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Morgenausgabe

Tir. 539

A 271

48.Jahrgang

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Der Borwärts" erscheint mochentäg. lich zweimal, Gonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Juſtrierte Sonntagsbeilage Bolt und Zeit".

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

17. November 1931

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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Um Herrschaft und Freiheit Abschied von Friedrich Bartels .

Grundfäßliches zur Hessenwahl

Die Sozialdemokratie hat die Deutsche Republik ge­schaffen und ihr die Geseze der Demokratie gegeben. Als ihr im November vor dreizehn Jahren die Macht in die Hände fiel, hat sie diese nur benutzt, um eine Entscheidung des Volkes über die fünftige Regierung herbeizuführen. Den Gesetzen der Demokratie getreu, verzichtete sie auf die Alleinmacht, weil sie für sich allein bei den Wahlen zur Nationalversammlung nicht die Mehrheit erhielt. Obwohl sie bei diesen Wahlen nicht nur ihre Stellung als stärkste Partei behauptet sondern auch noch einen neuen gewaltigen Auf­schwung zu verzeichnen hatte, hielt sie es für selbstverständlich, daß sie sich mit bürgerlichen Parteien in die Regierungsmacht teilen mußte, weil sie nur mit diesen Parteien zusammen

die Mehrheit besaß.

Ob dieses Verhalten der Sozialdemokratie richtig war oder nicht wir halten es auch heute noch für richtig-

steht nicht zur Debatte. Sicher ist, daß die Sozialdemokratie ihren Feinden nicht mehr Recht einräumen kann, als sie sich selber zugebilligt hat. Die Nationalsozialisten sind heute im Aufstieg, sie sind in diesem Augenblick in Hessen , und ver­mutlich nicht nur in Hessen , die stärkste Partei. Wenn sie daraus das Recht ableiten wollen, Hessen , ja ganz Deutsch land allein zu regieren, so ist, das Unsinn. Dieses Recht wird ihnen nach den Gesetzen der Demokrate erst dann zustehen, wenn ihnen das Volk durch Mehrheitsentscheid den Auftrag gegeben haben wird.

Ein solcher Auftrag des Volkes liegt nicht vor. Auch in Hessen sind die Nationalsozialisten samt den ihnen nahestehen. den Gruppen in der Minderheit geblieben. Die Mehrheit der Wähler hat sich zu Parteien bekannt, die sich gegen den Faschismus und gegen die Harzburger Front erklärt haben. Für die Harzburger Front, einschließlich Volkspartei, find 342 666 Stimmen abgegeben worden, gegen sie 442 767 Stim men, das sind die des Zentrums und der links von ihm stehenden Parteien.

Ein faschistisches Regiment in Heffen stünde im Gegensah zu dem erklärten Willen der Wähler, es wäre unvereinbar mit den Gesezender Demokratie.

Trauerfeier des Landtags und der Partei.

Die offizielle Trauerfeier.

E

Die offizielle Trauerfeier für den verstorbenen 2and tagspräsidenten Friedrich Bartels begann pünktlich um 3 Uhr in der großen Wandelhalle des Landtages. Seit Sonn­abendnachmittag stand hier, unter ständiger Ehrenwache des Reichs­banners, der Sarg aufgebahrt unter Palmen und Lorbeerbäumen, flantiert von Leuchtern, deren brennende Kerzen dem würdig aus­geschmückten Raum ein feierliches Gepräge gaben. Die elektrischen Lampen waren mit Trauerflor umhüllt, die beiden großen Pfeiler die große Mitteltür zum Sizungsfaal im Hintergrund des Sarges

in den preußischen Landesfarben schwarzweiß drapiert, während

mit dem schwarzrotgoldenen Fahnentuch verhängt war.

