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Quaf 527-48. Jahrgang 1881. Beilage des Vorwärts

Die abgebaute Straßenbahn

Ersatz durch Umleitung und Einsetzer Einschränkung bedeutet Verteuerung

Der Beschluß des Aufsichtsrats der Berliner   Ver-| Dresdener Straße, Kottbusser Tor  , Hermannplatz, Hermann. bis fehrs- A.- G., die Straßenbahnlinien 29, 48, 55, 66, 89, Grabestraße. Linie 27 wird von Briz, Gradestraße, bis Buckow  verlängert.

Linie 48: Für diese Linie wird die Linie 47 bis Nordend ver­längert.

Von

Spandau   in Abständen von zehn Minuten mit der Führung ab Linien 55 und 66: Für die 55 soll die Linie 64 zukünftig ab Wittenbergplatz bis Hallesches Tor gefahren werden. dort wie bisher die Linie 66 bis Hohenschönhausen, Falken­berger Straße.

Linie 89 wird im Westen durch die Linie 62 ersetzt mit der Führung ab Bariser Straße über Kaiserallee, Joachimsthaler Straße, Kantstraße, Suarezstraße, Schloßstraße, Spandauer Straße bis Königin- Luise- Straße.

115, 168 und 184 sowie die Autobuslinien A 4 und A 28 einzuziehen, bedeutet für viele Stadtteile ab 1. Dezember eine starke Verkehrsverschlechterung. Zudem bedeuten die nach Meinung der BVG. im Interesse der Wirtschaftlich­feit des Unternehmens und als Folge des starken Ver fehrsrückganges notwendig notwendig gewordenen gewordenen Maß nahmen für viele Fahrgäste, die sich gerade aus Arbeiter freisen rekrutieren, eine erhebliche Verkehrsver. teuerung. Die eben erst eingeführte ungemein schnell populär gwordene Sammelfarte geht mit der Linien­einziehung für viele Berufstätige wieder verloren. Die bisherigen Stammkunden der abgebauten Linien sind gestraße bis Krankenhaus Buckow   durch Linie 15. Im Norden Linie 115: Ersatz im Süden von Bergstraße, Ede Knesebec­zivungen, zukünftig einen Umsteiger zu lösen, was eine Verteuerung von 10 Pf. pro Fahrt bedeutet. Der Auf- nach Teichstraße verlegt. Linie 21 übernimmt ab Hermannplatz wird die Linie von Wilhelmsruh   zurückgezogen und der Endpunkt sichtsrat hat sich bemüht, besondere Härten durch groß über Berliner Straße, Bergstraße, Knesebeckstraße, Mariendorfer  zügige Linienumlegungen zu vermeiden. Man Weg, Gottlieb Dunkel- Straße bis Neukölln, Gemeindefriedhof, die versichert außerdem, daß der Berufsverkehr durch Führung der Linie 115. In Mcabit wird die Linie 21 von der Schaffung eines starken Einsekverkehrs gegenüber den Königsdammbrüde bis Wilhelmshavener Straße zurückgezogen. bisherigen Zuständen gefördert und nicht gedrosselt Die Linien 168 und 184 sollen durch die Linien 68 und 84 er­setzt werden. In den Hauptverkehrszeiten sollen auch hier Einsetzer werden soll. Wir erwarten, daß dieses Versprechen nicht seht werden. In den Hauptverkehrszeiten sollen auch hier Einsetzer auf dem Papier stehen bleibt. in stärferem Maße gefahren werden.

Der Berkehrsabbau ist nicht geeignet, die Berliner   Berkehrs­A.-G. populär zu machen. Der Borwärts" hat die ver­schiedenen Einschränkungsprogramme scharf fritifiert und durch seine Kritik erreicht, daß einige wesentliche Berbesserungen gegen über den ersten Plänen durchgesetzt werden konnten. Wir halten nach wie vor den Beschluß des Aufsichtsrates für eine gefährliche Maßnahme,

