Einzelbild herunterladen
 

.

Margaret Die größte Hängebrücke

Mit einem einzigen ungeheuren Bogen von 1070 Meter Länge überspannt die neue Riesenbrücke den Hudson . Ein Fuß des Stahlriesen steht in der 178. Straße in New York , der andere in Fort Lee im Staate New Jersey . Seit dem Jahre 1810 tennt man den Bau von Hängebrücken; aber nie zuvor ist eine Hänge­brücke von ähnlichen Ausmaßen erstanden.

Alle Zeitungen beschäftigen sich mit der Person des Brückenbau­ingenieurs. Aber was wäre der Ingenieur ohne die Männer in Gummistiefeln, ohne die Brückenarbeiter, die langbeinig über so dünne Balken dahinschreiten, daß es von der Straße aus den An­schein hat, als wandelten sie auf unsichtbaren Fäden. Jede Linie auf den Konstruktionszeichnungen des Ingenieurs bedeutet harte und gefährliche Arbeit für hunderte Arbeiter. Wer sind diese Ar­beiter? Wie haben sie ihre erstaunliche Geschicklichkeit, ihre ver­blüffende Schwindelfreiheit erworben?

Flugzeugpiloten", so erzählte der Ingenieur ,,, wurden von Schwindel erfaßt. Kürzlich besuchte uns ein Filmoperateur, um Aufnahmen für die Wochenschau zu machen. Oft und oft hätte er vom Aeroplan aus photographiert, so erzählte er, ja, sogar von den Tragflächen aus. Als er sich jedoch auf das dünne Stahlskelett 110 Meter oberhalb des Stromes begeben sollte, da meinte er, daß er noch zu jung zum Sterben sei. Arbeiter nahmen ihn bei der Hand und führten ihn fort."

Bis zum 1. Juli dieses Jahres," so fuhr der Ingenieur fort, ,, haben wir nach mehr als vierjähriger Arbeit bei einem Kostenauf­mand von 30 Millionen Dollar zwölf Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang zu verzeichnen. Sechs davon sind darauf zurückzuführen, daß sich die Leute über strikte Sicherheitsvorschriften hinweggesezt haben. So zum Beispiel fand ein Mann den Tod, als er im Jerseyturm vom fahrenden Aufzug auf eine Plattform absprang. Aber noch bei der Delawarebrüde, die nur halb so groß wie diese Brücke ist und an deren Bau nur halb so viele Leute arbeiteten, verunglückten 13 Mann tödlich."

Der Oberaufseher der Kabelkonstruktion der Brücke ist ein Ken­tuckier, der schon 36 Jahre lang Metallarbeiter ist und in 23 ver­schiedenen Staaten gearbeitet hat. Ich habe bis jetzt noch keinen Unfall gehabt," sagt er. Der Verlust von drei oder vier Fingern scheint ihm überhaupt nicht der Rede wert zu sein. Als ich auf genommen wurde," erzählt er, gab es hier nichts als Wasser und Himmel und leeren Raum dazwischen."

Und wie vollzog sich der Anfang?"

Zuerst wurden Stahlkabel von einem Turm zum anderen gezogen, und längs dieser Kabel bewegten sich die" Riggers" in ihren Körben fort, um die provisorischen Laufbrücken zu legen. Stellen Sie sich zwei Telegraphenstangen vor, die Sie durch ein

Richard Huelfenbeck:

