Beilage
Freitag, 9. Oktober 1931
Heinrich Heining:
Theater im Hintergrund
Drei Theatergruppen stehen, gänzlich außerhalb der tagtäglich in Pressespalten nachflingenden Arbeit der großen Bühnen, im Hintergrund: die notorische Schmiere, das Städtebundtheater und die feststehende Bühne fleiner Provinzstädte.
Schon rein äußerlich sind diese drei Gruppen untereinander scharf differenziert. Die Schmiere blüht als wild wucherndes Pflänzchen in den Walddörfern des Erzgebirges, auf dem platten Lande Sachsens und in den engen Tälern des oberen Main oder des Neckar . Die Städtebundtheater existieren als künstlerisch vollwertige und verwaltungsmäßig straff organisierte Wanderbühnen in start besiedelten Bezirken, deren einzelne Städte auf ein eigenes Theater verzichten müssen. Das fleine Provinztheater fristet, sechs oder sieben Monate im Jahre, im Schatten seiner größeren Nachbarn ein ökonomisch recht gehemmtes aber fünstlerisch eifervolles Dasein.
An den Begriff der Schmiere knüpft sich, mit dem Namen Striese's, die ganze Vorstellungswelt von primitivstem, of er flächlichstem und unfünstlerischstem Theater. Freilich ist vieles fomisch; aber es ist die Komit, die sich bedenklich den Grenzen ihrer tragischen Verwurzelung nähert. Hinter der wißigen Oberfläche humoriger Einzelzüge steht eine Wirklichkeit, die in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und künstlerischen Trostlosigkeit schlechthin nicht zu überbieten ist.( Wer einmal Albert Bassermann als Striefe sah, wird hinter dem heiseren devoten Lächeln des großen Menschen darstellers die Träne bemerkt haben.)
Schmiere in unverfälschter Echtheit gibt es heute noch zu Duzenden. Ich selbst habe einer solchen Wanderbühne fümmerlichster Art angehört, die unter flingendem Namen durch das Neckartal futschierte. Diese Zeit vermittelte mir eine intime Kenntnis der Schmierenzustände, und ich darf sagen, daß wir von der komischen Seite des Unternehmens herzlich wenig verspürt haben.
Es wurden nur Stücke gespielt, die eine ganz geringe Zahl von Darstellern erforderten. Das Ensemble rekrutierte sich aus dem Direktor, der das Fach der guten Rollen spielte, seiner Braut, drei Anfängern und einem uralten bayerischen Mimen, der Theatermeister, Inspizient und Charakterspieler in einer Person war. Verträge oder feste Gage gab es natürlich nicht. Es wurden lediglich Spielhonorare gezahlt, die aber regelmäßig reduziert wurden. Unser Spielplan umfaßte Goethes Iphigenie" und ,, Der Wettlauf mit dem Schatten" von Wilhelm von Scholz . Das Stück von Scholz war das Reservat für regnerische Tage, an denen wir in Turnhallen oder Sälen spielten. Iphigenie " wurde immer in Freilichtaufführungen gespielt. Selbstverständlich wurde, nach altem Schmierenbrauch,„ Der Wettlauf mit dem Schatten" umgetauft, um einer Tantieme Belastung zu entgehen. Das Stück wurde unter unserer Obhut als ,, Geheimnisse der Seelen" offe= riert. Ein Autor wurde nicht genannt.
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Unser Tätigkeitsfeld lag im Neckartal zwischen Heilbronn und Mannheim . Mit Nachdruck haften die Städtchen Sirich horn und Eberbach in der Erinnerung, wo wir an feuchten Herbstnachmittagen in einem Walbes Iphigenie " spielten. Es war nicht gerade angenehm, bei feuchtkaltem Wetter, ohne Souffleur und auf einem willkürlich ausgesuchten, akustisch denkbar ungeeigneten Waldhang Goethesche Verse zu sprechen, zumal ich, in meiner Eigenschaft als Pylades und nach dem fünstlerischen Gutdünken des Direktors, halbnadt umherlaufen mußte.
