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Är. SS? 48. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Dienstag, 22. Dezember 4924

Die Fleischration des Berliners Rückgang des Konsums, Steigen der Arbeitslosenziffer!

BJenu man In einer Statistik Nest, daß jeder Berliner im ZaHre 72,3 Silogramm Fleisch verbraucht und wenn man auf der anderen Seite in leere Fleischerläden blickt, so fragt man sich, wie denn diese auffallende, dem Augenschein offen- sichtlich widersprechende Zahl errechnet werden konnte. Da sei denn zur Richtigstellung eines nicht zutreffenden Bildes, das der aus dem Papier errechnete Fleischverbrauch geben könnte, gleich darauf hingewiesen, daß in diesen Zahlen auch der Massen- verbrauch in den Berliner Gaststätten eingerechnet ist, der nament- lich durch den starken Fremdenverkehr bedingt ist. Wir wissen leider viel zu genau, daß gerade in Berlin mit semer großen Arbeitslosigkeit in unendlich vielen Familien von einem jährlichen Fleischverbrauch von auch nur annähernd 72 Kilo Fleisch pro Person nicht die Rede sein kann. Die Zahlen, die aus den Schlachtungen und dem Biehauftrieb errechnet werden, stehen nur allzu oft mit der rauhen und trüben Wirklichkeit im Widerspruch. Es läßt sich eben nicht feststellen, wohin im einzelnen die Fleischmcngen in Berlin abwandern! Ziffern, die ungeheuerlich wirken. Lon dem Riesenverbrauch Berlins an Fleisch gewinnt man einen annähernden Begriff, wenn man das Gesawtschlachlgewichk der 2% Millionen zählenden Schlachltiere Schweine, Rinder, Kälber, Ziegen, Schafe und Pferde feststellt. 120 Millionen Kilo wogen allein die Schweine, 32,3 Millionen Kilo die Rinder, 14,2 Millionen Kilo die Kälber, 11,3 Millionen die Schafe und Ziegen und 1,8 Millionen Kilo die Pferde. Hinzu kommen die Zufuhren von Fleisch und Wurstwaren von auswärts, die jährlich rund 82 Millionen Kilo betragen. Ein Kapitel für sich bildet das Ge- srierfleisch, besten Einstihr gesperrt ist, wodurch allein an dem ver- Willigten zollfreien Gefrierfleisch ein Ausfall von jährlich 19 Millio- Ben Kilo auf den Berliner Märkten entsteht. Dieses billige Fleisch war für die minderbemittelte Bevölkerung ein ganz wesentlicher Faktor in ihrer Ernährung, und keine Stadt Deutschlands ist durch die Sperre des Gefrierfleisches so stark betroffen worden wie Berlin . Die Preisausgleichsversuche zwischen Frisch- und Gefrierfleisch haben für die Mäste der Bevölkerung wie die Fachleute der städtischen Verwaltung schon vorher sagten keine Verbilligung gebracht.» Billiges Fleisch wird verlangt! Für die Bersiner Verhältnisse ist bezeichnend, daß von den Kunden in der Hauptsache aus der schweren Wirtschaftslage heraus das Billigste vom Billigen verlangt wird. Ein Sinken der F l e i s ch p r e i s e im Großhandel ebenso wie im Kleinhandel kann nicht bestritten werden. Einige wenige Beispiele mögen dies be- legen: Nach Reichspfennigcn je Pfund sank das Schweinetotelett

