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Beilage

Freitag, 8. Januar 1932

bono? ms slaigansas Der Abend пог

Erinnerungen eines Arztes

Aus den Aufzeichnungen Alfred Grotjahns

Als Alfred Grotjahn vor vier Monaten nach kurzer Krankheit mitten aus einem schaffensfreudigen Leben schied, ist fein Wirken auch an dieser Stelle geschildert und seine Bedeutung als Mensch und Gelehrter, vor allem als Bahnbrecher der sozialen Hygiene anerkannt worden. Vor wenigen Wochen sind seine Er= innerungen erschienen*); sie zeigen, welch eine ungewöhnlich begabte und ethisch hochstehende Persönlichkeit Grotjahn war!

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Spalausgabe des Vorwärts

bezeichnend, daß er in seinem Tun und Lassen ein Außenseiter gewesen ist, und zwar auf zwei Bahnen. Einmal als Hygienifer, und, wie wohl hinzugesetzt werden darf, mit Erfolg, weil er in einer Zeit, in welcher der wissenschaftlichen hygienischen Forschung nur die Laboratoriumsarbeit und der Tierversuch etwas galt, es in, seinen Arbeiten wagte,

den Menschen selbst wieder als das Objekt der Hygiene in den Vordergrund zu stellen,

dem Kultusminister Ha enisch zum ordentlichen Professor der so­zialen Hygiene an der Berliner Universität ernannt und durch Grotjahn ist diese einzige ordentliche Professur für soziale Hyund zwar nicht nur in seinem individuellen Wesen, sondern vor­giene zu einem

Sammelpunkt aller sozialhygienischen wissenschaft­lichen Forschungen geworden.

Backend ist auch der Abschnitt der Erinnerungen, in dem Grot­Die erste Niederschrift ist im Jahre 1927, als Grotjahn 58 Jahre jahn seine Tätigkeit und Erlebnisse als Reichstagsabgeordneter elt war, abgeschlossen und erst im Jahre 1931 durch einen lezten Abschnitt ergänzt worden, immer unter dem Gesichtspunkt, daß schildert; neben der Beschreibung prominenter Politiker werden manche Situationen, wie zum Beispiel die Ereignisse am 24. Juni in Erinnerungsbüchern nicht alles, was wahr ist, erzählt zu werden 1922, dem Tage der Ermordung Rathenaus, dramatisch dar braucht, wohl aber alles, was erzählt wird, wahr sein muß." Schon als Gymnasiast beschäftigte ihn das Problem, dem die gestellt. Von Grotjahn wurde übrigens auch das erste Gesund­heitsprogramm der Sozialdemokratischen Partei vorbereitet; Arbeit seines ganzen Lebens gewidmet war, Barum muß es es lag nicht an ihm, wenn es bisher noch nicht in das offizielle Reiche und Arme, marum Entbehrende und Uebersättigte geben?" So war es auch fein Wunder, daß Grotjahn als junger Stu- Parteiprogramm aufgenommen worden ist. dent sich mit gleichgesinnten Freunden zusammenfand und die Bekanntschaft der in der sozialistischen Bewegung stehenden Männer suchte. In Kiel lernte er Heinrich Ströbel , der damals Redakteur des dortigen Parteiblattes war, kennen, durch ihn gewann er Fühlung mit der örtlichen Arbeiterbewegung und onläßlich der Reichstagswahl im Jahre 1893 Einblick in das innere Parteigetriebe. Damals hörte er zum ersten Male August Bebel , der einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte.

,, Einen solchen Volksredner hat Deutschland nach Luther wohl kaum jemals hervorgebracht. Ich hehe wenigstens keinen ihm auch nur annähernd gleichen jemals wieder gehört."

Von Kiel ging Grotjahn nach Berlin und schloß sich dem Kreise fozialistischer Studenten an, die in einem Lokal in der Invaliden­straße ihre heimlichen Sigungen abhielten. Es war, so schreibt er in den Erinnerungen, trotz Aufheben des Sozialistengesetzes nicht

wiegend in seinen sozialen Beziehungen. Zum zweiten war er Außenseiter als Sozialist, und dieses allerdings ohne sonder­lichen Erfolg, weil er niemals als solcher die besondere Stellung des vom Klassenhaß freien Akademikers und Intellektuellen ver­leugnen oder auf deren geistigen Vorrang verzichten konnte und

wollte."