Wir schliefen meist in Jugendherbergen, und die Ernährung entsprach den fläglichen Honoraren. Mitglieder ähnlicher Institute in Sachsen haben mir bestätigt, daß die Berhältnisse dort ähnlich waren. Es gibt eine eigene Schmierenzeitung, deren Inseratenseite das getreue Konterfei der sozialen Zustände dieser angeblichen Theater ist. In jedem Stellenangebot, die übrigens, in merkwürdigem Gegensatz zu der unerhörten Notlage des Schauspielerstandes, außerordentlich zahlreich find, betonen bie Direktoren mit unmißverständlichem Nachdrud, daß 2ärmmacher" und ,, oppositionelle Naturen" nicht in Frage kommen. Obwohl die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger " energisch vor Engagements an solchen deklassierten Theatern warnt, wird die Not den Schmieren immer wieder neue Mitglieder in die Arme treiben.
Ganz im Gegensatz zu diesen„ Bühnen" stehen die Städte bundtheater, die, dant ihrer musterhaften Organisation, nach dem Kriege einen unerhörten Aufschwung genommen haben und heute starke künstlerische und soziale Komponenten des deutschen Theaterlebens darstellen.
Bie an jeder großen Bühne wird das Ensemble der Städte bundtheater ganz allein nach künstlerischen und spielplantechnischen Prinzipien zusammengestellt. Vor Beginn jeder Spielzeit besorgt ein tüchtiger Verwaltungsapparat den vertraglichen Spielabschluß mit den zum Bezirke gehörenden theaterlosen Städten, und die Saison läuft nach einem vorher bis in alle Kleinigkeiten çenau figierten Programm ab. Diese großen Wanderbühnen besigen alle einen eigenen Kostüm und Dekorationsfundus, der in eigens hierzu hergerichteten Wagen von Stadt zu Stadt transportiert wird. Die Mitglieder find alle auf der Grundlage fester Berträge engagiert und erhalten neben ihrer monatlichen Gage noch Reisediäten, wofern nicht die Reisen, wie es bei der Dresdener Wanderbühne der Fall ist, in eigenen Autobussen zurückgelegt werden.
Die Entwicklung und die hervorragende künstlerische Arbeit haben alles Mißtrauen und alle Bedenken gegen die großen Wandertheater in Schauspielerkreisen verscheucht, und ein Engagement an eine dieser Bühnen, deren bedeutendste in Dresden , Stuttgart , Beuthen , Allenstein und Neuß vertreten sind, ist heute oft begehrter und in vielen Fällen künstlerisch produktiver, als eine Verpflichtung an eines der ganz fleinen Provinztheater.
Freilich fallen bei diesen kleinen feststehenden Theatern die Unannehmlichkeiten des Reisens weg. Aber wer einmal einen genauen Einblick in die Verhältnisse dieser Bühnen tat, muß zugeben, daß häufige Bedenken gegen fünstlerische Arbeitsmethoden und soziale Zustände oft recht stichhaltig sind. Diese Nachteile find natürlich finanziell bedingt. Die Theater kleiner Provinzstädte müssen sich mit einer unverhältnismäßig fleinen Subvention begnügen, sie haben nicht, wie die Städtebundtheater, für alle Wochentage ein fest abonniertes Stammpublikum und sind somit gezwungen, bei naturgemäß recht oberflächlicher Probenarbeit ein Stück nach dem andern herausDer Zwang zu dieser Qualitätsarbeit beeinträchtigt zubringen. felbstverständlich die Qualität einzelner Aufführungen. Natürlich haben diese Theater ihre besonderen Reize. Das Berhältnis zum Bublifum ist viel intimer, als es in großen Städten
stolqnigary10 apr Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Karl Moeller: Om Klützer Winkel
Ein Streifzug durchs hinterste Mecklenburg
Hinter den Dünen verstecken sich einzelne Fischerhäuser. An einem kleinen Süßwasserbach erkennt man ihre Lage, und wenn man dann hinaus aufs Meer schaut, sieht man die dazugehörigen Netboote im Wasser liegen. Die Küste fällt hier steil ab, oft bis zu zwanzig Meter hoch, und nur wenig Wege biegen nach dem Landinnern ein. Bei Brook habe ich das äußerste Ende der Lübecker Bucht erreicht. Von hier aus zieht sich der Strand plötzlich weiter nach Süden, gen Wismar zu. Aber soweit will ich nicht, sondern in diesen äußersten Landzipfel von Mecklenburg- Schwerin , in dessen Mittelpunkt der kleine Ort Klütz liegt, möchte ich hineinriechen. Ich flettere auf eine kleine Anhöhe und habe eine weite Aussicht auf die riesigen Felder, die niedrigen, strohgedeckten Häuser, die winzigen Dörfer und großen Güter. So nehme ich Abschied vom Meer, von seinem wilden Tanggeruch, seinen Muscheln und den fernen Schiffen, die am Horizont auftauchen und wieder verschwinden.
