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BERLIN  Freitag 11. Dezember

1931

Der Abend

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Nr. 580

B 290 48. Jahrgang

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Der Preisdiktator stellt sich vor

Er will vor allem überwachen, nicht diftieren!

Der neue Reichstommissar für Preisüberwachung, Dr. Goer deler, stellte sich heute der Deffentlichkeit vor, indem er vor einem Kreise von Pressevertretern sein Aufgabengebiet umriß.

Goerdeler   erklärte: Vielfach sind von der Landwirtschaft, dem Handel und den Verbrauchern Wünsche an ihn herangetragen worden, die alle einander strikt zuwiderlaufen. Man soll in ihm nicht einen Wunderdoktor sehen. Seine Aufgabe ist nicht, Preise auf Befehl zu senken, sondern die Preise zu überwachen und alle Fattoren der Preisbildung sorgfältig zu überprüfen. Die Hauptaufgabe ist, zur Zeit die Hemmungen zu beseitigen, die einer Entwicklung der gerechten Preise entgegen­stehen. Alle Senkungsmöglichkeiten, die in der Notverordnung an gebahnt sind; follen den legten Verbrauchern zugute tommen. Dies gilt besonders für die lebenswichtigen Gegenstände des täglichen Bedarfes und für Leistungen, die der Befriedigung dieses Bedarfes dienen. Zu den möglichen Eingriffen äußerte sich der Reichs­kommissar, der sich selbst als Anhänger freier wirtschaftlicher Betäti­gung bezeichnete, zunächst noch sehr vorsichtig.

In der Frage der städtischen Tarife erklärte Goerdeler, daß auch hier vor überspannten Hoffnungen gewarnt werden müsse. Er versicherte aber, daß die Tätigkeit des Reichskommissars an den öffentlichen Versorgungsbetrieben nicht vorübergehen würde. Auf die Preisbindungen übergehend, wies.er darauf hin, daß es den Innungen verboten ist, Preise festzusetzen und zu per= breiten, und daß nunmehr der einzelne Handmerfs= meister gezwungen wird, selbst zu kalkulieren. Sollte sich in einer Zeit, wo Arbeiter, Angestellte und Beamte ununterbrochen ihre Lebenshaltung herabsetzen mußten, zeigen, daß böser Wille bei Produzenten oder beim Handel mögliche Preissenkungen ver­hindern will, so sind ihm hier Mittel zu schärfsten Gegenmaßnahmen in die Hand gegeben.

Nachdrücklich appellierte der Reichskommissar zum Schluß noch­mals an die Kontrolle der Hausfrau und wies auf die Verordnung hin, daß in Schaufenstern und Läden von jetzt ab alle Preise ausgezeichnet werden sollen. Bestimmte Warengruppen, u. a. die Bekleidungsgruppe, seien im freien Wettbewerb bereits derartig gesunken, daß hier eine Zurückhaltung der Käufer zum Weihnachts­geschäft keinen Nutzen habe, sondern nur Schaden stiften könne.

Ueber die Zusammensetzung seines Mitarbeitertreises erklärte der Reichskommissar zum Schluß, daß sein ganzer Stab aus einem Beamten und zwei Stenotypistinnen bestehe und daß er sich gegen eine Erweiterung dieses Mitarbeiterstabes sträube, da er die einzelnen Sachgebiete durch Heranziehung von Fachleuten zu bearbeiten gedenke.

Verkehrstarif wird billiger.

Die Auswirkungen der Notverordnung auf die städtischen Betriebe.

Die Besprechungen und Verhandlungen, die gestern zwischen dem Preiskommissar Dr. Goerdeler und dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Verkehrsgesellschaft, Bürgermeister Dr. Elias, aufgenommen wurden, werden schon in fürzester Zeit wichtige Aus­mirkungen haben. Die Berkehrsgesellschaft wird als erstes städtisches Großunternehmen an die Senkung der Fahrpreise heran­gehen, die Gas- und Wasserwerte werden mit der Senkung ihrer Tarife folgen müffen, und auch von der Bewag erwartet die Deffentlichkeit eine fühlbare Preisherabsehung.

