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Morgenausgabe

Jr. 593

A 298

Coulton mi Todo

48.Jahrgang

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Der Borwärts" erfcheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal die Abendausgabe für Berlin und im Sandel mit dem Titel Der Abend", Juustrierte Sonntagsbeilage Bolt und Zeit".

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Sonnabend 19. Dezember 1931

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einipalt. Ronpareillezetle 80 31. Rellamezeile 5,- Rin Kleine An. zeigen das fettgedrudte Wort 25 Pf. ( zulaffig zwei fettgedruckte Borte). jebes meitere Wort 12 Pf. Rabatt It. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Bi. jedes meitere Wort 10 Bt. Worte fiber 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 B1 Familien onzeigen Zeile 40 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen. täglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

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Pfrimer freigesprochen!

Das Urteil der Grazer Heimwehr Geschworenen .

Graz , 18. Dezember.( Eigenbericht.)

Im Grazer Hochberratsprozeß wurden Pfrimer und die übrigen fieben Angeklagten von der Anklage des Hoch rerrats freigesprochen. Der Staatsanwalt war energisch für die Verurteilung eingetreten. Als im Zuhörerraum rach der Verlesung des Urteils Beifall laut wurde, ber bot cs der Vorsitzende.

Schwindel von Schuhbundüberfällen auf harmloje Heimwehr­züge, um die Faschistentruppen schwer bewaffnet in Marsch zu fehen. Pfrimer hat offen zugegeben, einen solchen Schwindel verübt zu haben, um die Mobilisierung feiner Truppen ju rechtfertigen.

Die unter Heimwehrleitung stehende steirische Gendarmerie hat dem Butsch mit liebenoller Dulbung zugesehen, der christlichsoziale Landeshauptmann hat die Butschisten beraten und gefördert. Nicht auf ihn, sondern auf die Regierung in Wien war bas Aufgebot des Bundesheeres zurückzuführen, das durch Grazer Sabatage auch noch stundenlang verzögert murde.

Der Grazer Staatsanwalt war gegen die Heimwehrfreundlich teit der Geschworenen machtins.

Auch in Deutschösterreich hat der Heimwehrfaschismus unter der geistesverwirrenden Massennot start überhand genommen; ist jo im Sommer 1930 sogar ein jugendlicher, hocharistokratischer Schimpfbald, der breizehnfache Schloßbefizer Rüdiger Stat hem berg aus Oberösterreich . zum Innenminister im Kabinett des Wehrministers Baugoin ernannt worden und hat zugunsten der fchmerbewaffneten Heimmehr die Staatsmacht auf Waffenfuche in die Arbeiterheime, Konsumvereine und Sozialdemokratischen Sekretariate schiden können. Im Keller des Wiener Parteihauses wurden Mauern durchbrochen, dem Arbeiterschüßenbund wurden die Scheibenstutzen weggenommen und auch nach der Beseitigung des Ministeriums Baugoin- Starhemberg durch den Bolksentscheid für die demokratische Republik in der Barlamentswahl vom 9. November 1930 ließ Baugoin im Keller des Wiener Arsenalsmäßigkeit 9. November 1930 ließ Baugoin im Keller des Wiener Arsenals nach Waffen groben, was so fachmännisch vorgenommen wurde,

daß ein Sappeur den Tod fand. Die Hoffnung auf einen falchistischen Umfturg in Deutschland ließ die stelerischen Heimwehr führer im letztverwichenen September losschlagen. Dreifozial­demokratische Arbeiter fielen Faschistenkugeln zum Opfer, mehrere andere, aber auch staatliche Berwaltungsbeamte, chriftlich­foziale und landbündlerische Abgeordnete und Bürgermeister famen mit mehrständiger Einsperrung davon. Eine Anzahl Arbeiter­mohnungen, Arbeiterheime und Kinderhorte maren scharfer Be fchießung aus Maschinengewehren ausgefeßt. Der Heimwehrführer Dr. Pfrimer ließ Proflamationen anschlagen, in denen er die Verfassung als aufgehoben, die Beamten ihres Eides entbunden und sich selbst zum Inhaber der staatlichen Macht er. flärte. Straßensperren wurden eingerichtet, Patrouillen ausgefandt, geradezu der Kriegszustand eingeführt.

