Der Chauffeurmord bei Ferch Löffelschlucker Kabelitz unier Anklage des Mordes
Der ZZjährige Händler Johann Sabelih steht heule vor dem Voisdamer Landgericht unter Anklage des Mordes. Er hat in der Nacht vom 24. zum 25. Zanuar den Chauffeur Ponick durch mehrere Schüsse tödlich verletzt. Gegen 10 Uhr am 25. Januar fand man im Graben der vom Bahnhos Linnewitz nach Ferch führenden Straße die Leiche des Kraftdrofchkenführers Fritz P o n i ck. Brieftasche, Ausweis» papiere und Führerschein waren verschwunden. Das Portemonnaie enthielt 43 Mark. Am Nachmittag desselben Tages stieß man auf der Ansclmstraße in Dahlem aus einen Herren» losen Cheorolet-Wagen IA. 9107. Die Scheiben zum Führersitz waren zertrümmert. Es war der Wagen des ermordeten Ponick. Die Kriminalpolizei stand vor einer außerordentlich schwierizen Aufgab«. Unter den Vernommenen befand sich auch der 23jährige Händler Kabelitz. In seiner Jugend hatte er mehr als einen dummen Streich begangen, hatte sich kleine D i e b st ä h l e zuschulden kommen lassen und war schließlich in Zwangserziehung gekommen. Eine Zeitlang hatte er in Ferch gearbeitet, hatte ge- heiratet und dann in Steglitz ein Geschäft eröffnet. Zeitweilig besah er auch ein Auto. Er war schlecht beleumdet; trank viel, spielte Karten, vernachlässigte sein Geschäft, geriet in Schulden. Weder war er imstande seinen Eltern die 1200 Mark zurückzuzahlen, die diese ihm geliehen, noch seine Möbelrechnungen in Höhe von 1000 Mark und seine Weinrechnunz in Höhe von 600 Mark zu begleichen. Seine Notlage war in letzter Zeit so groß, daß seine Frau am 24. Januar für 7 Mark ihren Mantel verkaufen mußte und er seine frühere Freundin um 30 Mark anging: er erhielt sie nicht. In der Nacht vom 24. zum 25. Zanuar geschah der Mord, den Kabelitz zunächst ableugnete. Unter der Wucht der Indizien brach er zusammen und legte ein Geständnis ob. Gegen XU Uhr abends habe er in ange- heitertem Zustande Ecke Birkbusch- und Schützenstraße ein Auto bestiegen mit Ferch als Fahrtziel. Er fei unterwegs eingeschlafen, dann sei er aufgewacht, er habe sich seine ganze Lage durch den Kopf gehen lassen und seine Pistole gezogen, um seinem Leben ein Ende zu machen. Plötzlich— er weiß selbst nicht, wie es gekommen— habe er auf den Chauffeur abgedrückt. Als er sich dann selbst das Leben habe nehmen wollen, seien samt- liche Kugeln verschossen gewesen. Er sei davongelaufen, später zu- rückgekehrt und habe den Chauffeur auf dem Erdbogen liegend gefunden. Während seiner späteren Vernehmungen änderte der Angeklagte mehrfach seine Aussagen; er versuchte in der Hauptsache die Sache so darzustellen, als habe er sich in einem Dämmerzustands befunden. Dann wieder trumpfte er plötzlich mit dem„großen Un<
bekannten", einen gewissen„Werner" aus, mit dem er angeblich in Ferch einen Einbruch verabredet hatte. Diesem Werner sei unterwegs der Gedanke gekommen, den Chauffeur zu erschießen, um den Mitwisser zu beseitigen; statt Werner habe aber er, Kabelitz, geschossen. Der Angeklagte ist auch auf seinen Geisteszustand untersucht worden. So manches scheint ihn als Psychopathen zu charakterisieren, insbesondere sein hartnäckiges Löffelschlucken. Schon in der Fürsorgeerziehung muhtd er deswegen zweimal ope- riert werden; während der letzten Monate in der Untersuchungshast weitere dreimal. Zweimal hat er Löffelstiele geschluckt. einmal zusammengerollte Blechstückchen. Die