In den Besprechungen zwischen dem Vertreter der Stadt und dem Preiskommissar ist die Frage des Erlaffes der Beförde rungssteuer der wichtigste Punkt. Die Steuer macht für Berlin   rund 8 Millionen Mark aus. Die Notverordnung sieht die Möglichkeit vor, Gemeinden, die ihre Tarife abgebaut haben, die Beförderungssteuer zu erlassen. Der Etat der BVG. wird außerdem durch die nach der Notverordnung zwangsmäßig vor. zunehmenden Kürzungen der Löhne und Gehälter und durch den Abbau der Pensionen mit ungefähr 7 Millionen Mark

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Der Weihnachtsfrieden"

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Der Nazis und der Kozi  - Friedensengel begrüßen sich. ( Man beachte, daß die entgegengestreckten Friedenshände Prothesen sind.)

für den einzelnen schwer tragbaren Lohnfürzungen auf fich nehmen müssen, fönnen überhaupt nur Sinn haben, menn sie tatsächlich zu einer Preisverbilligung des Verkehrstarifes führen.

Die Besprechungen zwischen Dr. Goerdeler und Dr. Elsas werden zu Beginn der nächsten Woche fortgesetzt. Ueber die im einzelnen zu treffenden Maßnahmen läßt sich Genaues im Augen­blid natürlich noch nicht sagen.

Die Stillhalteverhandlungen.

Heute in der Reichsbant begonnen.

Um 11 Uhr begannen heute in den Räumen der Reichsbank die fogenannten Stillhalteverhandlungen zwischen dem Aus­schuß der deutschen   Schuldner und den ausländischen Gläubigern. An den Verhandlungen nehmen von deutscher   Seite Dr. Jeidels von der Berliner Handelsgesellschaft, Dr. Schlieper von der Deutschen Bank und Disconto- Gesellschaft, Geheimrat Kast I vom Reichsverband der Deutschen Industrie   und Reichsbankdirektor Fuchs teil. Wahrscheinlich werden auch einige Beamte der Reichs­bank den Sizungen beiwohnen. Von den Ausländern sind bisher Wiggin, der Präsident der amerikanischen   Chase Nationalbank, und eine Reihe von anderen Herren eingetroffen.

Amtliche Mitteilungen über die Sigungen werden nicht er= folgen, da die Verhandlungen als streng privat" bezeichnet werden.

Reichswehr   und Sparordnung.

Von der Gehalts- und Lohnkürzung werden bei der Reichswehr   die höheren Offiziere, vom General bis zu den höherbefoldeten Majoren einschließlich, mit 9 Broz. betroffen, ebenso wie alle Reichsbeamten. Von der untersten Besoldungsklasse der Majore einschließlich bleiben alle Offiziere und auch die Mannschaften von der Gehalts- und Lohnfürzung verschont. Für die Polizei dürfte die gleiche Regelung eintreten.

Berliner   Metallarbeiterlöhne.

Verhandlungen mit dem BBMJ.

Heute nachmittag wird zwischen den Vertretern des Verbandes Berliner   Metallindustrieller und den Vertretern des Metallfartells über die Löhne ab Januar 1932 verhandelt. Das durch verbindlich erklärten Schiedsspruch vom 9. November verlängerte Lohn­abkommen läuft mit dem Ende dieses Jahres ab.

Bei diesen Verhandlungen wird an die Begründung des Schiedsspruches durch den Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses, Gewerberat Körner, erinnert werden müssen, daß es der sozialen Gerechtigkeit widerspricht, die Senkung der Gestehungskosten immer wieder von der Lohnseite her vorzunehmen.

..Jede gesellschaftliche Arbeit verliert ihren Sinn, wenn die Erträge nicht wenigstens die zum Lebensunterhalt unbedingt not­wendigen Ausgaben decken."

,, Solange die Lebenshaltung nicht durch eine Herabsetzung der Lebensmittelpreise wesentlich verbilligt wird... folange nicht die Mieten gesenkt, die Tarife für Gas, Wasser, Elektrizität, Verkehr herabgesetzt und die Abzüge für Steuern und Sozialaer­ficherung verringert werden, ist eine weitere Stürzung der Bezüge der Arbeitnehmer nicht möglich."

Das war vor vier Wochen, vor der vierten Notverordnung. Nach einer Korrespondenzmeldung wird der BBMI. fich in den heutigen Verhandlungen darauf beschränken, die Anwendung der Notverordnung zu fordern.

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Adolf fannegießert.

Schwätzereien über auswärtige Politif.