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Mit einem harten Ruck wende ich mich um, und als erstes Landgeschöpf begegnet mir ein Schwein. Es rast grunzend aus einem Hofeingang auf mich zu, und der Bauer saust fluchend mit einem Stock hinterher. Trotz meiner Freiheitsliebe muß ich wohl oder übel dem Vieh den Weg verstellen, und durch diese Hilfeleistung eines Städters gerührt, läßt sich der Mann in ein Gespräch mit
mir ein:
,, Dh, uns geht es noch ganz gut hier am Strand", meint er, | ,, wir haben unseren Verdienst am Fischen und außerdem vermieten wir an Badegäste." Dabei zeigt er stolz auf sein neugetünchtes Haus. Trotzdem sind auch wir nicht unsere eigenen Herren, der Grund gehört dem Grafen von Bothmer. Aber gegen die armen Häusler und Tagelöhner sind wir sehr gut daran."
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Von der Ostsee bis Klüh bekam ich auf meine Frage: Wem gehört das alles? immer dieselbe Antwort: Dem Grafen von Bothmer. Am Morgen stehe ich vor dem Schloß dieses Herrn. Eine wohlgeschnittene Allee führt an das Haupttor. Aus alter Zeit liegt davor noch ein vertrockneter Wallgraben. Die Front des Wohnhauses, die wohl dreißig oder mehr Fenster hat, ist frisch hergerichtet. Das Ganze riecht förmlich nach Sauberkeit. In einem Seitengebäude ist das Amt des Rentmeisters untergebracht. An der Tür hängt ein Plakat, schwarzweißrot eingerahmt: Stahlhelm- Fahnenweihe in Klüz. Ich dringe trotzdem weiter vor: ein hoher Vorplay, weiß getüncht mit vielen Wappen. Niemand meldet sich. Erst auf mein Anklopfen rust eine männliche Stimme: ,, Herein!"
Ein fahlköpfiger Mann in zerschlissenem Bürorod erfundig sich nach meinen Wünschen. Frontheil Schilder und andere Requisiten eines vaterländischen Büros hängen an den Wänden. ,, Sie wünschen Auskunft über den Besitz des Grafen? Dazu gehören die Orte Klütz, Brook und Elmenhorst vollständig, außer= dem verschiedene Höfe bet Grevesmühlen . Im ganzen sind es wohl ungefähr 30000 Morgen."
,, llnd mie bewirtschaften Sie dieses ungeheure Gebiet?"
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,, Der Graf verpachtet die einzelnen Güter und bekommt dafür Naturalien und Geldleistungen. Wir haben damit gar nichts zu tun. Auch die Bauernstellen sind unverkäuflich, alles tote und lebende Inventar gehört dem Grafen."
Ich wußte nun, was ich überhaupt hier erfahren konnte: all dieser fruchtbare, schwere Boden, über den ich zwei Tage gegangen war, gehört einem Erben des alten Feudalstandes. Aber mit dem Besitz hat er feinerlei Verpflichtungen übernommen. Er sitzt auf seinem Gut und läßt seine Rente einstreichen, alles andere überläßt er den Gutspächtern. Aber das sind auch keine Leute, die selbst mitarbeiten, sondern ehemalige Offiziere, gestrandete Bürgereristenzen, die wieder ihre Verwalter einsetzten, und diese wachen dann über die Scharen der Arbeiter, die ohne jeden Eigenbesitz für wenige Pfennige schusten müssen. Die Agrarverfassung des deutschen Ostens!
Der nächste Nachbar ist ein von Plessen. Von ihm wurde mir erzählt, daß er die Schweizer Staatsangehörigkeit erworben hat, um sein Geld besser verschieben zu können. Und auf der anderen Seite saßen die Kalfhorst. Ihr vielsagender Sprößling zog es vor, die Schönheiten dieser Erde zu genießen und sein Geld mit Macht zu verprassen. Als er nicht mehr bestehen konnte, schoß er sich eine Kugel durch den Kopf. Der Besitz gehört jetzt einer Großbant, wo die Schulden der Tilgung harren.
