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Beilage

Donnerstag, 19. November 1931

Um die Notverordnung

Preußen und der Kulturabbau

Aus sozialdemokratischen Lehrerkreisen mird uns geschrieben: Die Lehrer aller Schulgattungen überbieten sich in der Ver­urteilung der preußischen Notverordnung. ,, Die preußische Lehrerzeitung" nennt sie ein Dokument der Erniedrigung und Entwürdigung, dem der erbitterte Kampf bis zur restlosen Beseitigung gilt. Im Deutschen Philologenblatt" wird erklärt, es gehe nicht an, daß, um über einen Winter hinweg: zukommen, die Jugend, die die Zukunft gestalten sollte, geistig ver­nichtet wird, daß ein ganzer Stand seinen ausgebildeten Nachwuchs verliert, daß um eines Jahresetats willen das Millionenopfermert aller Volksgenossen aus vielen Jahrzehnten bis zum Grund zerstört wird". Jede Lehrergattung behauptet, daß sie am ungünstigsten behandelt worden sei. Die Volksschullehrer: Die in die Anwärterliste aufgenommenen Assessoren bekommen 80 Proz., unsere Junglehrer aber nur einige Bettelpfennige. Die Phi­lologen: Für die Junglehrer sind 11 Millionen Mark zur Verfügung gestellt worden, für die nicht in die Anwärterliste auf genommenen Assessoren aber fast nichts. Das Deutsche Philologen blatt" erzählt von einem 34 Jahre alten Studienassessor, der von der Gemeinde eine wöchentliche Unterstützung von 7,50 M. erhält und dafür zehn Stunden mit einem Handwagen Holz zum Gemeindebüro fährt.

Jetzt hat auch der Staatsrat die Notverordnung ver­worfen: Erschütterung des Rechtsbodens und unnötige Eingriffe in die Selbstverwaltung, Beeinträchtigung der sozialen und fulturellen Interessen unseres Boltes, insbesondere unseres Schul­wesens einschließlich unseres Hochschulwesens."

Der Minister Grimme hat auf diese in den Lehrerkreisen und die in dem Land gemachten Vorwürfe erwidert, daß niemand ,, die Auswirkungen der Notverordnung auf dem Gebiete des Schul­wesens leidenschaftlicher bedauern als er selbst; er nennt die Not­verordnung daher eine verordnete Not" und hat durch die auf seinen Antrag fürzlich vom Staatsministerium verabschiedete. Ver­ordnung über die Pensionierung der älteren Lehrer bewiesen, daß ihm das Schicksal der Junglehrer und Jungphilologen sehr am Herzen liegt.

Ein unvoreingenommener Beurteiler muß feststellen, daß noch feiner dieser Kritiker, auch noch nicht der Staatsrat, auch nicht Professor Oestreich, der Vorsitzende des Bundes entschiedener Schul­reformer bei der Eröffnung der diesjährigen Bundestagung, dargelegt hat, wie die Summe auf anderem Wege hätte erspart werden können. Es läßt sich die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß von den 2,1 milliarden des preußischen Gesamthaushalts 0,74, also ein Drittel auf das Bildungs­wesen fommen, und hierzu 630, also über vier Fünftel auf die Personalausgaben.

Bei der Kritik wird auch folgendes nicht beachtet oder nicht gebührend gewürdigt:

1. Die Verordnung stammt nicht von dem sozialdemokratischen Unterrichtsminister, sondern von dem preußischen Kabinett; dieses trifft keine Schuld an der Ursache, nämlich an der Wirtschaftskrise, und es hat auf Anordnung des Reichsfabinetts und auf Drängen des Städtetages gehandelt. In anderen Ländern, auch in denen mit einem Rechtskabinett, sind zum Teil dieselben, zum Teil noch schärfere Verfügungen erlaffen worden. 2. In mehreren Ländern hat man sogar außerdem die in Preußen wieder beseitigte Gehaltsaufrüdsperre eingeführt und neue Kürzungen der Gehälter der Lehrer wie natürlich auch der der anderen Beamten um 4 bis 10 Proz. vor­genommen( 3. B. in Bayern , Baden, Bremen , Hessen , Lübeck , Sachsen , Mecklenburg- Schwerin, Braunschweig , Württem­berg).

3. Wie auch der Ministerialrat Richert( D. Vp.) im Rundfunk dargelegt hat, hat Preußen vor dem Kriege 27 Millionen für das Schulwesen ausgegeben, jetzt aber trotz der Verkleinerung des Staatsgebietes das Dreifache. Welche Anerkennung der sozial­demokratischen Kulturpolitik!

4. Die Abbaumaßnahmen bei den Schulen sind überdies zum größten Teil gegen den preußischen Unterrichts= minister beschlossen worden.

5. Dieser hat infolge der Proteste der Philologen, trok der Unterstügung durch die Volksschullehrer, davon Abstand genommen, die Ersetzung der neunjährigen höheren Schule durch die acht jährige durchzusetzen.

