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(Beilage Sonnabende 2. Januar 1932

SivMimö SfinJrttilfaße J/u l/buHtdi

Aufruf an das Landvolk!

Deutsche Bauern! Warum smd die Preise für eure Erzeugnisse ständig gesunken? Was hat der Landbundministcr Schiele getan, um euch zu Helsen ? Wer hat die Hunderte von Millionen erhalten, die der Land- Wirtschaft in den letzten Jahren zugeflossen sind? Die Preise fallen, weil die Kaufkraft der Massen der städtischen Verbraucher infolge von Arbeitslosigkeit und wieder- holten Lohnkürzungen ungeheuer gesunken ist. Die Preise fallen, weil euch die Verbraucher auch wegen der übertriebenen Preissteigerung durch den Zwischenhandel von euren Erzeugnissen, eurein Vieh, euren Eiern, eurer Milch und eurer Lutter zu wenig abkaufen können. Schieles Hilfe gilt nicht euch, sonder« nur einer kleinen Schar ostelbischer Junker. Diese sollen durch hohe Getreidczölle und Geschenke aus der Oschilfe vor dem Untergang gerettet werden. Hunderte von Millionen sind umsonst an die Junker vertan. Die Katastrophe des oftelbischen GrotzgruillZ- besitzes ist aber nur verzögert, nicht beseitigt. Bauer und Arbeiter in Land und Stadt haben dafür die Kosten aufbringen müssen. Außerdem werden dem Bauern, der für sein Geflügel und seine Schweine Gerste und Mais zukaufen muß. diese Futtcrniittel durch die Getreidezölle unerträglich verteuert. Für diese Agrarpolitik sind die sogenannten Führer der Land- Wirtschaft, die sichGrüne Front' nennen, verantwortlich. Das sind auch heute noch jene ostelbischcn Großgrundbesitzer, deren Versagen vor dem Kriege und während des Krieges an dem Unglück unserer Zeit ein gerütteltes Maß der Schuld trägt, jene Minderheiten von Adligen und Juntcrn, denen der November 1318 ihre Vorrechte geraubt hat, und denen nun die Bekämpfung der neuen Staatsordnung und die Verhinde- rung einer Volksherrschaft wichtiger ist als die Versorgung des Volkes mit guten und preiswerten Lebensmitteln. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung ihrer früheren Klassenherr- schaft, die Ausbeutung der arbeitenden Masten zugunsten adliger Grundrentner. Wer sind die getreuesten Helfer der Großagrarier? Tie Nationalsozialisten! Ten Bauern versprechen sie Befreiung von der Zins- kncchtschaft, den Landarbeitern kostenloses Tiedlunns- land. Ist das ihr wahres Gesicht? N c i n!! Sie denken gar nicht daran, diese Versprechungen einzulösen, well sie von den Großbanken und dem Großgrundbesitz misgehalien werden und nichts tun dürfen, was die Interessen dieser Kreise verletzt., Sie wolle» dem kleinen Pächter den Pachtschub nehmen. Ter Großgrundbesitz dagegen soll un- angetastet bleiben. Das Hot Hitler selbst entgegen dem ursprünglichen Parteiprogramm der Nazi? erklärt. Die Sozialdemokratie verlangt demgegenüber getreu ihrem Agrarprogramm eins radikale Aenderung dieser bauernfeindlichen Jntcressenpolitik. Sie fordert: 1. energische Senkung der durch Kartelle hochgehaltenen Preise für Kunstdünger, Baustoffe, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte;

2. sofortige Herabsetzung der Preise für Futtcrgetreide und Futter- mitte! zur Förderung der Veredelungswirtschaft: 3. enge Verbindung der Landwirte und ihrer Genossenschaften mit den Konsumgenossenschaften zur Ausschaltung unnützer Zwischen- Handelsgewinne; l. keine Verschwendung öffentlicher Mittel zur Stützung doch zu- sammenbrechender ostelbischer Großbetriebe; statt dessen blllige Ansicdlung von Bauernsöhncn und Landarbeitern im deutschen Osten;