| Seil verbinden! Entlang diesem Seil bewegt sich nun ein Käfig mit einem Papagei. Wahrscheinlich wird der Papagei schreien, und vielleicht haben auch die Arbeiter geschrien, als sie zum ersten Male über der Tiefe schwebten. Aber sie befanden sich allzu hoch, um gehört zu werden. Die Kabel wurden von New Jersey aus mittels einer Bartasse über den Strom gespannt und dann auf beiden Seiten zugleich mittels Kranaufzügen nach den beiden Tür­men emporgezogen. Von beiden Türmen aus wurden die Körbe in Bewegung gesetzt. Die Körbe konnten durch einen eingebauten Motor vorwärts und rückwärts laufen. Natürlich vollzog sich am Anfang nicht alles so glatt wie es gehen sollte. Die Körbe schossen 20 Meter vorwärts, um dann plötzlich zu stocken und stillzustehen. Dann liefen sie wieder ein Stück weiter, bockten wie ein alter Ford­wagen und wollten sich um feinen Preis weiterbewegen. Leute auf den Türmen konnten sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen. Den Arbeitern in den Körben war weniger zum Lachen zumute. Ich weiß nicht, was sie dazu gesagt haben. Aber sicher lich hatten sie eine ganze Menge zu sagen. Endlich konnten die New- Yorker Arbeiter in der Mitte der Kabel ihre Kollegen aus New Jersey begrüßen, und nun vollzog sich die Legung der Lauf­New Jersey begrüßen, und nun vollzog sich die Legung der Lauf­brücken regulär."

Die

,, Können Sie sich vorstellen, was für Arbeit in diesen Draht= seilen steckt? Mehr als 28 000 Tonnen Stahl wurden zu ihrer Her­stellung verwendet. Würde man den gesamten Draht aneinander= reihen, dann fäme man zu einer Länge, die der halben Entfernung zwischen Mond und Erde entspricht."

In früherer Zeit waren fast alle Brückenarbeiter, ehemalige Seeleute, gewohnt, auf hoher See an Masten hinauf und hinunter zu flettern. Die Seeleute brachten das Handwerk auch ein wenig in Berruf, und die Brückenarbeiter galten als eine wilde, wage­mutige, rücksichtslose Horde, die ihre Tag damit verbrachte, allen Gesezen der Schwerkraft zu trogen, und ihre Nächte damit, den hart verdienten Lohn mit Straßenmädchen und in Schantstuben zu vergeuden.

Heute stellen die Brückenarbeiter einen ganz anderen Typus dar. Wenn Sie heute einen Brückenarbeiter am Sonntag mit seinem Mädel ausgehen sehen," sagte mir ein alter Vorarbeiter, dann würden Sie glauben, einen Eintänzer aus einem Nachtlokal vor sich zu sehen. Früher haben seine Kollegen, wenn er einmal einen sauberen Hut getragen hat, sich verpflichtet gefühlt, ihm das unstandesgemäße Kleidungsstück vom Kopfe zu schlagen."

Bald wird die Hudsonbrücke, die größte Hängebrücke der Welt, dem Verkehr übergeben werden, ein dauerndes Denkmal aus Stahl für jene, die sie gebaut haben. ( Aus dem Amerikanischen von Leo Korten.)

Als Schnellphotograph im Piräus

Ich werde den Namen des Herrn nicht nennen, der mich in so liebenswürdiger Weise einen halben Tag in die Lehre genommen hat. Ich habe eigentlich so gut wie nichts getan; höchstens, daß ich ihm den Wassereimer zurechtrückte, wenn er ein Photo wässern wollte. Es mar übrigens stilles Geschäft; wir hatten im ganzen min drei Kunden, zme: junge

dauppfers, die ziemlich betrunt atrofen eines franzöſiſchen Fracht

fich faut singend nach einander vor die Linse pflanzten. Dann eine ältere Griechin, die meinem Chef erklärte, sie wolle ihrem Sohn, der in Samos size, eine Photographie schicken. Der Sohn verheirate sich jetzt, und da

halte sie es für gut, wenn sich die Mutter durch die Uebersendung

einer Photographie bemerkbar mache.

Das ist überhaupt eine Eigentümlichkeit unserer Kunden, daß sie uns mährend der Aufnahme ihre ganze Lebensgeschichte erzählen. Mein Chef, ein untersetzter, fleiner Mann mit kohlschwarzem Schnurrbart und fröhlichem weinroten Gesicht, hört sich die Er­zählung mit überlegener Ruhe an. Er weiß Bescheid; er ist seit zehn Jahren Schnellphotograph im Hafen Piräus. Sie schwatzen Safe Brändi te gern", sagt er von seinen Landsleuten.

das macht ihnen Spaß, und dann kommen sie auch wieder. Meine Photos haben das Gute, daß sie nicht allzu lange halten. Dann müssen die Leute wiederkommen und sich nochmals aufnehmen lassen."

