Beilage
Donnerstag, 22. Oktober 1931
Schützt die Volksbüchereien!
Ein Mahnruf/
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Von Helene Nathan
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
diesem grauen Alltag fliehen, sie lesen Abenteuer und Reisen, anderen wollen diesen grauen Alltag ändern, sie lesen politifd). und sozialwissenschaftliche Werke. Wieder andere wollen sich in ihrem Beruf fortbilden oder sich für einen anderen Beruf vor bereiten; sie entleihen die entsprechende Zweckliteratur. Aber nicht nur durch die Erwerbslosen werden die Anforderungen an die Bolfsbüchereien so außerordentlich gesteigert. Viele Erwerbs. land nicht der Gunst der Obrigkeit erferut; mir in bescheidenem Maße tätige, Beamte, Lehrer, Aerzte und andere, die sich früher Bücher fanden sie öffentliches Interesse. Das deutsche Volksbüchereiwesen faufen fonnten, sind dazu nicht mehr in der Lage; sie benüßen die stand weit hinter dem anglo- amerikanischen zurück. Im neuen Volksbücherei. Die wissenschaftlichen Bibliotheken sind überlastet. Staate wurde manches Versäumte nachgeholt; nach der Stabilisie ihre Bestände sind nicht im Verhältnis zur Zahl der Studierender Deutschland ein. Es wuchs nicht nur in die Breite, es gewann auchbücherei. In den modernen Schulen ist die Arbeit weit mehr als rung setzte ein allgemeiner Aufschwung des Boltsbüchereiwesens in gewachsen; also versuchen manche Studenten ihr Heil in der Volks an innerer Kraft. Mit verhältnismäßig geringen Mitteln wurden früher auf eigene Lektüre der Schüler abgestellt. Die Schulbüchereien hier öffentliche Einrichtungen auf- und ausgebaut, die weite Kreise find feineswegs so ausgestattet, wie es die moderne Schularbeit vererfaßten, viel weitere, als etwa vom Theater und von den Museen langt; also kommen die Schüler in die Volksbücherei. in erster Linie aber denjenigen, die nicht in der Lage find, sich Bücher erfaßt werden. Die Volksbüchereien standen und stehen allen offen, zu kaufen oder teure Leihbibliotheken zu benügen, denen die wissen schaftlichen Bibliotheken verschlossen find. Sie sind als Stätten der Auswahl und Vermittlung wichtig für alle die, die sich in der Fülle der Literatur nicht selbst orientieren können, ganz besonders auch für die Jugendlichen. Das Prinzip der Auswahl unter bildungspfleglichen Gesichtspunkten und das Prinzip der individuellen Bücher vermittlung, das sind die Faktoren, die die Voitsbücherei von jeder, auch von der besten Leihbibliothek unterscheiden. Mit der Durchführung dieser Prinzipien erfüllt sie eine wichtige Aufgabe im Dienste der Erwachsenenbildung; sie ist neben der Bolkshochschule ihr Hauptträger.
