die bekannten langen Kähne auf ihm lagen; aber eben diese ungegliederten Holzgestelle, aus deren Kajüten Torfrauch aufstieg, über denen Windeln und Hemden ge­trocknet wurden, machten den Eindruck einer ganz eigenartigen Wohnlichkeit sogar der Spree : mancher stramme Mann hat auf diesen Kähnen in Berlin selbst, oder, während sie ihre Fracht, Torf oder Obst, auf der Havel zusammenholten, das Licht des Lebens erblickt. Darüber mehr Kirchtürme sichtbar, mehr Turmuhren und Glocken und Glockenspiele hörbar, als man sonst in Berlin sah oder vernahm. Dann die Königstadt, sehr belebt nach damaligen Begriffen, der Sitz des Kolonialwarenhandels, der Tuchläden, der Post, des Stadtgerichtes, der Polizei; davor Straßen, nach den Toren sich dehnend, die ganz ländlichen Eindruck machten: Vier­füßler, Hühner, Enten, Gänse auf den geräumigen Höfen. Die Friedrichstadt unendlich still: eine Buttkamer, Bessel-, Anhalt­straße gab es noch nicht;... Garten an Garten voll Baumblüte und Vogelsang im Frühling, voll Trauben, Aepfeln und Birnen im Herbst, und nachmittags voller Kinder, welche das Wiesel mitten in der Stadt jagen konnten und nie ein Bedürfnis fühlten, frische Luft außerhalb der Stadtmauern zu suchen. Die ganze obere Friedrichstraße von sogenannten Viehmeistern bewohnt, durch welche die Südstadt mit Milch versorgt wurde. Von der Alten Jakobstraße bis zum Schlesischen Tore das Köpenicker Feld, über das wir, aus der Pfuelschen Schwimmanstalt heimkehrend, so manchmal hinweg­geschwitzt sind unter glühender Sonne denn diese gute Alte meinte es damals noch besser mit den Menschen, und hatte auch Ursache an Kartoffeln, roten Rüben und Roggen, und Roggen, roten Rüben und Kartoffeln vorbei. Ob nicht manchem, der 1840 jung war, noch beifällt, wie gelegentlich, um diese Hasenhegergaffe

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-jezige Feilnerstraße

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Sonntag, 4. Oftober 1931

zu sparen, bie junge Gesellschaft über die Mauer des Oberbergamtsgartens fletterte, ohne daß jemand banach fragte? Jegt heißt jener Garten Oranienstraße. Vor dem Halleschen Tore ein sandiger Feldweg am Upstall mit seinem Teiche und seinen weidenden Pferden vorüber nach dem Kreuzberge, an dessen Fuße gartenlose Beamte im Sommer wohnten. Die jetzige König­gräger Straße an dem 1844 zugeschüttetetn Schafgraben so einsam, daß das Quafen der Frösche in lauen Abenden weithin gehört ward. In der oberen Wilhelmstraße der Brüdersaal und die fleingefenster. ten Häuser der eingewanderten Böhmen ."

,, Der Verkehr ein behaglicher: das Bedürfnis nach Nachrichten so gering, daß für jeden Brief auf den Stadtposten eine gestempelte Marte verabfolgt wurde, und für die Briefe abgebenden Kinder guter Kunden der die Post versorgende Kaufmann Dütchen groben, grauen Löschpapiers mit je fünf sehr klebrigen Rosinen darin bereit­halten fonnte, ohne Schaden für seine Kaffe zu fürchten. Für die höheren Stände die wenigen Weinstuben, holzgetäfelt, mit den schlichten, schweren Tischen ohne Tafeltuch."

In dieser Schilderung von Berlin wittert etwas von der Atmo­sphäre jener Stadt, die in der Chronik der Sperlingsgaffe", im Hungerpastor", in der ,, Villa Schönow" und im Alten Eisen" des Dichters Wilhelm Raabe in kunstvoller Schlichtheit heraufbeschworen und gedeutet wird, etwas auch von dem geruhigen Berlin , in das Adolf Glaßbrenner seinen Edensteher Nante stellte. Und auch ein Stückchen des Fontaneschen Berlin ist darin. Aber Fontane sah mehr von der Stadt als nur eine freundlich beschauliche Oberfläche, die sich als ein amüsantes Mosait aus Kleinstadtcharakter und Resi­denzbewußtsein zusammenfügte. Fontane hat Berlin mit einer wissenden Liebe geliebt, die der E. T. A. Hoffmanns verwandt ist. Weil er die Stadt liebte, begriff er sie, und weil er sie begriff, sah er ihre vielen Mängel und Schattenseiten, und blieb seiner Liebe doch treu. Um etwas vom Berliner Leben nach den siebziger Jahren zu erfahren, lese man nur einige Seiten im Stechlin nach. Da unterhält sich das Dienstmädchen Hedwig mit ihrer Freundin, Frau

Imme:

Ja. Frau Imme, was soll ich sagen, was es war; es is ja immer wieder dasselbe. Die Herrschaften fönnen einen nich richtig unterbringen. Oder wollen auch nicht. Immer wieder die Schlaf­ftelle oder, wie manche fagen, die Schlafgelegenheit."

,, Aber Kind, wie denn? Du mußt doch' ne Gelegenheit zum Schlafen haben."

