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£BelIage Montag, 7. Dezember 1931

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Mein Boy muss sterben

Ein Sittenbild aus Ostafrika

Cin Todesurteil. Sirott sollte also sterben! Während der Verhandlung, die in dem geräumigen Gerichtsgcbäude in Nairobi stattfand, war seine Schuld einwandfrei festgestellt worden. Sein Temperament, durch Leidenschaft und reichlichen Pombegenuß zur Siedehitze ge- bracht, hatte ihn hingerissen, ein iibelbeleumundetes L a m u w e i b zu erstechen. Schon in aller chergottsfrühe des nächsten Tages hatte mir ein Policeman die Kunde gebracht, mit der Bitte, mich baldmöglichst auf der Polizeistation einzufinden, um der VerHand- lung beizuwohnen. Jiroki, ein bildhübscher Wadschaggajunge, war vor zwei Jahren von mir am Kilimandscharo angeworben worden, hatte sich stets einwandfrei geführt und war mir auch vor wenigen Wochen nach Nairobi gefolgt. Seine Vernehmung war schwierig, da er weder englisch noch Kikuyu sprechen tonnte, sondern sich nur in einem schwer verständlichen Kauderwelsch von Kisuaheli und Dschagga ausdrückte. Wohl oder übel mußte ich also auch später die aufgezwungene .Dolmetscherrolle übernehmen. Bis zur Verkündung des Urteils- fpruches hatte ich gehofft, daß eine längere Kettenhaft als Sühne für ausreichend befunden werden würde und Jiroki, der mich aus feinen großen braunen Augen wie ein geprügelter Hund anstarrte, Trost zugesprochen. Und nun das Todesurteil! es wurde mir schwer, meinen Boy, der mich in mancher Gefahr nicht im Stich gelassen, der Hitze und Frost, Durst und alle Strapazen eines afrikanischen Safari- leben? redlich mit mir geteilt hatte, mit djtzn Spruche des Gerichts­hofes bekanntzumachen... Seine Antwort bestand nur in einem kurzen:I n f h a l l a h, B w a n a!", während der graue Ton, der fein Jungengesicht überzog, davon zeugte, daß er die Trag- weite des Urteils wohl begriffen hatte... Damals hatte ich gebeten, einen Tag vor der Vollstreckung meinen Boy nochmals sprechen zu dürfen, um seine letzten Wünsche entgegenzunehmen. War ich doch einst Zeuge gewesen seines Ab- schicds von seiner alten Mutter, die den Vierzehnjährigen nur ungern scheiden ließ. Wie gut erinnerte ich mich noch der o>ten Bibi, die so oft mein Zeltlager unter den grünen Bananen am Fuße des Kilimandscharo aufgesucht hatte und dann nur wider- strebend mit ihrer Last auf dem Rücken davongehumpelt war, wenn ich mit einem kräftigen Donnerwetter dazwischenplatzte, um den noch ungeübten Boy an seine Pflichten zu erinnern... Und in acht Tagen würde ihr der District eommissioner in M o s h i den unrühmlichen Tod ihres Sohnes mitteilen, mit einem Blick nach der geliebten Whiskyflasche! Nein, ich wollte doch lieber an einen befreundeten Farmer schreiben und ihm gleichzeitig den rückständigen Lohn des Boys zwecks Aushändigung an die Mutter einsenden! Jetzt war es so weit! Ein Polizeiosfizier hatte mir, während wir in der Stanley-Bar verschiedene Drinks ausknobelten, diskret mitgeteilt, daß die Hinrichtung des Boys am nächsten Morgen stattfinden werde. Unauffällig zagen wir uns zurück und glitten bald darauf im Auto auf der breiten und gut ge- pflegten Straße dem Gefängnis zu. Jiroki war nicht allein. ein schwarzbärtiger blasser Missionar der nahen französische» Mission leistete ihm Gesell- schafi. Die Rücksprache mit meinem ehemaligen Boy war nur kurz. Gin Sallam an seine Mutter und verschiedene seiner Freunde! Zum letzten Abschied reichte ich ihm die Hand... An der Gerichts st ätte. Am anderen Morgen trete ich eine Stunde vor Sonnenausgang auf die breite Veranda meines 5yäuschcns. Der Mond ist schon untergegangen, die Stadt mit ihren so amerikanisch anmutenden Steinpalästen in der City und den schimmernden Wellblcchdächern der villenartigen Wohnhäuser liegt in mattem Sternenglanz vor mir. Noch immer lachen und heulen die Hyänen... Kurz noch fünf Uhr sitze ich im Sattel und lasse meinen kleinen arabischen Fuchshengst, der den frischen Morgen mit hellem Ge- wieher begrüßt, tüchtig ausgreisen. Unterwegs begegnet mir ein Trupp Askaris(eingeborene Soldaten, meist Sudanesen), der zur Stätte der exekution vorausmarschiert. Wenige Minuten später halte ich vor dem Gefängnis, wo um den für den Missionar und den Delinquenten bestimmten Wagen etwa 20 berittene Europäer Beamte und Offiziere versammelt sind. Jetzt erfahre ich auch, daß zuerst die Hinrichtung eine« in- dischen Feldwebels, der hinterlistig einen Engländer er- schössen hatte, vor sich gehen soll. Um halb sechs Uhr öffnet sich die Pforte und der Inder, von zwei Askaris eskortiert, wird in den Wagen geschoben. In flottem Trabe reiten wir dann durch die einsamen Straßen der Stadtgrenz« zu. Sobald wir die letzte Fenz passiert haben, umsängt uns über- rafchcnd der gewaltige Zauber der einsamen Steppe. Rudel von Wild, meist Zebras und Hartebeester, untermischt mit ein- zclnen massigen Gnubullen, galoppieren auf wenige hundert Meter Abstand mit unserer Kavalkade mit, um bald neugierig verhoffend zurückzubleiben. Prächtig gehörnte Oryx- und Jmpallahantilopen zeigen wenig Scheu und beweisen uns, wie sicher sich alles Wild hier in dem ungeheuren Schonrevier längs der Ugandabahn fühlt. Langsam verblassen die Sterne und gespenstisch hebt sich vom rötlichen Morgenhimmel ein eigenartiges Gerüst ab der Galgen! Mit aufgepflanztem Bajonett steht eine Kompagnie Askaris um das Schafott. Dieses besteht aus einem quadratischen, etwa drei Meter hohen Gerüst, dessen vier Seiten mit dunklem Segeltuch überzogen sind. Darüber erhebt sich der eigentliche Galgen, das erstbeschriebene Gerüst um etwa drei Meter überragend. Auf der Plattform des Gerüstes wartet schon der Henker in schwarzen Beinkleidern, niedrigen Lackschuhen und schwarz- seidenem Hemd. Das Amt des Henkers wurde von einem Weihen bekleidet, der in seinem eigentlichen Berufe Maschinenführer einer Dampfwalze war und seine Finanzen durch das gelegentliche Hängen eines armen Sünders aufbesserte! Jetzt steht er schwarz und feierlich auf dem Schafott, in der Rechten den herabbaumelnden Strick, die Linke schützend über den Augen, um den heranrollenden Wagen zu erspähen. Schaukelnd und ächzend poltert dos Gefährt über die rissige Steppe auf uns zu. Wir lasten unsere Pferde zurücktreten, um den Platz vor der Platt- form freizmnachen. Kaum hält der Wagen, so springen die beiden, den Delinquenten eskortierenden Askaris heraus und zerren ihn