Die Leihbibliotheken blühen... Dem aufmerksamen Beobachter werden die Spuren der Wirtschatsskrise im Berliner Straßenbild nicht entgehen. Wohnungen und Läden sind in Masse zu haben; totaler Ausverkauf wegen Aufgabe des Geschäfts ist nicht selten zu lesen. Nur ein Geschäft scheint zu blühen und sich mehr und mehr auszubreiten: die Leihbibliotheten. Der Sekretär der Gesellschaft für Volksbildung, Friz Stach, hat sich die Mühe gemacht, 50 solcher Geschäfte in den verschiedensten Stadt teilen Berlins aufzusuchen. In Heft 7 der Zeitschrift Bolfsbildung" gibt er von dieser Streife ein anschauliches Bild. Er hat festgestellt, daß alle diese Bibliotheken entweder einem einheitlichen Groß unternehmen oder mindestens einem gemeinsamen Verband angehören oder daß sie Einzelgeschäfte sind, bei denen die Leihbibliothet gehören oder daß sie Einzelgeſchäfte find, bei denen die Leihbibliothek mit Papierhandlungen, zigorrenläden usw. verbunden ist. Die Schau- Auswahl fensterauslagen gleichen sich sehr. Die„ Bauchbindensprache" dominiert; deutlichere Töne noch reden die grellen, bunten Titelbilder. Abenteuer- und Kriminalgeschichten, Sittengeschichte und Sittenromane, Gutes und Minderwertiges wird in wüstem Durcheinander zur Schau gestellt. Je nach dem Stadtteil ist die Aufmachung mehr oder weniger reißerisch, je nach der zu erwartenden Kundschaft wird Klaffenkampf, Revolution, Berbrechertum, Geschlechtsleben, Liebe, Gesellschaftsstandal in den Vordergrund gerüdt. Die Geschäftsinhaber lassen sich nicht lumpen; wie im Kolonialwarenladen bei einem Einkauf von bestimmter Größe eine Tafel Schokolade zugegeben wird, so ist es in einzelnen Leihbibliotheken üblich, daß der fleißige Leser sein 20. oder 25. Leihbuch umsonst lesen darf, oder Daß derjenige, der bereits am nächsten Tag sein Buch umtauscht, 5 bis 10 Pfennig zurückvergütet erhält( ausgenommen ist Sonntag). Ja, eine Leipziger Leihbibliothek bietet erwerbslosen Abonnenten ein Mittagessen für 20 Pfennig an. Nach den Feststellungen Stachs ist die Kundenzahl dieser Leihbibliotheken erheblich; ein kleiner Laden im Berliner Osten gibt bekannt:„ rund 4000 Bücher im Umlauf". Auf alle Fälle scheint sich das Geschäft vorläufig zu alle rentieren. Im vorigen Winter tauchten auffällig viele dieser Geschäfte auf; fie überdauerten den Winter und sind noch heute da. Die Leihgebühr beträgt 10 bis 20 Pfennig pro Woche im Durch schnitt; bei Neuerscheinungen steigt sie, am höchsten steht die Erotik im Kurse; sie kostet bis 2 Mart.
Wie ist dieses rasche Anwachsen der Leihbibliotheken zu erklären? Es hängt sicherlich mit der großen Arbeitslosigkeit zusammen, die viele Menschen zu unfreiwilliger, schwerer, unerträglicher Muße awingt; es hängt zweifellos damit zusammen, daß die Erwerbstätigen sich vielfach die gewohnten Zerstreuungen, Theater, Kino, Konzert, nicht mehr leisten können und das Buch ihre einzige Abmechselung und Zerstreuung ist. Man braucht sich also feinen Illusionen hinzugeben; man braucht nicht zu glauben, daß hier ein ungeheurer Bildungshunger erwacht ist. Das starfe Lefebedürfnis ist gum guten Teil Unterhaltungsbedürfnis; das Buch dient als Zeitvertreib, zur Ausfüllung leerer Stunden, es ist Surrogat. Aber dennoch eröffnen fich hier außerordentliche Möglichkeiten. Menschen, die nie zum Buch gegriffen haben, die nie Zeit oder faum jemals Lust dazu hatten, fommen in Berührung mit diesem Zaubermittel, das so gute und so schädliche Wirkungen ausüben kann. Und wie wird dieser Augenblid, der die Möglichkeit bietet, in größerem Umfang fruchtbare Beziehungen zwischen Mensch und Buch her zustellen, genügt? Das Kapital erkennt die Chance; es befriedigt das Lefebedürfnis und haf dabei selbstverständlichen Geminn im Auge. Also wird das angeboten, was vielen wohlgefällt, was reizt, mas lot, was niederen Instinkten entgegenkommt. Es wird feines megs nur Fragwürdiges, Minderwertiges angeboten; sondern schlechte und gute Bücher treten nebeneinander auf. Und gerade diese Mischung, dieses unterschiedslose Nebeneinander von gut und schlecht ist gefährlich. Die Tatsache, daß hier für wenig Geld sich jeder, auch der Jugendliche, nach Herzenslust Geschmack und Gemüt verderben kann, hat die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich gezogen; in Zeitungen und Zeitschriften wird auf die drohende " Seuche", auf die„ Volksgefahr“ hingewiesen. Der Miniſter des Innern hat die Polizeiverwaltung aufmerksam gemacht;„ lieb Baterland, magst ruhig fein", es ist alles in bester Ordnung.