Sachverständigen sind aber zu dem Ergebnis gekommen, daß ein Dämmerzustand auszu- schließen sei; gegen einen solchen Zustand spreche sowohl sein Ver- halten vor als nach der Tat. Zu der Verhandlung sind 4 0 Zeu- gen und sieben Sachverständige geladen. Den Vorsitz führt Landgerichtsrat Härtung. Die Anklage vertritt Oberstaatsanwalt Tetzlaff. Der Angeklagte sitzt sehr nervös in der Anklagebank. Als die Zeugen den Saal betreten, schluchzt Kabelitz laut auf. „Guten Morgen, mein Junge", schreit die Mutter des Angeklagten schluchzend auf und der Angeklagte ruft„Mutter, Mutter, da bist du." Man hat den Eindruck, daß der Angeklagte die drei Ver- Handlungstage nicht durchhalten wird, er ist erst 24 Jahre alt, und durch die vielen Ma g e n o p e r a t i o n e n, als Folge des Löffelschluckens, sehr geschwächt. Erschütternde Szenen spielen sich im Saal ab, als die Mutter des Angeklagten nach Zeugenausruf wieder das Verhandlungszimmer verlassen muß. Die Mutter wirft dem Sohn Kußhände zu und ruft:„Hilfe Gott , Hilfe Gott , bloß kein Todesurteil für meinen Goldjungen, eristjaso gut." Dann schildert der Angeklagte sein unstetes Leben, das ihn aus einem Beruf in den anderen trieb. Er kaufte sich auf Abzahlung ein Auto und kurz vor der Tat drängten die AbZahlungsverpflichtungen. Obendrein mahnte ihn eine Freundin in Berlin um die Rückgabe von 30 Mark. Die Tat schildert der Mörder so: Ein gewisser Werner und er mieteten sich von Ponick das Auto und kurz vor Ferch habe dann Werner kom- mandiert:„Los, schieß doch, los", und darauf will er fünf Schüsse durch das Fenster auf Ponick abgegeben haben. Gleich daraus sei Werner davongelaufen. Vorsitzender:„Wer hat die Leiche in den Chausseezraben geschleift?" Angeklagter:„Die Leiche habe ich nicht angerührt und Geld habe ich auch nicht dem Toten fort- genommen." Jetzt schildert Kabelitz seine verschiedenen S e l b st- Mordversuche.„Ich wollte auf dem Operationstisch sterben, aber nicht durch Todesurteil." Der gewisse Werner ist nie ermittelt worden.
Anwattsskandal vor Gericht. Rechtsanvolt mit Klientenfchlepper.— Bis zur Bewußt- losigleit verprügelt. Ein Anwattsskandal. der seinesgleichen sucht, wird heute vor dem Schöffengericht Berlin -ZNilte ausgetragen. 3m Zstiltelpunkt des Prozesses steht der Rechtsanwalt Dr. Kurt Thiele. Dr. Kurt Thiele und fein Bureauvorsteher und früherer Chauffeur Bernhard I a c n k e sind angeklagt, gemeinschaftlich den Klientenfchlepper Templin im Anwaltsbüro derart übel zu- gerichtet zu haben, daß er zwei Wochen lang das Krankenhaus hüten mußte. Jaenke hat die Exekution ausgeführt, Rechtsanwalt Dr. Kurt Thiele stand dabei, hat alles gewollt und begünstigt. In die Affäre spielt noch eine andere dunkle Angelegeicheit hinein: drei handfeste Jungen wollen für die Exekution gedungen worden sein; sie hätten aber im letzten Augenblick ihren Auftraggeber im Stich gelassen, weil ihnen das Objekt zu schwächlich vorgehkommen sei. Der Skandal wird noch schlimmer durch die Tatsache, daß der verprügelte Templin Monate hindurch gegen ein wöchentliches Fixum und für Stücklohn für den Herrn Rechtsanwalt bei den Wohlfahrtsämtern Armenmandanten werben mußte. Zwischen dem Auftraggeber und seinem Schlepper entstanden aber hinterher bei der Abrechnung Differenzen. Templin klagte die Summe ein, er gewann den Zivilprozeß. In der Verhandlung beschworen die drei festen Jungen, zu dem bewußten Zweck ge- düngen