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Der Sput war aber bereits zwölf Stunden später zerstoben. frimer flüchtete nach Südslavien, konspirierte in München mit Hakenkreuzlern und lehrte schließlich, mit falschem Bart versehen, aus Südslawien zurüd, um sich dem Gerichtsverfahren zu stellen. Sollten ihn beruhigende Verficherungen über die Zusammenfeßung des Schwurgerichts dazu bestimmt haben?

Während man noch vor kurzem die Albaner, die das Attentat an der Wiener Oper auf den König 3ogu verübt hatten, dem zuständigen Schwurgericht Wien entzog, um sie vor die bauer­lichen Geschworenen des oberösterreichischen Ried zu stellen und ihrer Verurteilung sicher zu sein, hat man den Heimwehr­prozeß dem Grazer Schwurgericht gelaffen, obwohl sicher war, daß die Geschworenen aus dem stark ländlichen Gerichtssprengel zum großen Teil unter der ständigen Beeinfluffung und dem scharfen Terror der Heimwehrfaschisten stehen.

Ben den 34 Geschworenen, aus denen die zwölf Volksrichter für diese Verhandlung auszulosen waren, gehören nicht weniger als 14 der Heimwehr an; die ausgelosten zwölf waren durchweg Bürger und Bauern, die Freisprechung der Butschisten überrascht nicht, fie mar bereits angekündigt

Diefes Urteil muß als eine Billigung des Putsches zu seiner Wiederholung, womöglich in größerem Maßstab, ermuntern. Gegen ein Schwurgerichtsurteil steht der Anklagebehörde mur das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zur Verfügung, die aber nur auf Formfehler des Gerichts oder diesen Umständen ist es faum wahrscheinlich, daß dieses Urteil auf unrichtige Gesezesanmendung geftügt werden fann. Unter wieder außer Kraft gefeßt werden wird. Die Zweifel an der 3med: mäßigkeit reiner Schwurgerichte in politischen Prozessen erhalten neue Nahrung.

Diejenigen, die Deutschöfferreich als demokratische Republik auf­recht erhalten wollen, die nicht das Land dem Bürgerkrieg und vielleicht auch ausländischer Einmischung ausfehen wollen, werden nun, wohl ohue Aufschub mit sich zu Bate gehen müssen, ob nicht eine Sondergefchgebung gegen Pulschisten am Blake ist. Das Grazer Urteil wird zu einer Probe darauf merden, ob die am 9. November 1930 zur Aufrechterhaltung der Demokratie ge­wählte Parlamentsmehrheit den Willen ihrer Wähler erfüllen will,

Staatsmacht versagt Gelbstschutz!

Wien , 18. Dezember( Eigenbericht.) Im Nationalrat stand eine sozialdemokratische dringliche An. frage megen der Schießerei in Boitsburg zur Debatte. Es tam zu stürmischen Szenen.

Innenminister Winkler verlas einen Bericht des Grazer Landeshauptmanns, der die Gendarmerie für unschuldig er tlärt. Als dann Dr. Deutsch( S03.) sprach, die Heimwehr vor einem neuen Butsch warnte und das Verschulden der Gendarmerie an den Vorkommniffen in Boitsberg darlegte, tobten die Heimwehr abgeordneten, von denen einer in die Tasche griff unt einen Gegen stand hervorzog, der für einen Revolver gehalten wurde. Sozialdemokraten stürzten auf die Heimwehrabgeordneten, worauf Bräsident Dr. Renner die Sigung unterbrach und sich zwischen die streitenden Gruppen begab. Bürgerliche Abgeordnete erflären, daß der Gegenstand, den der Heimwehrabgeordnete hervorzog, wahrscheinlich ein Schlagring gewesen sei.

Heimwehrprovokation im Nationalrat.

