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7tr. 539* 45. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Dienstag, 47. November 4934
Löh soll Klarheit schaffen. Vor der Vernehmung des Nagistrats Im Sklarek-Prozcf;.
Nach einem ZNonak Sklarek-Prozeh ist«an endlich so weit, die Z engen znm ersten UbfchnUt der AnNage vernehmen zn können. Am Donnerstag beginnt ihr Aufmarsch. Etwa 60 Zeuge» enthält die vorläufige Liste des Vorsitzenden. Es werden ihrer mehr werden. Als erste sollen sämlliche Älagistratsmitglieder ver­nommen werden: der Oberbürgermeister Löh. Bürgermeister Scholh. der frühere Kämmerer Dr. Kar ding, der jetzige Sur- germeister L a a g e. die Stadträte weege und Zangemeister. Generaldirektor Schöning von der vehala, Stadtschulrat Ily- dahl nnd der frühere Geschäftsführer der KVG. Rovarra. Der Vorsitzende gibt bei Mitteilung seiner Dispositionen unter anderem die folgende bedeutsame Erklärung ab: Ich habe mich bis jetzt dagegen gesperrt, daß in diesem Stadium der Verhandlung Namen von Leuten hineingezogen werden, deren Aulammenhang mit dem Prozeß aus der Anklage nicht ohne weiteres sichtbar ist. Ich bin aber gewillt, jetzt bei Eintritt in die Veweisausnajime sämtliche Magistratsmilglieder zu vernehmen, um über die Hintergründe der Sklarek-Affäre Klarheit zu schassen. Di« Herren vom Magistrat sollen hier sagen, was gespielt worden ist. Oberstaatsanwalt Dr. C t e i n ä ck e r widerspricht nicht der Ver- nehmung dieser Zeugen, wendet sich ober gegen die vom Rechts- onwalt Dr. Kurtzig überreichten Beweisanträge, da er der Ansicht ist. daß sowohl dasS p e n d e n sy st e m" des Magistrats als auch die ,.S ch w a r z e K l a d d e"' für die Verteidigung des An- geklagten Gaebel ohne Bedeutung seien. Insbesondere die Schwarze Kladde", die gewisiermaßen in einen Kinderschreek und in einen Popanz ausgeartet sei, stelle durchaus kein G e- heimbuch der städtischen KB G. dar, sondern ein ordnungs- mäßiges Geschäftsbuch, das neben Namen von Magistratsmitgliedern auch solche kleiner Beamten enthalte, die von Kieburg beliefert wurden. Die Verteidiger der Angeklagten Eklarek, die Rechts- anwälte Julius Meyer l und Dr. Nübell unterstützten aber den Antrag des RA. Dr. Kurtzig im Interesse ihrer Klienten: Es sei von großer Wichtigkeit, durch die Vernehmung derSchwarze- Kladde"�eugen den Nachweis zu führen, in welch ein korruptes Kieburg-Milieu die Angeklagten hineingeraten seien. Der Vorsitzende schlägt ein Kompromiß vor, er macht die Verteidigung darauf auf­merksam, daß die entsprechenden Fragen an die bereits geladenen Zeugen gestellt werden könnten und man dann im Laufe der Bs- weisaufnahme sich darüber schlüssig werden könne, ob noch weitere Zeugen benötigt werden. Die Nachmittagssitzung war mit Er- örterungen über die Zuwendungen an Kohl und Schnei- der ausgefüllt. Kohl behauptete, die Sklarekjchen Kleiderlieferungsn bezahlt zu haben. Willi Sklarek erklärte aber, daß. wenn in den Büchern keine Preis« stehen, diese auch nicht berechnet werden sollten. Leo Sklarek wirft Kohl vor, er habe gewußt, in welcher Weise die Firma Sklarek durch Kieburg betrogen worden sei. Kohl habe immer wieder gejagt: Seid ruhig. es: wird. jchonchejjer werden. Er, Leo Sklarek, wolle aber jetzt alles sagen und niemanden schonen. Es gibt, so ruft Leo Sklarek aus, auch jetzt noch S t a d t b a u r ä t-, deren Frauen an Unternehmen beteiligt sind, die von der Stadt Millionenaufträge erhalten. Der Angeklagte Schneider, früher Bürgermeister vom Bezirk Berlin-Mitte  , hat sich eingehend über seine Vermögensver- Hältnisse zu äußern. Außer seinem Gehalt in höhe von l5l)0 Mark hatte die Frau noch Zuschüsse in höhe von 500 Mark. Die Brüder Sklarek lernte Schneider auf einem Fest des Reichsverbandes der Eafehausbesitzer durch dessen Präsidenten Stüber kennen. Sie wurden ihm als angesehene Kaufleute und als Mitglieder ange- sehener Klubs vorgestellt. Schneider suchte Max Sklarek mehrmals in der Woche im Büro auf und duzte sich schließlich mit allen drei Brüdern. Irgendwelche Zuwendungen erhalten zu haben bestreitet