Mein Chef hat mir deutlich zu verstehen gegeben, daß er an den Ernst meiner photographischen Tätigkeit nicht glaubt. Er hält mich für einen reichen Abenteurer, der Erlebnisse sucht, und dann Memoiren darüber schreibt. Er behandelt mich mit Grandezza als vornehmen Fremdling; wenn ich den Eimer anheben will, in dem er seine Photos wässert, runzelt er die Stirn und macht eine Bewegung, als wolle er mich an diesen einfachen Handreichungen hindern.

Der ganze Tag ist einer der merkwürdigsten, den ich auf meinen Reisen erlebt habe. Im Hotel fing es an. Ich war noch erfüllt von dem Sieg, den ich auf der City of Quebec" erfochten hatte. Nachdem ich als Stromer und Deckhand so wunderbare Erfolge ein­heimſen konnte, hatte ich keinerlei Lust, in die anonyme zivilisato­rische Wirklichkeit zurückzukehren. Das Hotelzimmer, in dem ich mich einquartierte, ist ein graues viereckiges Loch, dessen einziger Vorzug eine Aussicht auf den Hafen darstellt. Es gibt derartige Hotelzimmer; man möchte darauf schwören, daß sich schon mehrere Gäste darin das Leben genommen haben, und unwillkürlich sucht man nach dem Nagel, an dem sie sich aufhingen. Der Kellner, der mir am Morgen das Frühstück brachte, konnte mich nicht besser stimmen; er mar ein schmächtiges Herrlein in abgeschabtem schwarzen Anzug. Als ich den Mann sah, fiel mir sogleich eine Spinne ein. Er ging mit leifen Plattfüßen in meinem grauen Loch umher. Ich dachte: Ganz so wird er kommen, wenn du dich aufgehängt hast. Er wird mit leisen Bedalen heranschleichen, dich anfassen, ob du noch warm bist; mit quädiger Stimme wird er nach dem Wirt rufen. Der wird sehr verärgert sein, daß sich in einem Monat der dritte Gast in seinem Hotel umgebracht hat. Dann werden sie dich aufs Hotelbett legen, eine Zeitung über dein Geficht decken( wegen der Fliegen), die Tür abschließen und die Polizei holen."

Mit solchen lieblichen Borstellungen quälte ich mich ab. ,, Nein", schrie ich ,,, mo bleibt die gesunde Unverschämtheit, die dich auf die City of Quebec" trieb? Entweder gehst du jetzt nach Athen ins beste Hotel ader du bleibst hier im Piräus und erlebst irgend etwas, mas sich lohnt."

Leberaus luftig war das Zwiegespräch, das ich darauf mit meinem Birt hatte. Das war ein Mann von fünfzig Jahren, start ergraut, mit einem Weinbäuchlein, das er häufig in beide Hände nahm, als müsse er sich diese Last erleichtern. Was, wollen Sie?" fragte er. ,, Ich verstehe Sie nicht." Ich sagte: Ich bin nicht hierhergekommen, um meine Tage in Ihrem Hotelzimmer zu ver­trauern. Dieser Piräus ist ein wundervoller Hajen, so lebensvoll, fo bamt, so laut, so quirlig, mie ich selten einen Hafen gesehen habe. Da gibt es Händler jeder Art, Anreißer der verschiedensten Geschäfte

|

und menschlichen Bedürfnisse, Zauberkünstler, Eselstreiber, Schiffs­agenten, Taschendiebe und weiß Gott sonst noch etwas. Sie, ver­ehrter Herr, leben hier seit langer Zeit und kennen den ganzen Betrieb. Sie müssen mir behilflich sein. Ich möchte mich in irgend etwas verwandeln; ich möchte eine Rolle annehmen, von der aus

ich gewissermaßen die Hintergründe der Sache begreife. Ich bin

Weltreisender von Beruf; ich fann nur in Hotels wohnen, Frühstücke einnehmen und auf die Bahnhöfe laufen, um die Fahrpläne zu studieren. Verstehen Sie das...?