Schier unabsehbar ist die Fülle der Kranzspenden, die in dem Raum untergebracht sind. Zu Füßen des Sarges, hinter dem eine

Abteilung des Reichsbanners steht und an dem während der Feier zu beiden Seiten je drei Amtsgehilfen die Ehrenwache halten, liegen die Kränze der preußischen Staatsregierung, der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, der Reichsregierung, des Senats der freien und Hansestadt Hamburg , des Parteivorstandes, der Fraktionen der Deutschen Volkspartei , der Wirtschaftspartei usw. Rings an den Wänden, meist geschmückt mit roten Schleifen, die letzten Blumen­grüße zahlloser Parteiinstitutionen und Körper­schaften, denen der Berstorbene angehörte oder Förderer war, und der verschiedenen Bezirksorganisationen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Fast ist die sonst so geräumige Wandelhalle zu flein, um alle Trauergäste zu fassen. Neben der fast vollzählig versammelten Sozialdemokratischen Landtagsfraktion sind Vertreter aller Fraf­tionen mit Ausnahme der Kommunisten und Nationalsozia= listen, der sozialdemokratische Parteivorstand mit dein Genossen Otto Wels und der Genossin Juchacz , Abordnungen der sozialdemo fratischen Reichstagsfraktion, der freien Gewerkschaften, die gesamte preußische Staatsregierung, das Präsidium des Landtages und für das Präsidium des Reichstags Genosse Paul Löbe erschienen. Als Vertreter der Reichsregierung war Reichswehr - und Innen­minifter Groener anwesend. Ferner sah man unter den Trauer­gästen den Berliner Oberbürgermeister Dr. Sahm mit dem Stadt­verordnetenvorsteher Genossen Sa ß. Der preußische Staatsrat war durch seinen Bizepräsidenten, den Frankfurter Bürgermeister Genoffen Graef, vertreten. Außerdem sah man den sächsischen Gesandten Genossen Gradnauer, Peter Graßmann vom ADGB. , den hochbetagten Alterspräsidenten des Landtags Graf von Bosadowsky, den früheren preußischen Finanzminister Dr. von Richter und den ehemaligen volksparteilichen Abge

Ob man die Nationalsozialisten zur Regierung mit heran­läßt oder nicht, ist eine Frage nicht des Rechts sondern der politischen Erwägung. Eine Partei, die in der Oppo­fition wächst wie ein Pilz im Regen, fann ebenso schnell wieder zusammenschrumpfen, wenn sie die Sonne der Regie- ordneten von Gynern. Auch das gesamte Beamten-, Angestellten rungsmacht bescheint. Hätten die Nationalsozialisten in den legten 13 Jahren auch nur den zehnten Teil der Berant­wortung tragen müssen, die die Sozialdemokratie getragen hat, so wäre wahrscheinlich feine Spur mehr von ihnen übrig. Kein Wunder also, daß immer wieder der Gedanke auftaucht, die Abnutzungstheorie einmal an den National fozialisten auszuprobieren.

und Arbeiterpersonal des Landtages erwies dem dahingeschiedenen Präsidenten durch Teilnahme an dieser Feier die letzte Ehre. Als die Witwe und der Sohn des Verstorbenen mit den übrigen

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Umgekehrt zu folgern die 3ersplitterung bringt dem Faschismus den Sieg wäre gefährlich. Denn wahrschein­lich wird die Aufgabe, den Faschismus trotz der Zersplitte­rung zu schlagen, von der Sozialdemokratischen Partei gelöst werden müssen, weil eben die Zersplitterung nicht von heute auf morgen zu beseitigen ist.

Eine Aeußerung zu diesem Thema, die Genosse Breit scheid am Sonnabend in Darmstadt getan hat, wird in der Preffe vielfach kommentiert. Es ist darum wichtig, ihren ge­nauen Wortlaut festzustellen. Breitscheid hat nach seinen eigenen Mitteilungen an uns in Darmstadt wörtlich gesagt:

Unternommen werden könnte dieses Experiment nur vom Zentrum, denn ohne Zentrum gibt es feine Rechts­mehrheit. Für das Zentrum wäre die Sache verhältnismäßig einfach, wenn die Nationalsozialisten eine Partei wären, die auf dem Boden der Verfassung und der Gesetze steht. Da aber die Nationalsozialisten eine solche Partei nicht sind, bringt jede Koalition mit ihnen die Gefahr eines Ab rutschens in Staatsstreich und Bürgerkrieg mit sich. In Harzburg hat es ja die nationalsozialistische Führung offen ausgesprochen, daß sie Koalitionen nur schließen will, um im passenden Augenblick die Partner hinauszuwerfen und Wenn der Beschluß des Zentralkomitees in der KPD. tatsäch allein weiterzuregieren. Das ist ein prinzipielles Bekenntlich Nachachtung finden soll, wenn die Partei tatsächlich auf die nis gegen die Berfassung und für die Gewalt, ein Bekennt putschistische und terroristische Ideologie und Praxis verzichten nis, mit dem die Praris der SA. nur allzu gut überein würde, dann wäre damit wenigstens eines der zahlreichen ftimmt. Gewalttat und Terror, verübt von den Banden Hindernisse beseitigt, die bisher einem gemeinsamen Kampf Hitlers , nehmen im Lande überhand, eine Kapitulation der der Arbeiterklasse zur Abwehr des Faschismus im Wege stehen. Staatsgewalt vor ihnen wäre gleichbedeutend mit dem offenen Bürgerkrieg. Wie soll der Staat das Verbrechen bekämpfen, wenn die Verbrecher in der Regierung sizen?

Es ist aber nicht nur das Zentrum, das schwere Ver­antwortung trägt. Auch alle die tragen sie, die links vom Zentrum stehen und die sich alle von fleinen Splittern abgesehen irgendwie zum Sozialismus befennen. Während sich unter dem Dedmantel des Nationalsozialismus die bürgerliche Sammlung in ihrer reaktionärsten und brutal­sten Form vollzieht, hat man in Hessen vier proletarische Barteien aufmarschieren gesehen, zwei große und zwei fleine! Ohne diese 3ersplitterung der antifaschist i fen Rräfte gäbe es teine faschistische Gefahr.

Schon aus diesem Wortlaut ergibt sich, daß Breitscheid keineswegs alle Hindernisse gefallen, daß er keineswegs die antifaschistische Kampffront geschlossen sieht. Was zu allem Ueberfluß noch von Verhandlungen zwischen der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei erzählt worden ist, beruht in allen Teilen auf vollkommen freier Er findung.

Auch wir haben die Erklärung der KPD. - Zentrale gegen den Terror als einen Fortschritt begrüßt; sie fönnte in der Tat die allergrößte Bedeutung gewinnen, wenn sie den An fang neuer Erfenntnisse darstellen sollte. So& B. der Er tenntnis, daß in der nächsten Zeit nicht die weltrevolutionäre Offensive, fondern die Verhinderung eines faschistischen Re

Familienangehörigen erschienen, ehrte die Trauerversammlung den Schmerz der Hinterbliebenen durch Erheben von den Plätzen. Feier lich intonierte hierauf die Kapelle der Staatsoper unter Leitung von Friz Zweig den Marsch der Priester aus der Zauberflöte " von Mozart . Dann nahm das Wort

Bizepräsident Baumhoff( 3entrum):

Was wir seit Wochen in banger Sorge gefürchtet haben, das ist nun schmerzvolle Wirklichkeit geworden: Friedrich Bartels , der Präsident des Preußischen Landtages , hat ausgelitten: er ist für immer von uns gegangen.

Landtag um deswillen besonders freudigen Anteil, weil man die

Im Frühling dieses Jahres konnte er in rüstiger Gesundheit sein 60. Lebensjahr vollenden. An diesem Geburtstage nahm der

Hoffnung hegen zu dürfen glaubte, daß Friedrich Bartels auch die legten Spuren einer früheren schweren Erkrankung, die ihn hart an den Rand des Grabes brachte, überwunden habe.

jäh und unerwartet aufs Lager geworfen. Sie war schwerer, als Seine letzte Krankheit hat ihn über Nacht überfallen, hat ihn

wir es zunächst geahnt haben, bis wir uns dann doch um sein Schick­fal bangen mußten. Aber wir hofften mit fester Zuversicht, daß seine kräftige Natur und sein eiserner Wille zu leben stärfer fein würden als die schleichende Krankheit, die seinen Körper zerwühlte. Das tüdische Leiden hat über ihn gefiegt. Es hat sein Leben aus­gelöscht. Viel zu früh! Sein Heimgang hat Wunden geschlagen und Lücken geöffnet. Trauer und Schmerz erfüllt uns alle.

