statuiren, zwar nicht Folge gegeben, aber für die Be urtheiluiig des ersten und des chinesischen Bismarck ist diese Gegenüberstellung wohl genügend.— Im Gefolge Li-Huug-Tschang'S, des mongolischen Helden greises, oder wenigstens im Gefolge der ihm nachschivänzelnden Lobhudeleien der bürgerlichen Presse ist wiederholt der Name des Obersten Liebert als des kommenden Jnstruktors der chinesischen Armee genannt worden. Bald hieß es, er geht, bald, er geht nicht. Jetzt verkündet das„Tageblatt" mit staats- männischer Miene, Herr Liebert gehe doch nach China , um die chinesische Armee zu reorganisiren und Deutschlands Interessen dort zu wahren. Da wird ja unfern Patrioten vor Freuden der Zopf wackeln, daß ihre Kriecherei vor dem mongolische» Heldengreis doch etwas gefruchtet hat.— Chronik der Majcstätsbeleidigungs- Prozesse. In Essen wurde wegen Majestätsbeleidigung von der Straf- kammer der Maurer I ö r g e n s aus Buer zu 3 Monaten Gefängniß unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurtheill Der Angeklagte soll sich feinem Mitarbeiter gegenüber Aeuße- rungen über die Arbeiten des Kaisers zu schulden kommen lassen haben.— *• « Dentsches Reich. — Bon den Antisemiten hat sich wieder einer ab- gespalten. Der sächsische Reichstags-Abgcordnete Lieber- Stroga (Meißen - Großenhain ) ist aus der deutsch - sozialen Neformpartei ausgetreten. Das„Großenh. Tgbl." bringt für diesen Schritt nachstehende Erklärung:„Der Reichstags-Abgeordnete für unseren Kreis war als praktischer Landwirlh der Ansicht, daß die Regreß Pflicht der Jagdpächter, den Hasenschaden betreffend, abzu- weisen sei, wie ja auch der Reichstag in diesem Sinne entschied. Die Fraktion der Reformpartei enthielt sich der Abstimmung, was Herrn Lieber nicht gefiel. Darauf sollte unser Abgeordneter nun sich bei der Abstimmung über das Bürgerliche Gesetz- buch als Mitglied der reformparteilichen Fraktion seiner Stimme enthalten. Da aber Herr Lieber der Ansicht war. daß das Bürgerliche Gesetzbuch das den Verhältnissen entsprechend denkbar beste Werk sei und als wirkliche nationale That zur Vollendung gebracht werden müsse, so stimmte er entgegen den Beschlüssen der Fraktion für Annahme des Bürgerlichen Gesetzbuches in dritter Lesung. Infolge dessen wurde Herr Lieber von den Führern der Reformpartei-Fraktion zur Rede gestellt." Das Blatt fügt noch hinzu, daß Herr Lieber fein Mandat nicht niederlegt, fondern wie der Reichstags-Abgeordnete Sachße- Merschwitz als sogenannter Wilder im Reichstage verbleibt. Jetzt hallen nur noch ein Dutzend Abgeordneter zu der anti- semitischen Reichstagsfraktion.— — Herr S ch e n ck, Mitglied des preußischen Landtages für Wiesbaden , wird fein Amt als Genossenschaftsanwalt aus Ge- sundheitsrückstchten am 1. Januar 1SS7 niederlegen und schon jetzt einen längeren Urlaub antreten. Der im Monat August in Leipzig stattfindende Genossenfchaftstag wird sich bereits mit der Neuwahl eines Genossenschaftsanwaltes beschästigen.