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Rr. 60148. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Beim Tannenbaumhandel

Unsere Grünkramfrau hat sich in Anbetracht ihres immer Schlechter gehenden Gemüsegeschäfts gat einem fleinen Rebenberuf entschloffen sie handelt mit Weihnachtsbäumen! Aus alter Freund schaft zu ihr und auch meil ich neugierig bin, mie der Handel mit Weihnachtsbäumen sich wohl so aus der Nähe macht, stelle ich mich am Goldenen Sonntag an ihren Stand dort aben im Norden irgend wo und sehe zunächst einmal zu.

So halb und halb fungiere ich als Mitsertänfer, indem ich Borbeischlendernden, die sich für unsere Bännchen zu intereffieren scheinen, die verfodendsten Angebote madhe, wobei ich den Meinen, auf Straßenbord und Bürgersteig so herrlich aufgebauten Bald über den grünen Klee lobe. Ohne Erfolg allerdings, den in der ersten Viertelstunde nach 3 Uhr habe ich mit meiner privaten, ganz aus dem Stegreif gehandhabten Anreißerei, von der ich noch nicht einmal weiß, ob sie meiner Grünframfrau als ernsthaft und ge­schäftsmäßig paßt, noch feinen Hund hinter dem Ofen hervorgeloďt bzw. feine Kunden an unsere Bäume heranbringen fönnen. Borerst enthalte ich mich daher beffer vielleicht aller unangebrachten geschäft­lichen Maßnahmen und stelle mich still und bescheiden hinter den mächtigen Rücken der Handelsfrau, die gerade im Begriff ist, mit unserem ersten Kunden handelseins zu werden. Es ist eine junge Frau junge Frauen bringen Güd, nicht schlecht als Anfang! Sie ist, fcheint es, Handwerkersfrau, ihr Mann hat wohl noch Arbeit denn sie sieht gar nicht, wie sonst doch alle hier, auf den Pfennig. Ohne an dem Bäumchen zu mäkeln, dessen Wuchs aber auch wirklich imtadelig schön und ebenmäßig ist, zahlt sie die 1,50 Mart, die dafür verlangt werden, und zieht mit dem schönen Tannenbaum ab. Die Gemüsefrau spudt dreimal auf das Geld es ist das erste heute, bas muß man tun, wenn man sich nicht selbst das Geschäft ver­derben will.

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Indessen schreiten schon andere Interessenten mit kritisch prüfen­den Blicken die Meine Parade unserer Bäumchen ab, betasten hier ein paar Aefte, dort einige Zweige, heben die Bäumchen an und schütteln sie aus Leibeskräften, damit sich auch ja alle ihre Borzüge oder Mängel entpuppen.

Es geht auf 4 Uhr und das Geschäft sett fräftiger ein. Auch Kinder stehen in Menge inn unseren Stand herum, Kinder ohne die Begleitung Großer. Sie flauben sich alle die fleinen Tannengmeige auf, wie sie beim Zuhauen der Stämme auf das Pflaster gefallen sind. Die sammeln sie und machen ein Bündel draus, einen gang dicken Tannenstrauß imd ziehen los damit.. Sicherlich nach Hause vielleicht ist es das einzige Tannengrün, das sie Weih­nachten über im Hause haben woher sollen ihre Eltern denn die Bäume nehmen?..,

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Allmählich lichten sich die Reihen unserer Bäume, und es geht

schnell fort, wenn Schupohelme in der Ferne aufblinden. Ach, men die Schupos alle die armen Teufel faffen mollten, die hier schwarzen Handel treiben sie tönnten nicht geraten.

Zu guter Letzt noch, furz vor Toresschluß, die Händler in der Rachbarschaft packen schon ihre Sachen ein, gehen noch zwei

Der Baum für alle.

Riesentanne auf dem Wittenbergplatz, die am Abend im Lichterglanz erstrahlt.

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Donnerstag, 24. Dezember 1931

wurden zusehends Meiner. Für die Alten gibt es einen gemütlichen Tisch mit einem Sofa und ein paar Bolsterseffel, die dem Heim gestiftet wurden.

Billigere Strompreise.

Genfung des Festpreistarifes von 50 auf 40 Pf.

In Uebereinstimmung mit den Bestrebungen der Reichsregte. rung, eine allgemeine Senfung des Preisniveaus herbeizuführen. hat die Bewag Anfangs diefes Monats folgenden Tarif­ermäßigungen beschloffen, die fich zu Beginn des nächsten Jahres auswirken werden:

Beim Kleingewerbefrafttarif, der bereits Anfang dieses Jahres den Abnehmern eine Ermäßigung um im Mittei 16 Proz. brachte, wurde die Grundgebühr in ihrer Wirkung um 20 Broz. gesenkt; die Arbeitspreisstaffeln wurden um zwei weitere Stufen bis herab zu 10 Pf. pro Kilowattstunde erweitert.