ö. Verbesserung des landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungs- wssens; Förderung der landwirtschaftlichen Produktions- Umstellung auf die Bedürfnisse des Marktes; 6. Schutz der Kleinpächter gegen willkürliche Kündigung und Pocht- zinserhöhung durch ein Pachtschutzgesetz, das Dauergeltung haben muß. Deutsches Landvolk, stärke die Sozialdemokratie und damit die breite Front derer, die für das Wohlergehen und die wirtschaftliche Sicherung aller arbeitenden Schichten kämpfen. Damit dienst du deinem Volke und dir selb st I Agrarpolftische Zentrale beim Vorstand der Sozialdemokratischen Partei _ Deutschlands .

Vom Ewigen und Vergänglichen

Musik in der Reujahrsnachi

Lindenoper:Die Geisha." Es ist eine alte Geschichte, dach bleibt sie ewig neu: Staats- opern sollen keine Operetten spielen. Nicht etwa der Weihe des Hauses wegen oder gar, um geheiligte Traditionen nicht zu verletzen, sondern aus stilistischen Gründen. Räumliche Dimensionen, Personenmaterial und Darstcllungskonventwn einer großen Oper bedingen eine Aufmachung, die den sogenannten Äin- dern der heiteren Muse nur abträglich sein kann es kommt da leicht zu einer Hypertrophie der Operette, die um so peinlicher wirkt, je größer dos Mißverhältnis zwischen innerem Gehalt(der ja hier meist nicht einmal angestrebt, geschweige denn erreicht ist) und äußeren Mitteln wird, Mitteln, die schließlich zum Selbstzweck avancieren: aus Operette wird im Handumdrehen Revue. Nur ohne deren nackte Ehrlichkeit und leider ohne deren virtuose Bravour. Silvestcrunterhaltung und Neujahrsgesckcnk der Lindenoper:Die Geisha" von Sidney Jones , eine der Herrlichkeiten der neunziger Jahre, in unseren Tagen(warum eigentlich?) bereits renaissancefähig geworden. Laban, der Jnszcnator, versucht eine Wiedergeburt aus dem Geist des Tanzes, ohne amüsante oder gar neue tänzerische Einfälle aber, und qualvoll konventionell in jeder Bewegung; einSeekadetten-Saluticren, Girlausmarschierenund Geisha- Getrippel, ein Armgeschlcnker und Beingerudcr in Massenaufgebot, das in mehr als einer Revue reichlich besser zu sehen war. Die Bühnenbilder A r e n t s sind teils mehr, teils weniger geglückt; am reizvollsten die stilisierten mit japanischen Zwischcnvorhänqen. Das letzte eine japanische Straße, ein Farbengewirr aus taufend bunten Lampions hatte großen Publikumserfolg und Beifall auf offener Szene. Die Bearbeitung(es ist jetzt große Mode, alle Operetten zu bearbeiten) stammte von Marcellus Schiffer . Seine Couplet-Tcxte. deren plalle Aktualitär sich mit den hiftori- fchcn Kostümen schlecht verträgt, lassen an Banalität nichts zu wünschen übrig. Musikalisch war die Aufführung bei Fritz Z w e i g in besten Händen. Lotte Schöne war als Geisha stimmlich ganz aus- gezeichnet, Eugenia N i k o l a j e w a eine pikante Julielle, Tilly de Gorma eine schmissige Miß, Waldemar Henke ein präch- tiger Chinamann. Max: Schipper(ein Gast von der Operelle) sieht gut aus, hat wenig Stimme und ist auch sonst nicht er- schüllernd. Max Ehrlich , ebenfalls Gast des hohen Hauses, mimt einen von Marcellus Schiffer frei dazu erfundenen Berliner , mimt ihn glanzvoll und sichert sich den Löwenanteil des Erfolges. Stoatsopern sollen keine Operetten spielen. Diese Geisha-Be- arbeitung,-Einrichtung und-Inszenierung, diese voluminöse Tanz- maskorade ist nur eiv Beweis für diese These. Und wenn sie's schon nicht lassen können: kann man bei den Wicderbelebungsver- suchen glücklich verstorbener Bergangenheitsschlager nicht vorsichtiger sein? Wenn die Geisha vor 35 Jahren ein saturiertes und arro- gantes europäisches Publikum amüsierte, ist damit gesogt, daß sie

