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BERLIN Montag 23. November 1931

Der Abend

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Nr. 548

B 274 48. Jahrgang

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Berständigung unmöglich!

Gewerkschaftsprotest im Wirtschaftsbeirat

Die Beratungen des Wirtschaftsbeirats haben heute miffag ein unfriedliches Ende genommen. Nach der Berlefung des Exposés des Reichsfanzlers, das die Arbeiten des Wirtschaftsbeirates und ihre Ergebnisse zu­fammenfaßt, gab Genosse Peter Graßmann im Namen der Vertreter sämtlicher gewerkschaftlichen Spikenorga­nisationen, das heißt sowohl des Allgemeinen Deutschen Ge­ werkschaftsbundes und des AfA- Bundes, als auch des wie der Hirsch­Christlichen Gesamtverbandes Dunderschen Gewerkschaften eine scharf formulierte Er­tlärung ab.

Die Erklärung betont, daß die Vertreter der Gewerk­schaften der Einladung des Reichspräsidenten gefolgt feien, um im Wirtschaftsbeirat, wie es in der Einladung hieß, ein wirtschaftlich wirksames und sozial gerechtes Wirt­schaftsprogramm aufzustellen und durchzuführen, dessen Ziel fei, die Arbeitslosigkeit zu mindern, die Produktionstoffen zu verringern und die Lebenshaltungskosten herabzusehen. In deffen, fagte Graßmann, hätten die Beratungen im Wirt­fchaftsbeirat gezeigt, daß über die Mittel und Wege zu diesem Ziel eine Berständigung nicht möglich sei.

Die Gewerkschaften könnten deshalb auch den Schluß­Die Gewerkschaften tönnten deshalb auch den Schluß­folgerungen des Reichskanzlers nicht zu stimmen.

Graßmann wies unter anderem besonders darauf hin, daß der Wirtschaftsbeirat nicht die gefeßliche Fefflegung der 40- Stunden- Woche mit Einstellungszwang ausgesprochen habe. Besondere Bedenken hätten die Gewert­schaften auch in der Frage der Handhabung des Schlichtungswesens und der Berbindlichkeits­erklärung. Das Exposé des Reichskanzlers über die Abficht, einzelne Preise herabzusehen, biete weder die Mög­lichkeit, die Lebenshaltungstoften in ausreichendem Maße zu senten, noch könne dadurch die Belebung der Wirt­fchaft herbeigeführt werden.

Die Getreidepreise, erklärte Graßmann weiter, überschreiten in Deutschland die Weltmarktpreise um das Dreifache. Hier müßte zunächst die Preissenfung unter anderem durch die Verminderung der großen Handelsfpanne einsetzen. Wie die Dinge heute liegen, müssen die Gemert­schaften befürchten, daß die Senkung der Gestehungstoffen einseitig zu Laften der Löhne und Gehälter erfolgt. Die weitere Schrumpfung der Kaufkraft, die sich daraus ergeben müsse, würde sich sozial und wirtschaftlich verhäng­nisvoll auswirken. Die Gewerkschaftsvertreter verlangen deshalb von der Reichsregierung, daß fie an der ursprüng­lichen Zielsetzung des Wirtschaftsprogrammes festhält und unfer feinen Umständen Maßnahmen trifft, die die aufkraft der breifen Maffen noch weiter schwächen würden.

Nach dieser Erklärung der Gewerkschaften ergibt sich ein starter Gegensatz nicht nur zwischen Arbeitgebern und Ar­beitnehmern, sondern auch zwischen den Gewerkschaften sämtlicher Richtungen und der Regierung Brüning .

Schlußsihung des Wirtschaftsbeirats.

Ueber die heute unter dem Vorsiz des Reichspräsidenten ab­gehaltene Schlußsizung des Wirtschaftsbeirats wird amtlich u. a. berichtet:

Reichskanzler Dr. Brüning faßte das Ergebnis der in den Ausschüssen des Wirtschaftsbeirats an der Hand sorgfältiger Frage­stellung getätigten Arbeiten folgendermaßen zusammen:

1. Die Aufgabe. Der Wirtschaftsbeirat schloß sich der Auffassung der Reichsregierung, wie sie in dem Briefwechsel zwischen dem Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung vor Zusammenberufung des Wirtschaftsbeirats und der Eröffnungsrede des Herrn Reichs­präsidenten zutage getreten sei, an, daß der Sinn der in Aussicht­zu nehmenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen der sein müsse, zur Verminderung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen

Schwierigkeiten

die Aufwendungen der gesamten Wirtschaft in weitem Maße an die teils durch Währungsveränderungen, teils durch andere Gründe bedingten Preisentwicklungen auf dem Wellmarkt und an die Vermögens- und Einkommenslage in Deutschland anzu­paffen, unter Abstimmung der einzelnen Aufwendungen und Werte aufeinander.

