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Nr. 521 45. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Freitag, 6. November 1931
Von Freunden umgebracht Der Mord ah dem Neunzehnjährigen Weiße Taube" taucht auf
Der Mord an den» ISjährigen Arbeiter Fritz Kirchert aus der Äöslincr Straße 4 hat in der ganzen Gegend größtes Aufsehen erregt. Hunderte von Schau» lustigen umlagerten bis in die späten Abendstunden hin» ein die graue Mietkaserne. Allerlei Gerüchte gehen von Mund zu Mund; eine Frau will gegen 11 Uhr zwei junge Leute gesehen haben, die in auffallender Eile das Haus verließen. Tic eigenen Freunde sollen es gewesen sein, meint jemand, und es scheint beinahe, daß er damit der Wahrheit am nächsten kommt. Der junge Kirchert, der mit seiner fast 60 Jahre alten Mutter in der 1. Etage des Quergebäudes ein« aus Stube und Küche be­stehende Wohnung innehatte, uxir wie so viele tausende junger, arbeitsfreudiger Menschen seit einiger Zeit ohne Arbeit. Sein« alt« Mutter, die über den entsetzlichen Tod ihres Jungen gänzlich zu» sammengebrochen ist, hatte im Hause die Portierstelle. Nebenbei half sie noch in anderen Haushalten, um ein paar Mark zu ver. dienen. Außer der Reinigung oblag Frau K. auch die E i n t a s s i e» r u n g der Mieten. Meist wurde das Geld in ihrer Wohnung abgeliefert, dann und wann hat st« selbst oder auch der Sohn die Gelder eingezogen. Die Summe der letzten Einkassierung betrug an. nähernd 400 M., diesen Betrag hatte Frau Kirchert vorsichtigerweise in ihrer Wohn» und Schlafstube versteckt. Die Täter, die die ganze Wohnung durchwühlt hatten, fanden das Geld nicht. Es wurde völlig unangetastet gefunden. Um«in Nichts ist also ein junges Menschenleben gewaltsam ausgelöscht worden. Mit einem Handtuch erdrosselt. Die Polizei glaubt, daß für die Tat zwei Männer in Frage kommen, die den jungen Kirchert kannten. Bei irgendeiner Gelegen- heit muh er in unvorsichtiger Weise von der Einkassierung der Mieten gesprochen haben. Vielleicht sind die Täter unter den B«< kanntschaften von Männern zu suchen, die Kirchert auf Vergnügungs. Plätzen wiederholt gemacht hat. Als Frau K. gestern vormittag gegen 10 Uhr fortging, sprach ihr Sohn noch davon, daß ihn wahrscheinlich Bekannte besuchen würden. Man wollte angeblich gemeinsam darüber beraten, einen vor Jahren eingegangenen Ge» selligkeitsvereinWeiße Taube" wieder neu ins Leben zu rufen. Daß dieser Besuch mit der Mordtat im Zusammenhang steht, ist außer Zweifel. Wahrscheinlich ist der junge Menjch hinterrücks niedergeschlagen und durch mehrere wuchtige Hiebe mit einem stumpfen Gegenstand bewußtlos gemacht worden. Mit einem Handtuch ist fcis Opfer dann erdrosselt worden. Das wilde Durcheinander in der Wohnung, die aufgerissenen Schubladen deuten darauf hin, daß die Verbrecher in wilder Hast alles durchsucht haben. Offenbar fürchteten sie die vorzeitige Rückkehr der alten Frau. Der Personenkreis, zu dem der Ermordete Beziehungen hatte, ist verhältnismäßig groß und so muß die Mordkommission unter Leitung der Kommissare o. Liebermann und Dr. Schambacher außer. ordentlich zahlreichen Spuren nachgehen. Schon knapp zwei Swn- den nach ver Entdeckung des Mordes wurde ein Arbeiter P., der Tat dringend verdächtig, festgenommen und ins Polizeipräsidium ge- bracht. P. bestreitet die Tat ganz energisch und sein Midi, Das er angeboten hat, ist sofort nachgeprüft und zum großen Teil für richtig befunden worden. Wahrscheinlich schon heute dürfte die Obduktion der Leiche erfolgen, wonach noch näher« Rückschlüsse auf die Tat mögllch sein werden. Ein junger Mann namens W., auf den aus dem Publikum heraus der Verdacht der Täterschaft gelenkt worden war, wurde von den Kriminalbeamten auf einem in der Nähe gelegenen Sportplatz ermittelt und herbeigeholt. Für das Publikum schien die Täterschaft
diese» jungen Mannes schon festzustehen, denn die Beamten hatten all« Mühe, ihn vor einer Lynchjustiz zu bewahren. Nach einer kurzen Gegenüberstellung wurde er zum weiteren Verhör nach dem Polizeipräsidium gebracht. Ilovv Mark Belohnung. Der Polizeipräsident hak noch gestern abend 1000 Mark Belohnung für die Ergreifung der Mörder bzw. für Mitteilungen aus dem Publikum, die zur Festnahme der Täter führen, ausgesetzt. Die Mordkommission von Liebermann- Dr. Schambacher ist unter verolina OOZZ zu erreichen. Alle vckun- düngen werden streng vertraulich behandelt.
