Nr. 571 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 6. Dezember 1931
Selmers.
蛋糕
Flucht vor der Kälte
Die Wärmehalle( Ackerstr) wird geöffnet
Gespräche in der Wärmehalle.
Die Wärmehalle in der Ackerstraße, entstanden aus dem ehemaligen Bahnhof VII der Großen Berliner Straßenbahn, ist wohl der liebloseste Raum, den Berlin aufzuweisen hat. Die Wärmehalle in der Dircksenstraße unter den Stadtbahnbögen, die war insofern besser, als da wenigstens die Wände weißgetüncht waren. Für die Ackerstraße gibt es fein anderes Wort als entseglich. Nicht daß da mit Karbollösung aufgewischt wird, nein, dieser Notwendig keit wird sich niemand verschließen und die Arbeitsämter machen das auch, aber daß man nicht einmal auf den Gedanken gekommen ist, daß da immerhin Menschen sigen, eintausend, zweitausend Menschen, die ein einziges Mal das Verlangen haben, in ihrer Müdigkeit die feine physische zu sein braucht ihre Ellenbogen auf einen Tisch zu stützen, das ist bezeichnend genug. Kein Tisch ist da, nur Bank an Bank, wo das Elend zusammengepferdcht hocken rauß. In Moabit hätte jeder wenigstens einen kleinen Tisch. Man ist erschreckt über soviel Herzlosigkeit. Denn die Männer, die um die Defen der Wärmehalle herumstehen, sind durch die Not der Zeit gestraft genug.
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In der Wärmehalle blüht der Handel, trotz des Verbots. Es ift der armseligſte Handelsplatz Berlins . So sprechen die Leute da: Willite Stiebeln" toofen?" Wat foll'n die Toften Drei röschen." ,, Mensch, da ist ja teene Sohle mehr an den linken Stiebel dran!" ,, Ja, denkste denn, det Oberleder ist nicht wert?" Oder zwei andere: Do, wat soll'n der Schal fosten?"„ Zu wat soll ick dir denn det sagen, du hast ja doch keen Jeld!" ,, Wer fagt dir denn det, det ich keen Jeld habe, ich habe doch even erst een Jacket for'n Daler vafooft." Ein anderer geht vorbei: ,, Bücher zutauschen. Bücher zu tauschen?" ruft er durch den Saal.„ Ja, hier, wat hast'n for'n Buch?" ,, Der Sohn des Hannibal von Ludwig Wolff ."- ,, Mann, det habe ich schon dreimal jelesen, wenn de nischt anderet hast." Weg. Plöglich kommt Bewegung in die Masse. Einer rennt und schreit: ,, Wo ist denn der Kerl, der mir die Zijaretten vakooft hat, der hat mir bloß' ne leere Schachtel jjeben, da maren jar feene 3ijaretten drin!"- ,, Jib doch hier nich fo an, wem millste denn det erzählen?" ,, Hier, kiek dir doch die Echachtel an. Donnawetta, jetzt ist der Janove weg, meine zwee Froschen sind zum Deibel!" Alles wird in dieser Wärmehalle zu Geld gemacht: Schraubenschlüssel, Boolsschuhe, Schlächtermesser, 2interhosen, Rafierklingen, Sahnebonbons, Weckeruhren und Sicherheitsnadeln. Vor der Tür entsteht ein kleiner Krach, ein Hamburger Zimmermann hat einem anderen die Braut weggenommen, nebenan produziert sich einer als Handliniendeuter, aber die Umstehenden meinen nur, er hätte einen Knall und wer zur Tür hinausgeht, bleibt noch einmal vor dem großen Ofen stehen und hält die verflammten Finger gegen die Glut, als wollte er eine Handvoll wärmenden Lebens auf die naßkalte Straße hinausnehmen.
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Das große Glück Kuchen.