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Grotjahn hat sich hier geirrt: er hat als Sozialist einen großen Erfolg gehabt; feine sozialhygienischen Lehren haben - auch wenn sie in manchen Punkten, und mit vollem Recht, bei den Parteigenossen Widerspruch fanden die theoretische und prat­tische Arbeit der Partei befruchtet, und so werden seine Erinne rungen auch von allen Sozialdemokraten geschätzt werden, denn in ihnen tommt überall sein politisches Glaubensbekenntnis zutage: ,, Mein Sozialismus ist nicht aus Klassenhaß geboren, sondern aus einer Gesinnung entsprungen, die das Elend der Welt nicht ruhig mit ansehen kann, und von der Ueberzeugung ge­tragen, daß dieses Elend bei der gegenwärtig erreichten Beherr schung der Naturkräfte nicht mehr notwendig, sondern nur noch durch eine fehlerhafte Gesellschaftsordnung bedingt ist. Diesem So­zialismus aus Glaube, Liebe und Hoffnung bin ich immer treu Im Jahre 1931 schreibt Grotjahn im Vorwort zu seinen Er- geblieben, während meine Beziehungen zu der zeitgemäßen partei innerungen: ,, Erinnerungen niederschreiben heißt Gerichtstag halten| politischen Vertretung des Sozialismus allerdings geschwankt haben." mit sich selbst. Dabei erscheint dem Verfasser als für ihn am meisten| Prof. Dr. Chajes.

In seinen Erinnerungen hat Grotjáhn manch herbes Urteil über die Partei und ihre Politik gefällt; es soll hier nicht gegen manches Berditt, das Grotjahn zu Unrecht fällt, polemisiert werden. Eines aber muß hervorgehoben werden: Grotjahn ist gerade in den schwersten Zeiten trotz aller inneren Widerstände der Partei treu geblieben und hat seine persönlichen Bedenten gegen manche taftischen Maßnahmen der Partei zurückgestellt, stets hat er die Taktik der Parteispalter aufs schärfste verurteilt.

Wie sieht's in Rußland aus?

ungefährlich, ein sozialistischer Student zu sein. Das geringste Eindrücke des Metallarbeiters Hermann Erny- Seckenheim

Hervortreten etwa mit einer Diskussionsbemerkung in einer öffent­lichen Versammlung oder als Flugblattverteiler würde unfehlbar die Relegation von der Universität und damit den Abbruch jeder weiteren Berufsbildung nach sich gezogen haben, da man auf feiner anderen Universität wieder angenommen worden wäre. Von den sozialistischen Führern fam er jetzt mit Bruno Schönlant, Ledebour, Bebel , Wilhelm Liebknecht und anderen zusammen. Entzückend erzählt Gratjahn, wie er in feinem letzten Studiensemester Karl Liebknecht fennen lernte, der damals als Einjährig Freiwilliger im Pionierbataillon diente. Liebknecht war gerade von seinem Hauptmann be­fohlen worden, in den lebenden Bildern aus der preußischen Geschichte, die die Mannschaften zur Feier von Kaisers Geburtstag stellen sollten, Fried­rich den Großen darzustellen.

Kurz vor dem Wegtreten fragte ihn der Hauptmann: Wie heißen Sie?" Karl Liebknecht ", war die Antwort. Der Sohn des Go zialdemokraten?" zu Befehl, Herr Hauptmann!" ,, Ganz egal." Und dabei ist es denn auch geblieben, und Karl Liebknecht hat zu Wilhelms II. Geburtstag den Fridericus Reg im lebenden

Bilde darstellen müssen!

gräben

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Dem Querschnitt durch das Sowjetsystem, den wir am Mitt­woch veröffentlichten, lassen wir einige Schilderungen des Genossen Hermann Erny folgen, der fünf Monate Mai bis No­bember 1931 in Rußland gearbeitet hat. Ein Mannheimer Arbeiter fährt nach Sowjetrußland. Durch Polen , dessen Boden noch die Spuren des Weltkriegs trägt; durch abgeholzte Wälder, Drahtverhaue, noch nicht eingeebnete Schützen geht die Reise. An der russischen Grenze großer Triumphbogen mit der Aufschrift: Wir grüßen euch alle, Wert tätige aus dem Besten, der Kommunismus wird alle Grenzen ver­mischen." Die Worte find sielversprechend, und die roten Fahnen imponieren immer einem Proletarier. Noch eine Strede und dann kommt Moskau . Zuerst überrascht der Bahnhof mit den riesigen Menschenmengen, die dort mit ihrem Hab und Gut lagern. Dann bekommt man Einblick in die wachsende folossale europäisch­asiatische Stadt. Fieberhafte Straßenbewegung, die bis zum Plagen überfüllten Straßenbahnen, sonst­

