Einzelbild herunterladen
 
  

Kr. 453 45. 3abrgang 1. Beilage des Vorwärts

MIC

Donnerstag, 15. Oftober 1931

Winter der Not vor den Toren.

Berlin   kommt aus den Sorgen nicht heraus.- Wirksame Hilfe fehlt.

Von der letzen Notverordnung des Reichspräsidenten halle Berlin die Leistung dringend notwendiger, wirksamer Reichshilfe erhofft. Diese Hoffnung hat sich jedoch wieder einmal als trügerisch erwiesen. Die in der Notverordnung für die notleidenden Gemeinden vorgesehenen Mittel reichen bei weitem nicht aus, die Lösung auch nur der dringlichsten Aufgaben, die der vor den Toren stehende Winter der Not den Stadtverwaltungen auf­geben wird, zu gewährleisten. Niemand kann bestreiten, daß die Männer im Rathaus von sich aus alles getan haben, um die Vorbedingung für die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit Berlins   zu schaffen. Das zeigen auch klar die Ziffern des Sparprogramms, die der ,, Vorwärts" gestern veröffentlichte, wonach noch in diesem Jahre rund 24 Millionen Mark eingespart werden sollen. Nachstehend kennzeichnet der Stadtkämmerer Bruno Asch  , aus unabwendbarem Zwang heraus Spardiktator Berlins  , die Schwierigkeit der Situation. Er wiederholt den Appell an Staat und Reich um Gewährung wirklicher Hilfe.

Die Ermarhing, daß die Reichsnotverordnung der Stadt Berlin   eine bemerkenswerte Erleichterung der Etatlage und eine Entspannung der Kassennöte bringen würde, hat sich nicht erfüllt. Der konstruktive Gedanke der Zusammenlegung der Krisen und Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge, der von allen Sachverständigen seit Jahr und Tag gefördert wird und dessen finanzielle und für­forgerische Vorzüge offenfundig sind, ist unverwirklicht geblieben. Damit ist auch die Möglichkeit entfallen, auf diesem gegenwärtig wichtigsten Gebiete der öffentlichen Wohlfahrtspflege eine ange­meffene finanzielle Zusammenarbeit zwischen Reich, Ländern und Gemeinden herbeizuführen und dadurch die unerträgliche dauernde Unsicherheit des kommunalen Budgets, die sich durch die der zeitige organisatorische Regelung ergibt, zu beseitigen oder wenigstens ausreichend zu mildern. Nach wie vor wird daher angesichts der erneuten Ablehnung der Ruf nach der Vereinheitlichung dieser Fürsorgezweige mit Nachdruck zu erheben sein.

Die Notverordnung selbst bringt eine Beteiligung des Reiches an den gemeindlichen Fürsorgelasten von 230 Millionen Mark. Da durch die Notverordnung vom Juni bereits 60 Millionen Mark zur Verfügung gestellt waren, beläuft sich der Mehrertrag tatsächlich nur auf 170 Millionen Mart. Hinzu kommt aber, daß gleichzeitig in Abänderung der Juninotverordnung den Ländern das Recht ge­geben wird, die Gehaltsersparnisse der Juligehaltstürzung statt für gemeindliche Fürsorgezwecke für ihren eigenen Bedarf zu permenden. Bei der schwierigen Finanzlage aller Länder besteht die Gefahr, daß von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird­Preußen zahlt die Beihilfe trotz aller gemeindlichen Notschreie schon seit Mitte August nicht mehr aus und daß dadurch praktisch die Wirkung der neuen Reichshilfe aufgehoben wird. Nach den Bestimmungen der Notverordnung vom Juni hatte Berlin   aus Reichs- und Landesmitteln etwa 22 Millionen Mart zu erwarten,

-

nach der Oktobernotverordnung etwa 24 bis 25 Millionen Mart. Fällt die preußische Hilfe fort, dann beträgt die Gesamtverbesserung nur wenige Millionen Mart. Bon Preußen muß daher gefor= dert und erwartet werden, daß es sich der übernommenen Ver­pflichtung gegenüber den Gemeinden nicht entzieht und die zuge­fagten, feit zwei Monaten überdies rückständigen Beträge endlich zur Auszahlung bringt.

