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Rr. 9 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 7. Januar 1932

Der Kampf um die Miete.

10-15000 Neubaumieter haben ihre Wohnungen gekündigt.

Für die Inhaber von Neubauwohnungen war am 5. Ja­nuar der letzte Termin, um von dem außerordentlichen Kün­digungsrecht Gebrauch zu machen.

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Wenn auch abschließende Zahlen über den Gesamtumfang der erfolgten Kündigungen noch nicht vorliegen, so steht doch immerhin schon fest, daß die Neubaumieter zu einem außerordentlich hohen Prozentsah den Hauswirten einen ,, blauen Brief" überreicht haben. Nach dem Ueberblick, den der Neubaumieter- Verband Groß- Berlin aus seiner in den letzten Wochen erheblich gestiegenen Geschäfts­tätigkeit hat, haben sich seit Erlaß der vierten Notverordnung das war am 8. Dezember ungefähr 40 000 Neubaumieter in Groß- Berlin für die Kündigung intereſſiert. Die Nachricht jedoch, daß für das Kündigungsverfahren noch besondere Ausführungs­bestimmungen erlassen werden, bewog viele Mieter, diese Er­gänzungsverordnung erst noch abzuwarten. Dazu kam die Tattit vieler Hauswirte, ihren Mietern erst zu einem möglichst späten Termin von der ab Januar zu erfolgenden Mietsenkung Kenntnis zu geben. Dadurch war vielfach den Mietern die Möglichkeit ge­nommen, gemeinsam in Mieterversammlungen ihre Lage zu er örtern und den mehr oder weniger folgenschweren Schritt der Kündigung wohl abzuwägen.

haben die Neubaumieter dafür die Quittung erteilt. Von jeweils 100 Mietsparteien dürften immer 30 bis 40 gekündigt haben, weil auch derjenige, der heute noch eine bescheidene Existenz hat, nicht voraussehen kann, was einmal in zehn Jahren sein wird, wenn sein Mietvertrag endlich abläuft. Wir erleben gegenwärtig in Berlin einen regelrechten

Kampf zwischen Hausbesitzern und Mietern. In einigen Fällen haben die Hausbefizer alle Minen springen lassen, um die Kündigungen zu verhindern. So haben sie sich Leute bestellt, die sofort, nachdem ein Mieter seine Wohnung gekündigt hatte, diese Wohnung als Mietlustige besichtigten. Alle anderen an der Kündigung Interessierten wurden dadurch natürlich zurüd­geschreckt, weil sie befürchteten, bei einer unüberlegten Kündigung am 1. April fein Dach über dem Kopf zu haben. Denn durch die am 1. Januar 1932 erfolgte Schließung der amtlichen Wohnungs­listen ist den Neubaumietern der Rückweg zu einer Altwohnung vorläufig versperrt. Obwohl es an der Peripherie Berlins 2% 3immerwohnungen gibt, die ungefähr 52 Mart tosten und durch

aus einen Vergleich mit Altwohnungen aushalten. Troßdem sind diese Wohnungen unvermietbar, dazu ist die Not in Berlin zu groß. In Wittenau mußte eine Baugesellschaft daran gehen, ihre leer­stehenden- 3immerwohnungen aufzuteilen. Aus dem halben Zimmer wurde eine weitere Küche gemacht und in der ehemaligen- 3immerwohnung wohnen jezt zwei Parteien mit je Stube und Küche. Da in solchen Wohnungen denn doch alles wieder voll Betten steht, geht wohl oder übel durch diese von der Not hervorgerufene Entwicklung viel von der sozialistischerseits ge­schaffenen Wohnkultur bedauerlicherweise verloren.

Im großen und ganzen aber werden sich die Hauswirte wohl mit ihren Mietern, die gekündigt haben, wieder einigen. Die Mieter werden vor den Umzugskosten zurückschrecken, überhaupt vor den ganzen Unannehmlichkeiten, die mit einem Umzug verknüpft sind, und die Hauswirte werden sich sagen, daß sie neue Mieter mur finden werden, wenn sie die freiwerdenden Räume instand setzen lassen. Also wird man in dieser oder jener Frage Zugeständnisse machen. Aus Steglitz ist ein Fall bekannt, in dem 10jährige Ver­tragszeiten unter dem Druck der Kündigungen auf jährige(!) ermäßigt wurden. Damit haben sich die Mieter zufrieden gegeben.

Hochwasserkatastrophe droht.

Die Hochflutwelle setzt Dessau in Schrecken.

