Einzelbild herunterladen
 

Nr.- 49. Jahrgang Freitag, 1. Januar 1S32

Karl Kautsky : Aufgaben 1932

Hitler darf nicht an die Macht!-- Sozialdemokratie muß siegen!

I

Der Wert der politischen Macht In den zwei Menschenaltern chres Bestehens ist die deutsche Sozialdemokratle gar oft vor schweren Entscheidungen gestanden. Aber selten vor so tiesgehenden, wie sie das Jahr 1932 zu bringen oerspricht. Und kaum je hatten wir eine solche Fülle von Problemen zu bewältigen, die alle Lebens- fragen sind, alle in Verbindung miteinander stehen, einander in so verhängnisvollster Weise komplizieren, daß jeder Rettungsversuch bedenklich dadurch gelähmt wird. Eine furchtbare Wirtschaftskrise bringt gewaltige Notstände für die gesamte kapitalistische Welt. Nur Sowjetrußland ist von dieser Krise verschont, dafür leidet es unter einer Krise anderer Art. In den kapitalistischen Ländern hungern zeitweise die Men- scheu, well sie zuviel produziert haben. Im bolschewistischen Rußland hungern sie dauernd noch viel mehr, well sie zu wenig produzieren. In der kapitalistischen Gesellschaft treten unausweichlich von Zeit zu Zeit Krisen der Ueberproduktion ein. Aber noch keine war so intensiv und so umfangreich wie die jetzige, die 1929 begann� Noch keine umfaßte so viele Länder, so viele Produktionszweige, noch keine erzeugte eine so weitgehende Arbeitslosigkeit. Wo das Proletariat politische Macht errungen hat. werden die Krisen gemildert durch Arbeitslosenoer» sicherungen, Arbeiterschutzgesetze sowie durch das Wirken starker Gewerkschaften und Verwaltungs- maßregeln der Staatsgewalt. Dagegen werden die Krisen verlängert und für die Arbeitertlasis oerschärft überall dort, wo das Kapital die politische Macht besitzt, namentlich die mit den Großagrariern verbündeten Finanzkapitalisten. Sic suchen alle Errungenschaften der Arbeiterschaft zu ver- Nichten, dafür aber durch Kartelle Hochschutzzölle und staatliche Subventionen die Anpassung der Preise an die Bewegungen des Weltmarktes und damit die Vermehrung des Konsums, des Absatzes zu verhindern, die ileberwindung der Krise zu hemmen, bloß um für sich Sondervorteile auf Kosten. der Ge- samtheit einzuheimsen. Das Elend der Friedensverträge Zu diesem Elend der Krise gesellt sich für die meisten Staaten, die in den Weltkrieg eintraten, das Elend der Friedensverträge, namentlich ihrer ökonomischen Bestimmun- gen über die Reparationen. Auf ebenso kurzsichtiger wie brutaler Gewalt der Sieger aufgebaut, haben sie nicht eine Aera des Friedens und der Freundschaft zwischen gleichberechtigten freien Nationen her- beigeführi, fondern den Gegensatz zwischen Siegern und Be- siegten ins Unabsehbare über den Friedensschluß hinaus auf- rechterhalten. Das gilt namentlich von den Tributlasten, die der Versailler Frieden dem Deutschen Reich auferlegte. Sie wirkten verheerend, nicht bloß durch ihre Höhe, sondern auch durch die Länge des Zeitraumes, über den sich die Abzahlung! der Reparationsschuld gerade wegen ihrer Höhe erstrecken\ mußte, und nicht minder durch ihre anfängliche Unbestimmt- heit. Mit den Gegensätzen zwischen Siegern und Besieoten blieb auch ein Gefühl der Unsicherheit in den Verhältnissen zwischen den Staaten bestehen, das nicht gemildert, sondern gesteigert wurde, als an Stelle des guten Einoernehmens zwischen den Siegerstaaten gar manche Reibungen zwischen ihnen auftauchten. So oerbinderten die Friedensverträge, die allgemeine Abrüstung in Aussicht stellten, deren Durchfuhrung. Die Rüstungslasten der Sieger mindern sich nicht, sie wachsen vielmehr. Daher bringen die Reparations- zahlungui, die Deutschland an den Rand des Abgrundes drängen, diu Siegern nicht einmal die Verminderung der un- geheuren Kftzgsschuldcn, die sie aufgenommen haben. Reparationm, Kriegsschulden, Rüstungslasten. Miß- trauen der Staann gegeneinander, allgemeine Unsicherheit oermehren noch das grenzenlose Elend der Wirtschaftskrise und erschweren jegliche GejundungMdes Produktionsprozesses. Alle leiden unter diesem Zustand, Sieger wie Besiegte, am meisten aber das Deutsche Reich. Der Messias und seine Leute Ueberall herrschen anormale Verhältnisse, alle über- kommenen Autoritäten sind erschüttert, alle bisherigen Er- fahrungen scheinen nichtig, alles politische und ökonomische Wissen unbrauchbar, haltloser Zweifel und wilde Verzweif- lung bedrängt die Gemüter. Alles das schafft eine geistig? Atmosphäre, in der die einen jeglichen Glauben an die Welt verlieren, indes in den anderen wieder aus Verzweiflung und dem Zweifel an den Realitäten der Welt ein neuer Köhler- glaube an irreale Dinge emporwächst, der ihrem heißen Be- dürfen das bringen soll, was sie in der Wirklichkeit vergeblich ersehnen. DerGlaubeanWundertäterinder oder jener Farm ersteht, an Gesundbeter, Goldmacher usw. Jeder

