Morgenausgabe Nr. 606
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A erlin er Volksblatt
Dienstag 29. Dezember 19)2 Groß-Äerlin 19 Z)f. Auswärts �5 Z)f.
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LlSA. und Baseler Bericht Keine Beteiligung an der Regierungskonferenz.
washingkon, 28. Dezember. Za amtlichen Kreisen wird es nach wie vor ab- gelehnt, zum Baseler Bericht und zur Internationalen Schulden- konferenz Slellnug zu nehmen. Jedenfalls hat sich aber an der hie- f'igen Einstellung zu diesen Problemen nichts geändert. diese Einstellung gehl dahin, daß die amerikanische Regierung bei der bekannten Abneigung im Bundeskongreß wie in weiten Kreisen der amerikanischen Bevölkerung gegen ein Anbieten wel- terer finanzieller Opfer nicht wieder die Initiative ergreifen wird. Im allgemeinen wird der Baseler Bericht hier als ein erfreu- sicher Schritt zur Sanierung der deutschen Verhältnisse begrüßt, von deren Gesundung das Schicksal ganz Europas abhänge. Alan erwartet, daß bald eine Konferenz der alliierten Gläubiger zwecks Ausführung der Baseler Vorschläge über die Reparationen ein- berufen werde. An dieser Internationalen Konferenz wird Amerika weder aktiv teilnehmen, noch auherhalb der Konferenz Vorschläge machen oder Bedingungen stellen, da Amerika keine Reparationen erhält und der Bundeskongreh sich soeben erst in der feierlichen Form eines Gesehesbeschlusses gegen eine Revision der alliierten Schuldenabkommen ausgesprochen hat. In Amerika wird man vielmehr abwarten, was die Gläubiger Deutschlands be- schließen. S o l l k e n sie eine Reduzierung oder weitere Stundung ihrer Schulden an Amerika wünschen, so müssen sie— wie es heißt — diese Wünsche hier formell anmelden, bevor die ameri- konische Regierung in irgendeiner Form in Aktion treten kann. Europa , wehr dich! Die Haltung der Vereinigten Staaten zu dem Repa- rations- und Schuldenproblem ist, übrigens nicht erst seit neuester Zeit, alles eher denn erhebend. Das gilt sowohl für die Regierung wie für das Parlament, ohne Unterschied der Parteien. Die europäischen Staaten werden aus den USA . dauernd mit mehr oder minder guten Ratschlägen ver- sorgt, aber wenn es gilt, aktiv einzugreifen und zu helfen, erleben wir regelmäßig eine grandiose Drückebergerei. Die einzige Ausnahme des Hoover-Moratoriums hat das sehr un- schöne Nachspiel der soeben abgeschlossenen Kongreßberatun- gen gehabt, bei denen man immer deutlicher den Eindruck gewann, daß weniger sachliche Gesichtspunkte als inner- politische Vorbereitungsmanover für die kom- inenden Wahlen die Reden und Abstimmungen vieler Senatoren und Abgeordneten bestimmten. Hätte sich Hoooer nicht vorsichtshalber vor seiner Botschaft der Zustim- mung von 69 Senatoren feierlich versichert, dann wäre wahrscheinlich seine Juni-Jnitiative am Ende noch mißbilligt worden! Vielleicht bilden sich die Amerikaner ein, daß sie mit ihrer schroff ablehnenden Haltung gegenüber dem Gedanken der Schuldenstreichung, wie sie z. B. in der Resolution des Abgeordnetenhauses zum Ausdruck kam, Deutschland einen Gefallen erweisen. Nur politische Kindsköpfe können sich hierzulande über unfreundliche Worte oder Handlungen freuen, die von amerikanischer Seite gegen Frankreich ge- richtet sind. Praktisch wirken sich solche Demonstrationen stets gegen das deutsche Volk aus. Sollte man das in den Vereinigten Staaten immer itoch nicht begriffen haben? In Deutschland hat es nachgerade ein jeder erkannt, der die ge- schichtliche Entwicklung mit kritischen Augen verfolgt. Das gilt übrigens auch für den berühmten Vorstoß des Senators B o r a h gegen den Versailler Vertrag während der An- Wesenheit Lavals in Washington : das einzige konkrete Er- gebnis dieser Deklamationen war einstweilen die Er- schwerung der Revisionsmöglichkeiten. Was nützt es uns, wenn jetzt Borah und die anderen immer wieder verkünden, daß Deutschland die Reparations- lasten erlassen werden müßten, und dabei gleichzeitg hinzu- setzen, eine Schuldenstreichung oder auch nur Herabsetzung gegenüber Frankreich und England käme gar nicht in Frage! Praktisch bedeutet das lediglich eine Versteifung des franzö- fischen Widerstandes gegen die Streichung der Reparationen. Schließlich weiß doch in Europa , einschließlich Deutschland , nachgerade jedes Kind, daß die Vereinigten Staaten die Hauptnutznießer