worden zu sein. Sie sind heute als Zeugen geladen. Auch der Ehescheidungsprozeß des Rechtsanwalts Dr. Thiele spielt in der Affäre eine gewisse Rolle. Die Exekution fand am 28. März v. I. statt. Templin wurde zwecks persönlicher Rücksprache telephonisch in das Anwaltsbureau gerufen. Als die Sprechstunde zu Ende war, legten ihm Rechts- anwalt Dr. Thiele und sein Bürovorsteher Jaenke eine eidesstatt- liche Versicherung zur Unterschrift vor. Sie bezog sich auf die Mandantenwerbung. Als Templin sich weigerte, seine llnterschrist zu geben, wurde er von Jaenke bis zur Bewußtlosigkeit verprügelt. Jaenke brachte dann den Schwerverletzten mit einem Taxi ins Krankenhaus, erklärte hier, daß der Patient von einem Auto an- gefahren worden fei, bezahlte die Krankcnhauskostsn für zehn Tage, stockte seinem Opfer 200 Mark zu und versprach, den Rest in den nächsten Tagen zu begleichen. Templin sollte über das Vorgefallene Stillschweigen bewahren. Er tat das selbstverständlich nicht, er» stattete vielmehr Strafanzeige wegen gefährlicher Körper- Verletzung. Die Verhandlung dürfte bis in die späten Nachmittags- stunden dauern. ifr Vor einer anderen Abteilung des Schöffengerichts Verlin-Mitte sollte heute morgen noch ein zweiter Anwaltsprozeß stattfinden, nämlich gegen den Rechtsanwalt und Notar Pagenkemper. Er ist angeklagt, Unterschlagungen von Mandantengeldern in Höhe von 11000 bis 15 000 Mark begangen zu haben. Einst Anwalt einer großen Bank, verlor er nach der Fusion dieser Bant mit einer anderen einen großen Teil seines Einkommens. Pagenkemper ist bereits in der vorigen Woche aus seiner Wohnung spurlos ver- schwunden. Das Gericht hatte deshalb einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei oerliefen er- gebnislos. Seine Angehörigen vermuten Selbstmord. Pagen- kemper ssll aber in Berlin noch gesehen worden sein. Das Gericht hat heute morgen die Kriminalpolizei noch einmal beauftragt, Er- mittlungen vorzunehmen. Sie find im Augenblick noch nicht abge- schlössen.,
Abkürzung des Gklarek-Prozesses? Dor einer ErNärung des Gerichts. Die Sklarek-Berhandlung wurde heute morgen mit einer Erklärung des Vorsitzenden eröffnet. Er erklärte, das Gericht beabsichtige um 12 Uhr die Mittagspause eintreten zu lassen und später eine Erklärung abzugeben; es fei deshalb die Anwesen- hcit sämtlicher Angeklagten und ihrer Anwälte erforderlich: die fehlenden Angeklagten und Anwälte würden davon benachrichtigt werden. Ueber den voraussichtlichen Inhalt der Gerichtserklärung ist nichts bestimmtes bekannt. Vermutlich wird sie eine mögliche A b- k ü r z u n g des Sklarek-Prozesses betreffen. Es ist in der Presse in den letzten Tagen mehrfach die ungeheure Ausdehnung der Sklarek-Verhandlungen gerügt worden. Zeugen werden über Nebensächlichkeiten befragt, schon Geklärtes wird immer wieder erörtert, vielleicht wäre es möglich, auf eine Anzahl von Zeugen zu verzichten und nicht jeden Punkt der Anklage zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen. Jedenfalls würde eine Abkürzung des Prozesses den Steuerzahlern zugute kommen. Der Zeuge S ch ö t t l e r wurde heute vormittag über seine Bilanzprüfungen bei der VAG. vernommen. Er bestreitet, sie in angeheitertem Zustande vorgenommen zu haben. Der Umstand, daß er die Bilanzfälschungen übersehen habe, könne ihm nicht zur Lost gelegt werden, da sie nur von einem Eingeweihten hätten festgestellt werden können.