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vor allem in der Architektur

das bunte Gemisch von Neuem, Europäischem und Altem, Asia­tischem: große moderne Gebäude, wie man sie in Berlin und Ham burg sehen fann immitten alten queren Gäßchen. Das Alte über wiegt entschieden, das Naue ist nur eingebaut und sieht wie JInseln in einem Meer aus. Aber gebaut wird viel, in rafendem Tempo; allerdings werben in erster Reihe Betriebsbauten, nicht Bohnhäuser, errichtet. Die Wohnbedürfnisse werden weit hinter die Industrialisierungsbedürfnisse gestellt. Soweit man Häuser baut, baut man modern, etwa nach dem berühmten Wiener Muster. Das ist jedenfalls nur ein Tropfen auf den heißen Stein: das Wohnungselend ist sehr groß. Aber darüber noch später.

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Die neuen Menschen auf Moskaus Straßen passen äußerlich wenig zu den neuen Bauten. Die außerordentlich ärm liche, dürftige Betleidung fällt auf. Man sieht viele Leute mit Bastschuhen, mit der Lumpenumhüllung auf den Füßen. Das sind meistens die vom flachen Lande kommenden Saisonarbeiter, fie bestimmen aber in gewissem Grade das Bild der Straße. Ausgezeichnet gefleidet sind die Militärs, gut die höheren Sowjetbeamten, man sieht auch viele luxuriös gekleidete Frauen, Russinnen, auch Ausländerinnen, in prächtigen Belzen. Das ist die Ungleichheit im Straßenbild der Sowjet­stadt, sie ist an sich weniger ausgeprägt als bei uns, aber heuer wirft fie stärker, beinahe beleidigend, angesichts der unerhörten Aermlichkeit des Massenlebens. Uebrigens die Militärs davon fieht man viele und oft, in allen Waffenarten und Uniformen. Das Aufgebot an Heeresmacht ist sehr groß. Auf einen sozialdemo­fratischen Arbeiter, der die kommunistische Kriegsdentweise nicht teilt, wirft das nicht sehr erhebend. Noch peinlicher wirkt aber die Militarisierung der Zivilbevölkerung. Man fann auf den größeren Plägen Moskaus sehr oft Arbeiter, vor allem Ar­beiterjugend, sehen, die, bewaffnet, durch die Militärs