,, Gewiß, Frau Imme. Und' ne Gelegenheit, so denkt mancher, müde zum Umfallen und kann doch nicht schlafen. is' ne Gelegenheit. Aber gerade die, die hat man nich. Man ist darüber, Frau Imme. Das is aber nich recht, daß Sie lachen. Sie lachen Glauben Sie mir, es is eigentlich zum Beinen. Und mitunter hab' ich auch schon geweint. Als ich nach Berlin kam, da gab es ja noch die Hängeböden."

Renn ich, fenn ich; das heißt, ich habe davon gehört."

Ja, wenn man davon gehört hat, das is nich viel. Man muß fie richtig kennenlernen. Immer sind sie in der Küche, mitunter dicht am Herd oder auch gerade gegenüber. Und nun steigt man auf eine Leiter, und wenn man müde ist, fann man auch runter. fallen. Aber meistens geht es so. Und nun macht man die Tür ojen. Das is, was sie' ne Schlafgelegenheit nennen. Und ich fann auf und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so wie in einen Bad­Shnen bloß sagen: Auf einem Heuboden is es beffer, auch wenn Mäuse da sind. Und am schlimmsten is es im Sommer. Draußen find dreißig Grad, und auf dem Herd war den ganzen Tag Feuer: da is es denn, als ob man auf den Rost gelegt würde. So war es, als ich nach Berlin tam. Aber ich glaube, Sie dürfen jetzt so­was nicht mehr bauen. Polizeiverbot. Ach, Frau Imme, Polizei is doch ein rechter Segen.... Mein Onkel Hartwig, wenn ich ihm so erzähle, daß man nich schlafen fann, der sagt auch immer: Renn ich, fenn ich; der Bourgeois tut nichts für die Menschheit. Und wer nichts für die Menschheit tut, der muß abgeschafft werden." Und war es denn bei deinem Hofrat, wo du zuletzt warst, auch so?"

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,, Nein, bei Hofrats war es nicht so. Die wohnten ja in einem ganz neuen Hause. Hofrats waren Trockenwohner. Und in dem, was jetzt die neuen Häuser sind, da kommen, glaub' ich die Hänge­böden gar nicht mehr vor; da haben sie bloß noch die Badestuben."

daß du dich ordentlich schudderſt? Der Mensch muß doch am Ende baden können."

,, Und die Badestube..., warum is sie dir denn so furchtbar,

., Ach was, baden! Aber' ne Badestube is nie' ne Badestube. Wenigstens hier nich. Eine Badestube is' ne Rumpelfammer, mo man alles unterbringt, alles, wofür man sonst feinen Plag hat. Und dazu gehört auch ein Dienstmädchen. Meine eiserne Bettstelle, die abends aufgeklappt wurde, stand immer neben der Badewanne, drin alle alten Bier- und Weinflaschen lagen. Und nun drippten die Meigen aus. Und in der Ecke stand ein Bettsack, drin die Fräuleins ihre Wäsche hineinstopften, und in der anderen Ede war eine kleine Tür. Aber davon will ich zu Ihnen nicht sprechen, weil ich einen Widerwillen gegen Unanständigkeiten habe, weshalb schon meine Mutter immer sagte: Hedwig, du wirst noch Jesum Christum er­fennen lernen." Und ich muß sagen, das hat sich bei Hofrats denn auch erfüllt. Aber fromm waren sie weiter nicht."

Das is das Berlin der Gründerzeit. Heines Wort trifft auch hier zu, daß das Neue in Berlins äußere Erscheinung schon so alt, fo welt und abgestorben" ist, obwohl die Stadt als geistige Macht fich behauptet und fortentwickelt hat. Mietkafernen brängen fich nun in neuen Stadtteilen, und ihre Fassadenreihen sehen grau und unjung aus wie die Gesichter der Kinder, die dahinter geboren merden und wenig vom Licht der Welt erblicken. So zeichnete Arno Holz jene Häuser:

Ihr Dach stieg fast bis an die Sterne, Bom Hof her stampfte die Fabrik,

Es war die richtige Miettaserne

Mit Flur und Leiermannsmusik!

Im Keller nistete die Ratte,

Barterre gab's Branntwein, Grog und Bier,

Und bis ins fünfte Stockwert hatte

Das Vorstadtelend sein Quartier."

Aber um die gleiche Zeit etwa, als dieses Bild entstand, schrieb auch Julius Hart seine Prophezeihung:

,, Aus deinen düstern Mauern, Weltstadt, redt ein Geist sich mächtig auf und streckt die Hand gewaltig aus, und deiner Flut Gesang stürmt mir ins Ohr ein besser Lied."

Abnahme der Landbevölkerung in den Vereinigten Staaten . Im Jahre 1820 waren 88 Broz. der Bevölkerung der Bereinigten Staaten in der Landwirtschaft beschäftigt. 1850 maren es nur mehr 80 Broz., 1870 47,6 Pro3., 1900 35,7 Pro3. und 1920 faum noch) 25 Proz. Die Ursachen dieser Abnahme sind einerseits die Zunahme der Industrie und andererseits die steigende Verwendung von Maschinen in der Landwirtschaft. Der Gebrauch der Maschinen wurde dadurch erleich­tert, daß die einzelnen Länderstriche sich spezialisierten, d. h. sich ganz auf den Anbau pon Getreide, Mais, Baumwolle usw. beschränkten.