eine Berkehrstatastrophe jedoch, wie viele der Privatwirtschaft dienende Bläffer behaupten, bedeutet der Beschluß nicht. Die Berliner   Bevölkerung vergißt über die durch die Wirtschaftsnot bedingten Maßnahmen nicht, daß die großzügige Bereinheit lichung des Berliner   Verkehrs die tommunalpolitische Großtat der Sozialdemokratie ist. Dieses im Interesse des Gemeinwohls geschaffene Wert wird unter allen Um­ständen verteidigt werden, weil eine Auseinanderreißung der großen Gesellschaft ein Bertehrs chaos bedeuten würde. Es ist fein Zufall, daß große Weltstädte jetzt daran gehen, ihr Verkehrs­nez nach dem Berliner   Muster aufzubauen. Die Berliner   aber sehnen durchaus nicht die Zeiten wieder herbei, da man, um bis nach Tegel   mit der Straßenbahn zu gelangen, von drei ver schiedenen Straßenbahngesellschaften Fahrscheine lösen mußte.

Ersatz für die eingezogenen Linien.

Wir geben nachstehend eine genaue Aufstellung, wie sich die BBG. den Ersatz für die eingezogenen Linien vorstellt:

Cinie 29: Erjazz soll in Tegel   durch Verlängerung der Linie 25 vom Sportplatz bis Tegel  , Hauptstraße, und ab Neue Schönhauser Straße, Ecke Münzstraße, bis Briz, Gradestraße durch die Linie 49 geschaffen werden. Linie 49 wird zwischen Görliger Bahnhof und Oranienplatz aufgegeben. Neue Führung der Linie 49: Buchholz- Brizz, Gradestraße über Bankom, Berliner Straße, Schönhauser Allee  , Neue Schönhauser Straße, Alexander­play, Neanderstraße, Prinzenstraße, Morigplatz, Oranienstraße,

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Foumilie Soviet

Roman Don Elfe Mobus

Und in Professor Ballon bist du auch nicht ein bißchen verliebt?" Mit lachenden Augen zwinkerte Mennie Irma zu. Ueber Germaines Gesicht schoß plöglich eine Blutwelle. Aber dann sah sie ruhig vor sich hin. Professor Ballon ragt natürlich geistig weit über die jungen Studenten hinaus, wie das nicht anders sein tann. Er gibt mir oft wertvolle Winke für das Studium, und ich bin ihm dankbar, wenn er sich mit mir unterhält. Er ist in diesem einen Jahr für mich eine Art Gradmesser geworden, an dem ich mich selbst und meine Umgebung messe

Du wirst ja schon wieder rot." Irma lachte aus vollem Halse.

Aber Germaine, das schadet doch nichts, du tust ja gerade, als sei das ein Verbrechen, sich zu verlieben!" fiel

Mennie begütigend ein.

Aber Germaine schob heftig ihren Teller zurüd. Es ist eine Gemeinheit von euch, das zu sagen. Professor Ballon ist längst verheiratet, er hat Kinder­

,, Gott  , was nehmt ihr Deutschen   das Leben ernst­dagegen sind wir schwerfälligen Holländer ja noch leicht und dagegen sind wir schwerfälligen Holländer ja noch leicht und graziös. Du hast unsere harmlose Neckerei wohl schon als Antlage wegen Ehebruch aufgefaßt!" Irma schüttelte mit tomischem Entseßen den Kopf.

Berkehrsabbau in allen deutschen   Großstädten.

Der durch das dauernde Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit bedingte tatastrophale Verkehrsrüdgang zeigt sich nicht mur in Berlin  . Die Verkehrsunternehmungen aller deutschen   Großstädte haben schwer unter dieser Erscheinung zu leiden. Ueberall mußten haben schwer unter dieser Erscheinung zu leiden. Ueberall mußten Einschränkungsmaßnahmen getroffen werden, um die städtischen Verkehrsunternehmungen in ihrer Wirtschaftlichkeit zu erhalten. Es ist ein schwacher Trost für den Berliner  , wenn er erfährt, daß ber Abbau des Verkehrs in den anderen Städten bereits in weit stärkerem Ausmaß vorgenommen worden ist. Fast alle Städte bleiben mit ihren Maßnahmen weit hinter dem prozentuaten Ber fehrsrüdgang zurück. Nur Leipzig   und Nürnberg   haben ihren Ber­fehr etwas stärker eingeschränkt, als der Verkehrsrückgang tatsächlich Berlin   marschierte mit seinen Maßnahmen bisher hinter Breslau  , Köln  , Chemnitz  , Düsseldgrf, Dresden  , Dortmund  , Magde­ burg  , Bremen   an elfter Stelle. Nach den Berechnungen der BVG. wird durch die Durchführung der Einschränkungsmaßnahmen Berlin  munmehr an die siebente Stelle vorrücken.