der bisherigen deutschen Zah- lungen gewesen sind, und daß der Mechanismus des Poung- Planes für die Interessen Amerikas keineswegs in letzter Linie sorgt. Es ist wieder einmal sehr schön, daß das Weiße Haus den B a s l e r B e r i ch t als Fortschritt begrüßt, der übrigens auch die Unterschrift eines amerikanischen Delegierten trägt. Aber dieser Bericht enthält auch deutliche Anspielungen auf die interalliierten Schulden. Und gerade dazu stellt man sich in Washington wieder einmal taub: man er- klärt schon jebt, daß man sich an de? bevorstehenden Konferenz weder aktiv noch passiv beteiligen werde. Ein sehr bequemer Standpunkt. Und dabei trieft man förmlich von
salbungsvollen Mahnungen an die europäischen Mächte, sich untereinander zu verständigen und allein zu helfen. Die ,/Desinteressiertheit", die man in Amerika seit zwölf Jahren gegenüber Europa zur Schau trägt, steht im schreien- den Widerspruch zu den historischen Tatsachen der Vergangen- heit und zu den finanziellen Tatsachen der Gegenwart: schließlich hat doch Amerika in den Krieg— sogar entscheidend— eingegriffen: es hat die Versailler Bedingungen durch Wilson mitverantwortet(um sich dann später ohne jedes Risiko um die Folgen zu drücken und den selbstgeschaffenen Völkerbund im Stich zu lassen): es hat durch Dawes, Young und Morgan seine eigenen finanziellen Belange sehr löwen- anteilsmäßig wahren lassen: es hat an dem Wettrüsten zur
1932— Entscheidungsjahr! Du entscheidest mit! Den Faschismus schlagen kann nur eine starke Sozialdemokratie Um stark zu sein, braucht die Sozialdemokratie eine starke Presse Unentbehrliche Waffe im Kampf gegen den Faschismus ist der„Vorwärts" Wirb für den„Vorwärts"!
See sehr lebhasten Anteil genommen. Diese„Desinteressiert- heit" ist also nur affektiert und dient lediglich als Deckmantel, um sich in die Rolle des Weltschiedsrichters zu hüllen, ahne sich an den Opfern der Liquidierung des mitgemachten Welt- krieges zu beteiligen. Europa soll sich allein helfen? Run jä, wie wäre es, wenn die Mächte der Alten Welt diesen guten und billigen Rat befolgen würden, allerdings in einer Form, an die man bisher in Washington nicht gedacht hat: Wie wäre es, wenn die europäischen Schuldner der Vereinigten Staaten ihrem gemeinsamen Gläubiger erklären würden, daß sie jetzt von sich aus Schluß mit einer Verschuldung machen, die alle Welt immer tiefer in das Krisenelend verstrickt? Das wäre nicht nur das wirkliche Ende der Reparationen, sondern überhaupt ein Segen für die Menschheit, auch um den Preis eines Verstoßes gegen die heiligen Grundsätze des Kapi- talismus. Erweiterung der Regierungskonferenz? London , 28. Dezember.(Eigenbericht.) Der„Daily Herald" meldet, daß der Rahmen der bevor- stehenden Reparationskonferenz voraussichtlich erweitert werde und die Konferenz zu einer internationalen Konferenz über die Wirtschaftskrise ausgedehntwiürde. Es würden auf dieser Konferenz Währungs-, Valura- und Zollprobleme zusammen mit der Reparations- und Schuldenfrage behandelt werden. Rur auf diese Weise bestände die Möglichkeit, die Dereinigten Staaten zur Teilnahme an der Kon- ferenz zu veranlassen. Sollte diese Ausweitung des Rahmens der Konferenz erfolgen, so könnte sie nicht vor dem 20. Januar zu- sammentreten. Sie würde sich dann bis in den Februar hinein- ziehen und teilweise mit der Abrüstungskonferenz zusammenfallen. Aus diesem Grunde sei wahrscheinlich nicht der Haag, sondern Lausanne der Konferenzort. Der Vertreter des englischen Schatzamtes, Sir F r e d e r i c L« i t h e o s e, begibt sich wieder nach Paris , um mit dem franzö- fischen Finanzminister über das Reparatiosproblem weiter zu verhandeln. Keine Konferenz Laval-Macdonald? Varls, 28. Dezember.(Eigenbericht.) Das Büro des Ministerpräsidenten teilt mit, daß entgegen den in der Montagspresse veröffentlichten Nachrichten bisher noch keine Einladung zu einer Besprechung Lavals mit Macdonald über das Reparationsproblem eingetroffen fei. Die französischen und englischen Sachverständigen würden ihre Ver- Handlungen über dieses Thema fortsetzen. Eine Zusammen- k u n f t zwischen den beiden Regierungschefs könne erst ins Auge gefaßt werden, wenn die Sachverständigen ihre Aufgabe beendet haben. ver Reichskanzler hat versin zu einem kurzen Erholung»- I urlaub oerlassen. Er kehrt am 4. Januar zurück.