- Von Franz Gerhard Schmidt zur Treppe. Wie ich jetzt sehe, trägt der ehemalige Feldwebel keine Uniform, sondern seine indische Nationaltracht. Ueber den Kopf ist ihm eine schwarze, unter dem Kinn zusammengebundene Kapuze gezogen. Seine Hände sind mit eisernen Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Halb getragen und geschoben erreicht der arme Sünder, der auf der Treppe mehrmals zusammenzubrechen droht, die Plattform, wo er sofort von dem Henker in empfang genommen wird. Blitz- schnell schnallt ihm dieser einen breiten Gurt in Höhe der Ellbogen um den Leib, einen zweiten um die Fußgelenke und legt ihm dann die Schlinge um den Hals. Im nächsten Augenblick tritt der Henker zurück, bewegt einen Hebel und klappt dadurch das Brett, auf dem der Delinquent steht, herum. Mit jähem Ruck schießt dieser in die Tiefe und verschwindet in der durch die vier Segeltuchwände gebildeten Versenkung. Nur das plötzliche Anspannen des Seiles, ein eigentümlich knarrender markerschütternder Ton verrät uns, daß der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist. Bluttot taucht der Sonnenball am östlichen Horizont auf. Ein wunderschöner Morgen bricht an. Vor uns liegt die Stadt inmitten fruchtbarer Felder und parkarttger Urwaldparzellen ein Bild des Friedens... In weiter Ferne schaukelt in einer Staubwolke der Wagen über die Steppe dem Gefängnis zu. Man holt Jiroki! Tiefe Sttlle lagert über dem Exekutionsplatze. Einige schlecht angebrachte Witze finden keinen Anklang und steigern nur das seltsam bedrückende Gefühl, das sich auf ollen Gesichtern wider- spiegelt. Verhältnismäßig wenig Farbige sind zu sehen. Etwas abseits steht eine Gruppe reichgekleideter Inder, Verwandte und Freunde des soeben Hingerichteten, die die Leiche abholen wollen. Sie müssen noch eine volle Stunde warten, denn so lange muß nach englischem Gesetz der Delinquent hängen. Langsam schleichen die Minuten. Der anwesende Arzt ist mit dem Henker hinter den Segeltuchwänden verschwunden und winkt bald darauf die wartenden Inder heran. Zögernd treten