Bürgermeister Dr. Elsas, noch besondere Bollmachten für die Der Aufsichtsrat erteilte gestern seinem Vorjizenden, Berhandlungen über die Umwandlung des furzfristigen Danat banttredites von 124 Millionen in ein langfristiges Darlehen.

Neuer Massenprozeß Anfang Dezember.

Im Helldorf- Prozeß hat jetzt auch Rechtsanwalt Dr. Sad für die Verteidigung Berufung gegen das Urteil des Schöffengerichts Charlottenburg eingelegt. Beide Kurfürstendamm­Prozesse, also die Sache Schuster und Genossen und der Fall Brandt, Helldorf und Genossen, in denen die Berufung der Etaatsanwaltschaft und der Verteidigung schweben, werden vor­aussichtlich Anfang Dezember in gemeinsamer Verhandlung die Be­

wandelten sich immer mehr in offene Werkstätten. Schuh­macher und Schneider, Korbflechter und Bürstenmacher, Näherinnen und Flickerinnen-die ganze hohlwangige, bleiche Schar der Heimarbeiter hatte die glühende, unerträg liche Hize in den engen Wohnungen auf die Straße gescheucht. Da saßen sie nun, Stuhl an Stuhl, eng an die Haus­wände gepreßt, und die barfüßigen Kinder fanden es unter­haltend und vergnüglich, mit großen und fleinen Gießkannen, mit Karaffen und Töpfen Wasser zu holen und es zur Lin­derung der heißen, staubigen Luft auf den glühenden Stein Bu gießen, der es sofort begierig aufsog. schwimmende Fläche unbeweglich und dumpf, dalag, lastete Auch über dem Genfer See  , der wie eine milchige, ver­diese schwüle, von Spannungen erfüllte Atmosphäre.

So muß die Stimmung sein, bevor eine Revolution Sie hatte mit einigen Teilnehmern des franzöfifchen Ge­ausbricht", sagte Germaine halblaut zu ihrem Bordermann. minars einen Ausflug nach Coppet  , zum Wohnsitz der Frau

von Stael, unternommen, und nun schlenderte man in zwanglosen Gruppen vor dem Schloß herum und wartete, bis die gerade stattfindende Führung beendet war. Der Angesprochene wandte sich um. Es war ein junger Russe, der einer nihilistischen Studentengruppe angehörte und auf den Tag brannte, an dem er sein Studium hier beendet hatte, um in seine Heimat zurückzukehren. Germaine hatte ihn oft scherzhaft mit Genosse" angeredet, und in den Dis­kussionen waren sie manchmal hart aneinander geraten, wenn der heißblütige, ganz im Banne seiner Idee stehende Russe nicht das Geistesleben, sondern die Politit als die große, schaffende Kraft des Staats- und des Einzellebens er­flärte. Auch jetzt sah er sie erwartungsvoll an, gespannt auf irgendeinen Angriff. Aber Germaine trat ein paar Schritte abfeits, so daß fie von den übrigen etwas entfernt standen. Ich hatte gestern abend ein seltsames Erlebnis", sagte sie. Sie wissen, ich habe einen miserablen Ortssinn, und ich finde mich in dem Gaffen und Straßengewirr auch heute noch nicht zurecht. Gestern ging ich nach der Vorlesung noch etwas spazieren, ich muß wohl in Gedanken gewesen sein, denn plötzlich fand ich mich in einer mir ganz unbekannten Gegend. Gerade kam ein Arbeiter von einem Neubau die Straße herüber, und ich fragte ihn nach dem Weg. Er hatte die gleiche Richtung, und so gingen wir einige Straßen neben­einander. Es war ein junger Italiener, er hatte Frau und Kind daheim gelassen und arbeitete hier den Sommer über. Seit Wochen hatte es nicht geregnet. In den staub Es war ein sehr höflicher und unaufdringlicher Mensch, und erfüllten, schmutzigen Straßen fuhren die Sprengwagen, und fo erzählte ich ihm auch von meiner Heimat, von unserer die Bürgersteige vor den Häusern der Genfer   Altstadt verleinstadt und von meinem Studium hier.

