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Nr. 523 48. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Sonnabend, 7. November 1931

Wirtschaft und Bürgertum. Kariellherrschast und Mißwirtschast Zölle ohne Ende, Subventionen und derGeneraldirektorenundVanken, Liebesgaben für die Gwßagrarier, dieses System bringt unvermeidlich den Ofttin

des freien Aktionärs durch Kursvernichtung der verarbeitenden Industrie durch teure Rohstoffe des Bankensparers durch Bankenpleiten des Handwerkers durch Kreditentzug der Kaufleute durch leere Ladentische des Beamten durch Gehaltsdrosselung

des Bauern und Viehzüchters durch niedrige Stallpreise des Schweinemasters durch teure Futtermittel des Hühnerzüchters durch zu hohe Kosten des Gärtners und Siedlers durch schlechte preise und hohe pachten des ländlichen Handwerkers durch Auftragsmangel des ländlichen Kaufmanns durch Käufermangel

Geht das Bürgertum mit den Arbeitermillionen, die allein die Privilegien der Großen bekämpfen? Das Bürgertum laßt sich von Hitler irreführen, der sich von den Großen subventionieren läßt. Ein Totentanz des Bürgertums!

Filmkartell will Boykott. Gagenabbau und schwarze Listen. Die Spitzenorganijation der deutschen Filmindustrie hat aus ihrer Tagung am Donnerstag Beschlüsse gefaßt, die sich für die Ar- beltnehmer in der Jilmwirtschaft wie für die breiten Massen der Kinobesucher sehr einschneidend auswirken müssen. Der Zweck der Tagung war, gemeinsame Maßnahmen der Ver- bände zur Senkung der Produktionskosten zu schassen. Hierbei ist in erster Linie an ein« Senkung der Gagen gedacht, die bei der jetzigen Tonfilmproduktion gegenüber dem stummen Film um ein Mehrfaches gestiegen seien. Hierzu komme die Mehrbelastung lurch die Tonfilmapparatur und Lizenzen, die über 30 Proz. der Produktionskosten ausmachen. Die Spihenorganisat'on, in der samt- liche verbände der Filmwirtschast vertreten sind, beschlbß. daß künftig keine Filme in den verleih übernommen und in den Theatern ge- spielt werden, bei denen der Hersteller des F'lms sich nicht den Be. dingungen des Verbandes der Filminduslricllen über die herab- sehung von Gagen unterworfen und den Film unter Wahrung dieser Grundsätze hergestellt ha«. Sin derartiger Film soll durch die Spihenorganisal'on entsprechend.gekennzeichnet", also aus die schwarze Liste geseht werden. Die weiteren Beschlüsse richten sich gegen diezu billigen" Theaterpreise", wie gegen überlange und überreichliche Darbietun- aen. Um hier eine.Preisstabilisierung" zu erzielen, sollen die Kinopreise in den einzelnen Bezirken überprüft und die.schwer schädigenden Mißstände" beseitigt werden. Zu d.iesen Sitzungen wird die Spitzenorgamsation einen.Kommissar mit Spezialooll- machten" entsenden. Wenn die Derbände der Filmwirtschaft ihr Krisenprogramm auf eine Erhöhung der Kinotheaterpreise abstellen, so werden sie sich bei dem Stande des gegenwärtigen Masseneinkommens über die Folgen wohl im klaren sein. Die Erzwingung eines allgemeinen Gogenabbaues wobei es nach den bisherigen Erfahrungen sich überwiegend um den Abbau der kleinen und mittleren Gagen und nicht der Stargagen handeln dürfte durch Androhung von Boykottmaßnahmen verstößt gegen das Kartellgesetz. Wird das Kartellgericht gegen diese Maßnahme mit der notwendigen Schärfe einschreiten?_ Englische Bankiers gegen Nordwolle. Schwierigkeiten bei Gründung der Neuen Nordwolle A.-G. Bei der Gründung der Neuen N o r d w o l l e- Gesellschaft haben sich erhebliche Schwierigkeiten ergeben, weil die in dem Zusammenbruch des Nordwolle-Konzerns hineingezogenen eng- tischen Banken gegen den Gründungsplan Einspruch erhoben haben. Der Protest der englischen Gläubiger richtet sich dagegen, daß zur Gründung der neuen Nordwolle vier betriebsfähige Unter- nehmen des ehemaligen Lahusen-Konzerns aus der Konturs- masse herausgenommen werden sollen, wofür die Gläubiger als Gegenwert keine Barzahlung, sondern Aktien der Neuen Nordwolle- Gesellschaft erhalten sollen. Die erforder- lichen Betriebsmittel für das neue Nordwolle-Unternehmen in Höhe von etwa 10 Millionen Mark werden von den beteiligten deutschen Banken vorgeschossen. Die Engländer vertreten nun den Stand- puntt, daß bei der gegenwärtigen Verschärfung der Wirtschaftskrise in Deutschland auch die Neue Nordwolle in Zahlungs- schwierigkeiten geraten könne, so daß sie in diesem Falle wiederum aus wertlosen Aktien festsähen. Diese Bedenken der eng- tischen Gläubiger sind in der heutigen Situation natürlich begreif- lich. Sie werden sich aber sagen müssen, daß bei einem Verkauf