in Berlin vom Januar bis zum Oktober 1S31 von 120 auf 107, Bauch von 92 auf 80, Dickbein von 89 auf 74. Die gleichen Ziffern lauten bei Rindfleisch: Brust 112 zu 87, Gehacktes 97 auf 82, Kalbs- keule 133 zu 130, Hammelfleisch, gewogener Durchschnitt, 130 zu 103. Gleichwohl muß aber leider immer wieder gesagt werden, daß die Kaufkraft der Massen in sehr viel höherem Maße zurück- gegangen ist. Das spüren auch die Fleischermeister, und ihre Klage geht hauptsächlich dahin, daß der Verbrauch von Qualitätswaren eine außerordentliche Einbuße erlitten hat. Fleisch ist keine Dauer- und Lagerware, und so geht selbstverständlich auch das Angebot von Qualitätsware stark zurück, wenn wir von Stadtvierteln ab- sehen, in denen die verhältnismäßig geringe Zahl von heute noch Begüterten wohnt. In den Kreisen der Fleischermeister wird zudem auch über die Qualität des aufgetriebenen Viehs geklagt. Man will dies auf die hohen Futermittelzölle und die dadurch hervor- gerufene Unmöglichkeit zurückführen, erstklassiges Bieh großzuziehen. Wie weit das richtig ist, das festzustellen ist selbstverständlich an Hand rein Berliner Ermittlungen schwer. Ein Geschäftsrückgang im Berliner Aleischkleinhandel ist unbestreitbar. Die Zahlen vom Januar 1931 und vom Oktober 1931 weisen einen Umsatz im Werte von 40,1 Millionen Mark aus der einen und von 33,8 Millionen Mark auf der anderen Seite auf. Die Folge: Wachsen der Arbeitslosigkeit. Eine der schlimmsten Auswirkungen dieses Zustandes ist die erschreckende Zunahme der Arbeitslosigkeit bei den Angestellten männlichen und weiblichen Geschlechts im Berliner Fleischergewerbe. Wer vor drei Jahren und wer jetzt die Räume der Ortsverwaltmig des Verbandes der Lebensmittel- und Getränkearbeiter in Berlin betrat, merkt diesen Unterschied. Vor etlichen Jahren noch spürte man die Pein der Arbeitslosigkeit gerade in diesem Berufszweig verhältnismäßig wenig. Heute ist das ganz anders geworden, heute werden durch Sorge und Not, durch Verlangen nach Hilfe und Unterstützung unendlich viele gezwungen, hier Rat und Schutz zu fordern. Lasten wir Zahlen sprechen: An der Jahreswende 1928 waren 1044 Fleischergesellen und 39 Verkäuferinnen arbeitslos. Ende 1929 zählte man in Berlin 1753 arbeitslose Gesellen und 172 arbeitslose Verkäuferinnen. Die letzten Stichzahlen vom 1. Oktober 1931 berichten von 3245 arbeitslosen Gesellen und 479 arbeitslosen Verkäuferinnen. Das bedeutet Steigerungen um rund das Dreifache oder bei den Verkäuferinnen um rund das Zwölffache. Zahlen sprechen, und diese Zahlen reden eine harte Sprache. Der Einblick in die Verhältnisse in ein einzelnes Berliner Gewerbe gestattet einen Rückschluß auf die allgemeine Not. Möge dieser Rückschluß gezogen werden!'

Das Glücksrad im Gewerkschastshaus. Ziehung der Arbeiter-Wohffahrtsktterie. Millionen Gedanken und Hoffnungswünsche begleiten Frau Fortuna, die da in einem Saal des Gewerkschaftshaufes an der Los- trommel steht und unermüdlich Zahlen verkündet, Zahlen, die vielen eine kleine, manchen sogar eine ganz große Festesfreude bereiten werden: Gewinne der diesjährigen Arbeiterwohlfahrtslotterie. Mauschenstill ist's im großen Raum, in dem neun Menschen am Tisch der freudigen Ueberraschungen hantieren. Nummer 1 entnimmt die Röllchen der Riesentrommel, Nummer 2 entfaltet sie und nennt ihre Ziffer, Nummer 3 entnimmt dem Rad mit den Gewinnen ein Röllchen und reicht es dem Nebenmann Nummer 4, der es entfaltet, entweder schweigt oder beglückende Zahlen von 10, 50, 100 und noch mehr Mark nennt. Gleich am ersten Ziehungstage verkündete er zwei Gewinnes 1000 Mark. Die anderen kleben, sortieren, ein Beamter schreibt die Zahlen mit, der anwesende Notar kontrolliert den ganzen Vorgang und vergleicht sodann die geklebten Listen mit den Notierungen. Ein paar arbeitslose junge Burschen sitzen auf den Stühlen, und chre Augen hängen Hoffnung?- froh an den Lippen der Ansagerin: ein alter Mann hat vor sich eine ganze Liste von Losnummern, deren Eintreffen in Verbindung mit einer Gewinnzahl er ängstlich kontrolliert. Allen denen, die da sitzen und hassen, wäre ein kleines Glückslos zu wünschen. Jetzt gibt's eine kleine Pause im Dialog der Los- und Glücksverkünder, rasck) werden die beiden Trommeln tüchtig durcheinandergeschüttelt, und es geht weiter. Am ersten Tage wurde von 8 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags, am zweiten und letzten Tag von 8 Uhr morgens bis SVi Uhr nachmittags gezogen. Unerbittlich und unberechenbar ist das Schicksal, wenn sich das Glücksrad dreht. Die Hauptgewinne