Hat Kleen auch gemordet? Durch das Geständnis des Ehepaares Kleen aus Neu-Bochow ist der Ueberfall auf den greisen Landwirt Zingelmann und seine Frau In Groß-Kreutz   völlig geklärt. Jetzt ist K. abermals in den Lierdacht geraten, den Mord an dem 7V Jahre alten Professor Kurz, der vor zwei Jahren in seiner Villa in Werder   er- schlagen aufgefunden wurde, begangen zu haben. Kleen gehörte zu den Schuldnern des alten begüterten Professors. Kleen brachte
damals ein Alibi bei, das nicht so weit erschüttert werden konnte, um eine Verhaftung zu rechtfertigen. Die Kriminalpolizei hat jetzt eine erneute eingehende Untersuchung des Mordf�sts Kurz ein- geleitet. Kurzfitzung im Rathaus. Neuer sozialdemokratischer Vorstoß für Oauerkleingärien. Eine Sitzung der Stadloerordueten, die nur ZS Minuien dauert, ist noch nicht oft vorgekommen. Gestern war man im Berliner Rathaus   so schnell mit der Arbeit fertig. Nach dem Beschluß des A c l t e st c n a u s s ch u s s c s wurden nämlich die hauptsächlichsten Punkte von der Tagesordnung abgesetzt. so daß lediglich über einen Antrag der Sozialdemokraten, der vom Magistrat die seit Jahren immer wieder hinausgeschobene Verkündung des Ortsgcsetzes über Reichshcimstätten» Gartengebiete und Dauerkleingärtcn verlangt, verhandelt wurde. Aber auch darüber gab es keine Debatte, denn Bürgermeister Lange(Soz.) erklärte, der Magistrat werde sich in seiner nächsten Sitzung mit einer neuen Vorlage beschäftigen, so daß es tunlich fei, jetzt nicht zu debattieren. Die Versammlung war damit einverstanden. Die in der vorigen Sitzung ausgesetzte und gestern vor- genommene Abstimmung über den Antrag, sofort in T e m p e l h o f eine neue Doppelschule zu bauen, ergab die Ablehnung des An- träges. Die Versammlung beschloß noch, für die Beratung der Anträge der einzelnen Fraktionen, die Sparmaßnahmen zum Gegenstand haben, in der nächsten Sitzung eine Redezeit von einer halben Stunde für jede Fraktion festzusetzen. 20 Minuten nach 18 Uhr war die Sitzung bereits zu Ende.
Der Potsdamer Platz Berlins   repräsentativster Verkehrs­knotenpunkt zeigt ein neues Gesicht
Lange schien es, als m'xrde der riesige Bauzaun, von t dem das Auge der Hygiene' schau streng auf dashastends Volk von. Berlin   her ab­schaute, überhaupt nicht mehr verschwinden. Aber es fehlte nur an der Initia­tive. In elf Wochen ist am- Potsdamer Platz   eines der modernsten Hochhäuser, das Columbus-Haus, erstanden. Mit seinen elf Sfockroerken ist es bis weit in die Leip­ ziger   Strafte als ein Zeichen optimistischen H illens sicht­bar.