der einzelnen, als gesund anzusprechenden Textllsabriken des Lahusen-Konzerns zur Zeit so wenig herauskäme, daß sie als Gläubiger noch schlechter abschneiden würden als bei dem ersten Projekt. Die strittige Frage wird auf einer General» Versammlung, die noch im Lause dieses Monats stattsindet, entschieden werden.

Konzeniration in der Ehemie. Dresdener Lingner-Werke verlieren ihre Selbständigkeit. Die Dresdener Lingner-Werke A,-G., die neben ihren chemisch-pharmazentischen Fabrikaten auch die bekannten Kosmetika wie Odol Zahnpasten usw herstellt und sich mit diesen Marken- artikeln einen großen internationalen Markt ausgebaut hat, geht setzt an die A-G. für Kohlentäure-Jndustrie. Berlin , über. Lange Zeit war schon bekannt, daß der Schering-Kahlbaum- Konzern ein Interesse an der Uebernahme der Lingner-Werke hatte. sedoch haben sich die Verhandlungen mit diesem Unternehmen zer- schlagen. Die A.-G. für Kohlensäure-Jndustrie wird die gesamten Anlagen der Lingner-Werke auf 20 Jahre pachtweise über- nehmen und dafür die Lingner-Aktien mit einer Dividenden- gorantie ausstatten. Da die Lingner-Werke mit ihrem Verhältnis- mäßig geringen Kapital von 6 Millionen stets sehr rentabel gear- bettet hoben und trotz der Verschlechterung der Konjunktur auch noch In den letzten beiden Jahren 7 und 8 Proz. Dividende aus- schütteten, ist mit einer Dividendengarantie von 7 Proz. zu rechnen. Auch das übernehmende Werk, die A.-G. für Kohlensäure-Jndustrie, hat in den letzten beiden Jahren bei 9 und 10 Proz. Dividende hoch- rentabel gearbeitet. Hinter der Verschmelzung der Lingner-Werke dürste die Commerz- und Privatbant stehen, deren leitender Direktor Kurt Sobernheim in beiden Unternehmungen als Aussichtsratsmitglied vertreten ist.