Scharlatan findet seine Gläubigen, wird als Retter, als Messias begrüßt, auch wenn er keine Wunder wirkt, sondern nur über genügend Selbstbewußtsein und Frechheit verfügt. solche zu versprechen. In Deutschland ist augenblicklich unter diesen Stroh- Halmen Hitler derjenige, an den sich die meisten haltlos ge- wordenen Elemente anklammern. Dieser Wunderdoktor findet heute noch weit mehr Zulauf als vor kurzem etwa noch Zeileis. Er langt bereits nach der Macht im Staate, um das deutsche Volk seiner Eisenbart-Kur zu unterwerfen. Nament-

lich der verarmende Mittelstand, doch auch nicht wenige Arbeiter strömen ihm zu. Die Kapitalisten aber und die Groß- agrarier unterstützen Hitler vor ollem deswegen, well er- in selbständig denkenden, unterrichteten und demokratisch organi- sierten Proletariern seine gefährlichsten Gegner sieht. In seinem Haß gegen alle Proletarier, die sich nicht kaufen und willenlos kommandieren lassen, trifft er sich mit den großen Ausbeutern. Hitler darf nicht an die Macht! Manche unserer Freunde meinen, man sollte nur die Nationalsozialisten aus Ruder lassen, sie würden bald ihre vollständige Unfähigkeit darlun und rasch abwirtsäiaften. Sein Zweifel, das wird eintreten. Aber sie werden dabei ebenso unzweifelhaft das ganze deutsche Volk iu Grund und Boden hineinwirtschaften, und je mehr darob die Opposition gegen sie wächst, um so mehr werden sie ihr Gewaitregime verstärken, den Terror immer intensiver ge- stalten. Darauf lief noch jede Diktatur hinaus. Allerdings so bequem wie Mussolini würde es Hitler nicht haben, wenn er an die Macht käme. Das Proletariat ist in Deuischland weit stärker, geschulter und besser organi- fiert als in Italien . Und Mussolini ergriff das Ruder in einer Zeit relativer Prosperität. Italiens außenpolitische Lage war damals auch eine günstige. Hitler fände heute eine durch ihn selbst noch verschärfte Krise mit entsetzlicher Arbeitslosigkeit vor. Hiller würde bald vor unüberwindlichen Schwierigkeiten stehen, die er nicht bewältigen könnte, die immer mehr seine Anhänger enttäuschen, von ihm abstoßen müßten. Doch frei- willig könnte er das Staatsruder nicht aus der Hand geben, denn die Schandtaten, die er zu sühnen hätte, wenn er wieder einfacher Bürger würde, wären zu groß und zu zahlreich. Nur in verzweifeltem Ringen, in furchtbarem Bürger- krieg müßte die Demokratie wieder hergestellt werden. Da­mit würde wohl die Grundlage neuen Aufstieges für Deutsch - land wieder gewonnen, aber erst nach entsetzlichen Zerstö- rungen. Ehe man es dazu kommen läßt, ist es dock) dringend geboten, alle Kräfte aufzuwenden, Hitler nicht an die Staats- macht gelangen zu lassen. Demokratie ist nicht bloß Form! Man sieht, das kommende Jahr wird eine Fülle von Kämpfen bringen. Kämpfe um Erhaltung der sozialpolitischen Errungenschaften der Revolution, um Reduzierung und schließ- liche Streichung der Reparationen und Kriegsschulden, was ohne ökonomische Gefahr am ehesten durch allgemeine Ab- rüstung zu erreichen ist. Kämpfe endlich um Erhaltung der Demokratie, die nicht eine bloße Form ist. sondern einen sehr wesentlichen Inhalt hat. Geht die Demokratie ver- loren. so fallen mit ihr die A r b e i t s l o s e n v e r s i ch e- r u n g, der Achtstundentag, die Betriebsräte, die Kollektivverträge, sogar das S t r e i k r e ch t. Ohne sie ist aber auch eine Herabsetzung der Rüstungen nicht zu erreichen. Ohne sie bleiben dann olle die Lasten, Gegensätze,