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Die Volksbüchereien werden abgebaut! Während sich diese Seuche" ausbreitet, vollzieht sich in aller Stille der Abbau einer öffentlichen Einrichtung, die dazu beitragen fönnte, der aus dem starken Lesebedürfnis sprechenden geistigfeetischen Not erfolgreich zu steuern, der Abbau der Bolts büchereien . Die Voltsbüchereien haben sich im alten Deutsch
Die deutschen Boltsbüchereien sind immer start in Anspru.h genommen worden, sie hätten, wenn ihnen mehr Mittel zur Verfügung gestanden hätten, eine weit ausgebreitetere Tätigkeit entfalten fönnen. Ihre Statistiken beweisen, daß das Lesebedürfnis immer da war. Zeitweilig, so in den Anfängen des Radio, trat es etwas zurüd, aber troß gelegentlicher Schwankungen hat es sich immer wieder geltend gemacht und in der starken Benutzung der Boltsbüchereien feinen Ausdruck gefunden. Der Massenansturm, den die deutschen Volksbüchereien seit 1929 erleben, übertrifft jedoch weit alle bisherigen Benügungszahlen. Verdoppelung der ejerzahlen seit 1928, Steigerung der Entleihungen um 20 bis 60 Proz., in einzelnen Fällen sogar Zunahmen von 80 bis 100 Proz., das ist das Bild, das die Statistiken bieten.
Woher kommt dieser enorme Zulauf? Er ist ebenso zu er= flären, wie das Anwachsen und die starke Benutzung der Leihbüchereien. Die Erwerbslosen strömen in die Volksbüchereien, in manchen machen sie 40 bis 60 Proz. der Leser aus. Die Dede ihrer müßigen Stunden bedrückt sie; ,, die Decke stürzt ihnen überm Kopf zusammen", fie wollen fich ablenten. Die einen wollen aus
Das Herz im kaffenschrank
Gespräch mit dem„ Studentenvater" Duisberg Das Zentralorgan der rechtsradikalen Deutschen Studenten schaft"," Der Student", veröffentlicht in feiner legten Nummer ein Gespräch mit dem Studentenvater", das sein erster Redakteur, der in der Hochschulpolitik sattsam bekannte Hermann Proebst mit dem Industriellen Karl Duisberg aus Anlaß seines siebzigsten Geburtstages geführt hat. Dieses Interview plaudert so manches aus, was für die Kulturpolitik der Schwerindustrie wertvoll erscheint, und was daher wichtig ist, auch in Arbeiterkreisen bekannt zu sein.
Wir erfahren, daß Duisberg , der den Vorsiz im Reichsverband der Deutschen Industrie niedergelegt hat, soweit wie möglich alle Aemter aufgeben will, aber der Studentenarbeit will er sich noch mehr widmen als zuvor. Diese Arbeit erscheint zu wichtig, als daß er sie aufgibt, ist doch die Beeinflussung der Studenten für die In dustrie mit ein Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Vormachtstellung. „ Mein Herz ist im Kassenschrank in Dresden eingeschlossen", erzählt der„ Studentenvater", und deutet damit an, daß zwischen der deutschen Industrie und dem Deutschen Studentenwert in Dresden engste, freundschaftliche Beziehungen bestehen. Dieser Ausspruch wiegt mehr als alle Beteuerungen des Studentenwerkes, das sich immer als überparteiische, völlig neutrale Dorganisation ausgibt, jedoch mit unendlich vielen Beziehungen der Industrie und ihren Kreisen verbunden und dienstbar ist. Wir glauben gern, daß der Geschäftsführer des Deutschen Studentenwerfes, Herr Dr. Schairer, mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Reichsverbandes der Deutschen Industrie gut zusammenarbeiten fonnte.
