Morgenausgabe
Nr. 569
A 286
48.Jahrgang
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Der Borwärts erscheint mochentaglich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Jlustrierte Gonntagsbeilage Bolt und Zeit".
Sonnabend 5. Dezember 1931
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Die fozialdemokratischen Abgeordneten Breiffcheid, Graßmann, Herh und Hilferding sprachen am Freitagnachmittag beim Reichskanzler Dr. Brüning vor, um sich nach dem Stand der Arbeiten an der neuen Notverordnung zu erfundigen und dem Reichsfanzler mitzuteilen, wie es innerhalb der sozialdemokratischen Fraffion außerordentlich verstimmend wirke, daß der Reichsregierung im Kampf gegen den faschistischen Terror die nötige Entschlossenheit fehle. Sie machten darauf aufmerksam, daß gegenüber der Absicht der Reichsregierung auf gleichzeitige Preis- und Lohnfentung in weitesten Boltstreifen großes Mißtrauen besteht. Der Verfuch, die Löhne weiter zu senken und die Lohnfenfung durch Eingriffe in das Tarifrecht in kürzester Frist zu ermöglichen, sowie der Abbau der Sozialversicherung werde nach wie vor auf entschieden sten Widerstand der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften stoßen.
Der Reichskanzler legte die Absichten dar, von denen sich die Reichsregierung bei der neuen Notverordnung leiten laffe, verficherte aber, daß über ihre Gestaltung in den Einzelheiten noch nichts Endgültiges feststeht.
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Die Besprechungen, die die Vertreter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am Freitag mit dem Reichstanzler Dr. Brüning hatten, haben feine Klärung der Absichten der Reichsregierung gebracht, und infolgedessen auch teine Klärung der politischen Gesamtsituation. Sie
wird erst eintreten, menn der Inhalt der neuen Notverord nung befannt ist, was frühestens für den Dienstag der nächsten Woche erwartet wird. Mit dem Zusammen tritt der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ist danach für die zweite Hälfte der nächsten Woche zu rechnen.
Auch die inzwischen an die Deffentlichkeit gedrungenen Nachrichten über die Absichten der Reichsregierung machen das Gesamtbild nicht viel übersichtlicher. Man hat den Eindruck, daß sich die Reichsregierung so sehr in den Gedanken festgebissen hat, eine gleichzeitige Breis- und Lohnsenkung durchzuführen, daß sie kaum noch von dieser Absicht abgebracht werden kann. Selbst die Einsetzung eines Preis: kommissars und die sofortige Senkung der durch Kartelle gebundenen Preise für Kohle, Eisen, Düngemittel und Baustoffe schaffen aber noch feine Senkung der Lebens haltungskosten, die den Massen des Volkes die dringend notwendige fühlbare Erleichterung ihrer Lebenshaltung bringt. Die Versicherung, man wolle den Reallohn nicht senten, kann also bestenfalls die Absicht der Regierung sein, aber nicht die Wirkung ihrer Maßnahmen.
Im Aeltestenrat des Reichstags sprachen sich am Freitag lediglich die Kommunisten, die Deutschnationalen, die Nationalsozialisten und die Deutsche Volkspartei für einen sofortigen Zusammentritt des Reichstages aus. Die Stellung der Sozialdemokratie zur Frage der Einberufung des Reichs tags wird erst durch die nächste Fraktionssizung festgelegt werden.
Milde für Nazi- Banditen.
Im Zeichen der Rotverordnung stürzen sich die Inter essenten auf die Bürokratie, damit ihnen durch Notverordnung auf Kosten anderer Bevölkerungstreise geholfen werde. So geht es auch bei der Fürsorgeerziehung. Seit Berlin nach den traurigen Vorkommniffen in Scheuen seinen Anstalten erhöhte Sorgfalt und Aufmerksamkeit zuwendet, find es immer wieder Anstalten der Inneren Mission, in denen Anstaltsskandale das öffentliche Interesse hervorrufen. Bon der Inneren Mission gehen daher offenbar auch die Vorschläge Fürsorgeerziehung beharrlichen, auf pathologische Veranla aus, Minderjährige, die den Erziehungsmaßnahmen der gung nicht zurückzuführenden Widerstand entgegensetzen", aus den Fürsorgeerziehungsanstalten herauszunehmen, und sie dem Arbeitshaus zu überweisen. Bei den Vorschlägen bleibt unklar, ob die leberweisung durch die Vormundschaftsgerichte erfolgen soll und ob die Arbeitshausunterbringung mit der Bolljährigkeit oder früher enden wird.