sie näher und schleppen bald darauf auf ihren Schultern die in Decken gehüllte Leiche ihres Freundes davon. Jirokis Ende. Inzwischen hat der Henker einen neuen Sttick am Galgen befestigt und steht wieder wartend auf der Plattform. In der Ferne zeigt sich der Wagen, schwankt klappernd und ächzend über die holprige ausgedörrte Steppe, näher und näher. Als Jiroki aus dem Gefährt gezerrt wird, höre ich noch sein halbersticktesBwana". Dann zwinge ich mich krampfhaft� zur Seite zu blicken. Von den Vorgängen auf dem Schafott will ich nichts mehr sehen... Im Schatten einer einsamen Schirmakazie verträume ich die kommende Stunde. Weit tm Süden, nur dem geübten Auge er- kennbar schimmert dort im blauen Dunst der Steppe das Schnee- Haupt des Kilimandscharo ... Als ich zum Galgen zurückkehre, sind nur noch wenige Europäer versammelt. Mit dem Arzt zusammen trete ich hinter die Segel- tuchwände zu der Leiche meines Boys. Dämmerndes Halbdunkel umgibt uns. Langausgestreckt, mit den Fußspitzen den Boden de» rührend, hängt Jiroki vor uns. Dicker Angstschweiß bedeckt sein Gesicht mit den furchtbar verzerrten Zügen. Die Untersuchung durch den Arzt ist kurz. Der Tod muß sehr schnell eingetteten sein, wie die gebrochenen und weitauseinander gerissenen Nackenwirbel beweisen. Als ich das Segeltuch zurückschlage, um ins Freie zu gelangen, höre ich hinter mir einen dumpfen Fall. Der Henker hat den Sttick durchschnitten, die Leiche Jirokis liegt steif am Boden»er Kopf rutscht haltlos zur Seite, die verglasten Augen stieren in die Ferne, weit noch Süden! Eine Stunde später sitze ich auf der Veranda meines Hauses, um den Bericht an Jirokis Mutter abzufassen. Auf der breiten Barabara(Straße) vor mir flutet lachendes Leben. Arabische und indische Händler ziehen mit ungefügen zweirädrigen Karren zum Markt. Uralte überladene Fordwagcn mahlen durch den Staub und eingeborene Weiber schleppen ihre Lasten an breitem Bande, das mit der Stirn gehalten wird, zur Stadt. Als eine Gruppe dunkelgelber Lamuweiber in bunten Kanzus sich kokett in den Hüsten wiegend vorbcitänzell, beuge ich mich auf- seufzend über die weißen Blätter vor mir. Mein Bericht soll Jirokis Mutter ja vor der amtlichen Benachrichtigung erreichen!