fielen wie folgt: 20 000 Mark(Hauptgewinn auf A und B der Loskategorie) auf Nr. 403 128, der Gewinn, vom 15000 Mark(auf A und B der Loskategorie) auf Nr.�i02 321, der Gewinn von 10000 Mark(auf A und B der Loskategorie) auf Nr. 1 533311. Die An- gäbe der Gewinnummern erfolgt ohne Gewähr. Ein Zensor bei der Op'O. Im September dieses Jahres hatte Staatssekretär Dr. Saut- t e r aus einer Verbandstagung der Postbeamten einen beachtens- werten Vortrag über die Bedeutung der Reichspost im öffentlichen Leben gehallen, wobei er lobende und anerkennende Worte über die hingebende Arbeit der Beamten fand. Die Oeffentlichkeit kann über diese vielgestaltige und weitverzweigte Arbeit Kenntnis nur durch die Presse erhalten. Es wird nun Herrn Sautter, aber auch die Postbeamtenverbände, zweifellos interessieren, zu hören, wie wenig ein verantwortlicher Postbeamter für die Aufgaben der Presse Sinn und Verständnis hat, so daß er es fertig bringt, einem Jour- nalisten, der über die Arbeit der Post zur Weihnachtszeit schreiben möchte, sein Vorhaben zu erschweren und letzthin ganz zu verleiden. Es handelt sich dabei um die Nachrichtenstelle bei der Oberpostdlrektion Berlin . Einer unserer Mitarbeiter teilt uns über seine Erfahrungen bei dieser Stelle folgendes mit: Ich hatte die Absicht, über den Weihnachtsverkehr auf dem Paketpostamt in der Luckenwalder Straße zu schreiben. Der dort amtierende Direktor erklärte seine Bereitwillig- keit, mir den Betrieb zu zeigen, nur sollte ich mir von Herrn Ober- postrat Pappberg in der OPD. die Genehmigung einholen. Da mein Auftrag au eine kurze Ablieferungsfrist gebunden war, ver- suchte ich, mich mit. diesem Beamten telephonisch zu verständigen. Herr Pappberg erklärte aber, daß das gleiche Thema bereits vom

Berliner Lokalanzeiger" behandelt worden sei und daß esdoch nicht angehe, wenn eine andere Zeitung die Sache nochmals be- handele'". Längeres Verhandeln war notwendig, und schließlich nahm ich den Vorschlag an, über ein anderes Postamt zu schreiben. Ich sollte aber erst an die Oberpostdirektion ein Gesuch um die Er- laubnis richten, den Betrieb besichtigen zu dürfen. Auch müßte ich mich verpflichten, die Reportage vor ihrem Druck der beamteten Stelle vorzulegen. Auf meinen Einwand, daß sich dadurch die Sache unnötig verzögere und der Austrag hinfällig würde, meinte Herr Papberg, er könne für den Vertreter desVor- wärts" keine Ausnahme machen. Die Post würdeüber- schwemmt von den Wünschen vieler Schriftsteller, die alle über postalische Einrichtungen etwas schreiben wollten, um etwas zu verdienen". Ich verzichtete schließlich bei soviel Kompliziertheit auf das Entgegenkommen der Nachrichtenstelle."> lieber die merkwürdige Ausfassung eines in fester Stellung bc- findlichen Beamten, der sich darüber ausläßt, daß Schriftsteller über postalische Eumchtungen schreiben wollen, um etwas zu verdienen, könnte sich vielleicht der Schutzverband deutscher Schriftsteller mit dem Direktor der OPD. Berlin unterhalten. Im übrigen gewinnt es den Anschein, als ob sich Herr P. eine Art Zensur darüber an- maßt, welche Zeitung und was sie über die Post schreibt. Mit einer solchen Auffassung wird den Bestrebungen des Reichspostministe- riums, in der Oeffenllichkeit Verständnis für die Arbeit der Post und ihrer Beamten zu gewinnen, bestimmt mcht gedient.