-

-

Darüber hinaus aber muß Berlin   das bei der Finanzaus­gleichsgesetzgebung schwerste Opfer zu bringen hat aus dem 80- Millionen- Ausgleichsfonds des Reiches, der auf dem Wege über die Länder verteilt wird, einen seiner besonders großen Erwerbslosigkeit und drückenden Notlage entsprechenden Anteil erhalten.

Bisher ist die Reichshauptstadt bei derartigen Fondszuweisungen fast regelmäßig unberücksichtigt geblieben; dieser Zustand darf aber nicht andauern, denn je stärker die unmittelbaren Steuerüberwei­sungen zurückgehen, desto dringlicher wird für Städte wie Berlin  Die angemessene Beteiligung an den großen Zentralfonds des Staates. Die erschreckende Verminderung der Ueberweisungssteuern des Reiches, die von Monat zu Monat zunimmt, erschüttert die Einnahmevorausschätzungen der Stadt auf das schwerste. In den ersten sechs Monaten des laufenden Rechnungsjahres haben Ein­

WENN

56]

ERKURSALT

ROMAN

VON

Faly Scherret

,, Ja....! Rauchen Sie erst mal' ne Zigarre an." James liebt die Bezeichnung Schwälbchen für King nicht. Trotzdem schiebt er liebenswürdig lächelnd die Kiste herüber. Sparen Sie Ihre Streichhölzer, hier ist ein Feuerzeug." Herr Ziege würde sich niemals erlauben, in Gegenwart des Chefs, selbst auf freundliche Einladung hin, die Zigarre anzuzünden.

Eine Weile rauchen beide. James ist es peinlich, mit den Verhandlungen zu beginnen, und der andere wird nicht den Anfang machen.

kommen und Körperschaftssteuer insgesamt 29,5 Mil­lionen Mark erbracht, gegenüber einem Haushaltsansatz für das ganze Jahr von 74 Millionen Mark. Der preußische Ministerial erlaß vom 13. März 1931, der vor Etatsaufstellung herauskam, um den Gemeinden eine zutreffende Veranschlagung ihrer Reichssteuer anteile zu ermöglichen, rechnete für Berlin   jogar mit 90,4 Millionen Mark, so daß das tatsächliche Aufkommen gegenwärtig nur 65 Proz. dieser ministeriellen Borschätzung ergibt. Daß angesichts dieser Ent­wicklung und der starten Zunahme der Wohlfahrts= erwerbslosenziffern viel durchgreifendere finanzielle Hilfs maßnahmen des Reiches erforderlich sind, als diese Rotverordnung sie bringt, ist offensichtlich. Die eigenen kommunalen Sparmaß= nahmen, die auf allen Gebieten gemeindlicher Arbeit durchgeführt worden sind

-

und unter dem Druck der Kassenlage die Grenze des Erträglichen in vielen Fällen schon überschritten haben, fönnen das wird endlich von allen verantwortlichen Stellen anerkannt den Ausgleich nicht bringen.

-

Sie können dieses besonders nicht in Berlin  , das mit einer Zahl von 175 527 Wohlfahrtserwerbslosen am 31. Auguſt, d. h. 40,93 pro Tausend der Bevölkerung, den preußischen Durchschnitt von 21,13 pro Tausend fast um das Doppelte überschreitet, dessen Progression der Wohlfahrtserwerbslosigkeit von 140 197 am 31. März auf 183 403 am 30. September aber besonders erschreckend genannt merden muß.

Wir haben alle Kräfte der Stadtverwaltung darauf konzentriert, in den nächsten schweren Monaten die 3 ahlungsfähigkeit der Stadtkasse aufrecht zuerhalten und den Hunderttausenden Hilfsbedürftiger

und fachlich. Er muß hier einen Kampf führen, der jetzt in allen Betrieben geführt wird.

James erwidert schnell, etwas zu schnell: ,, Um zehn Pro­zent."