Wie lebt man in Bulgarien ? Kleine bulgarische Soziologie*** Von Kurt H. Kauffmann

Bulgarien ist ein Land, in dem Milch und Honig fließt, es ist ein Agrarland, von dessen Bevölkerung nur 20 Proz. in den Städten wohnen, die meisten der Einwohner sind also Bauern und Gärtner und haben schließlich ihr Brot. Das jemand wie bei uns hungert, gibt es nicht. Allerdings stellt der bulgarische Pauer, wie der Bulgare überhaupt, auch so gut wie gar keine Ansprüche an das Leben, mit unseren west- europäischen Erfordernissen verglichen wenigstens nicht. Ihm genügt es zur Not, wenn er seinen Bissen Brot und seine Weintrauben hat. Lebensmittel, die ihm niemals fehlen, weil von dem einen so reichlich vorhanden ist wie von dem andern und eines auch so billig ist wie das andere. Ein Kilogramm Weißbrot und nur dieses kennt das Volk, das seltenere Schwarzbrot ist teurer und findet sich nur in den besseren Kolonialwarenläden und in den Brotkörben der größten Hotels kostet 4 Lewa, das sind etwa l2 Pfennige. Den Wein, dessen kultiviertere Reben stark nach Westeuropa ausgeführt werden, bekommt man schon zu 5 Lewa, die teuersten Sorten zu zehn Lewa das Kilo. Wenn man die Menschen, die abends von der Arbeit heim- kommen, nichts tragen sieht, eines haben sie sicher im Arm: Die graue Kilotüte mit Wein und das helle lange Brot, zwei Dinge, die so typisch und charakteristisch für Bulgarien sind, daß man sie eigent- lich zum Landessymbol erheben müßte. Und von Wein und Brot allein lebt ein gut Teil der bulgarischen Bevölkerung, die ärmeren Städter schon gewiß, weil sie das Geld für teurer« Lebensmittel infolg« ihrer schlechten Entlohnung nur schwer aufbringen. Ein Arbeiter, und ein qualifizierter dazu, verdient in der Regel nur 50 Lewa 1,50 Mark also, nur wenige bringen es auf 3 Mark pro Tag. Da die Wohnungen verhältnismäßig teuer sind, wie auch die Kleidung, bleibt für Essen wenig übrig. In ähnlicher Höhe bewegen sich auch die Gehälter der kauf- männischen und gewerblichen Angestellten kleinerer Geschäfte, die übrigens gezwungen sind, von früh um sieben oder 8 Uhr bis spät in die Nacht hinein hinter dem Verkaufstisch zu stehen, weil es einen allgemeinen Ladenschluß einfach nicht gibt. Abeuds um 9 Uhr kann die Hausfrau sich noch in jedem Kurz- warenladen Taschentücher oder Nähnadeln kaufen, um 10 Uhr abends sitzen die Männer noch beim Friseur und um 11 Uhr halten noch die Schlächtereien auf und man hielte gewiß noch länger die Geschäfte auf, wenn es sich verlohnte und die Leute dann nicht schon längst schliefen. Auch am Sonntag kann man von früh bis spät in fast allen einschlägigen Läden Lebensmittel kaufen. Die Sonntagsruhe in unserem Sinne gibt es nicht, wie es ja auch keinen Arbeiterschutz gibt. Wohl soll vieles von dem, was unsere soziale Gesetzgebung so auszeichnet, auch dort gesetzlich ge- regelt sein aber es steht nur auf dem Papier, prakttsch merkt man nichts davon. Möglich, daß die allgemeine Krise, unter der gerade Bulgarien als wirtschaftliches schwaches und armes Land ungemein schwer zu leiden hat, schuld an diesen für unsere Begriffe unmöglichen Zu- ständen hat und einfach eine derartige Anspannung und Ausbeutung aller Arbeitskräfte diktiert, Tatsache aber ist, daß die Mehrheit des Volkes dies an sich ganz in der Ordnung findet und wenig Anlaß sieht, gegen diese Dinge einzuschreiten, die uns wohl als schreiende Mißstände, ihnen aber nur als Normalzustand erscheinen. Vielleicht deshalb nicht, weil der Lebens st andard der niederen Volksklasscn von fyaufe aus so maßlos gering ist. Man lebt unendlich primitiv, so primitiv, daß vergleichsweise selbst die Lsbeiishaltung eines unserer fchlechtestenttohnten Arbeiter da­gegen noch als gehoben und kultiviert bezeichnet werden muß. Den einfachen Haushalten fehlt es einfach an allem: Man kennt