Die größte Hochwasserwelle hat Dejjau passiert. Der

Hinzu kam die zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt erfolgte Veröffentlichung der Durchführungsbestimmungen. Wie erinnerlich. geschah dies erst am Heiligabend im Reichsgesetzblatt. Das schwer­wiegendste Moment bei diesen Ausführungsbestimmungen war aber das übliche juristische Wenn und Aber, das dem einfachen Mann auch beim besten Willen unverständlich blieb. Trotzdem machte sich jeder, so gut er es fonnte, seinen eigenen Vers aus diesen Durch­führungsbestimmungen und dabei ergab sich, daß die meisten der Leipzig , 6. Januar. an einer Kündigung ihres Mietvertrages Interessierten einen Ver­In Eilenburg ist ein Fallen des Wasserspiegels in den fall ihrer Mietvorauszahlungen, Baukostenzuschüsse usw. befürchromenadenwa II, der letzte Wasserschutzgürtel und teten. Diese Dinge sind dann später aufgeklärt worden. Rund Berbindungsweg nach dem Osten des Kreises ist überlegten 24 Stunden um 70 Zentimeter zu verzeichnen. In schmutzig­drei Biertel derjenigen jedoch, die ursprünglich fündigen wollten, flutet. Die Häuser der Wasserstadt stehen be gelbem Schnee dahinströmende Wassermengen reichen noch immer maren aber inzwischen zurückgeschreckt, und so dürfte nach Auf- reits zum Zeil unter Wasser. An der Durch bis an die Deichmauer der deutschen Zelluloidfabrik heran und faffung des Neubaumieter- Berbandes Groß- Berlin sich die Zahl der bruchsstelle bei Rehau hat man sich bisher vergeblich haben auch das Grundstück der Pianofortefabrit Hupfeld u. Zimmer­tatsächlich erfolgten Kündigungen zwischen 10 000 und 15 000 Fällen bemüht, die Lücke, die inzwischen etwa 15 Meter breit mann überflutet. Bis zum Eisenbahndamm ist die Gegend ein bewegen. geworden ist, mit Fichtenstämmen zu schließen. Die unübersehbarer See. Von einzelnen in der Aue liegenden Gebäuden ragen nur noch die oberen Teile heraus. Wiefen und Felder sind Truppen aus Dessau und Zerbst beschränken sich darauf, weithin vom Wasser bedeckt, nur die Kronen der Bäume sehen aus die übrigen gefährdeten Dammstädte durch Auswerfen dem Wasser heraus. Auf der Strecke nach Düben mußte in der von Notdämmen zu schützen. In Rehau und Dessau ar­beitet das Militär im Verein mit Hunderten von Arbeitslosen.

Die großen gemeinnügigen Baugesellschaften sind dabei von diesen Kündigungen am wenigsten betroffen worden. Einmal waren hier die Neubaumieten schon nicht mehr so sündhaft teuer, so daß diese einen Vergleich mit ungünstigen Altwohnungen aushielten, besonders wenn man den wirtschaftlich geschnittenen Grundriß und die moderne Ausstattung auch der fleinsten Neubau wohnung in Rechnung stellt. Zum anderen haben die gemeinnügi­gen Baugesellschaften von vornherein auf den Abschluß von lang­fristigen Mietverträgen verzichtet, hat doch die Gehag zum Beispiel in vielen ihrer Blods monatliche Kündigungsfristen. Hier waren also die hauptsächlichsten Differenzen, nämlich viel 3 hohe Mietsäße und viel zu lange Laufzeiten der Verträge meist gar nicht vorhanden.

Anders jedoch bei den kleinen Neuhaus Besizern. Hier hat sich mit Recht der Unmille der Mieter über die hohen Mieten und die unerhört lange Dauer der Berträge einmal gründlich Luft gemacht. Der Vorwärts" hat schon seinerzeit auf eine Entscheidung des Amisgerichts Paniom hingewiesen, in der das Gericht eindeutig dagegen Stellung nahm, aber auch alle Lasten aus den Mietverträgen auf Jahre hinaus den Neubaumietern aufzubürden. Dies verstoße gegen die guten Sitten. Und in der Tat sind die Zeiten noch nicht allzu lange her, wo es fast nach Gnade und Barmherzigkeit aussah, wenn jemand feinen Bertrag für eine Neubauwohnung unterschreiben durfte. Jeßt

Penner Adria

1]

über der

Nach einem Tagebuchroman von Karl Hans Schober

Hurra!

Die Stadt nicht mehr gefährdet.

Dessau , 6. Januar. ( Eigenbericht.)

Ju später Abendstunde ist die Stadt Dessau gegen weiteres Ansteigen des Hochwassers gesichert worden. Da die Stadt selbst ziemlich hoch liegt, sind nur die Straßenzüge bedroht, die unmittelbar in der Nähe des Muldebettes liegen. Einer dieser gesperrten Straßenzüge konnte gegen Abend wieder frei gegeben werden. In den beiden Hauptstraßenzügen, die von der Stadt nach der Mulde führen, sind umfang: reiche Dammbauten zum Schute gegen das Hochvajjer aufgeführt worden. An den Dammbauten haben 150 Reichsbannerlente teilgenommen. Unter Aufsicht der Polizei arbeiteten an den Dammbauten gemeinsam Reichsbanner, Jungdo, A. und Technische Nothilfe.