Offenbar haben die Wünsche der Inneren Mission zunächst Verständnis beim Reichsministerium des Innern ge funden.
Dort beabsichtigt man gleichzeitig, an der Fürsorgeerziehung durch herabsehung der Altersgrenzen für die Ueberweisungen und die Dauer der Erziehung zu sparen. Zugleich will man aber aus der Fürsorgeerziehung eine Art vorbeugende Erziehung machen, indem man ihr Kinder überweist, die heute in öffentlicher Erziehung des Jugendamtes sind.
Wir wollen hier, wo wir uns in der Hauptsache mit dem Arbeitshaus beschäftigen, nur feststellen, daß uns Sparmaßnahmen gerade bei der älteren durch Erwerbslosigkeit gefährdeten Jugend unerträglich erscheinen, und daß ,, Reformen", die darauf hinausgehen, die Zuständigkeit der Fürsorgeerziehung auf einen größeren Kreis von Kindern auszudehnen, unvereinbar mit dem Artikel 48 selbst nach seiner heutigen Anwendung find. Wir haben sogar den Eindrud, daß man im Reich staltsinteressentenwünsche gleichfalls durchführen zu fönnen. Zur Ausdehnung halten wir die Fürsorgeerziehung in ihrem heutigen Zustand nicht reif.
Urteil im Hagener Nationalsozialisten Prozeß/ Dreifacher Mord bleibt ungefühnt. Die Sparmaßnahmen lediglich durchführen will, um die An
Hagen, 4. Dezember. In dem Prozeß gegen die Nationalsozialisten Lampe und Genossen ist heute abend folgendes Urteil verkündet worden.
Der Angeklagte Bauer wird freigesprochen, der Angeklagte Albrecht erhält wegen Vergehens gegen das Schußwaffengesch und das Gesetz gegen den Waffenmißbrauch 9 Monate Gefängnis. Die übrigen Angeklagten erhalten wegen des gleichen Vergehens je 7 Monate Gefängnis. Die Untersuchungshaft
wird angerechnet, die Haftbefehle werden aufgehoben. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, daß die Angeklagten von der Anklage des vollendeten Totschlags Angeklagten von der Anklage des vollendeten Totschlags in drei Fällen und der Körperverlegung in zwölf Fällen freizusprechen seien, da das Gericht berechtigte Not wehr für erwiesen halte.
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Am 28. Mai hat eine Rotte von SA.- Leuten, die bewaffnet nach Hagen gekommen waren, auf offener Straße auf Befehl eines SA.- Mannes eine Salve in eine große Menschenmen ge hineingefeuert. Es blieben drei Tote und zwölf Schwerverlegte liegen. Der Gang der Beweisaufnahme, über die wir berichtet haben, hat deutlich ergeben, daß von einer unmittelbaren Bedrohung der bewaffneten SA.- Leute feine Rede sein konnte.
Wenn das Gericht dennoch ,, berechtigte Notwehr" angenommen hat, so muß dies höchste Entrüstung über diese Art von Rechtsprechung erregen. Das soll Notwehr sein, daß eine gefchloffene, bewaffnete Gruppe von SA. - Leuten auf Befehl eine Salve feuert?
Ein solches Urteil schlägt alle staatlichen Versuche, den Straßenterror einzuschränken, zu Boden. Es wirkt wie eine Aufmunterung an die Bürgerkriegsbanden Hitlers .
Vor allem aber zerstört dies Urteil völlig den Glauben an die Objektivität der Justiz! Der dreifache Mord, der auf das Schuldtonto Hitlers fällt, bleibt ungefühnt. Die Justiz läßt diesen Verbrechen freien Lauf!
Nazis überfallen Reichsbanner.