— — Zur Reichstagswahl im Kreise Schwetz wird dem„Westpr. Volksbl." geschrieben:„Es haben dem polnischen Kandidaten Herrn v. Saß-Jaworski zu Lippinken nur zwei Stimmen zur absoluten Mehrheit gefehlt; in Wahrheit hat aber der Pole bereits gesiegt und seine Partei wird auch die Wahl für sich beim Reichstage reklamiren. Sie wären auch Thoren, wenn sie ihren schwer errungenen Wahlsieg durch gewisse„Mätzchen" der sogenannten„deutschen Partei" sich ent- reißen ließen. Mag auch die auf den 9. Juli festgesetzte Stich wähl für den Mischmasch-Kandidaten Holtz(Parlin) günstig aus fallen, der Reichstag wird sicherlich Gerechtigkeit wallen lasse» und den Herrn Holtz wieder nach Hause schicken. Dem Herrn v. Saß-Jaworski sollen nämlich nur zwei Stimmen zur absoluten Majorität gefehlt haben; aber lhatsächlich hat er diese zwei Stimmen und noch mehr rechtsgiltig gehabt. Mit Unrecht sind in mehreren Wahlbezirken verschiedene auf seinen Namen lautende Wahlzettel für ungiltig erklärt worden, weil etwas unsaubere Finger sie zur Wahlurne gebracht hatten. Zettel, welche auf „Julian Sas-Jaworski-Lippinken" lauteten, wurden dem Kandi- baten v. Saß-Jaworski-Lippinken abgesprochen und einem X-Kandi- baten zugewiesen." Da nunmehr zwei Nachrichten zu prüfen, so wird die Wahl- prüfungs-Kommission sofort nach Zusammentritt des Reichstages den Fall prüfen können, und Herr Holtz hat also, selbst für den Fall seiner Wiederwahl, alle Aussicht, bereits vor Weihnachten wieder nach Hause geschickt zu werde». — W e r t r ä g t d i e K o st e n für die Umgatterung der zu Hofjagden bestimmten Staatsforstcn? Auf diese in der agra rrschen Presse aufgeworfene Frage erwidert heute die amtliche Berliner Correspondenz: „Die Außengatter werden auf Kosten des Hofjagd- amtes angelegt und unterhalten. Eine Ausnahme hat nur de- züglich des Gatters um die Schorfhaide stattgefunden. Dieses ist auf Anregung des damaligen Ministers für Landwirthschast, Domänen und Forsten angelegt worden, nm den Wild schaden auf den benachbarten Feldmarken abzustellen. Aus diefem Grunde hat der Forstfiskus den vierten Theil der Um« galteruugskosten übernommen, während dreiviertel von dem Hos zagdamte bestritten worden sind. Die Kosten der inneren Ein- friedigungcn trägt die Forstkasse hier ebenso wie in zahlreichen anderen, nicht den Zwecken des Hosjagdamtes dienenden Ober- sörstereien. Schließlich wird noch bemerkt, daß der Erlös für das erlegte Wild der Staatskasse zustießt." — Eine Reminiscenz an den Kulturkampf weckt die Ernennung des Dr. Paul Kaufmann, ständigen Mitgliedes des Reichsversicherungsamtes, zum vortragenden Rath im Reichsamt des Innern. In den siebenziger Jahren wurde dessen Vater, Leopold Kaufmann , nach seiner einstimmigen Wieder- wähl als Oberbürgermeister von Bonn die Bestätigung versagt, weil er die Erklärung verweigerte, daß er die Maigesetze „gern" ausführen werde!— Herr K. mußte infolge dessen seine Stellung aufgeben und wurde ins Abgeordnetenhaus ge- wählt, wo er der Zentrumsfraktion beitrat.— Dieselben Mai- gcsetze, die Kaufmann'nicht„gern" ausführen wollte, mußten später„gern oder nicht gern" vom Staate selbst zum größte» Theil wieder aufgehoben werden. Was ein richtiger Staats- diener ist, muß auch sein eigenes Todesurtheil gern aus- fertigen.