Und für was ist in diesen Notzeiten sonst noch Geld vorhanden? Die ganze Gegend um Klütz ist evangelisch, im Orte gibt es drei Katholiken, darunter die Frau des Grafen. Sie hat nun angeordnet, daß eigens für sie und die polnischen Schnitter eine katholische Kirche gebaut wird. Und die Gemeinde muß sich fügen, es gehört ja alles dem Grafen.
Das ist die notleidende Landwirtschaft, die vom Staate so gerne fubventioniert wird. Die wirklich Notleidenden sitzen in ihren Katen, ganze Familien zusammengedrängt in einem Zimmer. Sie leben von Kartoffeln, Heringen und Schwarzbrot. Ihr Lohn ist zwei, drei Mark die Woche. Deutschland im Jahre 1931.
Zwei Bücher über Stalin
Stly acrim
1979 dnu nestisbrag
19
92 si
logische Tatsachen. Bajanow, der über ein Minimum an politischen Einsichten, dafür aber ein Marimum an Rachedurft des fallengelassenen Werkzeugs verfügt, ist keinesfalls der geeignete Referent über Rußlard.
Um den knapp fünfzigjährigen allvermögenden Generalsekretär| müssen wir objettive Berichte haben, politische, ökonomische, psychoder russischen Kommunistischen Partei entsteht bereits eine Literatur. Dieser Mann ist allmählich in der Diskussion über Staatssysteme und Gesellschaftsordnung ein so wichtiger Exponent geworden, daß es nicht wunderzunehmen ist, daß neben den unzähligen, in Zeitungen und Zeitschriften verstreuten Artikeln um und über Stalin mun auch auf dem Büchermarkt Werte erscheinen, die sich mit ihm befassen. Man fann bis jetzt nur feststellen, daß ungeachtet der vielen Druderschwärze, die daran gewandt wird, ein flares und umfassendes Bild des bolſchemistischen Diktators noch nicht greifbar ist. Mehr noch als andere in der Geschichte durch ihre Machtstellung isolierte Figuren ist Towarischtsch Stalin, soweit er nicht verherrlicht oder beschimpft wird, ein Gegenstard vielen Rätselratens. Das mag daher tommen, daß, wie stets, auch bei den Stalin - Büchern die Konjunkturwitterer zuerst auf dem Plan sind.
Im Verlag von Paul Aretz G. m. b. H. ist aus dem Französischen übersetzt das Buch eines Mannes namens Boris Bajanow, der sich als ehemaligen Privatsekretär Stalins bezeichnet, erschienen. Stalin , der rote Diktator." Es soll ein Bekenntnisbuch sein; wahrscheinlich bekennt es mehr, als dem Autor lieb sein mag. Jahrelang will Herr Bajanow ,, als Soldat der antibolschewistischen Armee" ein Meisterstück der Verstellung, Verschlagenheit und List vollbracht haben, und schließlich auf angeblich tollkühn lebensgefähr liche Weise, die aber nicht ganz flar gemacht wird, aus Rußland geflogen sein. Von den zu solchem Doppelleben immerhin nötigen geistigen Potenzen ist kein Hauch in dem ganzen Elaborat zu spüren. Auch von seinen Heldentaten im Dienst der Konterrevolution tann Bajanom nicht eine anführen. Er muß fich begnügen, immer wieder zu versichern, was für ein schlauer Verräter er war und mit wieviel Haß und Verachtung gegen das Eystem im Herzen er den Liebediener der Vertreter dieses Systems gespielt hat. Diese unfreiwillige Selbstcharakterisierung des Verfassers charakterisiert natürlich auch sein Buch. Beleidigte Karrieristen waren noch nie objektive Geschichtsschreiber.
Gerade über das Experiment Rußland und seine Experimentatoren aber wollen wir feinerlei von persönlichem Haß oder persönlicher Liebe diktierte Phantasieblüten; gerade über dieses Thema
möglich ist. Der„ jugendliche Held" oder die Heroine" sind stadtbekannte, jedem vertraute Erscheinungen. Am eindringlichsten äußert sich dieses Vertrauensverhältnis bei den wöchentlich zwei- oder dreimal stattfindenden Premieren, bei deren beifallumbrausten Attschlüssen den Lieblingen Pakete mit Schuhen, Krawatten und Würsten auf die Bühne gebracht werden, um hierdurch innere Bindungen äußerlich zu demonstrieren.