weder Gas noch elektrisches Licht, man braucht Petroleum und die Kerze, obwohl selbst die kleineren Städte eigene Elektrizität s- und Gaswerke besitzen. Aber Einrichtung und Anschlüsse sind eben zu teuer für den ganz Armen, der ja nicht einmal so viel Geld hat, daß er sich, unseren Ansprüchen gemäß, ordentlich kleiden kann. Festes Leberschuhwerk ist selten. O p i n tz e n werden getragen, die einfache Bauern- und Türken-Beschuhung. das find fchweins- lederne, sandalenartige Schuhe, die mit Bindfaden um den Fuß geschnürt werden, der in dem dicken T s ch o r e p i, einem dicken Wollstrumpf, steckt. Der K a l p a k, eine hohe Lammfellmütze, gibt die Kopfbedeckung ab, der Habitus ist ein rein bäuerlicher. Der Türke, der frühere Herr des Landes erst feit dem russischen Kriege von 1878-79 ist Bulgarien von der fünfhundert Jahre währenden Türkcnherrschaft freigekommen, trägt sich noch primitiver. Aber immerhin wirkt er in seiner türkischen Hose, bei der sich der Hosenboden etwa in Kniehöhe befindet, in der blauen, roten oder gelben Jacke und mit dem dicken, um den Leib geschlun- gcnen Schal, der zugleich als Tasche und Behältnis für die un- möglichsten Dinge dient recht malerisch. Trotz allem aber findet sich der Bulgare der unteren Volks- schichten Mittelstand und Reiche leben aus einem ungleich höheren Niveau! mit den gegebenen Verhältnissen durchaus ob. Freilich muß man hierbei bedenken, daß es ihm das Klima, vor allem jenes von Südbulgarien und das der Küstenstriche des Schwarzen Meeres , leicht macht. Die Sonne scheint heiß und som- merlich bis in den November hinein, unwirtlicher ist es nur nördlich vom Balkan . Schön wetter-Länder verharren stets in an- fpruchswser Lebensführung, erst ein rauhes Klima erfordert und bewirkt Erhöhung der Bedürfnisse. Trotz aller Beschränkungen läßt es sich für den Armen dort unter dem milden Klima leichter leben als bei uns im kalten Norden. Man findet sich besser mit der Not ab: Niemand zum Beispiel macht ein Aufhebens davon, daß am Abend jüngere arme G y m- n a f i a ft e n barfuß und in dürftiger Kleidung auf den Sttoßen Zeitungen verkaufen oder in die Lokale mit Blumen kommen. Gymnasiasten gibt es schließlich dort wie Sand am Meer. Warna , eine Stadt von 70 000 Einwohnern etwa, hat allein einig« höhere Schulen mit großer Schülerzahl. Mit Schulen aller Art ist das ganze Land direkt übersät. Lesen und schreiben können fast alle. Di« Zahl der Analphabeten beträgt darum auch nur 2 Prozent! Der Bulgare, fleißig und sparsam wie er ist, kratzt den letzten Pfennig zusammen, um seine Kinder in die höhere Schule zu schicken. Und so sieht man denn Hunderte von Knaben und Mädchen in den charakteristischen, nach altrussischem Muster gefertigten Schüler-Uni- formen herumlaufen. Und jeder muß es bis zum Abitur bringen! Das hierdurch ein geistiges Proletariats ungeheuersten Ausmaßes herangezüchtet wird, das in dem kleinen, b Millionen zählenden Agrarland« nie und nimmermehr eine seinen Fähigkeiten und Kennt- nissen enssprechende Beschäftigung finden kann, scheint man ernstlich noch nicht überlegt zu haben. Schon jetzt machen sich in dieser Be- Ziehung peinliche Mißstände bemerkbar. Nur werden diese Verhältnisse infolge der gänzlich anders ge- arteten Mentalität des Voltscharakters auch ganz anders empfunden und nicht sonderlich ttagisch genommen. Man lebt dort unten doch immer noch schr stark nach orientalischer Fasson und läßt den Dingen ihren Lauf. Möglich, daß da später einmal die jünger«, jetzt in Deutschland und im übrigen Westeuropa studierende Generation Wandel schafft. Jedenfalls weiß sie, wo Bulgarien der Schuh drückt und sie brennt wohl auch darauf, das an den Folgen der langen Türkenherrfchoft immer noch leidende, arg vernachlässigte Land im Sinne westlicher Kultur neu auszubauen.

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