Mein Wirt verstand nichts; er war eigentlich zum erstenmal in seinem Leben vollkommen ratlos; er rief seinen plattfüßigen Kellner zu Hilfe; sie begannen griechisch zu sprechen. Sie unter­hielten sich mit Händen und Füßen, so laut, daß ich einige Schritte hielten sich mit Händen und Füßen, so laut, daß ich einige Schritte zurücktrat. Sie sahen mich von der Seite an, als trauten sie mir nicht ganz. Ja, wenn ich ein Amerikaner gewesen wäre! Aber ich war doch ein Deutscher. Wie kam ich dazu, solch sinnlose und un­

verständliche Forderungen zu stellen. Nachdem ich den Kellner fortgeschicht hatte, begann ich mich mit meinem Wirt zu verständigen. Es ging ihm langsam ein Licht auf. Sie haben sicherlich mit jemandem gewettet, nicht wahr?"" Richtig", bekräftigte ich. Nun begann er nachzudenken. Ich habe eine Sache für Sie", sagte er. Sie können einen Tag Schuhpuzer spielen. Die fizen am Korais­platz, so Stücke zwanzig. Ich habe da einen Bekannten drunter." Er rief wieder nach dem Kellner, der vorsichtig aus dem Hintergrund

"

Erna Büsing:

geschlichen fam, mie der Intrigant in einem schlechten Theaterſtüd. Sie sprachen griechisch; ich merkte aber, daß der Kellner geschickt wurde, den Bekannten zu holen.

Der kam dann auch nach einer halben Stunde, ein lumpig ge­fleideter junger Mensch, der während der ganzen Unterhaltung nicht einen Augenblick die Zigarette aus dem Munde nahm. Es handelte sich um die Bezahlung; ich zeigte mich für griechische Verhältnisse sehr großzügig, und die Sache wäre bestimmt geworden, wenn ich nicht im letzten Augenblick schwere Bedenken bekommen hätte. Konnte ich denn wirklich, wenn auch nur für einige Stunden, Schuhputzer sein? Schuhputzerei ist schließlich ein Gewerbe, das man gelernt haben muß. So einen einfachen Dreckstiefel blank reiben kann ja nicht schwer sein. Was tut man aber, wenn sich ein paar Damen­schuhe nahen? Ich wußte: es gab in so einem Schuhpuzkasten eine Menge fleiner und größerer Büchsen, die man kennen mußte. Ich hätte vorher eine Unterrichtsstunde nehmen müssen. Nein, das ging nicht. Die Landessprache verstand ich auch nicht; ich konnte mich nicht gegen die Vorwürfe eines unzufriedenen Kunden verteidigen. Niemals.

So ist es gekommen, daß ich der Gehilfe eines Schnellphoto­graphen gemorden bin, von denen hier im Piräus Duzende herum­stehen. Sie haben riesige, altertümliche Apparate; ihre Photos wässern fie in gewöhnlichen Eimern, die sie neben sich stehen haben. Weithin leuchten die Hintergründe dieser Lichtkünstler; das find Kulissen und Pappwände, die die ganze Welt vorstellen. Für jedermann bietet sich hier der geeignete Hintergrund; für Matrosen sind da Schiffe und tropische Wälder, für junge Mädchen Schaufeln und neckische Zimmereinrichtungen, für alte Damen und Herren würdige gotische Ecken, die mit Girlanden verziert sind. Am Vormittag und um die Mittagszeit haben die Schnellphotographen im Piräus wenig zu tun; sie verstecken sich hinter ihre Pappwände, suchen sich einen schat­tigen Platz und rauchen viele Zigaretten. Natürlich fennen sie sich gegenseitig sehr genau. Einmal ist es vorgekommen, daß sich eine halbe Schiffsbesatzung bei Herrn Alfibiades photographieren ließ, obwohl alle anderen Photographen tatenlos herumftanden und nichts zu tun hatten. Mein Chef erzählte mir diesen Fall mit verhaltener Wut; die Leute waren betrunken und wollten sich einen Scherz machen. Mein Chef ist zweifellos ein gutmütiger Mensch und es liegt ihm nichts ferner, als seine Berufskollegen zu verkleinern. Aber was den Alkibiades angeht so sagt er meiß jeder, daß er zu alt ist, um gut photographieren zu können. Außerdem ist er ein Smyrnaflüchtling. Alfibiades war Gemüsehändler. Nun frage ich Sie: Was hat der Gemüsehandel, der sicher ein sehr ehrenwerter Beruf ist, mit der Photographie zu tun?