es heute noch tun muß? Etwas ganz anderes geschieht: der Auf- riß jener Zell und jenes Publikums wird sozusagen phantastisch transparent ein Effekt allerdings, der kaum beabsichtigt gewesen sein dürfle. Volksbühne: Die Neunte Sinfonie. Forcierte Lustigkeil der Silvesternacht -, an allen Ecken und Enden, in allen Theatern, in allen Betrieben, als Opcrcllenschlager, als Tanzmelodie, überall ist Musik und überall ist sie nur Mittel zum kläglichen Zweck traditionell gedankenlosen Amüsements. Allein im Arbeitertheater am Bülowplatz , in der ausverkauften Volks» b ü h n e, da sitzen stille Menschen und lauschen einer Musik, die ihnen Auseinandersetzung ist mit dem Unendlichen, stärkstes geistiges Symbol und konzentriertestes Erleben, einer Musik, die nicht Rausch und Vergessen bringen sali, sondern Wachsein und Starkwerden lauschen den Klängen der IX. Sinfonie, hingegeben an den Willen die Macht und Herrlichkeit Beethovens. Und um Mitternacht, wenn ein schweres Jahr einem nach schwereren Platz macht, wenn einer leidvoll dunklen Zukunft Tore sich auszutun scheinen, da betäubt nicht rasch verfliegender Jubel heimliche Angst; da krönen große Chöre des Meisters gewaltiges Werk und singen von Freude in Frieden, von Gleich- und Einssein aller Menschen: vonunserem Ziel in allen kommenden Kämpfen. Die schönste Feier im ganzen Reich, die schönste Feier der Welt. Fritz Stiedry dirigierte und riß das Philharmonische Or- chester und den Berliner Bolkschor der sich die verdienstlichste Mühe gab zu großer Leistung mit. Die Solisten waren Mia Neusitzer-Thönisicn, Hilde Ellger, Fritz Zohscl und Hermann Schcy. Arnold Walter. Gitta Alpar und der Rundfunk. Die bekannte Oparettensängcrin Gitta Alpar versucht sich in einem Berliner Mittagsblatt gegen den Vorwurf der Geldgier und der Starallüren zu verteidigen. Sie hotte ein Angebot des Rundfunks, am Silvesterabend gegen ein Honorar von 600 Mark zu singen, abgelehnt, well ihr der Rundfunk für zwei Proben nicht noch einmal 20« Mark bewilligen wollte. Gitta Alpar erklärt, sie habe in letzter Zeit wiederholt für die Winterhilfe gratis gesungen, bei der Veranstaltung des Rundfunks dagegen habe kein soziales Interesse vorgelegen, so daß sie auf ein angemessenes Honorar habe bestehen müssen. Bei der Höhe dieses Honorars müsse man berücksichtigen, daß die Stars, die Gagen, diein ein paar Jahren des'rfalges" verdient würden, über die Jahrzehnte des weiteren Lebens reichen müßten, in denen sie altes Eisen seien. Wir glauben nicht, daß diese Argumentation genügt. Max Pallenberg und Fritzy Massary sind, obgleich sie nicht mehr in den jüngsten Jahren stehen, auch heute noch nicht altes Eisen. Auch eine erhebliche Herabsetzung der Stargagen würde den Stars immer noch eine sehr angemessene Lebenshaltung gewähren.