Rußlands Außenhandel. Die Handelsbilanz mit 210,6 Mill. Rubel in den ersten S Monaten 1931 passiv. In den ersten acht Monaten 1931 stellte sich der Gesamt- betrag des russischen Außenhandels über die europäischen Grenzen und die Schwarzmeerhäfen nach vorläusigen Angaben aus 1079,8 Mill. Rubel gegenüber 1188,9 Mill. Rubel in den ersten acht Monaten 1930. Die russische Ausfuhr betrug in der Berichtszeit 434,5 Mill. Rubel gegenüber 550,9 Mill. Rubel in der gleichen Zeit des Vorjahres, die Einfuhr 645,1 Mill. Rubel gegenüber 638 Mill Rubel. Die Handelsbilanz war somit in den ersten acht Monaten 1931 mit 210,6-Mill. Rubel passiv gegenüber einer Passivi» tat von 87,1 Mill. Rubel im entsprechenden Zeitabschnitt des Bor» johres. ver Gesamtabsatz des rheiaisch-westsälischen Kohlensyndikats stellt sich im Monat Oktober auf 187 000 Tonnen arbeitstäglich gegenüber 184 000 Tonnen im September. Der Absatz in das un- bestrittene Gebiet stieg auf Grund von Hausbrand'bezügen von 87 000 Tonnen arbeitstäglich im September auf 93 000 Tonnen im Ottober, während der Absatz in das b« st r i t t e n e Gebiet von 97 000 Tonnen arbeitstäglich auf 94 000 Tonnen im Oktober zurück- ging. Die Haldenbestände haben sich auf 8,9 Millionen Tonnen verringert. Zugenommen haben die Kolsbestände, während für Kohlebriketts eine Abnahme sestzustellen ist. Einfuhrmonopol in Estland . Der Gesetzentwurf, durch den der Handel mit den wichtigsten Einfuhrartikeln, wie Getreide. Zucker, Salz, Petroleum. Steinkohle zum Staatsmonopol erk l ä r t wird, ist heut« vom Parlament endgültig angenommen worden.

Die Regelung des Zugabewesens. Ein Gesehentwurs, der über das Ziel hinausschießt.

Die Reichsregierung hat soeben den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Zugaben zu Waren oder Leistungen ver- öffenllicht und dem Reichsrat zugehen lassen. Der Gesetzentwurf enthält grundsätzlich das verbot des Anbietens und des Gewährens von Zugaben, wobei ausdrücklich hervorgehoben wird, daß eine Zugabe auch dann vorliegt, wenn die Zuwendung nur gegen ein geringfügiges, ofsen- bar nur zum Schein verlangtes Entgelt gewährt wird. Ausge- nommen von dem Zugabeverbot sollen nach dem Gesetzentwurf Reklamegegenstände von geringem Wert, die als solche deutlich gekennzeichnet sind, oder Kleinigkeiten ohne eigenen Derkehrswert sein. Ferner wird die Zugabe erlaubt, wenn sie in einem bestimmten oder auf bestimmte Zeit zu berechnenden Geldbetrag besteht(Rabatt- erlaubnis). Erlaubt ist ferner handelsüblicher Zubehör oder han- delsübliche Nebenleistungen, erlaubt ist die Zugabe in der Form der Erteilung von Auskünften oder Ratschlägen und in der Form der Abonnentenversicherung. Endlich soll die Zugab« dann erlaubt sein, wenn der die Zugabe Gewährende sich erbietet, an Stell« der Zugabe einen festen von ihm ziffernmäßig zu bezeichnenden Geldbetrag bar auszuzahlen. Daß sich im Zugabewesen Mißstände entwickelt haben, die im Interesse der Verkehrsehrlichteit und des Schutzes der Kon- sumenten von Ueberoorteilung eine Ausgestaltung der bisher gel- tenden gesetzlichen Bestimmungen gegen den unlauteren Wettbewerb erforderlich machen, ist seit Jahren von vielen Seiten hervorgehoben worden. Kreise des Gewerbes und des Handels wie auch die Konsumgenossenschaften haben gegen die Mißbrauche im Zugabewesen berechtigte Beschwerde erhoben. Der Gesamt- komplex dieser Fragen hat im Jahr« 1930 einen Ausschuß des Reichswirtschaftsrats beschäftigt, der nach gründlicher Prüfung einen sehr interessanten Bericht erstattet hat. Es scheint uns bedauerlich, daß der Entwurf der Reichsregierung sich nichk mit der Ausführung der Empfehlungen des Retchswirt- schastsrals begnügt. sondern im Entgegenkommen an Anträge, wie sie insbesondere von der W i r t s ch a f t s p a r t e i im Reichstag eingebracht sind, darüber hinausgeht und ein grundsätzliches Zugabeoerbot ausspricht. Der Bericht des Reichswirtschaftsrats hat in erster Linie gs- fordert, daß in Ergänzung des Gesetzes über den unlauteren Weit- bewerb die G r a t i s a n k ü n d i g u n g bei der Zugabenreklame eindeutig verboten werden soll. Cr hat die Auffassung abgelehnt, daß die Zugabenreklame ohne weiteres als eine unlauter« Ange- legenheit anzusehen sei und sich aus den Standpunkt gestellt, daß, wenn die Ankündigung von Gratiszugaben untersagt wird, bei der Zugabenreklame kaum noch größere Möglichkeiten zu un- lauterem Verfahren gegeben seien als bei anderen Reklamearten. Er hat weiter �den Standpunkt vertreten, daß die Fälle, in denen bei der Anwendung der Zugabenreklame die Zugab« nur gegen