er: auf Deranlasiung von Max Sklarek, der unter Berufung auf seine Beziehungen zu Tuchlieferanten ihm die Anzüge mit 25 bis 30 Proz. billiger liefern wollte, entschloß er sich, seine Garderobe bei der Firma Sklarek zu bestellen. Schneider will sämtliche Garderobe bezahlt haben. Die Preise seien durchaus angemesien gewesen. Daß für ihn bei Keller und Förch genäht worden se«, habe er erst von dem Konkursverwalter erfahren. Die Preise, die diese Firma den Sklareks berechnet habe, seien übermäßig hoch gewesen und als solche von den Sachverständigen der Handels- kammer anerkannt worden. Das Geld habe er stets Mar Sklarek gezahlt. Lehmann behauptet ober, die Summen seien nicht durch die Bücher gegangen und das sei nur so zu erklären, daß entweder Leo Sklarek das Geld nicht abgeführt oder Schneider nicht gezahlt habe. Es liegen die von Schneider beglichenen Rechnungen vor. heute wird die Vernehmung des Angeklagten Schneider fort- gesetzt. Es weiden die Geld Zuwendungen an ihn zur Sprache kommen.
Neuer Geist in neuen Schulen
Rückschritt und Reaktion möchten toieder in unseren Schulen Einzug halten. Not und Sparwut sollen ihnen die Wege bereiten. Nodi aber lebt der neue Geist! Unser Bild zeigt einen schönen von dem Bildhauer W. E. Schade gesdiaffenen Wandbrunnen in der neuen Volksschule i n W eißensee. Die Schule, deren klare und ruhige ArdiitektUr und innere Gestaltung oorbildlidi genannt wer­den kann, hat auf dem Hof einen zweiten, von dem gleichen Künstler gesdiaffenen Brunnen erhalten, der die Bildwerke zweier Fohlen zeigt.
Reins unter Mordanklage. Hastbefehle gegen die Lhauffeurmörder. Di« Voruntersuchung gegen den Mörder Ernst R e i n s wegen des an dem Geldbriefträger Schwan im Frühjahr verübten Raub« nwrdes steht unmittelbar vor dem Abschluß. Staatsanwaltschaftsrat Dr. höfer ist bereits mit der Fertigstellung der Anklageschrift betraut. Die Anklage wird gegen Ernst Reins   auf Mord und Raub lauten, gegen seine ältere Schwester Sophie auf Beihilfe und gegen die Mutter auf Hehlerei bzw. Begünstigung. Dagegen wird beantragt werden, die jüngere Schwester Jenny, die bereits vor einiger Zeit aus der Haft entlassen worden ist, außer Verfolgung zu setze». Nach Zustellung der Anklageschrift werden die Akten sofort der Strafkammer zur Eröffnung de? haupi- versghrens zugeleitet werden. Das sehr untfangrciche Gutachten des Gerichtsarztes, Medizinalrat Dr. Dyrenfurth, bejaht bei sämtlichen Angeklagten die volle Verantwortlichkeit und verneint die Anwend- barkeit des 5l. Wie die Justizpressestelle mitteilt, hat der Vernehmungsrichker im Polizeipräsidium gestern gegen die Arbeiter W i t t st o ck und R o h r b a ch hastbefehle wegen des dringenden Verdachts erlassen, den Droschkenchauffeur Pohl auf der von Buchholz nach Sperlings  - lust führenden Chaussee ermordet zu haben. Ferner hat der Ver- nehmungsrichter gestern Haftbefehl gegen T h i e m e erlassen, wegen des dringenden Verdachtes des Diebstahls und des Mordes an seiner Tante Frau Schimmclpfennig. Thermometer in der Bauchhöhle. Sensationeller Zund bei einer Obduktion. Aleserih, 10. November. In der Landesheil- und Pflegeanstalt Mcseritz-Obrawalde wurde bei der Obduktion eines verstorbenen Geisteskranken in der Bauch- höhle«in Fieberthermometer gefunden, das als Ursache einer tödlichen Bauchsellentzündung angeschen werden muß. Nach dem Befund hatte das Thermometer schon längere Zeit im Körper gelegen. Bei der Entdeckung des Fieberthermometers brach der die Leichenässnung leitende zuständige Oberarzt diese sofort ab und benachrichtigte die Staatsanwaltschaft Meseritz  , in deren Gegenwart und in Anwesenheit des zuständigen Kreisarztes dann die Sektion zu Ende geführt wurde. Es ist vor- läufig noch ungeklärt, wie der Geisteskranke zu dem Thermometer gekommen ist, da eine sosort vorgenommene Revision ergeben hat, daß von den in der Landcsheil- und Pslegeanstalt vorhandenen Fiebermessern keiner fehlt. Die weitere Untersuchung des eigen- artigen Vorfalls liegt in den Händen der Staatsanwaltschaft Meseritz  .