Kein Muskel bewegt sich in dem Gesicht der Mutter. Vater geht es wie dir", sagte sie ruhig,er kann das Klima hier nicht recht ertragen, es ist ihm zu weichlich und zu schwül. Er ist erregt und nervös und geht deshalb spazieren." Aber Germaine ist viel zu erschüttert und mitgenommen, als das sie schweigen kann.Ich habe alles gehört", stößt sie heftig hervor,ich weiß auch, warum Papa wegegangen lst! Ihr habt euch gezankt.. Das Gesicht der Mutter verändert sich auch jetzt mcht. Noch immer behält sie ihren ruhigen, beherrschten Ausdruck. Sie ist nicht gewöhnt, zu irgend jemand über sich selbst und ihr Inneres zu sprechen. Ja, Germaine, wir hatten in der Tat eine kleine Meinungsverschiedenheit, aber das wird sich wieder aus- gleichen. Du weißt ja, Papa ist manchmal etwas heftig. Er meint das nicht so." Aber Germaine ist es nicht nwglich, auf diesen Ton ein- zugehen. Sie ist immer noch zu bestürzt, zu überwältigt von dem, was sie erlebt hat. und sie kann es nicht fassen, daß plötzlich ein Riß klafft, ein Abgrund, der ihr Jahre lang voll- kommen verborgen geblieben war. Ihr Kopf ist schwer und benommen. Sie hat den Vater bisher immer als ihren guten Freund und Kameraden empfunden, und sie wehrt sich da- gegen, ihn zu verlieren. Aber der Grund dieses«treitcs ist ihr nur zu klar. Papa liebt eine andere Frau als dieMutter. Sicher eine hübsche junge Frau oder ein junges Mädchen. Ein heißes Gefühl der Abneigung gegen diese Unbekannte packt sie und gleichzeitig ein ganz neues Empfinden der Zu- sammengehörigkeit mit der Mutter. Du hast vollkommen recht, nicht mit allein einverstanden zu sein. Und Papa ist sehr häßlich gegen uns alle." Frau Loriot   sieht die Tochter verwundert an. Sic ist überrascht über diese unerwartete Zustimmung, deren Grund sie nicht kennt. Sie hat stets damit gerechnet, daß Germaine
auf der Seite des Vaters stände oder wenigstens versuchte, ihn zu entschuldigen. Aber in Germaine gewinnen Haß und Eifersucht immer mehr die Oberhand. Sie stampft mit dem Fuß auf. Meinetwegen braucht er überhaupt nicht wieder- zukommen", sagt sie böse,und ich hätte ihm ganz anders die Meinung gesagt! Aber du läßt dir ja alles gefallen. Ich weiß nicht, was ich anfinge, wenn ich verheiratet wäre, und mein Mann würde mich betrügen!" Ihre Augen funkelten. Aber der Mutter war diese unerwartete Aussprache mit dem heranwachsenden Mädchen, das sie bis jetzt als Kind behandest hatte, zu neu und zu ungewohnt. Außerdem emp- fand sie diese ganze Art, mit ihr zu sprechen, als unschicklich und wünschte, das peinliche Gespräch so schnell als möglich zu beenden. Gennaine", sagte sie etwas strenger, als es sonst ihre Art war,das sind Dinge, die du nicht verstehst und in die ich dich dringend bitten muß. dich nicht einzumischen, denn das geht nur Papa und mich an. Ich will kein Wort darüber verlieren, daß du gehorcht Haft. Aber ich werde niemals dulden, daß du über Papa in dieser Weise sprichst. Du am wenigsten von uns hast Grund dazu, denn gerade für dich hat Papa alles getan, was nur in seinen Kräften lag. Ich wünsche, daß du ihm nach wie vor die Achtung und Liebe entgegenbringst, die er um dich verdient hat. Und nun geh schlafen. Kleine", setzte sie etwas milder hinzu,und denke nicht weiter über alles nach. Ich werde auch zu Bett gehen, ich bin müde." Drinnen im Schlafzimmer aber tönten die Atemzüge des Bruders, der an der anderen Wandseite schlief, sonderbar betont, wie wenn er wach sei und sich schlafend stellen wollte. Germaine erschrak. Hatte er irgend etwas gehört? Sie ging an sein Bett und beugte sich über ihn. Wälti!" sagte sie leise. Der Junge schien sich etwas zu