Wien , 18. Dezember.( Eigenbericht.) Der fozialdemokratische Parteivorstand hat einen Aufruf er laffen, in dem er feststellt, daß ein klaffengericht die Neben dem Bfrimer faßen auf der Unflagebant eine Anzahl angeklagten Butschiften freigesprochen hat. Nicht ein einziger taiferlicher Offiziere und sonstige prominente Herren". Arbeiter habe auf der Geschworenenbant gesessen. Dann heißt Sie schwenften vor den Geschworenen eifrig den roten es weiter: Diese Republif ist verraten und verkauft Lappen des Bolschemistenschreds. Deutschösterreich ist von denjenigen, denen ihre Sicherung anvertraut ist. Wir ver­ein Land von scharf ausgeprägtem Klassengegenstehen eure Gefühle und deshalb mahnen wir euch, auch angesichts faß. Zwar hat die feit dem Zusammenbruch herrschende Demo- diefer aufreizenden Tatsache eure faltblütige Besonnen fratie die Sürgerlichen Barteien erkennen lassen, daß die Sozialbeit zu wahren. Der Berrat vom 13. September ist unbestraft demokratie an der Demokratie unbedingt festgeblieben. hält und nur durch Gewinnung der Bolts- und Parlamentsmehr geblieben. Deshalb rüsten die Aristokraten und Kapitalisten zu heit ihre Ziele durchzusehen strebt. Aber wir sehen es ja auch in anderen Ländern:

Gerade die Austragung der widerstreifenden Interessen auf dem Boden des demokratischen Parlaments mit ihrer natürlichen Schließung von Kompromiffen ist den rücksichtslosen Scharf­machern auf den Tod verhaßt, da es ihnen nicht um Ausgleich, fondern um schraufenlose Kapitalsherrschaft geht.

Den werttätigen Klaffen soll um jeden Preis geraubt werden, was ihr Aufstieg zur politischen und wirtschaftlichen Macht, zur Bildung und Kultur und was der Zusammenbruch der Monarchien nach dem Weltkriege als viel zu geringen Ausgleich für die ungeheuren Opfer dem Bolf gebracht hat. Um aber auch noch bemokratisch empfindende Bürgerschichten dafür zu gewinnen, muß man die Arbeiterbewegung als rauberife, als 3erstörerin aller Kultur hinstellen. Kann man das nicht durch Anführung von Saten und Programmen her Arbeiterbewegung beweisen, so er findet man irgendeinen

einem neuen Butsch. Darauf, daß der Staatsanwalt die Republik verteidigen wird, können wir uns nicht mehr ver­lassen. Wir werden unsere Freiheit das nächste Mal selbst verteidigen müffen. Die Vorbereitungen unferer Abwehr schleunigst zu vollenden, das muß unsere Antwort auf das Urteil von Graz und auf die Schiffe von Boitsberg fein!"

Nach Wiederaufnahme der Sigung erteilte Präsident Renner eine Menge Ordnungsrufe. Abg. Deutsch ( Soz.) begann dann weiterzusprechen. Es tam jedoch zu neuen Lärmfzenen. Die Glode des Präsidenten blieb unbeachtet. In einer kurzen Lärmpause schloß Dr. Deutsch seine mit lautester Stimme in den Saal gerufene Rede unter ftürmischem Beifall seiner Parteifreunde mit den Worten: Die Sozialdemokraten müssen sich gegen die Pläne der Heimwehr und der Habsburger Freunde mehren; denn es geht um die Breiheit Dann ist Gewalt gegen Gewalt nicht nur moralisches Recht. fendern sittliche Pflicht

Die Untmort des Heimatblods mar ein Stonzert mit Triller. pfeifen.

Borsig und Deutschland .

Zum finanziellen Zusammenbruch der Borsigwerke.

Vor acht Tagen ist Ernst von Borsig , neben seinem wenig hervortretenden Bruder Konrad der Leiter und Besizer des Borsigkonzerns, von der Präsidentenschaft in der Bereinigung der Deutschen Arbeitgeber­verbände zurückgetreten. Gestern haben die Borsigwerfe ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt. In diesen beiden Tatsachen ist ein Kreis umschlossen, der nicht nur die be teiligten Arbeiter und Gläubiger, nicht nur die deutsche Wirts schaft, sondern Deutschland im ganzen angeht.