Run lachte auch Germaine. Ihr habt ganz recht", sagte sie ,,, für uns wird das Einfache zum Problem. Und Liebe und Ehe sind für mich schon von Jugend an Probleme ge­wesen", setzte sie mit einem fremden und abwesenden Ge­fichtsausdruck hinzu.

Aber dann stand fie, bevor die beiden anderen noch etwas erwidern fonnten, entschlossen auf. Kinder, draußen scheint die herrlichste Sonne, und ihr seid mir noch einen Bummel durch die Straßen und den Park schuldig. Wir wollen gehen!"

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Cande plajuto

Dienstag, 10. November 1931

rufungsstraffammer des Landgerichts III   unter Borsiz von Land­gerichtsdirektor Ohnesorge beschäftigen. Es wird also zu einem neuen Massenprozeß fommen, in dem die ganzen Borgånge am Kurfürstendamm   noch einmal aufgerollt werden müssen.

Soda statt Gold.

Russische   Gauner betrügen Kaufleute um 15000 Mart. Einen schweren Reinfall erlitten ein Charlottenburger Kaufmann und sein Geschäftsfreund aus Görlitz  ; beide gingen ein paar ganz gerissenen russischen Gaunern auf den Leim und wurden um bare 15 000 Mark betrogen.

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Ein Kaufmann aus der Krumme straße in Charlotten­ burg   lernte in einem Lokal zwei Russen kennen, die ihm ander­trauten, daß sie im Besiz größerer Mengen Goldes seien. Unter vielen Schwierigkeiten hätten fie es fertig gebracht, goldene stü de aus Rußland   nach Deutschland   einzuschmuggeln. Ihr Gold­Zehn und 3wanzigmarfstü de uno goldene Rubel­schatz hätte mindestens einen Wert von 40 000 bis 45 000 Mart. Da sie nach Kanada   reisen wollten und schleunigst Bar­geld brauchten, wären sie bereit, ihren Schatz für etwa 20 000 Görlig, der mit 13 500 Mart nach Berlin   tam. 1500 Mart wollte Mark zu verkaufen. Der Kaufmann, der selbst nicht ge­nügend Bargeld zur Hand hatte, benachrichtigte seinen Freund in der andere zugeben und für 15 000 Mart sollte nun das Goldgeld erworben werden. Bei einer erneuten Verabredung brachten die beiden Russen Proben mit. Die Kaufleute ließen die Goldſtüde prüfen, die für echt befunden wurden. In der Wohnung des Ber­zwei Batete in einem kleinen verschließbaren Körbchen, die restlichen liners sollte der Kauf vor sich gehen. Die Russen brachten aber nur zwei wollten sie für sich behalten, weil die Berliner   ja mur 15000 Mart zahlen wollten. Nach längerem Feilschen versprachen sie schließlich die beiden letzten Pakete zu holen. Die vier Patete. in denen, wie sich die Kaufleute überzeugt hatten, tatsächlich Gold war, wurden in den Koffer eingeschlossen und die 15 000 Mart in Papier   eingewickelt dazu getan. Der Koffer sollte solange in der Wohnung bleiben, bis die Russen mit den beiden anderen Goldpateten zurüdgefommen wären. Bergeblich warteten nun der Berliner   und der Görliger Kaufmann, die Russen tamen nicht. 21s ihnen die Sache schließlich unheimlich wurde, öffneten sie die Patete und fanden in einem Paket statt des Goldes Soda und in den drei anderen Paketen Nägel. Das Pädchen, in dem ihr Geld eingewickelt war, enthielt mur Papierschnigel. Die Kri­minalpolizei sucht jetzt die fingerfertigen Nepper.

Erfolgreiche Hehler und Stehler.