,, Das geht nicht." Fren lehnt sich in den Stuhl zurück und macht ein abweisendes Gesicht.

Die Ruhe reizt James. Die Arbeiter sind noch immer anmaßend. Sie haben keine Einsicht in die wirtschaftlichen Notwendigkeiten eines Betriebes, sie denken nur an sich. Warum soll es nicht gehen?" James flopft mit dem rechten Zeigefinger auf den Tisch. Ich sage Ihnen, es wird gehen!" Er ist der Chef, in dessen Hand alle Fäden zusammenlaufen, er ist das Hirn des Betriebes. Wer könnte flarer als er die Lage durchschauen! Allerdings gibt es noch einen anderen Weg." James verläßt den sicheren Hafen hinter dem Schreib­tisch und baut sich dicht vor Fren auf, der ebenfalls auf gestanden ist. Ich werde von der Belegschaft vier Leute Ende des Monats entlassen."

,, Hören Sie, Fren", durchbricht James das Schweigen.1 Sie wissen, daß die Geschäfte schlecht gehen. Es ist so gut wie nichts zu tun."

Können wir eigentlich nicht finden, Herr Silvester." Fren erkennt sofort, aus welcher Richtung der Wind bläft. Wir haben bis jetzt jeden Tag verladen. Gestern gingen die Waggons nach Reval   ab und nachmittag erwarten wir den Baltriger". Zu tun ist schon!"

"

"

1

,, Das hört bald auf. Ueberall stockt es", fällt James schnell ein.., Und dann gehen die Preise täglich zurück. Von Berdienst kann überhaupt nicht mehr die Rede sein. Man setzt das Letzte zu."

Wenn man sein letztes Hemd zusetzt, wäre es flüger, den Laden aufzugeben. Diese Weisheit verschließt Fren aber in feinem Busen. Er nicht nur mit dem Kopf und dieses Nicken fann allerlei bedeuten.

,, Ich habe mich also entschlossen", James studiert mit intensivem Interesse den Brand seiner Zigarre, oder besser, ich habe mich unter dem Druck der Verhältnisse entschließen müssen, vom 1. Juni die Löhne und Gehälter herabzusehen. Mein Büropersonal hat sich bereit erklärt, auf die neuen Be­Dingungen einzugehen."

,, Um wieviel Prozent handelt es sich?" Frey bleibt ruhig

,, Auch hierin muß ich Ihnen widersprechen. Alle Leute sind voll beschäftigt." Frey fährt sich zweimal schnell durch sein dichtes, blondes Hoar. Er beginnt erregt zu werden. Dieser Getreidefritze spielt die übliche Komödie, die jeder durchschaut. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß der Tarifvertrag bis Ende August läuft und vor diesem Termin keine Lohnsenkung ohne Zustimmung der Belegschaft erfolgen kann."

,, Das werden wir sehen!" braust James auf.

,, Das werden Sie auch sehen, Herr Silvester. Nachher fönnen mir nor dem Schlichter neue Verhandlungen führen. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Verkürzen Sie die Arbeitszeit in der Woche um nier Stunden!"

Vilma ist mit Briefen zur Unterschrift eingetreten. Ihr Vorschlag ist nicht akzeptabel. Ob die Motore an den Elevatoren sieben oder acht Stunden laufen, fällt nicht ins Gewicht. Baffen Sie auf, mein lieber Frey, ich setze durch, was ich will. Wenn Sie nicht auf meine Bedingungen ein­gehene, entlasse ich euch alle und stelle andere Arbeiter zu neuen Tarifen ein." James schlägt mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte.

,, Damit werden Sie fein Glüd haben. Niemand tritt unter diesen Umständen bei Ihnen ein! Denn wir sind alle

und städtischer Arbeitnehmer die ihnen zustehenden Unterstützungen und Bezüge zu sichern. Aber diese Aufgabe ist nur lösbar, wenn das Reich und Preußen rascher und wirksamer helfen als bisher in erster Linie durch die organisatorische und finanzielle in erster Linie durch die organisatorische und finanzielle Umgestaltung der Arbeitslosenhilfe.