— Wilhelutshave», 6. Juli. Im 2. See- Bataillon ist eine endemisch auftretende Augenkrankheit ausgebrochen. Um- fassende Maßregeln gegen Wciterverbreitung sind getroffen. Alle Gesunden wurden sofort aus der Kaserne ausquartirt und in den Matrosen- Kasernements untergebracht. Bei den getroffene» Vorkehrungen und Vorsichtsmaßregeln ist der Angelegenheit be- sondere Bedeutung nicht beizumessen, versichert die offiziöse Mittheilung. Wir meinen indeß, daß eine im Heere oder der Marine endemisch(seuchenhaft) auftretende Augen- krankheit immer eine„besondere Bedeutung" hat für die Be- troffen en. für die Bedrohten und für das gesammte Volk, mag die Geschichte auch den offiziösen Telegrammversertigern noch so„wurscht" sein.— — U e b e r die Wirkung der Handelsverträge spricht sich der Bericht der Handelskammer zu Hildesheim folgendermaßen aus: Der Handel und die Industrie Deutschlands haben von den in den Jahren 1391—1394 abgeschlossenen Handelsverträgen eine entschieden günstige Wirkung ver- spürt. Den nierklichen Aufschwung des wirthschaftlichen Lebens im verflossene» Jahre führt man mit recht zum theil namentlich auf die durch den Handelsvertrag wieder besser aufgenommenen Beziehungen zu Rußland zurück. Besonders kann die Eisen- und Maschinenindustrie konslatire», daß der frühere Absatz in das russische Zollgebiet wieder erreicht, ja überstiegen ist. Ebenso hat die Einfuhr von Ruhland, namentlich in Ge- treibe und Holz, wieder zugenomnien.- Man kann deshalb das bereits früher ausgesprochene günstig« Urtheil über die Wirkung der Handelsverträge auch für das letzte Jahr bestätigen. — Unschuldig zu drei Jahren Zuchthaus verurtheill wurde vor anderthalb Jahren der Artillerist M o h r ni a n n in Oldenburg . Während er nun als Opfer eines Rcchtsirrthums im Zuchthause saß, ist seine Dienstzeit im t erbst vorigen Jahres abgelaufen. Aber jetzt, nachdem seine »schuld sich herausgestellt hat, ist er nicht etwa in seine Heimalh entlassen worden, sondern hat den Befehl erhalten— sich zur Schießübung nach Münster zu verfügen. Er soll also weiter dienen, der Militarismus verlangt sein Recht und besteht au� seinem Schein. Die anderthalb Jahre, die Mohrmann unschuldig im Zuchthaus gesessen hat, die iverden ihm wohl als eine Art Erholungsurlaub angerechnet werden.— Karlsruhe ,■ 6. Juli. (Eig. Bericht.) Eine eigenthümliche oppositionelle Vertretung auf das Rathhaus, die auch eines humoristischen Beigeschmacks nicht entbehrt, wurde letzte Woche in der internationalen Bäderstadt Baden-Baden gewählt In der dritten Wählerklaffe gingen der Freisinn und die Ultra montanen gemeinsam vor und errangen über die National liberalen den Sieg. Unter den Gewählten der„Opposition" be finden sich ein Hof bäckermeister, H o f schuhmacher, Hof bildhauer, Hof- Schirmfabrikant, Hof wurstler, und ein Hofglaser. Mit einer solch„höfischen" Opposition wird sich gut regieren lassen. Schade, daß der„berühmte" badische Landtags-Abgeordnete Muser nicht in Baden wohnt � es wäre dann neben dem Hofwurstler auch»och ein Hofdemokrat gewählt worden. Genosse Lutz brachte es als höchster nur au- 53 Stimmen, die anderen Genossen erhielten noch weniger Stimmen.— Oesterreich-Ungavn. Wien , 7. Juli. Der„Neuen Freien Presse" zufolge kündigen übereinstimmende Meldungen aus Lemberg an, der R e> ch s r a tfh solle im September aufgelöst und die Neuwahlen alsdann sofort ausgeschrieben werden, damit das neue Parlament so bald wie möglich den Ausgleich mit Ungarn berathen könne Die Deutschnationalen im böhmischen Bezirk E g e r beschlossen, bei den Reichsrathswahlen den bekannten Bismarck schwärmer und Antisemiten Georg Schönerer als Kandidaten aufzustellen. Norwegen . Christiania , 3. Juli. Wie verlautet, hat der Staatsrath beschloffen, einen Gesetzentwurf einzubringen, behufs Konversion der Staatsanleihe von 1386, welche etwas über 39 Millionen Kronen beträgt. Das St orthing bewilligte heute 115 999 Kronen für die Theilnahme Norwegens an der im Jahre 1397 in Stock- Holm stattfindenden Ausstellung. England. London , den v. Juli.