Adolf Hitler   hat gestern in München   an sudetendeutsche Haten­freuzler eine Ansprache gehalten. Die Telegraphenbüros geben den Unfinn man sieht nicht recht wozu. spaltenlang wieder. Um die Konfusion zu fennzeichnen, die in diesem Köpfchen steckt, genügen schon die folgenden Säße:

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In England vollzieht sich gegenwärtig ein bedeutsamer Umschmung in der öffentlichen Meinung. Frankreich   ist mit seiner Militär und Goldpolitik auf dem besten Wege, sich zum Welt­schuldigen zu machen. Auch in Amerika   und Italien   mächst die antifranzösische Strömung von Tag zu Tag, ja man kann sagen, von Stunde zu Stunde.

Adolf   stellt sich mit Awed an die Spitze einer Weltkoalition gegen den Erbfeind. Aber weil er doch ein guter Mensch ist, beruhigt er die Franzosen und die Tschechen, daß sie keine Angst zu haben brauchen:

Ebensowenig wie gegen Frankreich   hegen wir die uns immer wieder angedichtete friegerische Absicht gegen die französischen  Vasallen im Südosten. Ein Kriegeuropäischer Staaten untereinander hieße heute so viel, wie dem BpI= schewismus Tür und Tor öffnen. Mit dem ersten Kanonenschuß würde gleichzeitig die bolschewistische Revolution ihre erste Visitenkarte in den europäischen   Hauptstädten aller Länder abgeben.

Wer kann diese Schwätzereien lesen, ohne an Wilhelm II.   zu denken? Das war auch so ein weltpolitisches Redegenie, und die Spießbürger liesen ihm nach und schrien Hurra, bis es dann glück­lich so weit war!

Uebrigens, wenn der Bolschewismus die Nazis dazu gebracht hat, daß sie Angst vor einem neuen Kriege haben, dann hat er wenigstens eine vernünftige Funktion!

Brüning   über den Nationalsozialismus  .

Weltwirtschaftsfrise und Reparationen als Ursache des deutschen Nationalismus.

Der Reichskanzler äußerte sich am Donnerstagnachmittag zu der ausländischen Presse u. a. auch über die national­sozialistische Schattenregierung". Er führte u. a.

aus:

entlastet. Allerdings kommt für die BVG. eine Angleichung der Lohnverhandlungen im Ruhrbergbau. gebildet. Ich kann nur nochmals erklären: Die Reichsregierung iſt

Löhne und Gehälter an den Stand vom Januar 1927 nicht in Frage. Die Berkehrsgesellschaft fungiert vielmehr als öffentliche Körperschaft und muß eine Lohnkürzung von 10 Prozent vornehmen. Bei einer Angleichung an die Lohnfäße vom Januar 1927 wäre der Prozentsatz noch meit höher. Es ist in der Notverordnung nicht endgültig geklärt, ob diese Ersparnisse lediglich zur Senkung der Tarife, also zur Breisverbilligung vermendet werden können. Hier ist es die Aufgabe des Breistommiffars, Klarheit zu schaffen. Die fhmeren Opfer, die die Arbeitnehmer der BBG. durch die neuen,

Effen, 11. Dezember.

Es steht jetzt fest, daß der bereits in Aussicht genommene Termin für die Cohnverhandlungen im Ruhrbergbau bestehen bleibt. Die Berhandlungen beginnen am 17. Dezember gegen 10% Uhr beim Zechenverband.

Am Nachmittag um 3 Uhr fritt der Zechenverband mit den An­geftelltenvertretern über eine Neuregelung der Gehaltstarife für die faufmännischen und technischen Angestellten zusammen.

Im Ausland haben sich im Anschluß an gewisse Interviews der letzten Woche falsche Auffassungen über die Lage in Deutschland  unter allen Umständen gewillt, alle verfassungsmäßigen Mittel anzuwenden, wenn illegale Wege beschritten werden sollten. Daß in solcher Zeit in einem Volt, welches wie das deutsche, seit 17 Jahren ungeheure Leiden erduldet hat, radikale Richtungen hochkommen, ist ganz selbstverständlich. Eine Verstärkung des Radi­falismus war insbesondere zu erwarten angesichts der schweren Opfer, die wir dem deutschen   Bolte aufzuerlegen genötigt waren. Gegenüber den Aeußerungen, welche nationalsozialistische Führer in letzter Zeit getan haben, fann die Reichsregierung nur immer