Bald darauf läßt sich Grotjahn als prattischer Arzt in der Kommandantenstraße nieder und findet neben feiner bald ausgedehnten Braris doch die Zeit, sich weiter ärztlich und vor allem auch auf voltswirtschaftlichem Gebiet weiter zu bilden; 1901 war er fleißiger Besucher des Seminars von Schmoller. Das Berden seiner wissenschaftlichen Arbeiten, die ja bahnbrechend wurden und dem Arbeitsgebiet der sozialen Hygiene internationale Anerkennung verschafften, schildert Grotjahn in seinen Erinne­rungen recht anschaulich und schält den Kern seiner Lehren deutlich heraus. Nie aber verlor er den Zusammenhang mit den sozia­ listischen Freunden und Gesinnungsgenossen. Er gehörte zu den regelmäßigen Besuchern der Distusfionsabende, die der fpäter wegen feiner Zugehörigkeit zur Partei aus seinem Amte ent­laffene Privatdozent und Physiker Leo Arons in seinem Hause veranstaltete. Das Kapitel Der rote Salon" gehört auch vom Gesichtspunkt der Parteigeschichte der Sozialdemokratie be­trachtet, zu den intereffantesten des Buches; dort werden die Be­sucher des Kreises, zum Beispiel Bollmar, Woldersti, Bruno Bor­ chardt , Arno Holz , Wilhelm Bölsche und viele andere, erwähnt und oft mit ganz wenigen Worten treffend charakterisiert. Wer diese Personen gefannt hat, wird die erstaunlich scharfe Beobachtungs­gabe Grotjahns auch hier erkennen und bewundern. Allmählich trat aber bei Grotjahn eine gewiffe Ent fremdung gegen die Partei ein. Er fah sich in seiner Hoffnung, daß über die Entwicklung der Partei, wie er sie sich vorgestellt hatte, enttäuscht; am 15. Mai 1901 schreibt er in sein Tagebuch: Ich verlasse die Sozialdemokratische Partei nicht des halb, um mich einer anderen zu nähern oder anzuschließen, sondern um mir eine möglichst ausgedehnte geistige Bewegungsfreiheit zur Berfolgung meiner wissenschaftlichen Ziele zu sichern." Da Grotegerziert werden. jahn aber, wie er selbst schreibt, nicht ohne politische Betätigung fein konnte, und die eigentliche Politit nicht so ging, daß sie ihn hätte befriedigen können, wandte er sich der Hygienepolitik zu. Seinen weiteren sozialhygienischen Werdegang vom praktischen Arzt zum Privatdozenten, sein nicht gerade sehr befriedigendes Wirken als Abteilungsvorsteher im Medizinalamt der Stadt Berlin und als ärztlicher Direktor des städti­schen Heimstätten amtes wird in späteren Kapiteln oft recht humorvoll beschrieben. Daß auf einen so überzeugten Pazifisten, wie es Grotjahn schon von seiner Jünglingszeit an war, Welt­frieg und Revolution einen ungeheuren Eindruck machten, ist, ja selbstverständlich. Seine Tagebuchnotizen aus dieser Zeit find nicht nur menschlich, sondern auch fulturhistorisch interessante Dokumente. Natürlich schloß sich Grotjahn wieder der Partei an und fühlte sich völlig eins mit den Mehrheitssozialisten", be­geistert über das was sie nach dem Zusammenbruch beim Aufbau An der eigentlichen Parteiarbeit Lonnte er nicht mehr teil­nehmen, weil ihn seine wissenschaftliche Tätigkeit immer mehr in Anspruch nahm. Gerade auf Betreiben der Partei wurde er von

von Staat und Reich leisteten.

*) Alfred Grotjahn : Erlebtes und Erstrebtes. Erinne rungen eines sozialistischen Arztes. Berlin 1932. Kommissionsver­lag F. A. Herbig G. m. b. 5. Preis 6 Mart.

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Ergreifend wirkt in Moskau die Straßenpropaganda. Sie bringt die höchste Steigerung der Ueberzeugungskunst. Pla­tate, Bilder, statistische Tabellen über und zum Fünfjahrsplan be­deden buchstäblich die Straßen, lassen einen nie mit sich selbst allein, beeinflussen auf das stärkste. Der Fünfjahrsplan und seine Parolen wirken unmittelbar von der Straße her. Ununterbrochen berichten darüber auch die Lautsprecher. Dieser Aufwand an berichten darüber auch die Lautsprecher. Dieser Aufwand an geschickten Propagandamitteln findet einen bildhaften plastischen Ausdrud. Der Kapitalismus fennt nur Geschäftsreklame, hier sieht man aber Propaganda als ein Stüd Erziehung. Wenn man von der positiven Seite des Moskauer Lebens spricht, so gehört dazu neben der großen Bautätigkeit, dem Kampf um die neue Technik und der Schaffensfreude, die reguläre ful­turelle Betätigung. Die Museen sind prächtig. Nur die Bilder stammen von den alten Zeiten her, aber sie sind umgeordnet, na ch den Epochen zusammengestellt. Man fann z. B. die russische Geschichte in ihren Hauptereignissen im Bilde überbliden. russische Geschichte in ihren Hauptereignissen im Bilde überbliden. Nie werde ich die historischen Bilder des großen russischen Malers jepin vergessen. Die ungezählten Museen und Bildergalerien sind durchschnittlich gut besucht, die Führung ist tadellos. Aber den größten, den gewaltigsten Eindruck hat auf mich die Be­sichtigung eines politischen Museums gemacht. Jawohl, eine revolutionshistorische Anstalt das Museum der Gesellschaft

der ehemaligen politischen Strafgefangenen, der ,, politischen Zucht­häusler". Da sieht man den Leidensweg der russischen Revolutio­näre, da versteht man, wenn man die Modelle dieser Zuchthaus­zellen und die Hinrichtungsszenen sieht, wie die Generation der heldenhaften Revolutionäre gestählt wurde, die den Zarismus ge­stürzt hat. Allerdings, die Bolsche wisten waren in jener Zeit in der Minderheit dabei, und heute sizen in denselben Zellen die tapferen russischen Sozialisten, die auf ihre Ueberzeugung nicht verzichten wollen. Dieses gewaltig wirkende Museum scheint aber auf das Moskauer Bublifum feine besonders anziehende Kraft aus zuüben: denn ich war in jener Stunde der einzige Befucher.