(E ig. B e r.) Das Schulgesetz mit Krach erlegen und das Gesetz für die Befreiung der Grund besitzer von 59 pCt. der Lokalsteuern mit Glanz durchgegangen— das ist die Signatur der jetzt ihrem glücklichen Ende entgegen gehenden Session. Mit 152 Stimmen Mehrheit— 292 gegen 149 Stimmen— ist am Mittwoch die dritte Lesung des Gesetzes über die Steuervera nlagung.d es landwirthschaftli che» Besitzes vom Unterhause genehmigt worden, um im Haus der Lords eine noch liebevollere Behandlung, eine noch glänzendere Mehrheit zn finden. Die Liberalen haben dem Gesetz nach Möglichkeit Widerstand entgegengesetzt, sogar eine Nachtfitznna herbeigeführt, aber ohne irgend welche nennenswerthe Verbefferung zu erzielen. Nicht einmal ihr Antrag, solche», in der Nähe von Städten gelegenen Grundbesitz von der Entlastung auszunehmen, der wenn auch nominell ländlichen Distrikten zugehörig, doch thatsächlich schon städtischen Charakter hat, d. h. Baugrund für städtifche Bevölkerungen bildet— nicht einmal dieser bescheidene Antrag fand vor der konservative» Mehrheit Gnade. Der Grundbesitz wollte seine Entschädigung für die Harcourt'sche Sleuergesctze von 1394 in's Reine bringen, und so ward alles niedergestinunt, was dazu führen konnte, die zu unterstützenden„Landwirthe" etwas genauer in Augenschein zn nehmen. Ob ertragsreicher oder ertragsarmer, in der Nähe eines guten Marktes oder fern von solchem gelegener Boden— es wird alles unterschiedslos unterstützt. Und das angesichts eines a>n Finanzhimmel immer deutlicher abzeichnenden Defizits. Ich will nicht übertreiben, aber daß die Bill ein böses Stück Klassengesetzgebung darstellt, steht außer allem Zweifel. Wahrscheinlich um den schlimmen Effekt, den die Bill selbst bei vielen Parteigängern der Regierungsmehrheit hervorgerufen, etwas abzutönen, hat die Regierung eingewilligt, die längst schon fällige Erweiterung des Gesetzes über den ohlenbergwerks-Vetrieb noch in dieser Session zur Verabschiedung zu bringen. Es handelt sich, wie der„Vorwärts" schon berichtet, hauptsächlich um die Durchführung von Schutz- maßregeln gegen die Explosionsgefahr durch Kohlenstaub- An- sgmmlungen(Fürsorge für Feuchthaltung der Gruben, zweckniäßrge Aenderung der Ventilationseinrichtungen, Verbot gewisser Explostonsftoffe:c.) Bereits die abgetretene Regierung hatte eine Abänderungsvorlage zum Berggesetz ei» gebracht, welche dahingehende Vorschriften enthielt, aber mehrere Paragraphen derselben hatten Widerspruch von feiten der Jnter- essenten erfahren. und darüber war die Auflösung des Parla- ments erfolgt, womit die Bill selbst zu den Tobten geworfen war. Dann hatte die konservative Regierung eine ähnliche Bill eingebracht, und auch diese erfuhr Widerspruch und wäre jeden- falls in dieser Session gescheitert, wenn sich nicht die Regierung im letzten Moment entschlofsen hätte, alle streitigen Paragraphen über Bord