Kinder erwerbsloser Genossen werden beschert. Die Mitglieder der 17. Abteilung der Berliner Sozialdemokratie waren schon seit September an der Arbeit, um den Kindern ihrer erwerbslosen Genossen eine kleine Bescherung bereiten zu können, Auf Gröschenlistcn hatten sie 440 Mark gesammelt, und da sie spar- sam einkauften, konnten sie 50 Kindern zwischen 5 bis 14 Jahren je ein großes Paket schenken. Für jedes Mädchen hatten die Frauen zwei Hemden genäht und noch andere Kleidungsstücke zurechtgemacht, die Jungens bekamen selbstgeschneiderte Hemdblusen. Eordshosen und dazu noch jedes Kind eine Stolle. Für die über Zehnjährigen waren auch noch Bücher da. Das war es, was sie alle gleich be- kamen, sonst war noch Spielzeug gespendet worden, bei dessen Ver- teilung am liebsten auch noch jedes Kind einmal bedacht werden wollte. Nach der unendlich vielen Kleinarbelt, die in vorbildlichem Gemeinschaftsgeist geleistet worden war, gestaltete sich die eigentliche Wintersonnenwendfeicr auch besonders eindrucksvoll. Es war eine Tafel für über 100 Kinder gedeckt, an der ein jedes Kind neben seiner Kaffeetasse einen gehäuften Teller mit Weihnackstsnaschereien vor­fand. So herrschte unter den Kindern, die von früh ort bitterste Not kennen, helle Freude. Für die Unterhaltung sorgten die Großen und die Kleinen zu gleichen Testen. Weihnachtsfeier der Dreitausend. Der Reich s-Scefischausschuß hotte ein eigenartiges Mittel gewählt, um für seine Idee, den Seefischgenuß zu fördern, Propaganda zu machen. Der Riosenraum des Clou in der Mauer- straße füllt« sich am Sonntag vormittag mit Tausenden von jungen und alten Mänern und Frauen, die der Einladung des Ausschusses zu einer Weihnachtsfeier, einer geselligen Veranstaltung mit einem nahrhaften Imbiß und kleiner Bescherung für Arbeitslose, Wobl- sahrtsrentner und Minderbemittelte gern gefolgt waren. Dte Oekonomen des Clou, die Herren Hosfmami und Retschlag, hatten nicht allein den schönen, hellen und warmen Saal, sondern auch ihre Hauskapelle zur Verfügung gestellt, deren fröhliche Weisen alsbald Stimmung in die erwartungsvoll Harrenden brachten. Regierungs- rat Finzel, der Leiter des Ausschusses, sprach einige Worte der Begrüßung und Begründung und dann marschierten die Kellner und viele jimge Mädels mit großen Tabletten in den Saal, aus denen sich mächtige Portionen herrlich goldbraun gebackencr See- fische türmten. Dazu ausgezeichneten Kartoffelsalat und für jeden ein Glas Bier. Außerdem«ine Schale Slepfel und eine deutsche Fischkonserve. Die Konzertsängeri» Alexandria Alexondronm er- freute alle mit schönen Liedern und in einen: Film wurde die mühe- volle und gefahrliche, aber auch ertragreiche Arbeit d'r deutschen Fischfänger auf hoher See gezeigt. Wir dürien allerdings nicht verschweigen, daß die deutschen Seefische dem Preis nach zur Zeit noch weit entfernt find, ein Volksnahrungsmittel, besonders in Rot - zelten, zu fein. Tabu" im Planetarium. Das Weihnachtsprograinm des Planetariums bringt den bekannten Siidfee-FllmT a b u" ab Dienstag, dem 22. Dezember. In bezaubernden Aufnahmen wird die exotische Well der polynesischen Inseln geschildert. Meisterhoit sind auch die Unterwasseraufnahmen, die die Eingeborenen beim Perlcnsischen zeigen. Der Film läuft um 17, 19 und 21 Uhr. Die Märchennachmittagc finden ab Dienstag, dem 22. Deezmbcr, täglich nm 15 Uhr, statt. Gertrud Nube begleitet die Filme Mit ihrem Vortrag. Am Heiligabend ist das Planetarium geschlossen. Staatsbibliothek und llnivcrsilüksbibUolhek bleiben in der Zeit vom Donnerstag, dem 24. Dezember bis Sonntag, dem 3. Januar für den öffentlichen Verkehr geschlossen.