Der Geltungsbereich des Nachtstromtarifes wurde auf weitere Gebiete ausgedehnt und zugleich der Strompreis, der Anfang dieses Jahres von 8 auf 6 Pf. pro Kilowattstunde ge= sentt war, auf 5 Pf. und bei größerem Verbrauch auf 4 Pf. pro Kilowattstunde ermäßigt.

Retlameanlagen, die bisher einen Strompreis von 20 Bf. pro Kilowattstunde zuzüglich der Grundgebühr zahlten, werden in Zukunft mit 12 Pf. pro Kilowattstunde. abgerechnet, wenn die Anlage während der Spitzenzeiten des Werkes nicht in Betrieb genommen wird.

Für die Belieferung von Elettrotüchen in Haus­haltungen wurde die Einführung eines besonderen Tarifes. mit einem Strompreis von 10 Pf. pro Kilowattstunde beschlossen; eine Grundgebühr wird hierbei nicht erhoben.

Die Ausschüsse des Aufsichtsrates haben nunmehr beschlossen, den Festpreistarif von 50 auf 40 Pf. pro Kilowatt­funde herabzusehen und gleichzeitig die Anwendungsmög­lichkeit dieses Tarifes auch auf Haushaltungen auszu­dehnen, wenn ein Antrag gestellt wird. Der Abnehmer erhält hierdurch die Möglichkeit, zu diesem Tarif schon für den Berbrauch nach der nächsten Ablefung überzugehen, falls fich für ihn bei ge­ringem Berbrauch nach dem Grundgebührentarif ein höherer Strom­preis ergibt.

Zur Behebung der in Einzelfällen immer wieder auftretenden Magen über Härten des Grundgebührentarifes für Haushaltungen foll ein fonfumfördernder Haushaltungstarif beschleunigt eingeführt merden.

Wieder Kaffenräuber.

ja auch jachte auf sieben. Das Geschrei der Straßenhändler rundum Bäumchen fort und es scheint, als hätte die junge Frau, die das Am Kurfürstendamm und im Norden 650 Marf erbeutet. wird immer milder schließlich wollen sie doch alle noch ihre min erste Bäumchen kaufte, unseren Leuten wirklich Glüd gebracht agen Sächelchen, die sie für die letzten Pfennige gekauft haben, an denn sie sind nicht unzufrieden mit dem Geschäft von heute, das sich den Mann bringen. Viele von ihnen, die wild handeln, stehlen sich besser anließ, als sie anfangs glaubten.

Tagesheim in der Frankfurter Allee .

Rotgemeinschaft des Bezirks Friedrichshain . Wiederum hat die Notgemeinschaft Berlin zur Er­richtung von Heimen und Küchen für Erwerbslose ein Stück Arbeit geleistet; wiederum murde aus dem Nichts, das heißt in diesem Galle ohne die geringste tommunale Belastung, etwas für die große Echar der Erwerbslosen getan.

Da hat die BBG. ein früheres Omnibusdepot im Hofe des Hauses Frankfurter Allee 306 zur Verfügung gestellt, da laben Arbeitsloje 14 Tage von morgens bis spät abends ohne jedes Entgelt geschafft, der Farbenhändler hat den Anstrich, der Ofen­fabrikant die Dejen, der Kohlenhändler den Kofs geliefert. So ent

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Familie Loriot Roman

Von Elſe Möbus

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Er deutete hinaus aus dem Fenster. Da hinten, wo Sie die Schornsteine rauchen sehen, wo Fabrik an Fabrit steht, wo Millionen kämpfen und ringen, um nur das Notwendigste zum Leben zu erarbeiten das ist die Welt, der ich angehöre, freudig und aus innerster Ueberzeugung. Von dieser Welt werde ich mich niemals löjen, solange ich lebe, denn sie ist tief in mir."

Germaine ging langsam aus dem Zimmer. Sie er widerte nichts. Erst an der Treppe blieb sie stehen.