Die Welt wird aufhorchen bei der Nachricht, daß die Borsigwerfe ihre Zahlungen einstellen mußten. Wer von der heute lebenden Generation der internationalen Finanziers und Wirtschaftsführer das Deutschland der Vorkriegszeit ge­fannt hat, für den war der Name Borsig ein Repräsentant der wirtschaftlichen und finanziellen Großmacht, die Deutsch­ land einst war und auch des wirtschaftlichen Imperialismus, den Deutschland wie alle anderen Großmächte der Welt auf der Grundlage feiner finanziellen Macht in der Borkriegszeit betreiben konnte. Neben dem Kanonenkönig Krupp wor der Lokomotivenfönig Borsig im Auslande der bekannteste Vertreter der deutschen Wirtschaftsmacht. Wo die deutschen Techniker Eisenbahnen zu bauen begannen, da folgte den Großbanken Anleihen im Auslande begaben und deutsche Anleihen und den technischen Projekten sehr bald die Borsig­Lokomotive. So wird die Zahlungseinstellung der Borsig­merte im Auslande wie ein neues Fanal für den schweren Fall wirken, der Deutschland durch den Berlust des Welt­frieges und durch den Unfug seiner Beendigung durch er­drückende Reparationen erlitten hat. Das Ausland wird daran erinnert werden, daß es bei den jeßigen Stillhalte verhandlungen in Berlin und Basel und bei den kommenden Reparationsverhandlungen im Januar nicht nur um Ge­fchäfte und Profite, sondern um das Schicksal eines großen Staates geht, auch wenn dieser Staat nicht mehr wie früher ein großer Gläubiger der Welt ist, wie einst, sondern nur ein großer Schuldner.

Nun war in Deutschland der Glanz des Namens Borsig freilich schon lange verblaßt. Nicht nur, weil neue Technik und neue Wirtschaftsmächte Borsig in den Schatten trefen ließen. Die beiden konservativen und schlaff gewordenen Erben des Wirtschaftspioniers August Borsig, der nur ein 3immergefelle war, hatten sich zur limfstellung und Leitung des früher 15 000 Menschen beschäftigenden Borsigkonzerns nicht als fähig erwiesen. Aber der Name Ernst von Borsig war im Nachkriegsdeutschland ein Programm geblieben. Ernst von Borsig repräsentierte jenes deutsche Unternehmer­tum, das aus dem politischen und wirtschaftlichen Wandel seit dem verlorenen Weltfriege nichts gelernt hat. Ernst Don Borsig war bis vor wenigen Tagen der erste Präsident der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Der gute persönliche Wille und die persönliche Anständigkeit, der Borsigs brauchten nie bezweifelt zu werden. Aber in der Republik , die durch die Verfassung die Gleichberechtigung der Arbeiter mit den Unternehmern grundsätzlich auch in wirts schaftlichen Dingen garantiert, versuchte Ernst von Borsig das deutsche Unternehmertum in dem völligen ungeist eines welt­fremden Patriarchentums zu erhalten und zu lenfen, das den Arbeitern, Angestellten und Beamten die gleichberechtigte fämpferische Wahrnehmung ihrer Interessen verübelte und als persönliche Beleidigung des Unternehmers empfand.

Ernst von Borsig mer so in Deutschland der Repräsentant eines Regierens gegen die Arbeiterschaft; er hat noch im Jahre 1931, als ob es feine siebzigjährige Ent­wicklung zur Demokratie in Deutschland gegeben hätte, die patriarchalische Werksgemeinschaft an die Stelle des Arbeits­rechtes segen wollen. Der Ungeist der schwerindustriellen Scharfmacher von der Ruhr und der Ungeist Ernst von Borsigs waren dasselbe und waren zur politischen und fozialen Niederhaltung der deutschen Arbeiterschaft aus Wahl­verwandtschaft verbunden.

Ernst von Borsig hat nie verstanden, daß mit dem Wandel vom individualistischen zum organisatorischen Kapi­talismus auch ein Wandel in den Machtverhältnissen der Klassen zueinander beschlossen war, der in Gesetz und Ver­fassung Ausdrud finden mußte und gegen den eine reaktio­näre Führung der Unternehmerschaft nur zum Nachteil der Wirtschaft und zum Nachteil des ganzen Volkes sich aus­mirten mußte. Mit großer Symbolkraft muß deshalb die Tatsache wirken, daß es beim Aufstieg der Borsigwerke im Jahre 1848 Borfigs Maschinenbauer waren, die Barrikaden bauten und nerteidigten und daß der