bedenken, ob er die kleine Komödie fortsetzen sollte oder nicht Aber dann siegte sein Vertrauen zur Schwester. Er öffnete die Augen und schlang lachend seine Arme um ihren Hals. Bist du schon lange wach?" fragte Germaine unsicher. Der Bruder schwieg. Dann sagte er trotzig:Du brauchst nicht zu denken, daß ich so dumm wäre. Ich weiß ganz genau, was los ist. Außerdem höre ich so was nicht zum erstenmal. Das war schon daheim so. Aber du schließt ja immer wie ein Murmeltier. Und wenn mein Bett heute nicht so entsetzlich geknarrt hätte, als ich aufstehen wollte, um zu horchen, dann
wärest du auch jetzt nicht aufgewacht. Vorgestern sprachen sie noch lauter als heute. Und wegen Papa brauchst du nicht zu heulen. Der ist schon manchmal nachts weggelaufen, und dann kam er wieder. Morgen früh sitzt er wiederum Kaffee- tisch." Die Schwester fand keine Antwort. Sie saß und starrte fassungslos auf das Kind. Ihr war, als stürze jetzt der letzte Rest des Bodens unter ihren Füßen zusammen, als breche die ganze Welt, in der sie gelebt hatte, in Trüinmer. Der Kleine aber schien nach dieser Beichte schläfrig zu werden. Er schloß die Augen und faßte nach der Hand Ger- Maines. In wenigen Minuten war er fest eingeschlafen. Germaine aber lag die ganze Nacht wach. Sie schlief auch nicht mehr ein, als bei Tagesgrauen die Haustür ging. und der Vater leise die Treppe herauf in sein Schlafzimmer schritt. 12. Sie denken an Scheidung wegen gegenseitiger Abnei- gung." Der Rechtsanwalt schüttelte den Kopi.Aber sobald ich irgend etwas Ungünstiges gegen ihren Gatten aussage. fangen Sie an, ihn zu verteidigen. So können wir doch un­möglich zu einem Ziel kommen." Frau Loriot   zuckte die Ächseln.Was recht ist, muß recht bleiben. Ich kann natürlich meinem Manne nicht nachsagen, daß er die Kinder oder mich schlecht behandelt, daß er mir Geld vorenthält, daß er abstoßende oder widerliche Eigen- schaften besitzt. Davon kann gar keine Rede sein. Mein Mann behandelt uns im Gegenteil durchaus gut. Er ist immer höflich und ritterlich gegen mich, und mit meiner Tochter verbindet ihn sogar ein außergewöhnlich herzliches Verhältnis. Das einzige, was ich gegen ihn einzuwenden habe, ist seine Untreue. Er betrügt mich seit Jahren so kann das nicht mehr weitergehen. Die Kinder, haben beide schon lange Einblick in unsere Ehe bekommen. Ich konnte das nicht verhindern. Der Junge wächst heran. Germaine ist 17 Jahre alt diese unwahren, unsicheren Verhältnisse lasten schwer auf ihr, obwohl sie es versteht, sich noch außen wenig merken zu lassen. Aber bedenken Sie, daß sie mir schon vor über einem Jahre Vorwürfe gemacht hat, ich hätte keine Frauenehre, ich ließe mir olles gefallen. Und auch der Junge sieht mich oft mit einem seltsamen Blick, halb Mitleid, halb Geringschätzung an. Es ist genug, daß ich meinen Mann ver- loren habe. Ich will nicht auch noch die Kinder verlieren." (Fortsetzlwg folgt.)