Autounglück auf Hamburger Chaussee. Oer todbringende Sommerweg. Ludwigslust  . 10. November. Auf der Hamburg  -Berliner   Chaussee ereignete sich ein schwerer Autounfall. Der Reisetinobesitzer Bramstedt aus Rostock  befand sich mit seinem Kinowagen auf der Fahrt von Ludwigslust  nach Kummer. Infolge einer Reifenpanne kam der Wagen ins Schleudern, geriet auf den Sommerweg und stürzte um. Die im Wagen sitzende Cousine des Besitzers, Anneliese Bramstedt, geriet so unglücklich unter das Auto, daß der Tod auf der Stelle eintrat. Der Fahrer wuxde leicht verletzt. Das Reichsbanner Schwarz-Rol-Gold des Ortsoereins Neu­kölln-Britz veranstaltet am Mittwoch(Bußtag) 10 Uhr in der Neuen Welt", 5iasenheide, gemeinsam mit dem Arbeiter- Athletenbund eine Veranstaltung unter dein TitelSport und Technik" Artisten-Wettstreit. Die Veranstaltung soll einen Aus- schnitt aus dem Wirken der Organisation geben.
Aber der Junge schüttelte den Kopf.5ch werde niemals anders denken. Und sobald ich genommen werde, gehe ich mit! Ich war schon vorige Woche bei Major Stetten vom Bahnhofkommando, und er hat mir versprochen, ein Wort für mich einzulegen, und Er brach ab, denn das Gesicht Germaines wurde von einem so jähen Entsetzen überflutet, daß auch er erschrak. Sie sprach kein Wort, sie preßte nur ihre beiden Handflächen an einander, in einem grenzenlosen, gewaltsam hervorbrechen- den. stummen Schmerz, der hilflos nach Ausdruck suchte. Dann stand sie auf und wandte sich zum Fenster. Auch der Bruder stand einen Augenblick stuntm. Er fühlte den Schmerz, den er der Schwester zufügte, in diesem Augenblick wie eine schwere, drückende Schuld. Aber dann legte er den Ann um GermaineAber so schnell geht das doch nicht, Schwesterchen, liebes, ich bin ja noch gar nicht genommen, ich bin ja auch noch zu jung. Bis ich dran komme, da vergehen noch viele Wochen und Monate. Bis dahin ist der Krieg schon beendet. Jetzt schon um meine Heldenleiche zu weinen, das ist doch wirklich ein bißchen früh!" Cr schüttelte die Schwester ein wenig, als sie noch immer wortlos stand.Aber Germaine!" Germaine rührte sich nicht. Wortlos starrte sie vor sich hin. Walter ließ von ihr ab und folgte ihrem Blick. Aber draußen war nichts zu erkennen. Garten und Felder, olles lag in tiefem Dunkel. Endlich wandte sich Germaine ihm zu.Ich weme nicht. Walter", sagte sie mit einer unnatürlichen Ruhe,aber ich weiß, ich fühle es der Krieg, wird nicht zu Ende sein. Ich habe Dolf hergeben müsien Vater ist tot nun wirst auch du gehen. Dem Untergang entgegen" 18.. v Auf dem großen Platz vor der Unwersitöt standen Gruppen junger Menschen zusammen. Andere promenierten jjn lebhaftem Gespräch hin nnd her. Da und dort Uniformen,
feldgrau, mit dem Eisernen auf der Brust, Urlauber oder leicht Verwundete, die alte Freunde begrüßten oder ein paar Vorlesungen hörten. Es ist ejnfach alles Quatsch hier, was ihr macht! Wenn ich wirklich heil zurückkomme diese Museumskaserne hier sieht mich bestimmt nie wieder. Jahrelang Lautgesetze und Lautverwandlungen pauken, gotisch, althochdeutsch, alt- nordisch, mittelhochdeutsch, altenglisch, altfranzösisch ja alt, alt! Daraus kommt's hier an! Ich sattle um und werde Mediziner, das hat noch Hand und Fuß! Aber eure däm- lichen Handschriften, aus denen einem der ganze Aktenstaub der Vergangenheit entgegenströmt ich danke!" Der junge Feldgraue paftte wütend den Rauch aus seiner Pfeise. Sein Freund legte den Arm um seine Schultern.Recht hast du. Fuchs, mir stehts auch hier oben! Draußen gehen Welten in Trümmer, die ganze Eide brennt, und wir sitzen hier über unseren Scharteken, und die alten