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Nr. 501 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 25. Oftober 1931

Das gefälschte Berlin

Kehnert

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Wie Berliner Kinder den Lecker­bissen ,, Hering" angeblich schon auf der Straße verschlingen

Export an Fälschungen.

Das Besondere ist nun, daß solche Vorgänge aufgebauscht werden. Da werden nicht nur Tatsachen in schiefer und einseitiger Form in die Welt hinausposaunt, sondern da wird direkt mit Fäl schungen gearbeitet. Es herrscht geradezu ein Export an Fälschungen. Der berüchtigste Fall passierte in der In flation. Man achtete damals, wie jest wieder, scharf auf Devisen. Jetzt kam ein Mann und stellte ein Photo. 3og zwei Leute als Schupos an und ging mit den beiden in sein Stammcafé. Die Gäste, die für eine Stubenlage den Fez mitmachten, mußten alle aufstehen, die Hände hochheben, und dann visitierten die Boli zisten" den Gästen die Taschen. Die Szene wurde geknipst, und unter die fertige Photographie wurde geschrieben: Devisen. tontrolfe in Berlin . Das war etwas für die amerikanische Sensationspresse: Mit- Kußhand wurde das Bild genommen und ein märchenhaft hoher Dollarbetrag für das Bild bezahlt. Dann faßen die Yankees von New Yort bis Los Angelos und von Detroit bis. Galveston eines Morgens beim Frühstück, bejahen sich den Schwindel und meinten, na, in Berlin , da herrschen ja schöne Zustände.

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In wenigen Wochen wird sich der Tag jähren, daß eine andere unverschämte Fälschung aufgedeckt wurde. Wenn man bei jener merkwürdigen Devisenkontrolle immer noch sagen kann, die Sterle hatten wenigstens eine Idee, dann muß man sich bei der anderen Fälschung nur an den Kopf fassen, daß es noch Redaktionen in der Welt gibt, die ihren Lesern so etwas vorzusetzen wagen. Wir meinen die Photographie aus der in Moskau erscheinenden ,, Kom­ somolskaja Prawda ", zu deutsch : Jugend- Wahrheit. Dieses Blatt brachte ein Bild, unter dem geschrieben stand: Die Polizei jagt eine Demonstration der arbeitenden Frauen in Berlin auseinander!" Das waren ganz seltsame Ber­ liner Arbeiterfrauen", die hatten allesamt lange weiße Gewänder an, wie sie Inderinnen tragen, und die preußischen Schutzpolizisten, die steckten in Uniformen, wie sie die indische Eingeborenenpolizei trägt. Es war also für jeden Menschen erkenntlich, daß es sich um ein Bild von den Gandhi - Wirren handelt. Trotzdem wird runter­geschrieben: Schupo schlägt auf Berliner Arbeiterfrauen ein. Oder etwas anderes. Es war am Tage der Beerdigung Gustav Strefe­manns. Zur Sicherung der Absperrungen wurde berittene Polizei eingesetzt, das heißt, die Reiter standen erst einmal ausgerichtet mit ihren Pferden im Tiergarten und warteten. Pferde und Reiter wurden photographiert, und nach einiger Zeit tauchte das Bild in einem kommunistischen illustrierten Blatt auf. Da wurde jedoch nichts mehr gesagt vom Begräbnis Stresemanns, sondern genau dieselben berittenen Polizisten ständen angeblich bereit, um in Düsseldorf über mehrlose Arbeiter herzufallen. Kein Wort ist davon wahr.

Für die Schwarzwälder Stammtische.

Es brauchen nicht immer gefälschte Photos zu sein, mit denen Berlin diffamiert wird. Druckbuchstaben machen es auch. So bringt das Tagebuch eine Schilderung des Schwarzwälder Tageblatts" über den Kurfürstendamm in Berlin . Hier heißt es über diese Straße im Berliner Westen:... da macht sich am hellichten Tage schamlos, in flintige Wolken üblen Parfümduftes gehüllt, das wider­natürlichste Lafter breit. Weibliche Bärchen wandeln innig um­schlungen auf und ab... und der Inhalt sämtlicher Hurenhäuser