,, Ja, Vater," der Soldat schüttelt ihm die Hand ,,, auf Wiedersehn!" Er besinnt sich, dreht sich noch einmal um und schreit so laut er fann: ,, Grüaß mir die Mutter no amol!" Ein Verwandter von uns ist auch dabei. Ich drücke ihm ein paar Münzen in die Hand: Servus, wirst es brauchen!" Ich dank dir schön," seine Augen werden feucht. ,, fomm bald nach!"

,, Recht hast! Freiwillig rüd ich ein!" Vereine treten mit ihren Fahnen an. An der Spitze des Zuges marschieren die Honoratioren der Stadt.

Alle Tage find voll Musit, Gesang, Glocken und Fahnen. lnd abends ist Fackelzug.

Meine Aufnahme zur Marine ist bewilligt. Warum macht die Mutter ein besorgtes Gesicht? Der Vater flopft mir auf die Schulter. Natürlich, er war auch Soldat. Die erzählt von Erich Knauf . besten Kleider ziehe ich an und melde mich beim Kommando. Blechout und Leicht, meine Freunde, sind auch dabei. Wir sind siebzehn Jahre alt.

Vor dem Auslagefenster der Zeitung drängeln sich die Menschen. Eine feindliche Festung ist gefallen! Biele tausend Ruffen find gefangen genommen.

Da seht her!" rufen einige ,,, stramm sind unsere Jungens an der Front!"

Auf den Türmen läuten die Gloden. Und in den Straßen schreit es Hurra!

Militärabteilungen, die ins Feld gehen, treten auf dem Marktplatz an. Ihre Uniformen und ihre Bajonette sind mit grünem Laub geschmückt. Ein Offizier schreitet die Front ab. Doppelreihen linksum! Marsch!" Boran die Militärtapelle. Aus den Fenstern fliegen Blumen: Nur feste drauf!" Und die Soldaten winken: ,, Servus alle miteinander, wir werden sie gehörig dreschen!"

Sie

Eine alte Mutter läuft neben der marschierenden Kolonne her: Leb wohl Pepperl, fomm gesund wieder." Sie weint ununterbrochen. Pepperl, noch ans, dös Kreizerl..." reicht es ihm hin, daß du dein Herrgott nit vergißt!" Er steckt es in die Tasche. Na, na, Mutterl," tritt aus der Reihe und umarmt fie. Und die Mufit spielt jetzt, und die Soldaten fingen dazu: ,, Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus..

Der alte Mann neben mir singt aus voller Kehle mit. ,, Also leb wohl, Franz," und er reicht einem Soldaten die Hand ,,, mach mir la Schand da draußen, auch ich war Soldat," er hebt seinen Stod, han zu; wann dir so ein Gauner in den Weg fommt, schlog ihm's Kreuz ein, sonst glaubst du dran"

Entkleidet stehen wir vor der Kommission. Der Arzt schiebt, die Brille hoch: Also Freiwillige? Gejund?" ,, Ja!"

,, Lauglich ohne Gebrechen! Anziehen!"

"

Froh verlassen wir das Zimmer. Eine Stunde vergeht. Flott!" schreit ein Interoffizier ,,, Eid ablegen!" Wir treten beim Major ein. Guten Tag!" Doch der schnauzt: Das hört fich jetzt auf!" Und er mustert uns: Die Zivilmanieren müssen verschwinden." Berdammt, denke ich, ein scharfer Wind weht da! Der Major figt an seinem Tisch und kehrt uns den Rüden Im Zimmer herrscht größte Ruhe. Man hebt ihn behut­sam aus dem Sessel und dreht ihn mit dem Gesicht uns zu. Er ist kein Kriegstrüppel, aber ein Rückenmarkleiden bringt ihn langjam um. Täglich fährt er in einer Kutsche hierher, und zwei Mann tragen ihn die Treppen hinauf.

zu.