Krach bei Hiiler. llnstimmigkeiien in der Trierer nationalsozialistischen Stadtverordnetenfraktion. Trier , 7. Dezember. In der hiesigen nationalsozialistischen Stadtoerordnetenfraktion sind Unstimmigkeiten zu oerzeichnen. Der bisherige Fraktionsführer, Rechtsanwalt Britten, wurde seines Amtes als Fraktionsführer enthoben und von seiner Partei aus seinen sämtlichen städtischen Funktionen zurückgezogen.
Preisgericht für das Reichsehrenmal. Der geschäftsführende Ausschuß der Stiftung Reichsehrcnmal hat an Stelle des Professors Albiker, der im Hinblick auf die von ihm beabsichtigte Teilnahme am Jdeenwettbewerb um da-'' Reichsehrenmol sein Amt als Ersatz- richter des Preisgerichts niedergelegt hat, den Professor Alfred Lörcher in Stuttgart als Ersatzrichter an das Preisgericht berufen. Berliner Gagenabbau. Der Abbau der Gagen in der Städti- scheu Oper ist beendet worden. Es handelt sich im ganzen um 120 000 Mark Einsparungen. Der gesamte Gagenabbau beträgt eingerechnet der auf Beschluß des Aufsichtsrats schon im Frühjahr vorgenommenen Ersparnisse bei den Engagements zusammen 420 000 Mark. Gesellschaft für ostasiatische Kunst. Dienstag, 20 Uhr, im Saniack- Haus, Berlm-Dablem, Jhnssir. 16— 20, Vortrag Otto Kümmel :„Die An- fange der javanischen tßnu-t.Malerei sllkiboe-Schuleni" mit Lichtbildern. Im Institut für Meerestunde spricht Dienstag, abends 8 Uhr. Kapitän zur See A. Saoltoächter über das Thema:„Aus dem Leben unserer R c i ch S m a r i n e". Waldemar Bonscls liest nochmals Dienstag, 8 Uhr, im Langenbeck- Virchow-Haus aus eigenen Werken. Anschließend der Tierfilm:„-ric Piene Maja".
Kurt Giotte: �Menschen." Matinee im Lustfpielhaus. Verglichen mit den privaten Belanglosigkeiten, die heute Haupt- > sächlich das �Repertoire der Berliner Bühnen bilden, hat Kurt Stall es Drama„Menschen" trotz oller Mängel wenigstens den großen Vorzug, das tragische Thema der Arbeitslosigkeit zu behandeln. Schon diese Tatsach« allein hebt es aus dem Meer pseudoaktueller und unterhaltender Stücke heraus. Allerdings wird der Kern hin und wieder von romantischen, rührenden und sogar kitschigen Episoden überwuchert. Stolle vermag nicht die letzten Konsequenzen zu ziehen, er sieht noch nicht das Ueberindividuelle und erhebt auch nicht das Einzelschicksal zum Symbol. Ein Arbeitsloser bricht ein. Er braucht Geld, um seine lungen - kranke Frau nach dem Süden schicken zu können. Der Einbruch geschieht bei dem früheren Chef, einem Generaldirektor, der helfen sollte und nicht half. Am Schluß renkt ein Menschenfreund alles zum glücklichen Ende ein. Abgesehen von Leitartikeln, die die Leute manchmäl sprechen, und von einer schematisierten Zeichnung der Personen, von dem nicht immer glücklichen Aufbau der Szene erscheint die Problem- stellung oerengt. Sie reicht nicht zum Kern hinan. Stolle propa- giert die private Wohltätigkeit, er predigt Menschlichkeit innerhalb einer entarteten Welt. Ein anerkennenswertes Bemühen, aber es kommt noch auf etwas anderes an. Warum leiden Menschen, wenn sich die Führer in der Konjunktur verrechnen, so ähnlich lautet eine