zu werfen und nur die Vorschriften stehen zu lassen, die sich auf den Schutz gegen Explosionen beziehen. Diese Vor- schriften selbst fanden allgemeine Zustimmung im Haufe und werden denn auch mit wenigen untergeordneten technischen Aen- derung?» Gesetz werden. Ein bezeichnender Zug des Gesetzes ist, daß es eine große Macht der Initiative in die Hand des jeweiligen Staatssekretärs des Innern legt. Soweit sich Opposition dagegen erhob, kam sie aus den Reihen der Konservativen, während Herr Asquith und andere Liberale— darunter die Bergarbeiter-Abgeordneten— sehr entschieden für diese Stärkung der Staatsgewalt«intraten. Diese Verschiebung in der Stellung der Parteien zum Staat entspricht indeß durchaus der sich vor unseren Augen in allen demokratischen Ländern vollziehenden Entwickelung, die an die Stelle der Regierung über Menschen die Verwaltung von Sachen bringt. Das Staatssekretariat des Inner» wird von Jahr zu Jahr mehr Ministerium der Arbeit in England. London , 6. Juli. Im Unterhause crklüfcte Curzon, das Rech: der türkischen Behörden, die Verbreitung von Zeitungen in der Türkei zu beschränken, werde von den französischen wie den anderen ausländischen Postämtern ebenso wie von der britischen Postvcrwaltung im Prinzip anerkannt; gleichzeitig jedoch behalte sich die britische Regierung in Gemeinschaft mit anderen Regierungen ein Recht der Diskretion in Fällen vor, wo das von der Pforte verlangte Verbot offenbar unbillig erscheint. Die Regierung sei darüber im Meinungsaustausche mit dem britischen Bolschaiter begriffen. Ferner erklärte Curzon, die britische Regierung werde bereit fein. die Ansprüche britischer Unterthanen infolge von Verlusten an Solawechseln und anderen Wechseln während der jüngsten Ruhestörungen in Kleinasien der Pforte zu unter- breiten, falls nachgewiesen werden könne, daß die Ansprüche gut begründet und von der Art seien, daß die türkische Regierung dafür ausreichend verantwortlich gemacht werden könne.— Der Staatssekretär des indischen Amtes Hamilton beantragte eine Resolution, welche bestimmt, daß die indische Re- gierung die gewöhnlichen Kosten der nach Euakin gesendeten indischen Truppen tragen soll. Er erklärte, die Kosten bezifferten sich auf etwa 5990 Pfd. monatlich, der indische Rath habe in die Zahlung bis Ende Dezember gewilligt; sollten Truppen über jenes Datum hinaus gebraucht werden, dann werde die Sache von neuem er- wogen iverden müssen. John Morley bekämpfte den Antrag durch einen Unterantrag, in welchem erklärt wird, es sei un» zweckmäßig, Indien die Kosten aufzubürden. Der Antrag Morley's wurde abgelehnt, der Regierungsantrag a n g e n o m m c n.— Mit der Untersuchung der Angelegenheit der Chartered Company wird voraussichtlich ein Ausschuß des Unterhauses betraut werden, dem neun Unionisten und sechs Liberale, darunter Harcourt, Labouchere und Dilke, angehören werden. Chamberlain ist für den Vorsitz in Aussicht genomnien, die Untersuchung wird aber erst im Januar, wenn das Parla- ment wieder zusammentritt, beginnen. Dann hat ja Rhades wieder eine recht achtbare Frist erhalten.