Morgenausgabe
Nr. 483
A 243
48.Jahrgang
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Der Vorwärts" erscheint mochentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Juftrierte Gonntagsbeilage Bolt und Zeit".
Donnerstag
15. Oftober 1931
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Die Harzburger in der Zange.
Abrechnung im Reichstag. - Hugenbergpartei verkündet sozialreaktionäre Pläne. Das fann fein„ nationales" Gefchrei vertuschen!
Die Front der Harzburger hat gestern im Reichstag | listischen Stipendiaten der Monopolkapitalisten schwiegen beDer Reichsfinanz- treten. Peinlich für sie, wie dieser Oberfohren verriet, was neue schwere Schläge erhalten. minister Dietrich rechnete ihr vor, wie sie mit falschen national im fapitalistischen Sinne bedeutet: Diktatur Zahlen gearbeitet habe, der Sprecher des Zentrums, der des Hochkapitalismus über die Arbeiter Abgeordnete Joos, vollzog eine unbarmherzige Ab- tlasse! rechnung mit Nationalsozialisten und Deutschnationalen, sarkastisch, spizig, voll offener Verachtung.
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Für die Kommunisten sprach der Abgeordnete Rem mele. Eine geistlose Rede, die die Arbeiterschaft mit lächer Die Wortführer der Harzburger, Frid und Oberlich kraftmeiernden Phrasen über die wirkliche Lage täuschen fohren, deklamierten ,, Kriegserklärungen", aber in einem sollte und sich bis zu der Behauptung steigerte, daß die Reichsentscheidenden Punkte waren sie vollständig in der Lage von mehr-- für die Kommunisten eintreten werde. Seit Angeklagten, die zu ihrer Verteidigung leugnen. Scheringer und seit der nationalistischen Schmußkonkurrenz Dieser Punkt sind die Inflationspläne der Harz der Neumann und Remmele mit den Nationalsozialisten ist burger. Herr Oberfohren besaß die Stirn, für die Hugen- bei diesen Führern der letzte Funke von Vernunft erloschen. bergpartei alle inflationistischen Absichten abzuleugnen
froß der offenen Erklärung des Grafen Kaldreuth, fühlen, daß ihre Pläne vorzeitig aufgedeckt worden sind und
versuchen sie aufs neue zu vernebeln!
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Auch Herr Frid leugnete alle Inflationsabsichten, er wagte, die folgenden Säße vorzutragen:
,, Wir stellen fest, daß wir die Inflation, die seinerzeit von
den Leuten hervorgerufen wurde, die Träger des Systems gewesen sind, das der Reichskanzler zu verteidigen bestrebt ist, als ein Verbrechen an den ehemaligen Kapitalrentnern, den Sparern, Hypothetengläubigern und darüber hinaus am gesamten Volk bis zum heutigen Tag ununterbrochen in der schärfsten Form gebrandmarkt haben. Es ist daher nahezu überflüssig zu sagen, daß wir uns eines ähnlichen Verbrechens niemals schuldig machen würden."
Das Gedächtnis der Herrschaften ist kurz. Die Leute, die die Inflation gemacht haben, sind gekennzeichnet durch zwei Namen: Helfferich und Stinnes! Der eine der Vorgänger Hugenbergs in der Führung der Deutschnatio nalen Bolkspartei, der andere der Vorfämpfer der Scharfmacher aus Rheinland- Westfalen , mit denen die National sozialisten heute wieder verbündet sind wie 1923! Und hat Herr Frick Herrn Gotfried Feder ganz vergessen, dessen inflationistische Geldtheorie die Grundlage aller nationalsozialistischen Wirtschaftsweisheit ist? Kein Leugnen schafft die inflationistischen Gelüfte der Harzburger aus der Welt!
Herr Frid versuchte weiter, das Bündnis seiner Partei mit der sozialen Reaktion zu vernebeln. Aber Herr Oberfohren machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er gab die programmatische Erklärung ab, die Frick aus Rücksicht auf die nationalsozialistischen Massen unterschlug: Die nationale Front will die Zerschlagung des Tarifrechts, will die Vernichtung des staatlichen Schlichtungswesens. Sie will den einzelnen Arbeiter ohne die Solidarität der Gewerkschaften, ohne den Schutz des Staates diesen Riesentonzernen gegenüberstellen. Die nationale Front will die Arbeiterversklavung unter den Willen der Monopolkapitalisten. Die nationalsozia
Rücktritt der spanischen Regierung. Erste Folge der antiflerifalen Gesetzgebung.