Seine einsam gewordene Gattin, sein Sohn, feine Familie sie verlieren den Batten und treusorgenden Familienvater, der sein schönstes Erdenglück in der Familie fuchte und fand. Wir nehmen innigen Anteil an dem herben Schmerz, der seine Familie ge­troffen hat.

Um ihn trauert seine Partei, der er durch Jahrzehnte hindurch an verantwortungsvollsten Stellen mit ganzer Hingabe und leber­zeugung gedient hat; mit schmerzlicher Wehmut nehmen Abschied von ihm die Beamten, die Angestellten und die Arbeiter seiner Ver­waltung, denen er allezeit ein gütiger, gerechter und sorgender Bor­gefeßter war.

Tiefe Trauer erfüllt den Preußischen Landtag , in dem er ein leuchtendes Beispiel staatsbürgerlicher und vaterländischer Pflicht­erfüllung war und dessen Präsident er seit fajt 7 Jahren war. Bir haben einen Menschen von schlichter und edler Gesinnung, einen Mitarbeiter von ausgeprägteftem Pflichtgefühl, einen Freund mit

lauterem und reinem Herzen verloren

Am Beginn seines Lebens umgab ihn schlichte Einfachheit und die drückende Enge eines forgenvollen Daseins.

Die schlichte Einfachheit hat Bartels fein ganzes Leben hindurch bewahrt.

Aber am Ende seiner irdischen Laufbahn sehen wir ihn hoch geachtet, in einflußreichen und verantwortungsschweren Stellungen. Das alles ist ihm nicht durch Glückszufall in den Schoß gefallen, das alles hat er durch seine hingebende Arbeit, durch seine unermüdliche Pflicht­erfüllung, durch die Lauterkeit feines Charakters errungen, erdient. feit an sichtbarer Stelle, sei es im gewerkschaftlichen, sei es im poli­Seit fast dreißig Jahren stand Friedrich Bartels in der Deffentlich­tischen Leben. Am Ende seines Lebens durfte er auf sein öffent­liches Wirten mit Genugtuung und Befriedigung zurückblicken. Für

gimes in Deutschland die Hauptaufgabe sein wird und daß die Nationalsozialisten die eigentlichen Feinde sind und nicht die Sozialdemokraten.

Die Sozialdemokratie ist sehr wohl imstande, ihre ganze Kraft gegen den Faschismus zu fonzentrieren, wenn man ihr nur nicht fortgesetzt in den Rücken fällt. Wie sie grundsätzlich zum Kommunismus steht, weiß alle Welt; sie braucht es nicht alle Tage zu wiederholen. Die Kommunistische Partei aber hat bisher vom Rampf gegen die Sozialdemokratie gelebt; sie hat bisher stets in der Sozialdemokratie den Hauptfeind ge­sehen und ihre Hauptaufgabe darin, zwischen Führer und Massen der Sozialdemokratie einen Keil zu treiben. Solange sie von solchen Lebensgewohnheiten nicht läßt, wirkt sie fat­tisch sei es mit oder ohne Absicht als Bundesgenosse nicht der Sozialdemokratie, sondern des Faschismus.

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Uns Sozialdemokraten kann weder das Triumphgeheul der Hakenkreuzler noch die Verranntheit der Kommunisten entmutigen. Eine Armee, die in gefährlichen Situationen den Kopf verliert, verdient nichts anderes, als geschlagen zu werden. Die Sozialdemokratie hat sich aber im Verlauf ihrer stolzen Geschichte immer desto fester, desto unerschütterlicher gezeigt, je stärker der Feind und je größer die Gefahr war.

Jetzt ist es ihre geschichtliche Aufgabe, für die Freiheit der ganzen Arbeiterklasse, ja des ganzen deutschen Volkes den Entscheidungskampf zu führen. Sie wird in diesem Kampfe die Bundesgenossen nehmen, wo sie sie findet, ohne etwas von ihrem Wesen und non ihren Grundsäzen aufzugeben. Denn für dieses Wesen und für diese Grundsäße fämpft sie ja, für Freiheit und gleiches Recht im Staat, für Bollsherr­schaft und leberwindung der tapitalistischen Anarchie in der Wirtschaft, für Demokratie und Sozialismus!