Kracher, die uns das Zeug vorkauen, tun noch, als sei das die tiefste Weisheit des Lebens! Wie bin ich bloß auf die blödsinnige Idee gekommen, Philologie zu studieren!" Er faßte den Kommilitonen am Arm und schlenderte langsam mit ihm auf und ab. Die Zurückbleibenden setzten das Gespräch fort.Na- türlich haben sie recht. Aber lieber Gott, man wäre schön dumm, in einer anderen Fakultät von vorne anzufangen, jetzt, nach vier Semestern! Da ist's auch nicht bester!" Mein Bruder studiert Chemie na, der muß erst Formeln ochsen! Da herrscht bei uns das reinste Pa- radies!" Na, und erst Jus dann schon lieber Philologie!" Es klingelle. Langsam ging man auseinander und trat in die Universität ein. Auf nachher!" Was hast du denn jetzt? Ich gehe zumTiturel"!" Na. viel Vergnügen, ich lasse mir die Vorläufer Shake- speares servieren!" Warte auf mich am Lehrsaal 16, bei uns dauerts immer länger. Der Froschkopp kann sich nicht trelmen" Man verstummte, denn die Tür des Dozentenzimmers öffnete sich, und ein kleiner dicker Herr mit einem großen Bücherpack unter dem Arm trat heraus. Die Studenten ver- schwanden in ihr« Hörsäle. -'s Schon fast halb zwölf. Germaine bog um die Ecke der Universttätsstraße und sah zu der alten Kirchenuhr auf. Nein,
da hatte es wahrhaftig keinen Zweck mehr, ins Kolleg zu gehen.Der ältere Minnesang" na. darüber wußte sie ja nun bald Kescheid außerdem stand alles fast wörtlich- imGrundriß". Eventuell pumpte man sich ein Kollegheft. Ja, wenn es die Vorlesung über die Renaissance oder Balzac  oder Bergson gewesen wäre! Aber so hatte sie den Morgen zum Klavierspiel verwendet. Immer stärker fesselte sie die Musik, immer schwerer wurde es ihr, sich davon loszureißen. Ja, heute verstand sie Vater, der sich mit aller Macht dagegen gesträubt hatte, daß sie als Kind schon Unterricht erhielt. Sie hätte niemals von der Musik lasten können, das wußte sie jetzt. Germaine ging langsam hinüber zu den Seminar- gebäuden. Am besten, sie setzte sich noch eine Stunde oben hin und las die Saga von Grettir, dem Geächteten, zu Ende. Sie hatte gestern damit begonnen und stand sofort wieder unter dem Eindruck dieser realistischen, herben Erzählung?- kunst, sobald sie nur daran dachte. Da bekam man einen anderen Eindruck von den idealen, blonden und blauäugigen Germanen, wie man sie sich auf der Schulbank gedacht hatte. Das war eine harte, blutige Zeit gewesen, da droben auf der kleinen Insel. Das war eine Welt, in der die Menschen Eis und Feuer gleichzeitig in sich bargen, wie die isländische Landschaft, eine Welt der Grausamkeit und des Todes, der Gier nach Besitz, des unbändigen Stolzes, aber auch der Seelengröße und der Geschlossenheit. Menschen, die einem plötzlich ganz nahe dünkten, als hätten sie nicht vor Jahrhunderten gelebt, denn waren ihre Leidenschaft, ihre Sehnsucht, ihr Egoismus, ihre Liebe, ihre Furcht nicht dem verwandt, was man selbst in sich fühlte? In Gedanken ver- funken ging Gennaine die Treppe hinauf, die zum Genna- Nischen Seminar führte. Das ist doch Germaine Loriot!" Ein großer, junger Mensch, der eben die Treppe herunterkam, blieb stehen und lachte über das ganze Gesicht. Ueberrascht streckte ihm Germaine die Hand entgegen. ,KurtI Wo kommst du bloß her! Studierst du denn auch hier?" Der junge Mann schüttelte lachend den Kopf.Gott  behüte! Ich bin bloß ein paar Tage zu Besuch bei meinen Verwandten. Heute wollte ich unseren Schulkameraden Hei- mich hier treffen, aber wir müssen uns verfehlt hoben. Ich suche ihn wie eine Stecknadel überall. Statt dessen trest ich dich no, ich habe nichts gegen diesen Tausch einzuwenden." (Fortsetzung folgt.)