alle Quellen von Mißtrauen und Unsicherheit m den inter - nationalen Beziehungen bestehen, die in einer auf dem Kredit- wesen aufgebauten Wirtschaft jede wirtschaflliche Gesundung unmöglich machen. Die Krisis der Demokratie findet aber heute ihren Hauptherd im Deutschen Reich. Die Frühjahrs- mahlen dieses Jahres lassen ihren Ausbruch erwarten. Sie können über das Schicksal nicht nur des deutschen Volkes, sondern über das Europas entscheiden. Zwischen München und Moskau Wäre das Proletariat im Reiche einig, es würde ohne Widerrede den' Charakter des Staates bestimmen Leider aber ist das ehedem so geschlossene deutsche Proletariat durch Krieg und Kriegsfolgen aufs tiefste zerklüftet worden. Ver- zweiflung und Unwissenheit haben wilde Wut in nicht wenigen Proletariern entfacht, gar manchem aber die Fähigkeit selb- ständigen Denkens geraubt. Die wilden Männer unterwerfen sich gedankenlos dem Kommando von Gauklern, die ihnen ein Eldorado vorschwindeln. Sie unterwerfen sich einerseits dem Kommando des Potentaten des Moskauer Kreml , anderer- seits dem Kommando des Potentaten im Münchener Braunen Haus, der selbst wieder nur ein Kommis der Schwerindustrie ist. Durch nichts wird die proletarische Sache in Deutschland mehr gefährdet als durch jene Proletarier von rechts und links, die nicht merken, daß sie nichts find als Kanonen- futter für fremde Zwecke. Unter ihnen die größte Gefahr für die Demokratie sind die Nationalsozialisten. Die Kommunisten schwächen die demokratische Front, gefährden sie nicht. Die wirkliche Gefahr steht rechts. Wir sind die Kraft! Die klassenbewußten selbständig denkenden, in freien Or- ganisationen vereinten, von selbstgewähllen Führern geleiteten Proletarier bilden nur einen Teil des gesamten deutschen Proletariats. Doch machen sie immer noch die große Mehr­heit der Arbeiterklasse aus, und sie stehen über ihren Gegnern von rechts und links durch höhere Einsicht, höhere Moral. Sie wissen dadurch ihre Kräfte auf das Mögliche und Not­wendige zu konzentrieren und gewinnen erhöhte Kraft durch Vermeiden jeder Kraftverschwendung. Das Streben nach Wahrheit und Klarheit bringt uns aber auch moralisch nicht bloß intellektuell große Ueberlcgenheit. Die Leidenschaft, die uns beseelt, ist nicht blindes Wüten, das wild um sich schlägt, ohne zu sehen, wohin es trifft und was es erreicht. Die Kämpfer der Sozialdenwkratie werden endlich auch dadurch moralisch gehoben, daß sie große Ziele für die Gesamtheit ver- ! fechten, die ihre Selbstlosigkeit und Opferwilligkeit geivaltig steigern. Die Kämpfer Hitlers werden dagegen zumeist durch per- sönliche Vorteile verlockt, die sie von ihm erwarten. Elemente dieser Art halten zusammen, solange Erfolge winken. Nieder- lagen können sie nicht vertragen. An Wissen, Erfahrung, Selbständigkeit des Urteils, Opfer- mut den Hakenkreuzlern überlegen, haben wir alle Ursache, den Kampf mit ihnen nicht zu scheuen, wenn wir uns nur eines zu erhalten wissen: die Einigkeit in unseren Reihen. Wir sind verloren, wenn wir uns zersplittern. Wir haben die beste Aussicht auf Sieg wenn wir fest zu- sammenhalten. Stets war Einigkeit unentbehrlich für unsere Selbstbehauptung gegenüber einer Welt von Gegnern. Heute ist der Zusammenschluß wichtiger als je. Heute von der ge- meinsamen Fahne zu desertieren, ist schmählicher Verrat. Doch die Massen haben vollauf begriffen, was ihre Pflicht ist, und das darf uns volle Siegeszuveriicht verleihen. Trotz aller Verschiedenheiten zwischen rechtem und linkem Flügel, die es immer gab und geben wird, war unsere Partei nie so einig und geschlossen wie jetzt. Und eng vereint mit ihr kämpfen die freien Gewerkschaften. Diese Orgauisakionea der selbständigen proletarischen Kämpfer sind der Kern, um den sich entschlossen immer mehr alle jene scharen, die für die demokratische Republik alles auf­zubieten bereit sind. Und die gesamte Arbeiter-Jnteruationale stellt sich ein- mutig auf die Seite dieser..c i s e r n e n F r o n t". hinter den Kämpfern für die Demokratie in Deutschland steht die gesamte Demokratie der Well, denn der Sieg über den deutschen Fa- schismus bedeutet einen Sieg über den Faschismus auch außer- halb Deutschlands . Um das Geschick des deutschen Proletariats, des deutschen Volkes, um die Gesundung der Welt wird in diesem Zahr ent, scheidend gekämpft werden. Da gilt es, alle Kraft aufzu- wenden, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, auf daß an der eisernen Front alle Anschläge der tückischen Volksfeinde zer- schellen und der Ausstieg zu einem besseren Sein beginne« kann.