Seit einigen Tagen wurde in verschiedenen Lokalen in der Gor­mannstraße ein lebhafter Handel mit Schirmen, Seide, Stoffen usw. beobachtet. Die auffallend niedrigen Preise verrieten, daß hier Hehler um jeden Preis ihre heiße" Waare absehen wollten. Kriminalbeamte beobachteten die Gegend und ermittelten als di Händler die beiden Russen Weinstein und Beidjer. Als ihre Be­man darin ein Warenlager, das einen Wert von min hausungen in der Wallner- Theater- Straße durchsucht wurden, fand destens 12 000 Mart darstellte. Wahllos hatten sie von Gin­brecherkolonnen alles zusammengekauft und betrieben nun mit dem Diebesgut einen schwunghaften Handel.

In die Silberwarenfabrit von Lippke in der Fried­richstraße 39/40 in Weißensee drangen Einbrecher ein und stahlen für etwa 10 000 mart Waren. In ein Konfet= tionsgeschäft in der Alexanderstraße 68/69 drang eine andere Kolonne ein und erbeutete für etwa 8000 Mart Seide, Samt u. a. m. Die Beute wurde in einem Auto fortgeschafft. Wohnungseinbrecher fonnten in der Mansfelder Straße 30 für etwa 7000 Mark Silber  , Pelze u. a. m. ungehindert fort­schleppen.

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Das alles spielte sich in wenigen Minuten ab. Als ich aber dann in die Elektrische stieg, da sagte er: Was Thre Benfion und Ihr Studium täglich kostet, dazu noch Ihr Taschengeld, das Ihnen die Eltern sicherlich schicken sehen Sie, dafür muß ich mit Frau und Kind daheim eine Woche, ach, oft genug noch viel länger leben." Er sagte das ohne jede Gehässigkeit, ohne Neid, so wie man eben eine Tatsache, die sich nicht hinwegleugnen läßt, fonstatiert. Er stand mit abgezogener Müze, als ich ihm die Hand gab, und lächelte freundlich beim Abschied. Aber eben deswegen muß ich heute den ganzen Tag daran denken."

gestern zum erstenmal in Ihren 21 Jahren gemerkt hätten, daß Der Russe zuckte die Achseln. Sie tun ja, als ob Sie Ebenbilde Gottes geschaffene Menschheit sehr deutlich in es sowas wie Klassenunterschiede gibt, daß sich die nach dem Reich und Arm unterscheiden läßt?" Etwas verwundert sah er in ihr nachdenkliches Gesicht.

,, In der Theorie habe ich das natürlich gewußt, aber ich weiß nicht, in der Praxis habe ich diesen Gegensaz noch nie­mals so scharf gesehen wie gestern. Dieser Mensch hat plötz­lich einen Borhang vor meinen Augen weggezogen, und nun ist mir, als ertönten überall Hilferufe, Klagen, Schreie des Entsetzens, die ich nie gehört habe. Gewiß, ich habe zu Hause in unserer Umgebung auch Armut und Elend gesehen, aber das war nicht so schlimm, da konnte man hingehen und etwas helfen und trösten, dann lachten sie alle und freuten sich. Aber ich glaube, es gibt noch ein anderes Elend in der Welt, ein Elend in riesigem, unerhörtem Ausmaß, an dem die Hilfe des einzelnen abprallen muß, so hart, so grauenhaft, so riesengroß ist es."

Leidenschaftlich und entflammt erfaßte der Student ihre beiden Hände: Sie gehören zu uns, Germaine, Sie haben das tiefste Wesen des Klassenkampfes erfaßt und ausge sprochen. Nicht Einzelhilfe mehr, Gnadengeschenke, Almosen wir wollen die Organisation der Masse, die Befreiung der Unterdrückten durch sich selbst, durch eigene Kraft! Wir wollen nicht mehr Einzelne sein, sondern Gemeinschaft! Kommen Sie zu uns, fämpfen Sie mit uns!"

Aber Germaine schüttelte den Kopf. Was Ihnen längst in Fleisch und Blut übergegangen ist, das ist für mich fremd. Ich habe noch nichts gesehen von der Wirklichkeit, von der unmittelbaren Gegenwart, obwohl ich mir bis heute einge­bildet habe, auch die dunklen Tiefen und Abgründe zu fennen, die das Leben manchmal vor uns aufreißt. Ich stehe erst am Anfang--"

( Fortsetzung folgt.)