— Frankreich . Paris , 6. Juli. In der Deputirtenkammer wurde die Be- rathung über die Reform der direkten Steuern wieder aufgenommen. Das Haus ist schwach besetzt. Bei Artikel 1 befürworten mehrere Redner eine Gegenvorlage, nach welcher das Staatsmonopol der Rektifikation des Alkohols eingeführt werden soll, dessen Etrag die direkten Steuern ganz oder theil- weise ersetzen würde. Der Finanzminister Cochery erwidert«, die Verwaltung sei mit dem Studium der Frage beschäftigt und werde, sobald diese Arbeiten beendigt seien, eine hierauf be- zügliche Vorlage einbringen. Hierauf wurde die Gegenvorlage zurückgezogen. Pelletan trat für die von Doumer eingebrachte Gegenvorlage«in, nach welcher eine allgemeine Einkommensteuer eingeführt werden soll, wie sie von der Kammer zur Zeit des Kabinets Bourgeois bewilligt worden war. Pelletan bemerkte. diese Steuer habe nichts.Revolutionäres an sich, da sie beinahe in ganz Europa bestehe. Pelletan führt« aus. daß die projektirte Wohnungstaxe den Armen viel schwerer belaste als den Reichen. Für den Armen repräsentire dieselbe ein Fünftel des Einkommens, während der reichste Steuerträger Frankreichs , dessen Einkommen 24 Millionen betrage, nur ein Zweihundertstel des Einkommens bezahlen würde. Nach dem deutschen Einkonnnensteuer-Gesetz zahlten die Frankfurter Roth- schilds 399 999 Franks jährlich, während die reicheren Pariser Rothschilds nach dem Projekte des Finanzministers Cochery 16 999 Franks zahlen würden. Die französische Demo- kratie sei also genöthigt, sich Beispiele der Gerechtig- keit jenseits des Rheins zu suchen.(Beifall links.) — In der Kammer scheint das Bestreben sich geltend zu machen, die Erörterung über die Steuervorlage des Finanz- Ministers Cochery auf die nächste Tagung zu verschieben, und dies um so gnehr, als selbst in dem Falle, wenn das Gesetz noch vor dem 31. Dezember zu stände käme, es wegen der lange Zeit erfordernden Herstellung der neuen Steuerlisten und wegen der unsicheren Ergebnisse des ersten Versuchs noch nicht im Januar 1897 würde zur Anwendung kommen können.— Der Ministerpräsident Meline wird morgen eine große Rede zur Be- kämpfung des Gegenantrages Doumer's halten.— Italien . Rom , b. Juli.(Eig. Bericht.) Das M i n i st e r i u m d i R u d i n i hat nach mehrtägiger Debatte über das Budget der auswärtigen Angelegenheiten vom Abgeordneten- hause mit beträchtlicher Majorität ein Vertrauensvotum erhalten. Die Opposition, welche wesentlich in dem in der Kammer noch immer nicht unbeträchtlichen Anhang Crispi's besteht, war von vornherein dadurch geschwächt, daß sie den Erklärungen der Minister über die Alliance mit den beiden deutschen Mächten und über das Freundschastsverhältniß mit England eingestandener- maßen nur zustimmen konnte und sich daher darauf beschränken mußte, die Personen der Minister anzugreifen. Die von di Rudini im Laufe der Debatte gelegentlich gethane Aeußerung, daß die Allianceverträge mit de» deutschen Mächten verbesserungsfähig seien, hat im Auslände, wohl infolge un- genauer telcgraphischer Berichte eine erweiterte Auslegung er- halten; von der Absicht, Abänderungen an diesen Verträgen zn beantragen, hat der Minister schon deshalb nicht sprechen können, weil die Verträge erst kürzlich bis zum Jahre 1903 verlängert worden sind. In der Kammer halte die Bedrohung der Regent- schaft Tripolis durch Frankreich Anlaß zu der Anfrage gegeben, ob Italien gegen diese das Gleichgewicht der Interessen am Mittelmeere bedrohenden Absichten auf