Schicksalsfrage in dem Drama. Und hier liegt das entscheidende Moment. Millionen hungern in allen Industrieländern, weil ein poli- tisches und wirtschaftliches System zusammenbricht, well sich die Götter plötzlich als hilflose Wesen demaskierten und niemand den Mut zu einer Aenderung findet. Millionen leiden unter der Gehirn- lofigkeit einer kleinen Schicht. Es geht um mehr als um uncigen- nütziges Wohltun, es geht um Aenderung des Systems. Hier müßte der Ausgangspunkt einer Tragödie der Arbeitslosigkeit liegen. Immerhin ein Verdienst, daß dieses Motiv endlich auf dem Theater angeschlagen worden ist. Unter den Darstellern fällt Silvia R o m b e r g durch ihr gebän- digtes und ausdruckvolles Spiel auf. F. Sch.
Solotänze in der Volksbühne. Werte Tanzmatinee im Theater am Bülowplah. Drei tänzerisch völlig verschiedene Typen standen in dieser Matinee auf der Bühne: Rosalie Chladek, Erika Lindner, Jo Bischer. Rosall« Chladek ist die bühnentechnisch Gewandteste. Der größte Teil oes Programms war ihr eingeräumt. So hatte sie die Mög- lichkeit, den Umfang ihres Könnens zu zeigen. Er ist, künstlerisch gesehen, nicht so groß wie Rosalie Chladek zu glauben scheint. Ihre tänzerische Erlebnisfähigleit ist begrenzt. Aber statt in der Ver- tiesung ihre künstlerische Bollendung zu suchen, läßt sich diese Tän- zerin zu einer Breite verlocken, die immer in geschmackvollen, wohl- durchdackten Formen weitergeführt wird, die immer das Publikum zur bedingungslosen Bewunticrung der meisterhaften Technik zwingt, die aber der künstlerischen Persönlichkeit Rosalie Chladeks nicht ge> recht wird. Sie besitzt stärker« Eigenart, als viele ihrer Tänze glauben machen. Künstlerisch auf der Höhe war das„Finale" zur Musik von Dvorak . Hier war jede Figur, jede Bewegung durch- lebt; beseelt« Leichtigkeit der Gesten zusammengefaßt zu großen Schwüngen, in oeren HeUerteit eine schmerzlich süße Melancholie laise mitklang. Auch Strawinskis„Petruschka"-Motio war in diese beiden Komponenten aufgelöst, ganz anders freilich als das„Fi- nale": betontes Nebeneinander d«i' Motive, groteske Perzerrung. Aber auch in diesem Tanz gab Rosali« Chlad«r ein reifes Kunst- werk In den formell bezaubernden„Drehenden Rhythm«n" blieb sie erstaunlicherweij« chrem Tanz fremd; ihr von Bewegung be-
rouschter Körper schien der Bewußtheit eines kühlen Kopses unter- warfen. Jo Bischer begnügte sich mit wenigen Tanzformen. Er ringt in ihnen um Ausdruck, nicht um Bühnenwirkung. Sehr gut ge- lingen ihm Tänze mit leicht groteskem Anklang; in dem Zyklus „Fernes Land" waren die„Südliche Melodie" und der„Raufbold" auf diese. Note gestimmt. Die„Kriegsvisionen" litten unter ihrem falsch gewählten Titel, ber leider noch ungeschickt durch zwei vor Beginn des Tanzes aufleuchtend« Stahlhelme und durch das Kostüm des Tänzers unterstrichen wurde. Es ist«in Totentanz von visto- närer Wucht, die um so stärker fühbar wird, je weniger sie durch Aeußerlichteiten belastet ist. Dieser Tanz, in den Anfangemotiven etwas gekürzt, in gewichtlos wirkendem Kostüm, müßte zum er- schütternden Erlebnis