Als ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist von uns trotz aller gegenteiligen Dementis der sogenannte Amerika - Werkstudentendienst stets bezeichnet worden, eine Einrichtung, die deutsche Studenten
Was
pruch genommen, müßte die Volksbücherei, um So von allen Seiten bedrängt und in An diesen erhöhten Anforderungen zu genügen, weit größere Mittel haben als früher. geschieht statt dessen? Die ohnehin unzureichenden Mittel der Volksbüchereien werden rigoros beschnitten. Im Berliner Volksbüchereiwesen betrug die Anschaffungssumme für Bücher im Jahre 1930 217 410 Mart. Diese Summe ist 1931 um 50 Pro3. gekürzt worden. Während sich die Zahl der Leser gegenüber dem Jahre 1928 um 93,9 Proz., die Zahl der Entleihungen um 77,8 Proz. erhöht hat, wuchsen die Bücherbestände in der gleichen Zeit nur um 14 Proz. Im Jahre 1928 standen pro Stopf des Lesers 9,5, im Jahre 1930 nur noch 5,7 Bände zur Berfügung. Wie verhängnisvoll sich die Kürzungen des Jahres 1931 auswirken werden, ist danach ohne weiteres flar. Wenn auch die Büchereietats in anderen deutschen Großstädten nicht so start beschnitten worden sind wie in Berlin , so werden doch von allen Stellen erhebliche Kürzungen gemeldet.
Herabsetzung der Mittel bei Steigerung des Betriebes bedeutet aber für die Boltsbüchereien, die ja Berbrauchsbüchereien find, daß die rasch zerlesenen Bücher nicht ersetzt werden können, daß die Substanz schwindet. Also Verfall in kürzester Zeit! Und das geschieht, obwohl überall von der geistigen Nothilfe für die Erwerbslosen gepredigt wird. Es werden Eingaben gemacht, um neue Einrichtungen für solche Nothilfe zu fordern; aber die Einrichtungen, die da sind, werden vernachlässigt, werden dem Verfall preisgegeben. Wir schreien nach der Polizei, um die verheerenden Wirkungen der Leihbibliotheken einzudämmen. Wir werden im Jahre 1932 große Goethe- Feiern haben, es werden schöne Worte von der deutschen Kultur geredet werden; aber die Stätten, die der Pflege deutscher Kultur dienen, lassen wir ver
fümmern.
auf ein bis zwei Jahre in amerikanische Werke vermittelt, damit fie dort gute Wirtschaftsorganisation" fennenlernen. Geheimrat Duisberg sagt, daß ihm an diesem Werkstudentendienst sehr gelegen ist. Ganz besonders wertvoll erscheint mir die Schule der amerika nischen Werte wegen des guten Berhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen." Das also erstrebt der deutsche Industrielle! Damit deutsche Studenten lernen, wie zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer das Verhältnis von Vorgesetzten zu untergebenen erreicht wird, deshalb hat er sein Herz in den Kassenschrank in Dresden einschließen lassen und das Studentenwerk ist ihm zu Diensten!
Selbstverständlich begrüßt der Herr Geheimrat auch das Werkstudententum, denn eine praktische Werfarbeit ist für jeden Studena ten nützlicher als das verhängnisvolle Staatsstipendiatentum, bei dem eventuell eine Beziehung zur Republik eintreten könnte. Der Kampf der rechtsradikalen Studentenorganisationen gegen die Studentenhilfe des Staates gewinnt hierdurch eine neue Beleuch tung. Dabei vergessen diese Herren geflisfentlich, daß jeder Student ein Staatsstipendiat" ist, denn ohne die Steuerkraft des Volkes wäre die Unterhaltung der Hochschulen gar nicht möglich.
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Die Betonung der praktischen Werkarbeit der Studenten gibt aber auch zu denken, angesichts der Bemühungen der rechtsradikalen Studentenorganisationen über den Weg des freiwilligen Arbeitsdienstes, die Arbeitslager einzurichten. Auch das Deutsche Studentenwerk beteiligt sich an dieser ihm völlig fernliegenden, höchſt auffälligen Tätigkeit. Sollte das im Kassenschrank eingeschlossene Herz des Industriellen einen leisen Wunsch geflüstert haben? Die verantwortlichen Vertreter der Arbeiterschaft täten gut, hier einmal nach dem Rechten zu sehen, denn es dürfte der Partei und den Gewerkschaften nicht gleichgültig sein, was hier zustande kommt. Die Frage nach der Deutschen Studentenschaft " ist nicht leicht
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