den Beistand seiner Verbündeten werde rechnen könne». Der Minister des Auswärtigen antwortete, daß die Integrität der Regentschaft Tripolis einen Theil der Integrität des türkischen Gebietes bilde und insofern dem europäischen, nicht dem afrika - nischen Völkerrecht« angehöre; er behauptete also kein« beson- dere Verpflichtung Preußens und Oesterreichs zur Aufrecht- erhaltuug des gegenwärtigen Zustandes in Tripolis , sondern eine allgemeine Verpflichtung aller Pariser Verlragsmächte. Die Debatte über die auswärtigen Angelegenheiten hat übrigens die "*olge gehabt, daß eine Spaltung in der äußersten Linken der ammer eingetreten ist. Einige ihrer Mitglieder, dsreu Steckenpferd von jeher der Jrredentismus, d. h. die Beanspruchung der italienisch redenden Gebietstheile Oesterreichs für das König - reich Italien gewesen ist, traten aus der Partei aus, als diese sich nicht wegen der Erklärungen der Minister zu gnnsten des Dreibundes dazu bestimmen lassen wollte, gegen das Ministerium mit dem Anhange Crispi's gemeinsame Sache zu machen. Die Ausgetretenen sind Jmbriani und der Tricstiner Emigrant Bar- zilai, während Cavallotti und die Mehrheit der Partei für das Ministerium stimmten. Inzwischen bat, nach einem mißlungenen Obstruktionsvcrsuch von feiten der Crispinianer, die Diskussion über die Vorlagen zu gunsten Siciliens begonnen, di« voruys- sichtlich noch vor den Parlamentsferien angenommen werden dürsten. Ob auch die Mililärvorlagcn Ricotli's, durch welche das italienische Heer um die vierten Kompagnien verringert werden soll, vor dem Schluß des Parlaments zur Diskussion ge- langen, ist noch immer zweifelhast. Parma , 7. Juli. Eine Polizeipatrouille stieß heute Nachi auf einen gewissen C a s s i n e l l i, der dem(von Crispi zur Bekämpfung des Sozialismus erdachten) Ueberwachungs- g e s e tz e unterstellt ist, und wollte denselben weg«n Uebertretung dieses Gesetzes verhaften. Zahlreiche Personen ergriffen jedoch für Cassinelli Partei und wandte» sich gegen die Schutzleute. In dem hieraus entstandenen Handgemenge wurde Cassinelli durch einen Revolverschuß getödtet. Die Menge verfolgte die Wachleute und machte einen Angriff auf die Polizeikaserne. deren Thor eingeschlagen wurde. Als die Polizisten sich der Uebermacht gegenüber sahen, gaben sie Feuer und verwundeten Personen. Nach Ankunft von weiteren Polizeibeamten und Militär wurde die Ordnung wieder hergestellt. Der Leichnam Cassinelli's wurde von der Menge in langem Zuge durch die Stadl und dann nach dem Friedhofe gebracht. Spanio«. Madrid , 7. Juli. Ein« Gruppe von 49 Senatoren be- chloß, den Gesetzentwurf betreffend die S u b v e n t i o n der Eisenbahnen energisch zu bekämpfen. Der Senat ernanute eine Kommission, welche diesen Entwurf vorberathen soll. Die Mitglieder dieser Kommission stehen sämmtlich dem Entwurf günstig gegenüber. Die für die Vorberathung des Gesetzentwurfs eines Handelsvertrags mit Deutschland eingesetzte Kommission ist dieser Regierungsvorlage ebenfalls günstig gestimmt. In der Ortschaft V i l l a l o n g a, Provinz Tarragona , griffen Landleute die Gendarmerie an, welche das Wasserreservoir besetzt hielt. Schüsse wurden gewechselt, und einige Personen verwundet.— Der Grund für diesen Krawall X
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