,, Sie haben recht", sagte sie, es sind zwei Welten. Aber Sie fagen das in einer Art, als ob ich mich fast entschuldigen müßte, daß ich nicht da drüben im Bezirt der Fabriken und Mietfasernen aufgewachsen bin, sondern weit abseits davon. Ich fann ja nichts dafür, daß ich in sogenannten bürgerlichen Berhältnissen gelebt habe, daß es bei uns daheim sehr wenige Arbeiter gibt, denn unsere fleine Stadt befizt teine Industrie. Ich hatte noch niemals Gelegenheit, eine Fabrit von innen zu sehen. Ich weiß deshalb auch nicht, wie dort gearbeitet wird. Das ist eben der Teil Ihrer Welt, der mir vollkommen unbekannt ist. Bollen Sie mir das zum Vorwurf machen?" Nein, Fräulein Loriot, selbstverständlich ist das kein Borwurf. Sie fönnen ja wirklich nichts dafür, daß Ihr Lebensweg Sie in einen afademischen Beruf und nicht in die Fabrik geführt hat. Das mollte ich auch damit nicht sagen. Aber ich möchte doch ganz mahr gegen Sie fein, menn Sie mich fragen. Und da muß ich eben diesen Gegensaß, Diese beiden Belten ganz falt und hart betonen, obwohl es mir selbst fast meh tut... Sie werden mich jetzt nicht miß verstehen, obwohl Sie mich taum fennen. Es ist ja eigentlich ganz seltsam, daß wir gestern um diese Zeit überhaupt noch nichts voneinander mußten. Und doch stehen Sie mir fo nahe, sind mir so vertraut, als ob mir Jahre lang zusammen gewesen seien..." Wieder sah er sie voll an.

Rönnen wir nicht gute Freunde sein, troß dieser beiden Welten? Ich will Ihnen ja nichts nehmen, im Gegenteil. Ich

ftanden drei große, freundliche Aufenthaltsräume, Die von morgens bis abends geöffnet sind. Es gibt darin: Nach mittagstaffee; Spiele und Lesegelegenheit und bietet. Den innerlich und äußerlich Frierenden einen Ruhepunkt im zermürbenden täglichen Leerlauf des Daseins. Der Arbeitsausschuß der Notgemeinschaft hat im Verein mit den ausübenden getreuen Helfern und Helferinnen für ungefähr 300 Arbeitslose eine Unterkunftsstätte geschaffen, wobei man im besonderen an die Jugendlichen denkt, deren Be­treuung die vornehmste Pflicht eines jeden sein soll. In weiß und grün gehalten, präsentieren sich die neuen Räume in vorteilhaftester Weise.

Im Rahmen einer fleinen Weihnachtsfeier eröffnete Genosse Stadtrat Lempert das Heim, es gab Musit- und Gesangsvorträge, in Riefentöpfen brodelte der Raffee und die Kuchenpyramiden

achte und erkenne diese Welt an, und ich verstehe auch voll­fommen, daß Sie nicht hier, sondern nur dort sich heimisch fühlen können. Ich bin dieser Welt ja nicht feindlich ge sonnen, sondern ich fenne sie nur nicht!"

Wieder glitt das helle Lächeln über sein Gesicht, wie geftern, als sie auf dem Schiff vor ihm stand. Herzlich streckte er ihr die Hand entgegen.

Ja, Fräulein Loriot, wenn Sie meine Welt nicht an­greifen, dann können wir sicherlich gute Freunde sein. Und ich hoffe, wir werden es immer bleiben."

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Was war Orford für eine entzüdende kleine Stadt! Ger­maine stand, sie wußte selbst nicht zum wievielten Male, vor einem der alten Tore, die zu den Colleges führte. Bieles er­innerte sie an daheim der gleiche Geist mehte in diesen Mauern, der Geist der Vergangenheit. Die Kirchen, die Colleges, efeu und weinlaubumsponnen, die altertümlichen Straßen und Häuser das war teilmeise noch frühes Mittel­alter. Aber heute sollte sie in dieser mittelalterlichen Stadt unmittelbarste Gegenwart tennenlernen.

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Auch das waren zwei Welten, tief verschieden von ein­ander und scharf getrennt. Aber nach außen wirkte der Gegensatz feineswegs auffallend oder gar unverföhnlich. Das Rustin College stand inmitten dieser Welt der Bergangenheit, als sei es ganz selbstverständlich aus ihr herausgewachsen.

"

Reiner stand am Haupteingang. Er schritt ihr entgegen. Das ist schön, daß Sie Wort halten!" sagte er. Wie lange habe ich Sie nicht gesehen! Ueber eine Woche es schien mir endlos zu sein!"

,, Mir ging es nicht besser!" Sie lächelte. Und ich muß Ihnen viel erzählen! Das Schlimmste zuerst, denn Sie mer den mich auslachen! Ich bin drei Tage lang ins Britische Museum gelaufen und bin stundenlang dort geblieben. Auf der Uni haben mir manchmal über die alten Bergamente und Handschriften gescholten, wenn es uns zu viel murde, aber als ich jetzt die Grenville- Bibliothet sah mit ihren zarten Miniaturmalereien und erst den großen Saal erst den großen Saal der Manuskripte meine Philologenbegeisterung tannte feine Grenzen!" Sie lachte.