6. Nicht der Unterrichtsminister, sondern der Finanz.

minister hat erklärt: Es erfordere die finanzielle Lage des Staates, daß man rücksichtslos in der Entlassung vorgehe und diese Entlassenen sich selbst überlasse; und dieser Minister ist zurück­getreten, weil er von dem Landtag nicht unterstützt worden ist.

7. Wäre von dem preußischen Kabinett die Altersgrenze auf das 60. oder gar auf das 58. Jahr heruntergesetzt worden, so hätten gerade die Philologen wie 1921 bei der ersten Einführung der Altersgrenze wegen Verlegung der wohlerworbenen Beamten rechte geflagt. Diesmal hätte eine Klage wahrscheinlich bei dem Reichsgericht Erfolg gehabt. Denn dasselbe hat entschieden, daß eine Altersgrenze nicht für einzelne Beamtenkategorien allein eingeführt werden dürfe.

8. Am wenigsten hat der frühere Unterrichtsminister Boelig( D. Vp.) Veranlassung, im Landtag den sozialdemo­fratischen Unterrichtsminister anzugreifen. Denn er war 1924 in ähnlicher Lage, er war auch durch das Reich gezwungen, den Personalabbau durchzuführen. Der sich gegen ihn damals er­hebende Sturm war noch orfanartiger. Wenn jezt die Assessoren, die nicht in der Anwärterliste stehen, nicht Anspruch auf Unterstützung haben, so ist das seine Schuld. Denn er hat die Anwärterordnung eingeführt. Hätte er das nicht getan, so fönnte die Summe, die jetzt die Anwärter erhalten, auf alle Assessoren gleichmäßig verteilt werden, so daß nicht die einen 80 Proz. und die anderen nichts erhalten, sondern alle etwa 40 bis 50 Proz. Bird Boeliz nicht zugeben, daß das gerechter wäre?

Auch die Einführung der Pensionierung der Hoch­

I

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

fchulprofessoren, die bisher mit vollem Gehalt emeritiert wurden( nicht der schon emeritierten, die nur 10 Proz. des Gehalts verlieren, sondern der noch amtierenden), ist nicht allein in Preußen eingeführt worden, sondern z. B. auch in Sachsen , Thüringen , Mecklenburg , Württemberg. Die Professoren können übrigens den Unterschied zwischen dem Gehalt und der Pension bei der jetzt so großen Zahl der Studierenden verdienen, da sie auch nach ihrer Pensionierung Vorlesungen halten können. Die Beamten feiner anderen Kategorie haben ein ähnliches Recht.

Mit diesen Darlegungen will ich nicht behaupten, daß ich alle Abbaumaßnahmen für zweckmäßig halte. Der frühere Unterrichts­minister Becker hat von einer ,, barbarischen Belastung" der Lehrer der höheren Schulen gesprochen. Da ist es nicht zu billigen, daß die Arbeitszeit der 55 bis 64 Jahre alten Studienräte durch Er­höhung der Pflichtstundenzahl und durch Verlängerung der Stundendauer mindestens um 27 Proz. erhöht worden ist, noch dazu unter Erhöhung der Klassenbesuchsziffer, daß aber die meisten 25 bis 40 Jahre alten. Studienassessoren nicht beschäftigt werden. Die Erhöhung der Pflichtstundenzahl hätte erst dann eingeführt werden dürfen, wenn die Anwärter nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken.

Das Recht der Schulaufsichtsbehörden, städtische Lehrer gegen ihren Willen an Schulen anderer Städte zu versezen, muß zeitlich begrenzt werden; denn sonst ist zu befürchten, daß es später gegen einen republikanischen Lehrer aus­genügt wird, um ihn zu brangsalieren.

Ich glaube, hätte Grimme zu Anfang des vorigen Jahres die wirtschaftliche Entwicklung vorausgesehen, so hätte er es sich sehr überlegt, das ihm angebotene Portefeuille anzunehmen. Denn es ist nicht beneidenswert für einen Staatsmann, sich wegen der Folgen einer wirtschaftlichen Krisis angreifen zu lassen, an der er ganz unschuldig ist. Waren nicht in ähnlicher Lage die Regierungen nach dem militärischen Zusammenbruch im Jahre 1918/19?

... find zu schließen!

Die neue Schule, ein alter Mann und zwei Gerichtsverhandlungen

Wenn jemand 1912 übertrieft vor Internationalismus, wenn seine Stimme heiser und seine Feder frumm wird im Kampf gegen den verruchten Krieg und gegen den Militarismus und er es als seine heiligste Pflicht betrachtet, den Patriotismus zu bekämpfen und die Friedensbewegung zu propagieren;

wenn der gleiche Mann 8 Jahre später fich fortent­widelt hat von jener bürgerlich- liberalen Anschauung fast hin zum Sozialismus, wenn er im Begriff steht, der Partei beizutreten, und wenn er seine Mitarbeiter ermuntert, bei der Wahl den Marristen ihre Stimme zu geben;

wenn dieser Mann ausgerechnet Schulmeister, Lehrer und Erzieher gewesen ist.

d. h.

gen Aufwärtsentwicklung geachtet und anerkannt dasteht die Nazipartei muß von dieser Behauptung ausgenommen werden, von ihr wird die Schule beschimpft und verleumdet.