Bruno Asch  .

Autobus überschlägt sich.

Der Fahrer und vier Lehrerinnen getötet.

Freiburg  ( Schweiz  ), 14. Oktober. Infolge Plagens eines Vorderreifens überschlug jich hente nachmittag bei Giffers   ein Verkehrsomnibus, mit dem Lehrerinnen aus der deutschen Schweiz   einen Ausflug gemacht hatten. Der Omnibusführer und vier Lehrerinnen büßten ihr Leben ein, die meisten Insassen wurden verlegt. Mehrere Verletzte mußten ins Kantonspital Freiburg   gebracht werden.

Dachstuhlbrand in Moabit  .

Im Dachstuhl des ersten Quergebäudes in der Waldstr. 42 unbekannter Ursache Feuer aus. Mehrere Löschzüge der Feuerwehr in Moabit   brach in den gestrigen späten Nachmittagsstunden aus griffen mit fünf Schlauchleitungen in die Bekämpfung des Brandes ein. Starte Rauchentwicklung erschwerte die Löschaktion.

Der Brand konnte in einstündiger Arbeit lokalisiert werden.

Frau Sorge geht

um!

Exmittiert! Arbeits­los gewordene Mieter laden ihren geringen Besitz auf einen Handwagen, um eine neue Bleibe zu suchen. Wo­hin? Elend und Sorgen wollen kein Ende nehmen!

organisiert!" Fren hat die Stimme erhoben und schleudert den Stuhl zurück.

,, King....!" Bilmas Schrei, in höchster Angst hervor­gestoßen, durchtönt das Zimmer.

Fren fährt blißschnell herum und sieht, wie die Dogge mit gebleďten Zähnen gegen ihn anspringt. Er reckt sich empor und schmettert von oben herab die Faust auf Kings Nase. Der Rachen schnappt in die Luft. Dann kracht der schwere Hundekörper auf den Fußboden.

,, Sind Sie verlegt...?" Aus Vilmas Gesicht ist jeder Blutstropfen gewichen. Sie betastet Freys Hände. Bimmer um. Es tut mir leid, Herr Silvester, Schwälbchen ,, Mir ist nichts passiert." Fren sieht sich befangen im 3immer um. Es tut mir leid, Herr Silvester, Schwälbchen war ein schöner Hund."

,, Gehen Sie jetzt!" Bilma   drängt ihn zur Tür und be­gleitet ihn hinaus.

James steht regungslos da.

Als Vilma zurückkommt, fniet er vor King. Eine trost­loſe Leere iſt in ihm. Tot", murmelt er und kann nichts anderes denken. Die Finger krallen sich um den Hals des

erschlagenen Hundes.

,, Nun, James, tot ist tot! Da kann kein Mensch etwas

ändern. Es tut mir auch um den Hund leid, aber trotzdem müssen wir veranlassen, daß er hier herausgeschafft wird. Der Anblick ist nicht erbaulich." ,, Du willst ihn mir nehmen....?" fährt James auf. ,, Er kann ja schließlich nicht in diesem Zimmer verfaulen." Bilma   versucht James wegzuziehen.

Ich gebe ihn nicht her!"

,, Auch nicht für einen Wald voll Affen?" Vilma lacht. den würde allerdings niemand dafür tauschen wollen." ,, Vilma! Du kannst so reden? Du kannst scherzen? Weißt du denn nicht, wie es mir ums Herz iſt?"

Bilma   runzelt die Stirn. Ja, ja", sagt sie ungeduldig, aber es ist doch nur ein Hund!"

,, Nur ein Hund...?" James stöhnt auf. Begreifst du denn nicht, was mir dieser Hund bedeutete? Er war das Symbol meines Glücks. Ohne ihn ist alles aus."

die

Vilma wird nervös. Sie trommelt mit den Fingern auf Tischplatte. Dummes Gehabe, denkt sie. Am liebsten würde ich mit ihm gestorben sein." ( Fortsetzung folgt.)