Ich war auch im Britischen Museum letzte Woche", fagte Reiner ,,, es ist schade, daß ich Sie nicht getroffen habe. Ich war allerdings nicht im Handschriftensaal, sondern bei den Elgin Marbles , die ich jedesmal besuche, wenn ich in die Nähe des Britischen Museums tomme. Sie sind meine

Einen überaus verwegenen Ueberfall unternahm gestern abend ein etwa 20 Jahre alter Mann auf die Filiale der Butter­firma Thürmann am Kurfürstendamm 128. Der Unbekannte drang mit vorgehaltener Pistole in den Verkaufsladen ein. Die Filialleiterin mußte mit erhobenen Händen zusehen, wie der Räuber die Kaffe plünderte und mit seinem Raub unter Drohungen flüchtete. Der Baudit fonnte im Straßengewühl ent­Tom men. Es wird vermutet, daß er noch einen komplicen ge­habt hat, der an der nächsten Straßenede vermutlich in einem ge­stohlenen Auto auf seinen Helfershelfer wartete. Dem Täter find 450 M. in die Hände gefallen.

Der zweite Kaffenraub spielte sich in der Butterfiliale von Reichelt in der Schivelbeiner Str. 20 im Norden Berlins ab. Dort erschienen fünfjüngere Burschen, die sämtlich Pistolen in den Händen hielten und die drei Verkäuferinnen und mehrere anmejende kunden so einschüchterten, daß niemand an Widerstand denken konnte. Einer der Täter raubte dann aus der Ladenkaffe 250 m. Auch in diesem Falle gelang es den Räubern, zu ent­tommen.

| stille, unglückliche Liebe- unglücklich, weil ich bisher nie­mals nach Griechenland reisen und diese Stulpturen im Zu sammenhang sehen konnte. Aber nun will ich Ihnen die Arbeiterhochschule zeigen."

Sie schritten durch die Hörsäle, in denen sich nicht, wie an den deutschen Universitäten, Bänke, sondern Einzelstühle, die mit aufklappbaren Schreibpulten versehen waren, be­fanden.

,, Es ist bequemer, hier zu fizen, als auf den deutschen Schulbänken", sagte Reiner. Und unsere Arbeiterstudenten tommen aus Fabriken und Betrieben es sind teine Studenten in unserem Sinn, sondern reife, selbständige Menschen."

,, Und was wird hier unterrichtet?" fragte Germaine. ., Geschichte, Nationalökonomie, Literatur, Vorlesungen über Parteigeschichte, Gewerkschafts­Wirtschaftsgeographie, wesen, Fremdsprachen Das sind die Hauptgebiete", er­widerte er.

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,, Und ist die Methodit hier die gleiche wie bei uns?" fragte Germaine. ,, Doziert hier auch der Profeffor, und die Studenten hören zu und schreiben mit?" ,, Das tönnen unsere Genossen selbst entscheiden. haben die Freiheit, sich ihre Lehrer, den Stoff und die Sie Unterrichtsmethode, Dozentenvortrag oder freie Arbeits­gemeinschaft, zu wählen. In jedem Fall aber schließt sich an die einzelnen Stunden eine freie Aussprache an, in der Fragen beantwortet und Irrtümer geklärt werden können."

,, Das geht ja meit über den Rahmen der Universitäten hinaus! So etwas Aehnliches, oder wenigstens einen frei­heitlichen, zeitgemäßen Hauch haben wir alle als Studenten herbeigesehnt! Aber zu uns mehte er nicht herüber!" sagte Germaine etwas bedrückt.

,, Auch hier gibt es verschiedene Richtungen der Arbeiter­bildungsbestrebungen", erwiderte Reiner. Hier in Orford pertritt die ,, Arbeiterbildungsvereinigung" ihren Standpunkt. daß es sich nicht um eine Borschule für politische Agitatoren handeln fönne, sondern daß man den jungen Arbeitern ein­fach helfen wolle, ihren Horizont zu erweitern. Wie sie diese Bildung dann später verarbeiten, im Sinne marristischer Weltanschauung oder aber im Rahmen anderer geistiger Strömungen das überläßt man dem einzelnen. Daneben gibt es natürlich andere englische Bildungsvereinigungen der Arbeiter, die nur in parteipolitischem Sinne wirken. Aber ich möchte Ihnen auch die anderen Räume zeigen."

( Fortsetzung folgt.) I