Heinrich Scharrelmann versucht es mit seinem Führertum zum zweitenmal; aber bald scheitert er wieder, und dann gibt es keinen Ausweg mehr. Der erst Fünfundfünfzigjährige muß in den Ruhe­stand treten, und taum eine Zeile oder ein Wort hat irgendwie verraten, daß das irgendwo als Verlust betrachtet worden wäre.

Jezt endlich ist er dort gelandet, wohin er vielleicht am besten paßt; er ist Pg. Nun hat er wieder einiges zu tun. Er darf Be trieb machen, fich wichtig tun, aalglatte Reden führen und giftige Tinte für die Nazipreise verfprizen. Er prafidiert in Lehrerber­fammlungen, wo Leute in der Art des Pg. Schemm thre freuen sich dessen, denn es scheint, als ob so lange, wie er die NSDAP . ziert, die Pg. Lehrer ein fümmerliches Häufchen bleiben. werden.

und wenn dieser Mann jetzt bei der NSDAP . eine Rolle spielen darf, die Spalten ihrer Zeitung füllen, ihre Versamm- schwülstigen Reden vom Stapel lassen. Doch seine politischen Gegner lungen zieren und sicher das Muster einer charaktervollen Persön lichkeit darstellen soll

dann muß es im Nazilager eine recht merkwürdige Erklärung für das Wort Charakter geben, eine Erklärung, die wohl nur dort gebilligt wird, eine Erklärung, die sich die übrigen gesitteten Menschen nicht zu eigen machen.

In Bremen gab es einmal einen großen Pädagogen; er hieß Heinrich Scharrelmann . In seinen jungen Jahren schon wurde er viel beachtet. Er kämpfte mit einer unduldsamen Be= hörde, die ihm nicht Raum genug gab, in seiner besonderen Art zu schulmeistern. Er verließ den Staatsdienst und schlug sich auf eigene Faust durchs Leben Er rüttelte auf und regte an. Ein Buch nach dem anderen erschien, und die fortschrittliche Lehrerschaft glaubte, ihn zu den ihren rechnen zu müssen.

1919 nahmen ihn diejenigen in den bremischen Schuldienst wieder auf, die von gewiffen Leuten heute als Novemberverbrecher beschimpft werden. 1920 wurde er Leiter der ersten Versuchs schule.

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Es gibt Menschen, bei denen Theorie und Praris nicht viel miteinander zu tun haben. Scharrelmann war in seinen Büchern Demokrat und in seinen Reden und Vorschlägen nicht minder. In der Wirklichkeit entpuppte er sich als frasser Autofrat, der sich in schwierigen Situationen durch Ausweichen zur Anarchie zu helfen suchte. Der Führer versagte. Die Gefolgschaft trennte sich von ihm und gründete eine eigene Schule, die heute nach einer ständi­

Seine einstigen Weggenossen hat der ehemalige Führer jedoch nicht vergessen. Daß die bremischen Versuchsschulen sich ohne ihn überhaupt erst entwickelt haben, wird er ihnen niemals zum Guten auslegen. Lange genug mag er über. Racheplänen ge­brütet haben. Nun hat er Bundesgenossen; seine neuen Partei genossen sollen diesen Schulen den Garaus machen. Man fönnte vermuten, daß Scharrelmann nur zu diesem Zwecke dieser Partei beigetreten ist. Einen Trabanten zur Eröffnung des Vor­gefechtes hatte er bald gefunden. Der mußte sich ein Langes und Breites über die Versuchsschule zusammenschreiben, bei dem es mehr aufs Kompromittierenwollen als auf die Wahrheit anfam. Die Schulen erzielten feine Leistungen, ihre Erziehungsfrüchte fönnten nur den Marristen gefallen, sie hielten nichts von der Religion, die Lehrer wären schreckliche Demokraten, und hätten ihre ersten edlen Führer( Scharrelmann!) hinausbugsiert, fie täuschten die Deffentlichkeit u. ä.: alles in allem wären sie furchtbar über­flüssig. Die Folge war ein Prozeß, in welchem der Richter dem fundigen" Zeitungsschreiber bescheinigte, daß er die Unwahrheit gesagt habe.

Das war das Vorgeplänkel; die Haupt- und Staatsaktion so noch steigen. Die Nationalsozialisten haben in der Bürgerschaft den Antrag gestellt: Die Versuchsschulen sind zu schließer Der Antrag steht zwar schon seit langem auf der Tagesordnung,

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