Es ist das Unglück Berlins , daß diese Stadt, außerhalb ihrer Mauern, fortgesetzt mit For­gängen in Verbindung gebracht wird, mit denen es als Stadt gar nichts zu tun hat. Wenn eine Verordnung herauskommt, dann raunzt es von Tuntenhausen bis Gumbinnen :, Aha, das sind die wieder in Berlin , ausräuchern müßte man das Nest!" Ueber Politik kann man noch diskutieren. Doch die unausgesetzte Verfemung Berlins wird ja noch mit viel billigeren Mitteln betrieben. Jetzt geht es hinaus in die Dörfer und Flecken: fünf Morde an einem Tag, dazu zehn Raubüber­fälle in Berlin ! Nur noch Mord und Totschlag, eine schöne Hauptstadt haben wir. Daß aber in Berlin viereinhalb Millionen Menschen zusammengepfercht hocken und bei den heutigen Zeiten einen verzweifelten Kampf um ihre Existenz kämpfen, das überlegt man sich nicht. Es gibt Brandien in Berlin , die sind tot, so tot wie die Wenzeslaus- Grube bei Neurode. Wer braucht heute noch einen Gürtler und mer braucht noch einen Stukkateur? Kaum jemand. Aus ist das mit dem Gipsputz der roilhelminischen Zeit an den Bauten, und Kronleuchter werden heute serienweise hergestellt und gestanzt. Nimmt nun einer den Strick und hängt sich auf, nachdem er vorher noch überlegte, warum sollen die Kinder, diese armen Würmer ohne Zukunft weiterleben, ich nehme sie mit in den Tod, dann geht es hinaus in die Provinz: ,, Neuer Doppelmord in Berlin !" Das wäre in dieser ungeschlachten Form, die von den Ursachen einer Tat gar nichts wissen will ungefähr dasselbe, als wenn sich die Berliner por den Anhalter Bahnhof stellten und alle Reisenden nach Halle anhielten: Um Gotteswillen, Sie wollen nach Halle fahren? Tuen Sie das nicht, da sterben Sie ja! Wissen Sie denn nicht, daß Halle an der Saale die höchste Sterblichkeitsziffer von ganz Deutschland hat? Das ist ja furchtbar in Halle!" Dabei ist es in Halle so wenig furchtbar wie in Nürnberg oder in Flensburg , trotz der höchsten Sterblichkeits­ziffer. Halle hat nur eine Universitätsklinik, rohin aus halb Mitteldeutschland nicht gerade Leute kommen, die nur einen Schnupfen haben, sondern Schwerstkranke. Und so hat Halle prozentual mehr Todesfälle als jede andere Stadt. Kein Mensch zeigt mit den Fingern auf Halle, aber das sollte einmal in Berlin passieren.

Die ,, gestellte" Devisen­kontrolle

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der Belt, von den Zeiten Kaiser Neros über die verderbte Epoche Venetiens bis zu den Lasterhöhlen Schanghais ist auf diese Straße gespien!.. Larven der reinen Erotik! Um des Seruellen willen entstellt, bis feine Aehnlichkeit mit menschlichem Antlig mehr bleibt! Weiber, die sich die Augenbrauen abrasieren und die Striche, die fie andeuten sollen, auf die Backen, unterhalb der Augen, ziehen... Hetären schrecken nicht davor zurüd, die Gedanken mit dem Blut­rausch der verruchtesten und primitivsten Form des Liebeslafters zu verbinden, indem sie die Fingerspitzen blutig rot anmalen. Das ist der mahre Kurfürstendamm !" Das ist eine Kostprobe von dem, was die Schwarzwälder Bauern über ihre Reichshauptstadt zu lejen triegen. Der Reiseontel vom Schwarzwälder Tageblatt" ist in der Schule der Süddeutschen Monatshefte" sehr eifrig gewesen. Nun stehen die Berliner Arbeiter dem Kurfürstendamm mit einiger Reserve gegenüber. Anders gesagt, fie gehen erst gar nicht hin, weil sie dort nichts verloren haben. Am besten fennen ihn noch die Berliner Bauarbeiter, wenn sie dort ein Haus bauen oder einen Laden erneuern. Dann stehen sie in ihrem Arbeitsfittel auf dem Leitergerüft und sehen sich den Betrieb mitunter von oben an. und die Metallarbeiter, die auf dem Wedding wohnen und in Siemensstadt : oder in Schöneweide arbeiten, die bleiben auf dem Gesundbrunnen , und es kommt ihnen nicht einmal der Gedanke, auf dem Kurfürstendamm zu promenieren. Schließlich tagen Ge­merfschaftsversammlungen auch nicht in der Nähe des Zoologischen Gartens, das wird in der Hasenheide oder am Friedrichshain ab­gemacht. Aber nun derartige Dinge über den Kurfürstendamm zu erzählen, das geht denn doch zu weit. Ebenso gut könnte man die Fragestellung umdrehen und fragen: mer geht denn da hin? Wir

nicht. Aber bestimmte Fremde. Die erzählen nachher auf ihrer Klitsche: Na, ich fann Ihnen sagen, in Berlin ...!"

Unverantwortliche Tatarennachrichten.