Mein Chef hat ein starkes fünstlerisches Bewußtsein. Wenn je­mand kommt und sich aufnehmen lassen will, benimmt er sich nicht mie einer der vielen Händler, die hier auf den Straßen herum­mimmeln. Er hört nur mit halbem Ohr hin und sieht sich seinen Gast sehr genau an. Ich kann eigentlich nur schöne Menschen auf­nehmen", sagt er mir. Ein schöner Mensch und ein schöner Hinter­grund... das sind so kleine Höhepunkte meines Lebens."

Die Gehilfenschaft bei dem Schnellphotographen ist für mich eine lehrreiche Sache; es geht mir eine Welt auf. Diese Menschen haben ihre besonderen Sorgen; das kann keiner verstehen, der es nicht mit­erlebt hat. Nach einer Stunde fühle ich mich als Mitglied der Gilde. Neulich, erzählt mir mein Chef, wollte die Polizei den Schnell­photographen den Platz am Uhrturm verbieten. Mit der Begründung: erstens würden die Gäste des Kaffeehauses, das sich unter dem Turm befindet, in ihrer Bequemlichkeit gestört, und zweitens fönnten die Segelflicker, die hier ihre Segel bearbeiten, ihrem Beruf nicht nach­gehen. So etwas Empörendes", sagt mein Chef, das muß eine Intrige sein; wenn wir den Kerl triegen, der uns das eingebrockt

Wenn die Sonne ihre Kraft perbraucht hat, am Spätnachmittag, belebt sich das Geschäft. Es fommen Leute, die sich die Photos an­sehen, die wir an den Aufnahmekasten gesteckt haben. Nie wird mein Chef animieren; das verträgt sich nicht mit seiner künstlerischen Würde. Aber er spricht so laut vor sich hin, daß alle Leute, die vor

hat, wir schmeißen ihn in den Hafen."

dem Kasten stehen, es hören können. Er hält eine Art Rede; er

lobt die Kunst der Photographie. Kein Buch, kein Bild, kein Kunst­werk kann das schaffen, was ein Schnellphoto schafft", brummt er vor sich hin.

,, Ihre Zeit ist nun bald zu Ende", sagt er mir ,,, es war zwar furz, aber Sie haben mir treu gedient. Gestatten Sie, daß ich Sie

noch auf eins aufmerksam mache. Sollten Sie je selbst zu diesem Gewerbe übergehen, bedenken Sie, daß es dabei hauptsächlich auf Menschenkenntnis ankommt. Es gibt nämlich Halunken, die sich photographieren lassen, ohne es bezahlen zu können. Da muß man fig sein. Man muß den Gesichtern ablesen, wieviel Geld die Kerls in der Tasche haben."

Ich bedankte mich bei meinem Chef für die Ratschläge. Wir schieden als gute Freunde.

Spielmann, der algerische Journalist

Sein Vater wohnte in Elsaß , verließ aber dieses Land, als es nach dem Kriege von 1870/71 an Deutschland fiel. Der Alte war zu trogig und zu selbstbewußt, um eine aufgezwungene Staats­angehörigkeit ertragen zu können. Es muß sich von dieſem ſtarren Ginn viel auf den Sohn Viktor vererbt haben, der in Algier auf wuchs, unter Menschen, die seiner Wesensart fremd waren. Was gab ihm das Vaterhaus sonst noch mit? Wir wissen es nicht. wir wissen nur, daß Viktor Spielmann als einer der unerschrockensten Sozialisten aus dem Dunkel des Nichtbekanntseins auftauchte.