Madrid , 14. Oftober.( Eigenbericht.) Die Annahme der Verfassungsartikel, wonach keine Staatsreligion besteht, der Jesuitenorden aufgelöst und sein Vermögen zu beschlagnahmen ist, hat den Minister
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Zentrum gegen ein Hugenbergkabinett. Fraktionsbeschluß gegen Tolerierung eines in Harzburg in Aussicht genommenen Kabinetts".
Die Zentrumsfraktion des Reichstages hat am Mitt wochabend in einer kurzen Fraktionssitzung einmütig der Auffassung Ausdruck gegeben, daß sie jede Tolerie rung eines auf der Harzburger Tagung in Aussicht genommenen kabinetts ablehnt. Mit dieser Feststellung, so wird erklärt, sei allen Gerüchten über etwaige Bestrebungen innerhalb des Zen trums, eine Rechtsschwenkung zu fördern, der Boden trums, eine Rechtsschwenkung zu fördern, der Boden entzogen.
Landvolk gegen Brüning.
Die Reichstagsfraktion des Deutschen Landvolks hat am Mittwochabend den Beschluß gefaßt, den eingebrachten Miß trauensanträgen ihre Zustimmung zu geben. In der Aussprache wird die Fraktion eine formulierte Erklärung abgeben. In parlamentarischen Kreisen wird nunmehr versucht, daß pier bis fünf Mitglieder der Landvolkfraktion diesem Beschluß nicht Folge leisten und möglicherweise der Abstimmung fernbleiben werden. Dem Fraktionsbeschluß ist zu entnehmen, daß die vorausgegangenen Verhandlungen mit dem Reichstanzler zu feinem Ergebnis geführt hatten.
Wirtschaftspartei entscheidet sich heute.
Die Reichstagsfraktion der Wirtschaftspartei hat in einer am Mittwochabend abgehaltenen Sigung den Bericht über die Verhandlungen entgegengenommen, die von ihren Vertretern mit dem Kanzler wie auch mit den Führern der Parteien der Rechten geführt worden sind und noch fortgesetzt werden sollen. Die endgültige Entscheidung der Fraktion über ihre Haltung zur Regierung soll in einer neuen Fraktionssitzung am Donnerstagvormittag fallen. Abgeblikt!
Herr Dingelden hat bei dem Reichspräsidenten um eine Unterredung nachgesucht. Der Reichspräsident hat Herrn Dingelden mit teilen lassen, daß er in der augenblicklichen Situation feinen Parteiführer empfangen könne. Herr Dingelden möge sich an den Reichstangler wenden.
sozialistischen und radikalsozialen Minister. Azana ist der Chef der republikanischen Aktion und als radikal und revolutionär bekannt.
Die spanische Nationalversammlung hat nach 14stündiger stürpräsidenten Zamora zum Rücktritt veranlaßt. Auch die mischer Sizung mit 178 Stimmen gegen 59 die Ausweisung der Jesuiten aus Spanien und die Beschlagnahme ihres Eigentums beschlossen.
übrigen Minister sind zurückgetreten.
Zamora ist ein gläubiger Katholik, ebenso der gewesene Innenminister Maura; beide haben gegen diese Artikel gestimmt. Außenminister Lerroug und die Mi nister Domingo und Albarnos enthielten sich der Stimme. Die übrigen Kabinettsmitglieder stimmten für diese Paragraphen. Die Annahme erfolgte mit 171 gegen 59 Stimmen.
Vor der Abstimmung hatte Zamora erklären lassen, daß er für den Fall der Annahme des Paragraphen seinen Rücktritt erklären werde.
Für die übrigen Religionsgesellschaften wird ein Sondergesetz geschaffen, das den religiösen Orden die Ausübung des Unterrichts verbietet und das die Verstaatlichung ihres Besizes ermöglicht. Schließlich wurde die Aufhebung des Haushalts für Klerus und Kult in der Verfassung niedergelegt.
Der China Japan - Konflikt. Keine diretten Verhandlungen. Nach längeren Verhandlungen mit den Partei: in Tokio versucht habe, direkte Verhandlungen mit Japan einzu China dementiert kategorisch die Meldung, daß sein Gesandter führern beauftragte der Parlamentspräsident Besteiro leiten, und fügt hinzu, daß es seine Hoffnung allein auf den Bölkerden Kiegsminister Azana mit der Regierungsbildung. bund fege; bei dessen Versagen werde China entschlossen zu den Azana rechnet mit der Unterstütung der bisherigen Waffen greifen.