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Ein Berliner Journalist hat sich unlängst die Mühe gemacht, einigen Berliner Krisenmärchen nachzuforschen. Er recherchierte sorgfältig alle jene Tatarennachrichten, nach denen in jeder Nacht tausend Obdachlose auf den Bänken des Tiergartens nächtigen, Scharen verzweifelter Studenten bettelnd von Haus zu Haus ziehen, oder daß im Alten Westen" hungern ein verkrachter Banfier fitzt, der seine Billa gegen freie Beföftigung bis ans. Lebensende verschenken will. Nachrichten, nach denen im Osten der Reichs­hauptstadt täglich Hauswirte ihre Häuser anstecken, weil sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, oder daß der An­drang zur Universität geradezu ungeheuer iſt, näinlich von men­schen, die ihren Körper der Anatomie verkaufen wollen. In einem Berliner Mittagsblatt hat er das Ergebnis seiner Nachforschungen veröffentlicht. Hein Wort ist an dem ganzen Schwindel wahr! Die Parkwächter, die zusammen mit der Schutzpolizei nachts den Tier­garten aufs strengste fontrollieren, wecken monatlich höchstens zehn ,, Penner". Die Studentenhilfe versicherte, daß fein Student bettelt; die Fechtbrüder, die sich als Studierende bezeichnen, sind Schwindler. Kein Banfier aus der Tiergartenstraße figt hungernd in der Pförtnerloge, noch weniger will jemand seine Billa verschenken. Die Zahl der Brandstiftungen nimmt nicht zu, sondern ab, weder Feuerwehr noch Grundbesitzervereine wissen etwas von abgebrannten Häusern im Osten der Stadt. Die Universität.fauft keine Menschenleiber. Noch etwas über die Bettler. Was wird nicht alles über

Neue Sprengstoff- Funde in Berlin .

In der Laubenkolonie und bei einem Kommunisten.

In Berlin sind in den letzten Tagen, wie erit jetzt bekannt wird, an zwei verschiedenen Stellen größere Mengen Sprengstoff beschlagnahmt worden. Ein Teil des Spreng­stoffes lagerte an verborgener Stelle in einer Laubentolonie, der andere Teil wurde in der Wohnung des fommunistischen Funktionärs& irch beschlagnahmt. Die Menge des gefundenen Sprengstoffes beträgt weit über einen Zentner. Außer dem reinen Sprengstoff wurden noch Borrichtungen zur Herstellung von Sprengförpern fowie Sprenganweisungen entdedt.

mehreren Werken der Provinz in der letzten Zeit erfolgt find. Gegen den festgenommenen Kirch ist ein Strafverfahren wegen Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz eingeleitet worden. Ebenso wie die Berliner Polizei haben auch die Polizeibehörden in der Provinz an fünf Stellen zu gleicher Zeit Durchsuchungen fommunistischer Bezirkszentralen vorgenommen. Es handelte sich dabei um Feststellungen, wie weit sich die Fäden der Sprengstoff­zentrale erstrecken und welchem Zweck diese Anhäufung diente.

Bereits im vergangenen Jahre wurde von der Politischen Bolizei ein kommunistisches Sprengstofflager entdeckt und ausge­hoben. Damals konnten über zwanzig Personen, alles Mitglieder der Kommunistischen Partei, verhaftet werden. Die Kolonne ar­letzteren gelang es, rechtzeitig zu flüchten. Wie später ermittelt murde, befindet sich Gutsche in Sowjetrußland. Sein Komplice Goth und die übrigen Mitschuldigen fizen seit Monaten in Unter­suchungshaft; das Verfahren beim Reichsanwalt in dieser Angelegen­heit schwebt noch. Auch bei dieser Affäre wurden nicht nur in Berlin , fondern auch in Erfurt , Breslau usw. verschiedene Kommu­nisten festgenommen. Es wird vermutet, daß Kirch das Treiben des nach Rußland entflohenen Gutsche fortgesetzt, jetzt aber das­

Da der zur Kommunistischen Partei gehörende Funktionär Kirch, der seit den Jahren 1921 bis 1923 der Polizei bekannt ist, wurde zur Auffindung und Sicherung von Beweisspuren das tommunistische Parteihaus, das Karl- Liebknecht- Haus am Bülow- beitete unter Leitung der Funktionäre Goth und Gutsche. Dem plaz, gestern nachmittag einer Durchsuchung unterzogen. Die Durchsuchung mar in den späten Abendstunden noch nicht beendet, fo daß über das Ergebnis der polizeilichen Attion näheres noch nicht mitgeteilt werden kann. Mehrere im Liebknecht - Haus Be­schäftigte mußten festgenommen werden, da sie sich den Anordnun gen der Polizei widersetzten. Der gestern beschlagnahmte Spreng stoff ist vor einigen Tagen in zwei Koffern nach Berlin geschafft worden. Nach den bisherigen Feststellungen stammt der Explosivstoff zweifellos aus Diebstählen, die in selbe Schicksal wie sein Vorgänger erlitten hat.

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