Doch in Algier war kein Boden für eine bedeutende sozialistische Bewegung und die Genossen in Europa hatten so schrecklich viel mit fich und den Begebenheiten in ihren Heimatländern zu tun, daß der Orient sie verhältnismäßig nur wenig interessierte. Sie konnten den jungen Spielmann nicht einmal mit guten Ratschlägen unterstützen. Er stand auf vorgeschobener Position, die er nicht für eine verlorene hielt. Er mußte seinen Weg alleine gehen. Er führte ihn an die Seite der Eingeborenen des Landes, er wies ihn auf ein Wirken für sie in französischer Sprache und Schrift.

er ungerechte Gewaltmaßnahmen hoher französischer Beamter erlebte und das Echo des Mißfallens in der Welt ausblieb, da meinte er die Lehren des Sozialismus aufgeben zu müssen und murde Anarchist. Doch sah er ein, daß der Anarchismus, weder dem Lande noch dem Bolle Heil brachte. Bittor Spielmann hatte den Mut, seine Ansichten zu revidieren. Was nutzten ihm europäische Programme! Er war allein auf sich gestellt und bald fannte er nur noch eins Die arabische Freiheitsbewegung. Er meiß so gut wie die muslimischen Freiheitskämpfer, daß Arabien sich selbst aufgab, als europäische feudalherrische Ansichten in die demokratische Welt des Islam fluteten. Er weiß, Arabien ist ein altes, aber fein ge= altertes Bolk; denn seine Reorganisation fommt aus der verblüf­fend ursprünglichen Kraft und der frischen Unverbrauchtheit der Wüste. Der islamische Orient sieht auf Arabien , er anerkennt nicht die von den Europäern gezogenen staatlichen Grenzen, er rechnet

Nordafrika mit zu Arabien . Was ist europäische Geographie? Für den Moslem besteht noch immer das alte Reich. Und er hat es sich, trotzdem man es ihm unter verschiedene Staatsoberheiten zwang, rein in Kultur und Sitte erhalten. Seit nunmehr 40 Jahren

-

-

steht Viktor Spielmann mit an der Spize der arabischen Freiheits­bewegung in Algier .

Er arbeitet rastlos, um Geld zu rerdienen und Zeitungen ins Leben rufen zu können. Dort verdient nämlich nicht der Verleger mit der Zeitung, sondern er muß anderweitig Geld erwerben, damit er eine Zeitung unterhalten kann. Man abonniert Viktor Spiel­manns Zeitungen nicht, man rechnet auch nicht auf ein regelmäßiges Erscheinen, sondern man freut sich, falls man nach langen Atem­pausen mal wieder ein solches Blatt zu Gesicht bekommt. Eine der­artige Zeitung wird nämlich verboten, wenn sie die Rechte der Nordafrikaner verteidigt, wenn sie an die Pressefreiheit appelliert und wenn sie über den Imperialismus in Indo- China schreibt. Es ist allen Beamten und von den Behörden Abhängigen untersagt, eine solche gefährliche Zeitung zu lesen. Die Franzosen schelten Spielmann den Boche- Publizisten, die nationalen arabischen Par­teien bekämpfen ihn offiziell, selbst die Kommunisten wollen nichts von ihm wissen, dennoch leben seine Zeitungen und können und müssen hohe Geldstrafen tragen.

Es ist sehr viel Sonderbares um diesen algerischen Journalisten aus dem Elsaß . Weder Freiheitsstrafen, noch Geldbußen, weder Aus­weisungen noch das allgemeine Im- Stichlassen bringen ihn zum Berstummen. Selbst in der heutigen Zeit der hundertprozentigen Aufregungen ist sein Lebenslauf eine Sensation. Doch bringt man mit der Aufzeichnung dieses Tatbestandes nicht zum Menschen durch. Wer ist dieser Einwanderer wider Willen? Ist er ein fampfluftiger Querkopf oder ist er ein so großer Ehrlicher, daß man ihn getrost mit einem Heiligen vergleichen könnte? Die Gegenwart schweigt. Und die Zukunft? Nun, die proklamiert ihn zum Freiheitshelden, menn der Orient siegt und zum Verräter, wenn Europa die Macht behält.