der Wirtschaftsbeirat stellte sich hierbei auf den Boden der Reichs regierung, daß jegliche Maßnahmen inflationisti fchen Charakters entschieden abzulehnen und daß diese Aufgaben durch einen umfassenden Plan in sich geschlossener und einander bedingender Maßnahmen zu lösen seien, wobei diese Maßnahmen wegen ihrer Abhängigfeit voneinander, soweit irgend möglich, nicht nur alsbald, sondern auch gleichzeitig getroffen werden müßten. Für den Erfolg dieser Maßnahmen wäre die halbige Beendigung der internationalen Deflation von wesentlicher Bedeutung.

2. Notwendige Borausfegungen. Der Wirtschaftsbeirat hat auf Wunsch der Reichsregierung Fragen der öffentlichen Etats: wirtschaft in Reich, Ländern und Gemeinden im einzelnen nicht erörtert, ist aber mit Reichsregierung und Reichsbank der

Geheimurteil von Leipzig .

3wei Schriftsteller wegen Landesverrats zu je 3ahren Gefängnis verurteilt.- Bölliger Ausschluß der Oeffentlichkeit

"

Leipzig , 23. November.

In dem Landesverratsprozeß gegen den Heraus geber der Weltbühne, von Ossießty, und den Journalisten Walter Kreiser als Verfasser des unter Anflage gestellten Etattritifartitels Windiges aus der deutschen Luftfahrt" hat das Reichsgericht heute mittag folgendes Urteil verkündet:

Die Angeklagten werden wegen Verbrechens gegen§ 1 Abs. 2 des Gesetzes gegen den Berrat militärischer Ge heimnisse jeber zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis und zur Tragung der Kosten verurteilt. Der Artikel Windiges aus der deutschen Luftfahrt" in der Zeitschrift Die Weltbühne nebst den zu seiner Herstellung bestimmten Formen und Blatten ist gemäß§ 41 Abs. 2 Strafgefeßbuch unbrauchbar zu machen.

Sodann verkündete der Vorsitzende noch folgenden Gerichts beschluß: Da die tatsächliche und rechtliche Bürdigung des inkriminierten Artikels durch das Gericht naturgemäß nicht er­folgen fann, ohne die in Rede stehenden geheimen Nachrichten zu erwähnen und zu beleuchten, hat der Senat gemäß§ 173 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes beschlossen: Für die Verfündung der Urteilsgründe wird die Deffentlichteit ausge schlossen, da sie eine Gefährdung der Staatssicherheit besorgen läßt. Es wird den Herren Sachverständigen des Reichswehr­ministeriums gestattet, der Verkündung der Urteilsgründe bei­zuwohnen.

Reichskanzler Dr. Brüning berichtete über den Verlauf und Das Reichsgericht hat während der ganzen Verhandlung das Ergebnis der Beratungen, worauf Reichsbankpräsident die Oeffentlichkeit ausgeschlossen und den Beteiligten Schweige­Dr. Luther und die zunächst beteiligten Reichsminister und Mitpflicht auferlegt. Es ist deshalb nicht möglich, zu den glieder des Wirtschaftsbeirates ergänzende Ausführungen machten. Gründen des Urteils Stellung zu nehmen, da man sie nicht Wie die Reichsregierung bei Einberufung des Wirtschaftsbeirats fennt. Bekannt aber ist, daß der zur Beurteilung stehende und erneut im Laufe seiner Verhandlungen erklärt hat, ist sie sich Artikel sich mit dem Etat des Deutschen Reiches beschäftigte ihrer verfassungsmäßigen Berpflichtung voll bewußt, in eigener und nach Ueberzeugung der Angeklagten nicht über den Berantwortung die für die Gesundung der Wirtschaft not Rahmen hinausging, der der öffentlichen Etat. wendigen Maßnahmen beschleunigt zu treffen. Die Arbeiten des tritit gezogen ist. Durch die Einleitung und Durchführung Wirtschaftsbeirats bieten für die bevorstehenden Entschließungen dieses Geheimprozesses, besonders durch die Höhe der ver­der Reichsregierung wertvolle Anregungen, denen be- hängten Strafen, wird jetzt der Eindruck erweckt, als wären stimmte grundsägliche Auffassungen zu entscheidenden Fragen im Reichsetat Dinge vorhanden, die der öffentlichen Kritik Der inneren deutschen Wirtschaftspolitik zugrunde liegen. nicht standhalten könnten.

Auffassung, daß erste Voraussetzung einer Wiedergesundung der deutschen Wirtschaft der Ausgleich der Haushalte im Reich, bei der Reichsbahn, in Ländern und Gemeinden ist, da auch eine gesunde Brivatwirtschaft erst auf dem Boden einer ge­funden Staatswirtschaft erwachsen könne.