Brasilien in der Schwebe. Zwischen Diktatur und Konstituante. Von Jolx. Kretzen. Südamerika hat in den letzten Jahren so viele Revolu- tionen erlebt, daß sich ihr Sensationswert in der übrigen Welt rasch abgenutzt hat. Sie verdienten allerdings, nicht nach diesem Nutzwert für die Tagesarbeit der Zeitungen ein- geschätzt zu werden. Brasilien ist besonders bedeutungsvoll. Denn dieses Land von der achtzehnfachen Größe Deutschlands umfaßt etwa die Hälfte der Fläche und zugleich der Bevölkerung Südamerikas . In Brasilien gab es seit dem Weltkriege drei revolutionäre Erhebungen: im Jahre 1922 eine bald nieder- geschlagene Revolte, im Jahre 1924 eine Revolution, die nur nach langen blutigen Kämpfen liquidiert werden konnte, im Oktober 1939 eine Revolution, die nach drei Wochen siegreich war. Die beiden ersten Erhebungen waren vor und während der Amtszeit des Bundespräsidenten Bernardes gegen dessen Person gerichtet, die Revolution des Jahres 1939 richtete sich unter Mithilfe von Bernardes gegen dessen Nachfolger Washington Luis und den neuen Bundes- Präsidenten I u l i o P r e st e s, der am 15. November 1939 diesen hätte ablösen sollen. Und die Motive?„Der Dollar" rollte im Oktober 1939 für die von der Revolution berannte Regierung: die USA . stellten ihr auf Kredit große Mengen Kriegsmaterial zur Verfügung: die USA.-Presse klagte hinterher ironisch, ihre Regierung sei„in den falschen Zug eingestiegen".„Der Dollar" erklärt also in diesem Falle nichts. Ein nach Ausbruch der Revolution veröffentlichter „Aufruf des Bundespräsidenten an die Nation" spricht von „unbezähmbar ehrgeizigen Politikern, die nur das eine Ziel im Auge haben, sich um jeden Preis der Macht zu bemächtigen, um im Genuß der Macht zu sein". Hier ist auf die Präsidentenwahl vom 31. März 1939 als Ursache der Revolution angespielt, auf ihr die Führer- gruppen der sogenannten Liberalen Allianz enttäuschendes Ergebnis. In jener Wahl soll der von Washington Luis geförderte Julio Prestes gegen den Kandidaten der Allianz, Getulio Vargas ,„mit einer Mehrheit von einigen hunderttausend Stimmen" gesiegt haben. Vargas hat später gesagt:„Diese Wahl war, mit den Wahlnachprüfungen zu- sammen, die größte Farce in der Geschichte des Landes. Betrug herrschte bei der Wahl, bei der Eintragung in die Listen und bei der Anerkennung des Wahlergebnisses." Das ist nur eine von den vielen, seit Jahren gegen Washington Luis erhobenen Beschuldigungen, sein Regime zur Will- kürherrschaft mißbraucht zu haben. Die Vereinigung der Führergruppen der Staaten Minas Geraes, Rio Grande do Sul und Parahyba ckännte sich demgegenüber„L i b e- r a l e A l l i a n z". Sie trug im Wahlkampf die Kandidatur Vargas und begann am 3. Oktober 1939 die revolutionäre Erhebung, die ein Jahr später, am 24. Oktober, den Sieg errang. „Liberale Allianz" gegen„Willkürherrschaft!" Das klingt wie: Für die Demokratie, wider die Diktaturl In Wirklichkeit standen sich aber in der Revolution weder zwei geschlossene Parteifronten, noch zwei in sich einheitliche Gesinnungsgruppen gegenüber. Die Liberalen und Demo- traten sind sehr unterschiedlich liberal und demokratisch ge- sinnt, die radikalen Demokraten wurden außerdem durch den Einschluß konservativer Republikaner in die revolutionäre Front stark zurückgedrängt. Trotzdem kann man nicht sagen, daß der grundsätzliche Gegensatz„Demokratie/Diktatur" nur zum Schein erhoben war. Es spricht vielmehr für die Kraft einer jungen demokratischen, gegen Washington Luis ein- gesetzten volkstümlichen Bewegung, daß d i e Teilhaber der Revolution, für die es sich wirklich nur um den Austrag einer Rivalität der Führergruppen handelte, ihre persönlichen Absichten mit demokratischen Forderungen maskieren mußten. Aber die Kraft der volkstümlichen demokratischen Bewegung hat dann nicht ausgereicht, nach dem Siege das praktische Handeln der revolutionären Machthaber in eine ungebrochene demokratische Linie zu zwingen. Brasilien befindet sich heute, ein Jahr nach dem Siege der Revolution. in einem Schwebezustand zwischen Diktatur und Konstituante, und mindestens noch ein weiteres Jahr soll vergehen, bis diese zusammentreten kann. Einstweilen wird durch Artikel 1 des grundlegenden Dekrets der provisorischen Regierung, deren Leitung Getulio Vargas in Händen hat, bestimmt:„Die provisorische Regierung übt nach Gutdünken und in vollem Umfang die Funktionen und Befugnisse nicht nur der ausführenden, sondern auch der gesetzgebenden Staatsgewalt aus, bis eine