Das Arbeitshaus für Fürsorgezöglinge kennt die heutige Gesetzgebung nicht. Daß durch sein Fehlen die öffentliche Ordnung erheblich gestört oder gefährdet werden könnte,
Als die Reichsbannergruppen von Fellbach , Cannstadt , Münster und Zuffenhausen auf dem Heimweg von der Versammlung etwa die Höhe der König- Karl- Brücke über den Neckar erreichten, stießen die Nazis pon der Flanke her auf die heimkehrenden Versammist barer Unsinn. lungsbesucher. Sofort begannen die Nationalsozia= listen mit Tätlichkeiten. Insbesondere hatten es die SS. - Leute auf die Sturmfahne des Reichsbanners Zuffenhausen abgesehen, der sie sich zu bemächtigen versuchten. Einige bei der Fahne marschierende Reichsbannerkameraden wurden blutig geschlagen. Dem Reichsbannerkameraden Illgut wurden mit einem Schlagwerkzeug, das nachher ein Kriminalbeamter auf der Straße fand, mehrere stark blutende Kopfwunden beigebracht. Der Verletzte fonnte von Angehörigen des Arbeiterfamariterbundes versorgt werden. Außer Julgut wurden noch mehrere Reichsbannerkameraden verletzt. Der Vater Illguts fonnte sich einer Mißhandlung nur durch schnelles Ausweichen entziehen.
Parteiredakteur überfallen.
Feiges Attentat auf den Genossen Gruber von der Münchener Post".
( Eigenbericht.)
Redakteur der Münchener Post" Gruber von unbekann Am Donnerstagabend wurde der verantwortliche ten Zätern überfallen. Er wurde auf dem Heimweg in der Nähe der Sendlinger Kirche von zwei Männern, die sich am Rande des Gehsteiges aufgestellt hatten, überfallen, zu Boden geschlagen und mit einem stumpfen Instrument, vermutlich einem Schlagring, am Kopf und im Gesicht schwer verletzt. Die Täter ergriffen darauf die Flucht und entkamen unerkannt. Die Verlegungen Grubers im Gesicht, vor allem am Unterkiefer und am linken Auge, sind so erheblich, daß nach Ansicht des Arztes für die Ausheilung etwa drei Wochen notwendig sind. Gruber steht im 66. 2cbensjahr.
Im Anschluß an die Stuttgarter Otto Wels Berfammn= Die Münchener Bost" hat in der letzten Zeit einen Inng tam es au blutigen Auseinandersegungen energischen und scharfen Kampf gegen das Terrortreiben sischen heimfehrenden Bersammlungsbesuchern und uniformierten der Nationalsozialisten geführt.
Nach der Revolution hat man die Zwangserziehung in Fürsorgeerziehung umgewandelt, jezt soll verschärfter Zwang einsetzen. Die Einführung des Arbeitshauses für widersetzliche gesunde 3öglinge ist eine Bankerotterklärung der Erzieher, die das fordern. Gefügige Kinder erziehen ist nicht schwer. Die Kunst der Erziehung soll sich an den Widersetzlichen zeigen; sie zum sozialen Leben zu erziehen, ist die vornehmste Erziehungsaufgabe.
Die Einweisung ins Arbeitshaus ist eine Berweigerung der öffentlichen Erziehung. Genosse Stadtrat Friedländ er erinnert in der Arbeiterwohlfahrt", Heft 23/1931, S. 716, daran, daß die Begründung des preußischen Erziehungsgesetzes vom Jahre 1878 das Arbeitshaus ablehnt, weil für die Zöglinge das Zusammenleben mit den Insassen eine ernste Gefahr für die sittliche Entwick= lung und das Fortkommen bedeute. Das Herrenhaus verlangte das Arbeitshaus, das Abgeordnetenhaus lehnte es ab. Wollen wir wirklich heute uns auf den Standpunkt der preußischen Herren" von 1878 stellen?
nach den vorliegenden Plänen ,, n a ch Möglichkeit" geDie Unterbringung der Jugendlichen im Arbeitshaus foll trennt von den Erwachsenen erfolgen. Die Arbeitshäuser sind aber jetzt nur für Erwachsene eingerichtet. Bir würden selbstverständlich hören, daß bei der Finanznot die Möglichkeit" der Trennung der Jugendlichen von den Erwachsenen nicht besteht. Dann sind die widersetzlichen Jugendlichen mit Dieben, 3Zuhältern, Landstreichern und Arbeitsscheuen zusammen untergebracht, mit Erwachsenen, die als ständig asozial angesehen werden. Im Arbeitshaus gewährt das Baterland den Jugendlichen im empfindlichsten Alter statt Erziehung 3wangsarbeit in schlechter Gesellschaft, und damit sittliche Berderbnis und asoziale Zukunft.
Die Jugendgerichte fönnen heute nicht ins Arbeitshaus überweijen, mohl aber in die Fürsorgeerziehung.