Mit gerunzelter Stirn blidt er uns an und sagt langsam, ols ob ihm jedes Wort Schmerzen mache: ,, Alles, was ich sage, müßt ihr nachsprechen." Er umflammert die Stuhllehne und starrt vor sich hin, indem er vorspricht: Sch... schwöre..." Wir antworten, und der Treueid auf Kaiser und Bater­land ist geleistet. Es flopft an die Tür, und herein stolpert sein Pfeifendeckel, sein Bursche, in beiden Händen einen Teller mit zwei Brotschnittent, gut mit Butter beschmiert und mit Wurit belegt, und ein Glas Bein ist auch dabei. Der Bein leuchtet noch einmal im Glase, und dann ist er verschwunden. Mir läuft das Woffer im Munde zujammen. Butter, Wurit

an=

vergangenen Nacht verschiedentlich an den Deichen gearbeitet werden. Das Wasser drohte hier bei den von der Mulde weit ent­fernt liegenden Orten den Damm zu durchbrechen. Mit Sandsäcken, Steiner, Pfählen und Dunghausen mußten die Dämme gesichert werden. In 3idepplin mußte an drei Stellen in gestrengtester Arbeit der Damm verstärkt werden. Hier reicht das Wasser noch heute bis an die wesentlich höher liegende Chaussee heran. In Hohenprießniz bestand nur für einzelne Häuser Gefahr. Die Aue ist vollkommen unter dem Wasser verschwunden. Vor Wella une umspülen die Fluten die von dem Fluß entfernt liegende Straße nach Düben. Durch Bersagen eines Wehres floß ein Teil des Wassers ab und drang bis zu den Häusern vor. An einer Stelle der Chaussee, wo Ausschachtungsarbeiten vorgenommen worden waren, mußte mit Brettern und Pfählen der Straßendaman versteift werden, um einen Durchbruch zu vermeiden. Die jenjeits der Mulde liegende Ziegelei steht unter Wasser. In dem ganzen Gebiet sieht man weiter nichts als nur die Kronen der Bäume aus

dem Wasser herausragen. Bei Düben reicht das Wasser auf weite Streden bis an die Chaussee heran. In der Nähe des Flusses stehende. Häuser sind vom Wasser umspült. Mit aller Gewalt drängen die Wassermassen durch die Brücken.

und Wein sind schon etwas Seltenes, denn wir sind mitten im Krieg.

Raus mit der Bande!" Der Major haut mit der Faust auf den Tisch. ,, Ich will Ruhe haben." Wir sind schon draußen. Ich nehme von meinem Rock eine Wanze. Etwas Schönes habe ich da aufgegabelt. Und ich zerdrücke fie, pfui, wie das Vieh stinkt.

Der Wasserhahn im Wartezimmer ist noch aus Messing. Unserer daheim mußte gegen einen eisernen umgetauscht wer­den. Den Küchenmörjer wollte man uns auch nehmen, aber ich habe ihn verräumt. An der Wand hängt das Bild des Kaisers. Der Rahmen glänzt. Aber die Bänke, auf dener wir fizen, sind zerbrochen. Der Fußboden ist schwarz, und der Ofen droht einzufallen.

Blechout kann es trotz der Tafel ,, Rauchen verboten" nichf übers Herz bringen, untätig hier zu ſizen. Er zündet eine Zigarette an. Hopfenblätter! Auch ich bekomme Appetit, und er reicht mir den Stummel. Blechout ist zum Militär ge gangen, weil er glaubte, es dort beffer zu haben.

Ein Feldwebel tritt ein und versetzt mir ein Kopfstüd: ,, Rauchen verboten!" Ich werfe den Stummel zu Boden und will eine Entschuldigung stammeln. Doch er fällt mir ins Wort: Aufheben!" und zeigt auf den Ofen. Wie ich die Ofentür öffnen mill, fällt fie aus ihren Angeln und zu Boden. Jetzt wird der Kerl rot vor Wut: Ihr macht dem Staate mehr Schaden als Nuzzen!" und schmeißt uns hinaus.

Zu Hause packe ich meine wenigen Habseligkeiten zu sammen, und die Mutter schleppt alle Vorräte an Lebens­mitteln herbei und verstaut fie im Rudsad. Tränen laufen ihr dabei über die Wangen .

Ich möchte sie aufmuntern: Freut es dich nicht, daß ich Soldat geworden bin?" Aber sie gibt mir feine Antwort, tritt an die Wiege, in der das vier Monate alte Schwesterlein liegt, und verbirgt ihr Gesicht in der Schürze. Der Abschied wird schmer, und ich denke mir: wenn ich nur schon draußen wäre. Ich komme ja wieder heim," beruhige ich die Mutter. ,, Komm wieder so wie du gehst," meint sie, und ich reiße mich von allem los. Blechout und Leicht erwarten mich int Hausflur. Auf dem Bahnhof nimmt der Vater Abschied. Er drückt mir fest die Hand: Hüte dich vor Weibern , die Welt ist schlecht." Wie der Zug aus der Halle rollt, find wir alle froh. daß Das Abschiednehmen vorbei ist. Blechout holt ein Spiel ( Fortlegung folgt) Karten aus jeinem Rudiad.