werden. Eröffnet wurde die Matinee von einet ganz jungen Tänzerin, deren Namen bisher unbekannt blieb: Erika Lindner. Die Volksbühne hat hier wieder einmal eine künstlerische Entdeckung gemacht, auf die sie stolz sein und hoffentlich auch stolz bleiben kann. Daß in Erika Lindner das Zeug zu einer ganz großen Tänzerin steckt, daran kan es nach diesem Auftreten keinen Zweisei geben. Sie zeigte fünf kleine Tänze, jeder vom anderen grundverschieden, jeder in sich vollendet. Erika Lindner tanzt, wie von einer Vision bezaubert, in die Musik hinein, tanzt zu ihr, mit ihr, gegen sie; chr Tanz wächst heraus,«ntsaltet sich, oerklingt wie eine herrliche Melodie, scheinbar einfach und mühelos. Man sieht nicht die tech- nifche Reife dieser Künstlerin, man denkt nicht an die geschlosienea Formen ihrer Kompositionen; man erlebt ihren Tanz. Nur eine Künstlerin, die voll tiefster Bescheidenheit vor dem eigenen künst- lerischen Erlebnis steht, vermag es so zu gestalten. Erika Lindner, wenn sie diese Bescheidenheit behält, wird uns noch viel zu geben haben. Twicke E. Schulz.
„Heilende Hände." Eine Adolf-Koch -Matinee. Eine von der Körperkulturschule Adolf Koch am Sonntag veranstalte.« Tonfilm- und Gymnastik-Matinee im Atrium-Palast in der Kaiserollee, die den Riesenraum bis auf den letzten Platz füllte, galt in erster Linie der Uraufführung des von Adolf Koch mit seinen medizinischen Mitarbeitern herausgebrachten medizinischen Volkstonfilm„Heilende Hände". Dieser Film reiht sich würdig«in in die schon vorhandenen Belehrung-!- und AufklärungsfUme ähnlicher Art. Er zeigt, wenn auch in dem jetzigen Umfang viel zu lang, manche interessante medizinische Einzelheiten, so vor allen Dingen die Aufnahme der Bakterien, weiterhin Bilder aus der medizinischen Diagnostik(Krankheitserkennung), der Chirur- gie, der Orthopädie, der kosmetischen Chirurgie, der Massage und der Gymnastik. Adolf Koch selber sprach über Freikörperkultur als Pflicht und Freude. Er betonte wieder sehr energisch und mit Recht, daß er in seinen Freikörperkulturgruppen die Menschen so zeigen wolle, wie sie in Wirklichkeit sind. Sie bieten also keine Kunst und auch keine ästhetische Gymnastik. An Stelle einer falschen Scham trete Körpererziehung, Körperfreude und Körperstolz. Der Körper soll regeneriert werden, mit dem Ziel, daß der Mensch sich selbst erkenne. Wenn Adolf Koch schließlich in Hinsicht darauf, daß die Stadt Berlin in der Nähe des Dorfes Selchow ihm ein hundert Morgen großes Gelände zur Ausübung der Freikörperkultur zugewiesen hat, meinte, daß das endlich einmal ein Lichtpunkt in der Kommunalpolitik Berlins sei, so geht er mit dem„endlich"«nt- schieden fehl. Die kommunale Politik Berlins , von den Sozial-� demokraten stark beeinflußt, weist in den letzten zehn Iahren sehr viele Lichtpunkte auf, die nicht unterschätzt werden dürfen. Den Schluß der Veranstaltung bildeten einige Nacktoorsührungen von Jungen» und Mädchengruppen, die in ähnlicher Art von frühe- rcn Matineen bekannt sind und durch ihren freundlichen und offenen Ernst überall Zustimmung und Freude erweckten. tr.