Ablieferung allzu zahlreicher Gutscheine verabfolgt oder die Vor- legung der Gutschein« innerhalb einer allzu knappen Frist von den Lieferanten gefordert wird, ein Einschreiten aus Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb möglich und angebracht sei und daß es zweckmäßig wäre, wenn die Justizverwaltungen der Länder die in Betracht kommenden behördlichen Instanzen auf die Vor- folgung dieser Mißbräuche hinweisen würden. E» scheint uns, daß es richtig wäre, sich bei der Neuordnung des Zugabewesens an diese Richtlinien des Reichswirtschaftsrats zu hallen. Denn grundsätzlich ist nicht einzusehen, warum das be- sonderen Bedürfnissen angepaßte Zugabewesen als Reklamemittel, sofern es nicht unlauter gehandhabt wird, verpönt sein soll gegenüber anderen Re- klame arten, die natürlich die Produktions- und Vertriebstosten zu Lasten des Derbrauchers genau so erhöhen, wie es bei Zugaben der Fall ist. Wenn der weitergehend« Gesetzentwurf der Reichsregierung jetzt im Reichsrat und dann im Reichstag zur Verhandlung kommt, wird aber im besonderen auch die Frage zu ucktersuchen sein, ob der gegenwärtige Augenblick für einen Eingriff, wie er hier geplant ist, geeignet ist. Eine Reihe von Industrien sind in erheblichem Maße auf die Herstellung von Zugabeartikeln eingestellt. und es ist im besonderen in der keramischen Industrie, aber auch auf einigen anderen Gebieten, sehr zweifelhaft, ob der Umsatz, der von ihnen heute in Zugabeartikeln erzielt wird, einen Ausgleich durch andere Absatzwege erfahren würde. In den Kreisen dieser Industrien, die Wertreklameartikel erzeugen, im besonderen auch in den Kreisen der beteiligten Gewerkschaften, herrscht die Befürchtung, daß das Zugabeverbot gerade im gegenwärtigen Augenblick eine zusätzliche Arbeitslosigkeit von erheblichem Umfange hervorrufen würde. In dem Gutachten de» Reichswirtschaftsrats wird u. a. ausgeführt, daß allein 6000 bis 7000 Porzellanarbeiter für das Gebiet des Reklamewesens und der Wertzugaben beschäftigt seien. Dazu kommen ohne Zweifel einige tausend Arbeiter aus anderen Industrien hinzu. Es wäre sehr be- denklich, wenn. man einen in anderen Zeiten vielleicht leichter erträgllchen Eingriff in die Verbrauchsumschichtung gerade in einem Augenblick vornimmt, in dem der Arbellsmarkt so wenig Elastizität zeigt, wie es jetzt der Fall ist. Wir glauben deshalb, daß es bei den parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzentwurfs daraus ankommen wird, gegenüber dem nicht hinreichend begründeten allgemeinen Berbot den gesetzlichen Eingriff zu beschränken aus die Bekämpfung ofsen- barer Mißbräuche, im besonderen aus das Berbot der An- tllndigung von Zugaben als Gratisleistungen, da selbstverständlich jede Zugabe wie jede andere Retlame im Normal fall« von dem Verbraucher in dem Warenpreis mitbezahlt wer'' muß.