Wenn sich Arbeiterfrauen im Winter untereinander besuchen, fragen sie fast immer: Wieviel Kohlen braucht Euer Ofen?" ,, Vier und zwei Stück Holz." Dann sagen die Frager: ,, Habt Ihr aber einen guten Ofen, wir kriegen unter acht Kohlen die Stube nicht warm!" Und diese acht Kohlen sind eine wichtige Sache. Acht Kohlen verbürgen erst eine marme Stube für einen einzigen Tag. Dreißig Tage erfordern 240 Briketts, nur für die Heizung, ohne die Feuerung in der Kochmaschine. Denn von dem Kochen auf Gas wird keine Küche warm. Und da die Löhne im Winter nicht höher sind als im Sommer, gehen letzten Endes die Kosten für die Heizung auf Kosten der Ernährung. Wer sonst noch Blumenkohl essen konnte, muß jetzt mit Graupen fürlieb nehmen. In den Keller geschleppt kostet der Zentner Briketts in diesen Tagen 1,79 Mk. und ein Zentner Briketts sind längst keine hundert Preßkohlen mehr wie vor dem Kriege, als hundert Markenbriketts neun Groschen gekostet haben. Warum das alles? fragen die Frauen ihre Männer, und die Männer denken an Senftenberg und an Bitterfeld , wo die Erde die Braunkohle hergibt wie ehedem auch. Ja marum? Aber das setzt immer noch voraus, daß einer da ist, der am Freitag Geld nach Hause bringt, daß einer da ist, der Arbeit hat, der eine Wohnung oder menigstens eine Stube mit einem Ofen hat. Wohin jedoch treibt die Flucht vor der Kälte die anderen, die kein Dachüber dem Kopf mehr haben und wenn sie eins haben, sich lieber Kartoffeln als Kohlen kaufen. Denn mer satt ist, friert nicht so leicht. Aber ehe diese Frage beantwortet werden kann, muß an eine Voraussetzung erinnert werden: an die Sache mit der Kleidung. Wer noch einen Kragen um hat, kann sich ungeniert in der Nationalgalerie aufwärmen, roer keinen Kragen mehr hat und seine Groschen für Brot nötiger braucht als für den Barbier, dem also die Stoppeln schon bedenklich im Gesicht stehen, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich ein bescheidenes Plätzchen an einem Ofen in der Wärmehalle zu suchen.
Bechern fredenzt, wird der Vorzug gegeben. Da fizen Chauffeure| und lassen die satten und warmen Farben des„ Flötenkonzerts" und und halten die falten Finger um den Becher, Reisende kommen der Tafelrunde von Sanssouci" auf sich wirken. Dann flimpert herein und paden ihre Frühstücksstullen aus, Bettelmänner opfern der lockere Stiefelabsatz die großen und weiten Treppen nach oben, einen Groschen und setzen sich mit ihrem Kaffee an die Zentral- ,, ach, Willi, fomm mal her," ruft einer ,,, hier sind ja die Bilder, von heizung, das. Stück Kuchen haben sie noch dazu und bei dem Budiker, denen Wally die Postkarten hat, sieh mal, wie die Farbe da schon der eine Nebenstraße weiter das Männerheim" hat, bei dem aufplagt." Dann stecken alle die Köpfe zusammen und freuen sich müßten sie für einen Topf Zichorienbrühe fünfzehn Reichspfennige über die Entdeckungen, über Spitzwegs ,, Armen Boeten", über seinen aufs Brett zählen und hätten noch lange feinen Kuchen. Maurer Liebesbrief" und den ,, Heimkehrenden Klausner" nicht minder wie fommen in der Mittagspause in die Kaffeestube, sind sie weg, über Schwinds Rose". Unterdessen haben zwei andere Arbeitslose kommen die Commis aus den Kaufmannsläden und lassen für einen vor dem nahen Eingang zum Pergamon- Museum Posten gefaßt Groschen den Automaten brummen und in einer Ede sitzt ein Er- und warten auf die anfahrenden Limousinen und Cabriolets, um werbsloser mit seiner Braut und gibt für zwanzig Pfennige für sich durch das Deffnen der Türen noch schnell einen Groschen zu beide ein großes Fest.
Entdeckungsfahrt in der Nationalgalerie.
Ueber den Lustgarten weht ein scharfer Wind und pustet den Arbeitslosen durch ihre abgetragenen, baumwollenen Mäntel bis auf die Rippen. Selbst die Tauben find enger zusammengefrochen und suchen die Brosamen, die ihnen im Winter nur spärlich gestreut werden. Nur hinten auf dem Hof der Museumsinsel kann sich der Wind nicht austoben und da gerade freier Tag in der Nationalgalerie ist folgen wir einem kleinen Trupp Erwerbsloser, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, die wärmende. Zentralheizung dieses Museums nicht verachten und sich sozusagen ,, an der Sunst ergößen". Dem einen hat sich der eiserne Beschlag seines Stiefelabsages gelockert und bei jedem Schritt klingen die Marmorfliesen hell auf. Dann verschwinden die jungen Männer in den dämmerigen Hallen, ganz still werden sie, wenn sie im Böcklin - Saal ver dem ,, Gefilde der Seligen" oder vor der Pieta" stehen und das] Zusammenwirken von Figur und Landschaft zu einem einheitlichen düsteren Stimmungsausdrud andächtig betrachten. Was zum anderen Weimar für Goethe und Bayreuth für Wagner ist, das ist die Berliner Nationalgalerie für Menzel, die Arbeitslosen haben sich inzwischen auf die mit weichem Leder gepolsterten Bänke gesetzt
Ende der Rauschgiftschieber.
Bisher drei Hauptschmuggler festgenommen.
Mit der Aushebung der Hamburger Rauschgiftzentrale ist der Polizei der größte Schlag der letzten Jahre gelungen. Außer den fünf Zentnern Morphium in Würfelformat wurde eine fast ebenso große Menge Heroin im Hamburger Freihafen beschlagnahmt.