Hierbei herrschte Uebereinstimmung darüber, daß auf die Dauer die deutsche Wirtschaft nicht in der Lage sei, öffentliche Laften in der jetzigen Höhe zu tragen.

trauens in die deutsche Wirtschaft im In- und Ausland notwendig, Ferner sei es zur Wiedererweckung und Festigung des Ver­daß außer der dringend gebotenen Klärung der Reparationsfragen rechtzeitig vor Ablauf des Stillhalteabkommens eine Neurege= lung über die in Deutschland investierten aus­ländischen Kredite hinsichtlich Verzinsung, Amortisation und Sicherstellung geschaffen werde. Der Wirtschaftsbeirat verweist hin­sichtlich dieses Punttes auf die bereits abgeschlossenen Arbeiten seines zunächst eingesetzten Unterausschusses in Zusammenarbeit mit der Reichsregierung Für eine weitere Behandlung dieses Problems, die permutlich erforderlich werde, stellt sich der Wirtschaftsbeirat durch seinen Unterausschuß dem deutschen Schuldnerkomitee weiterhin bereitwilligst zur Verfügung.

Uebereinstimmung zwischen Reichsregierung und Wirtschafts

beirat bestand darüber, daß eine weitere notwendige Voraussetzung umfaffender wirtschaftlicher Maßnahmen eine

baldige und flace Regelung des Verhältnisses zwischen der öffentlichen Hand und dem privaten Bankenfyftem

troffenen notwendigen Regelungen selbstverständlich nur als Pro­fei, weil die im Juli d. J., in dem Monat der Bankenkrise, ge= visorium anzusehen sind.

3. Preisbildung. Im Rahmen der unter Ziffer 1 umschriebenen Aufgaben des Wirtschaftsprogramms liegt nach Auffassung des Wirtschaftsbeirats in erster Linie eine Einwirkung auf Preise und Löhne. Unter oderung der Bindun gen, die auf beiden Gebieten bestehen, werden sie in Ueberein­ftimmung miteinander gleichzeitig herabgefeßt werden müssen, um eine unerträgliche Schrumpfung der Kauftraft zu vermeiden. Ins­besondere sind die gebundenen Preise einem neuen Preisniveau an­

zupassen.

Eine fyftematische Aufhebung fämtlicher Preisbindungen wird jedoch zur Erreichung dieses Zieles nicht empfohlen; auch find die erforderlichen Preissenkungen funlichst nicht durch eine prozentuale gleichmäßige Vermindung der gegenwärtigen Preise und Preisspannen herbeizuführen.

Dagegen find Richtlinien aufzustellen, nach denen eine dem neuen Bertniveau entsprechende Preislage bei allen gebundenen

reisen herbeigeführt wird, die bisher auf einem zu hohen Stande beharren. Sofern eine freiwillige Anpassung der Preise an diese Richtlinien nicht eintritt, erscheint eine fofortige Aufhebung der Bindungen erforderlich.

Bei der Erörterung der Preise stellte der Wirtschaftsbeirat fest, daß die Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Güter in weitem Ausmaße unter dem allgemeinen Preis: niveau liegen. Der Wirtschaftsbeirat hält daher einen Ausgleich) und eine Berringerung der in vielen Gegenden noch besonders hohen Preisspannen für geboten. Hierbei wäre nach englischem Beispiel die Einfeßung von Ausschüssen erwägenswert, die an Hand der Welt- und Großhandelspreise die angemessenen Klein­handels- und Vergleichspreise mit anderen Bezirken veröffentlichen. hänge in den Läden und anderen Borkehrungen die Breise ins Ebenso erscheint dem Beirat die Anregung beachtlich, daß durch Aus­besondere der Lebensmittel, öffentlich bekanntgegeben werden.

Im Rahmen eines ausreichenden Gesamtprogramms erscheint eine entsprechende Senkung von Löhnen und Gehältern unvermeidlich. indus Dabei muß der Grundsatz des Tarifvertrages er­halten bleiben. Auch könnte er ohne die gesetzliche Unab bingbarkeit seine wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Auf­gaben nicht erfüllen. Auch auf dem Gebiete des Schlichtungs­mefens erscheinen gefeßliche Aenderungen zur Zeit nicht erforder­lich, dagegen ist eine veränderte Handhabung notwendig. Insbesondere foll die Berbindlichkeitserklärung durch Stärkung der Zusammenarbeit und Selbstverantwortung der Tarifparteien eingeschränkt werden. geh

Der Inhalt der Tarifverträge muß sich mehr als bisher der wirtschaftlichen Entwicklung anpassen, damit in der bedrängten Lage