Damit soll nicht gesagt sein, daß ,, Stalin " von Essad Bey ( Verlag Gustav Kiepenheuer , Berlin ) dagegen als das typische Erzeugnis journalistischer Vorurteilslosigkeit und persönlichen Unbeteiligtseins die erwünschte Perspektive liefert. Das Buch ist in jenem Stil geschrieben, der amerikanischen Magazinen von Fortfetzung zu Fortsetzung der Serie die Leser erhält und der auch in Boulevardblättern Deutschlands als Serie immer beliebter wird, mag er sich nun um Hofklatsch, Liebe, Mord oder Gift bemühen.
Josef Dschugaichwili, dem erst seine revolutionäre Tätigkeit den Namen Stalin ( der Stählerne) eingetragen hat, ist der Held dieser Serie in Buchform. Essad Ben schildert Stalins Jugend als Gassenjunge in Gori in Georgien , die Zeit im Priesterseminar von Tiflis , das zur Geburtsstätte des Revolutionärs wird, die tonspirierende und expropriierende Tätigkeit im zaristischen Rußland , die immer wieder Erile und Kerker und Verbannung unterbrechen, er streift die kurzen Barteireisen nach Europa , die eisernen und blutigen Jahre 1917 bis 1919, umreißt die hinterhältigen und machtstrebigen, aber auch arbeits- und lehrreichen Jahre im Schatten Lenins tis zur Ergreifung der absoluten Macht und schildert dann die Lebensweise, das Auftreten und Verhalten Stalins als Herr der Sowjetunion .
Auch Essad Ben bringt nicht die nötige dialektisch- materialistische Schulung mit, um das Phänomen, das er begreiflich machen will, anders zu deuten als rückgewandt in die Zeiten Dschingis- Khans. Für ihn ist Stalin die gelbe Gefahr, der wilde Moloch Asien , der sich anschickt, seine fultivierte, gesittete Tochter Europa zu verschlingen. Schade nur, daß des Autors Kenntnisse von dem Asiatischen nicht so asiatisch sind wie sein Name, unter dem sich zumindest der naive Leser etwas ganz anderes vorstellen wird als in Wirklichkeit dahintersteckt. Man möchte an einen eisgrauen, mit Narben schraffierten Fürsten aus den kaukasischen Bergen denken, im langen blauen Tscherkessenreitrock, den Kandschar in der silbernen Scheide an der Seite, einen der rauflustigen Jugendgefährten Stalins, wenn nicht gar einen Kampfgegner oder Kampfgenossen seiner Mannesjahre. Herr Noisebaum aber und der andere der beiden Literaten, Inhaber der Firma Essad Ben, haben wohl öfter auf den Stühlen des Literatencafés gesessen als auf den Rücken feuriger kaukasischer Bergroffe!
Vielleicht gerade darum ist das Buch, das auf seinen 440 Seiten nie langweilig und hölzern ist, ein ausgezeichneter historischer Unterhaltungsroman geworden. Es allerdings eine Biographie zu nennen, ist ein bißchen anmaßend. So wenig man eine Biographie Luthers schreiben könnte, ohne gründliche Kenntnisse von seiner Religionsauffassung zu haben, so wenig fann man über Stalin schreiben, ohne gründliche Kenntnis der Theorie und Praxis der internationalen Arbeiterbewegung.
Der entscheidende Nachteil dieser Theater liegt in der kurz Wer sich einem dieser kleinen befristeten Spielzeit. Theater verpflichtet, ist von Ende April bis Oktober ohne Verdienst, da ein Abschluß mit einem Sommertheater heute eine große Seltenheit ist. Wenn man freilich bedenkt, daß in der jetzt beginnenSpielzeit ungefähr 8000 Schauspieler den brotlos find, mag es immerhin wünschenswert erscheinen, an einem solchen Theater engagiert zu sein, zumal für junge Darsteller die ausreichende Möglichkeit geboten wird, sich in diesen sieben Mo-| naten ein umfangreiches Repertoire zu erspielen. Hier liegt für den fünstlerischen Fortschritt des Nachwuchses ein bedeutendes Pofitivum. I muß eindringlich gewarnt werden.
Der marristisch orientierte Leser wird aus dem Buch vielleicht diese oder jene Anekdote im Gedächtnis behalten, weil Essad Bey psychologisches Verständnis hat, und diese Fähigkeit gut dazu benutzt, seinen Stoff zu würzen. Diese unterhaltsame Lektüre aber als Geschichtswert anzusehen oder gar sie als Material für die politische Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu verwenden, davor