Die Aufdeckung dieses Riesenrauschgifthandels und die Festnahme der Hauptbeteiligten ist nicht zuletzt auf die Zusammenarbeit der internationalen Polizei zurückzuführen. Das Haupt der Schmugglerbande scheint der in Berlin verhaftete Kaufmann del Gracio zu sein. G. war der Berliner Polizei bereits avifiert worden und als er auf dem Bahnhof Friedrichstraße Nicht weit vom Hackeschen Markt hat eine Malzkaffee Empfang genommen. Außer Gracio wurde ein Afgane Moses. eintraf, wurde er sogleich von Beamten des Rauschgiftdezernats in fabrit seit einigen Jahren eine Kaffe eftube eröffnet. Sie der europäische Hauptagent des Schmugglerkonsortiums, und ein eristiert heute noch und es ist schwer, einen leeren Stuhl zu er= pattern. Der Laden ist amerikanisch aufgezogen, vorn an der Türiser Karl Frant festgenommen. Die Bande ging so vor, gewisser daß sie in Deutschland Maschinen kauften und sie ins Ausland versteht ein Automat, der gibt für einen Groschen einen Bon her. sandten. Die äußere Verpackung blieb dieselbe, nur daß man inUnunterbrochen summt und brummt dieser blaugestrichene eiserne zwischen Kasten, daneben hängt ein rotes Schild auf gelbem Grund: Geld wird gern gewechselt! Es könnten zwei Automaten da stehen, die hätten auch noch genug zu brummen. Am Büfett hält man seinen Bon hin und wird gefragt:„ Eine Tasse Kaffee mit Kuchen oder eine Tasse Milchkaffee?" Wer Hunger hat, zeigt auf das größte Stück Kuchen, das er erspäht hat und jagt: Frollein, jeben se mir det Stücke hier, det ist det jrößte." Das Fräulein hat nichts dageçen und stellt die dampfende Tasse mit Malzkaffee neben das größte Stück Kuchen. Aber dem Milchkaffee, den man in weißen
die Maschinen herausgenommen und den Inhalt durch Rauschgifte ersetzt hatte.
Die Kisten wurden dann umdeklariert und vom Ausland wieder nach Hamburg gefchickt, bis sich eine günstige Gelegenheit zum Versand nach Amerika ergab. Der Hamburger Mittelsmann, ein Grieche, ist flüchtig; er konnte bisher noch nicht dingfest gemacht werden. Gracio und Moses sind des Rauschgifthandels völlig überführt.
verdienen.
Je kälter es wird, desto beängstigender wird der Andrang zum Lesesaal der Berliner Stadtbibliothek. Ein Mann hat sich den Urwaldboten" aus Blumenau( Südbrasilien) vom Halen geholt und. liest eine zuschrift an das Blatt, in der die Siedler dagegen protestieren, daß man den Kaffee ins Meer schüttet oder verbrennt. Ja, meint der Giedler, wenn schon verbrennen, dann nicht an der Luft, sondern unter einem Dampfkessel und eine ganze Zeitungsspalte lang geht die Antwort des brasilianischen Berkehrsministers, der sich die Sache mit dem Kaffee auch schon überlegt hat und einen Bericht einforderte, wie man den Kaffee zu Briketts umpressen kann. Wahrhaftig, die Zeitung trägt das Datum eines Novembertages vom Jahre 19311 Und es ist weiterhin nicht mehr als recht, daß
Ecke id. Kinder Lesehalle sich sofort um den Tisch ein Diskutierklub aufmacht und die notleidenden Erwerbslosen über den brasilianischen Kaffee-, den fanadischen Weizen- und den amerikanischen Baumwollskandal aus ihrem
Herzen keine Mördergrube machen. Dann legt sich der Sturm und die Leser verkriechen sich wieder hinter den Zeitungshaltern des internationalen Blätterwaldes, um zu forschen, was in Hamburg die Butter kostet.
Neuerdings haben auch die Kinder ihre Lesehalle. In der Stallschreiberstraße hat das Bezirksamt Kreuzberg einen netten, freundlichen Raum hergerichtet, da fizzen im Winter von 2 bis 5 Uhr an die zweihundert Kinder und ergößen sich am unsterblichen Mag und Moritz" oder an einem Bastelbuch.
Die billigsten Weihnachtsgeschenke findet man im Konkurs- Ausverkauf aus der Konkursmasse Günther Schmidt- Lorenzen, Krausenstr. 22-24, zwischen Markgrafen- u. Jerusalemer Str . Ab Montag findet tägl. von 10-6 Uhr ein
Großer Sonder- Verkauf
in Woll -, Seiden- und Waschstoffen statt.
Die Preise sind nochmals bedeutend herabgesetzt.
Baudach, Konkursverwalter.