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Heute beginnt in Frankfurt am Main der Prozeß gegen gesellschaft( Fava g), der einen der sensationellsten Wirtdie Direktoren der Frankfurter Allgemeinen Versicherungsschaftsprozesse aller Zeiten abgeben wird. Der Zusammenbruch des Favag- Konzerns im August 1929 bildete den Auftaft zu der Serie von Riesenzusammenbrüchen, die in den letzten Monaten das Gefüge der deutschen Privatwirtschaft erschütterten. Die kriminellen Begleiterscheinungen jener Versicherungspleite haben seinerzeit den Keim zu dem allgemeinen Mißtrauen des Auslandes gegen die Führung der deutschen Privatwirtschaft gelegt, das in der Julikrise dieses Jahres seinen vernichtenden Niederschlag fand.
Um die Wirkung dieses Konzernzusammenbruchs auf die deutsche und internationale Deffentlichkeit heute nach zwei Jahren
och richtig ermeſſen zu können, muß man sich die wirtschaftliche Situation vom Sommer 1929 vergegenwärti
gen. Damals lebte man noch in der fast sagenhaften 3eit einer guten Konjunktur. Die Banken waren in ihrer Kreditpolitik alles andere als engherzig. Die Aktienkurse an der Börse hielten sich auf steiler Höhe. In diese ruhige Zeit einer wirtschaftlichen Konjunttur plagte die Nachricht von dem Zusammenbruch eines der größten deutschen Versicherungsfonzerne. Die Wirkung war um so verheerender, als die Favag feit jeher den Ruf eines der solidesten Unternehmen in der deutschen Privatversicherung genossen hatte. Den Aufsichtsrat zierte die erste Garnitur der deutschen Bank fürste n. Noch im Juni 1929, also nur etliche Wochen vor dem Zusammenbruch, hatte die Gesellschaft ihrer Generalversammlung eine glänzende Bilanz vorgelegt und eine Dividente von 12% Pro3. gezahlt. Die Börse quittierte diese offensichtliche Blüte der Favag mit fräftigen Kurssteigerungen der Favag- Aktien, die weit über 200 Proz ihres Nennwertes notietrten. Um so furchtbarer war das Erwachen, als der Zusammenbruch der Favag bekannt wurde. An der Börse sank der Preis für Favag- Aktien innerhalb weniger Tage von 880 auf 80 Mart, ein beispielhalb weniger Tage von 880 auf 80 Mart, ein beispielloser Zusammenbruch in der Geschichte der Bersicherungsaktien.
F
Wie konnte es im Versicherungswesen, dessen Name schon den Sicherheits charakter dieses Geschäftszweiges verbürgen soll, zu jenem Zusammenbruch kommen, der in der fast zweihundertjährigen Geschichte des Versicherungswesens fein Beispiel findet? Der Revisionsbericht der Kommission, die zur Untersuchung von der Generalversammlung eingesetzt war, stellt für die Geschäftsführung eine einzige An= Iage dar. Der Zusammenburch dieses Konzerns, so sagt der Bericht, war kein elementares Ereignis gewesen. Er war vielmehr die Folge einer durch Jahre verfolgten Politik des Vertuschens. Den Vorstandsdirektoren wurden schwere Verstöße gegen Gesez und Satzung nachgewiesen. Vernichtend lautete auch das Urteil über den Aufsichtsrat, dessen Verantwortlichfeit wegen Unterlassung der erforderlichen Kontrolle festgenagelt wurde.
Der Revisionsbericht rollt die Geschichte des FavagKonzerns in den lezten sieben Jahren vor dem Zusammenbruch auf. Und diese Geschichte ist allerdings eine fürchterliche Anklage gegen die Wirtschaftsführung in deutschen Großfonzernen. Schon die Goldbilanz von 1924 mar retuschiert. Als dann die Fäulnis innerhalb des Kon= zerns mehr und mehr um sich fraß, fand niemand mehr den faßbarer Vertrauensseligkeit dahindämmernden Aufsichtsrat Mut zur Wahrheit, und der Vorstand täuschte einen in underart, daß dieser erst am 15. August, also vier Tage
vor dem Zusammenbruch, über die tatsächliche Lage des Konzerns im Bilde war. Wie die Männer des Vorstandes aber, so schließt der Revisionsbericht, persönlichen Eigennutz befundet und die Aktionäre wie Gläubiger schwer geschädigt haben, färbt das Bild tiefschwarz".
Keine gegnerische Polemik könnte über die Geschäftsführung der Konzerndirektoren ein vernichtenderes Urteil fällen als dies von der verwaltungsfreundlichen Revisionskommission geschehen ist. Es genügt, von den realen Ursachen des Zusammenbruches nur einige Fälle aufschäften in Desterreich, Ungarn und der Tschechei, also in dazuzählen. Schon 1922 hatte die Favag aus spekulativen Gemals noch währungsunsicheren Ländern, schwere Berlufte erlitten. Diese wurden zunächst vertuscht. Bei der Goldmarferöffnungsbilanz, wo eine Gelegenheit gegeben war,