stabs

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Man muß sehr vorsichtig sein den gegenüber, was die Aus länder von Sowjetrußland erzählen und berichten. Denn man darf nicht vergessen, die Ausländer bilden in Rußland eine Art der be= Dorzugten Gemeinschaft. Sie sind die Besizer des Zaubers der Goldvaluta. Sie haben die Goldwährung, und in Rußland herrscht das Inflationsgeld. Der Ausländer, der nur etwa Valuta hat, und das sind alle, fühlt sich in der Sowjet­ union wie ein reicher Amerikaner mit vielen Dollars in Deutschland während der Inflation. Alles steht ihm zur Verfügung. Er muß viele gute Eindrüde mit nach Hause nehmten und möglichst viel Baluta im Lande laffen. Der ausländische Ingenieur, Angestellte oder Arbeiter braucht nicht oder nur in beschränktem Maße sich an den freien Markt zu wenden, der ungeheuer teuer wegen der Inflationspreise ist. Er kann die allernotwendigsten Lebensmittel in besonderen Genossenschaftsläden für die Aus. länder faufen, wo er in russischer Währung und viel billiger. als auf dem freien Markt bezahlt. Sonst stehen ihm die Valuta­läden zur Verfügung, wo er alles in der ausländischen Währung faufen fann, auch teuerste und seltenfte Dinge: man findet dort die allerbesten französischen Parfüms, teuerste englische Lederwaren, ruffischen Kaviar usw. An der Schwelle dieser Lurusläden hört das strenge Sowjetregime auf. Man kann nun wohl verstehen, warum die hungrigen, zerlumpten Leute draußen mit unwillkürlicher Gier auf die fostbaren Dinge in den Schaufenstern und mit Haß auf die fetten Verbraucher dieser Herrlichkeit, die ein- und ausgehen, blicken.

Die Ausländer lassen allerdings in Moskau Geld genug. Ich habe für das bescheidenste kleine Zimmer im Hotel 25 Mart pro Tag bezahlt, und der bescheidene, auf alles Notwendigste beschränkte Lebensunterhalt eines ausländischen qualifizierten Arbeiters beträgt etwa 60 Mart pro Tag. Aber wie bescheiden der Aus­länder dort auch lebt, im Vergleich mit den Lebensbedingungen der russischen Bevölkerung treibt er eine Luruseristenz. Deshalb ist er auch kein zuverlässiger Zeuge, weil er ein anderes Leben führt als der russische Arbeiter und Bauer. Nicht nur weil dieser Aus­länder die Sprache des Landes gewöhnlich nicht kennt, was viel wichtiger, er fennt auch die Leiden des Landes nicht. Die bür gerlichen industriellen Journalisten für diese Herren geht es um Profit oder um die interessante" spannende Berichterstattung- geben in Rußland Riesengelder aus und sehen auf Leiden und Ent­behrungen des russischen Arbeiters von oben herab.

Aber auch die deutschen Kommunisten, die Teilnehmer an den unzähligen Delegationen usw. Diese fausen wohlverpflegt und wohlbehütet in den D- 3ügen durch das Riesenland hindurch, beobachten das Land als Reisende, als Touristen, bleiben die ganze Zeit in der kommunistischen Umgebung, sehen nur das, was ihnen gezeigt wird, und kommen in wenigen Wochen als ,, Rußlandkenner" zurück. Sie kennen die riesigen physischen Anstrengungen des er­schöpften, schlecht ernährten russischen Arbeiters nicht, und die dünne Kohlsuppe des russischen Bauern auch nicht. Sie können deshalb am allerwenigsten als zuverlässige Zeugen betrachtet werden.

Nein, über Rußland kann wahrheitsgemäß nur der berichten, der monatelang, ohne Führung, ohne Kontrolle und äußere Be­Arbeitern in der Werkstatt stand, ihr Alltagsleben beobachtet, mit ihnen gelebt hat; wer das dürftige schwere Los der russischen Bauern nicht als Reisender, sondern als neben ihm arbeitender Werftätiger aus der nächsten Nähe gesehen hat. Man muß nach Rußland als einfacher Arbeiter, nicht als Gast der russischen Regie. rung gehen, dazu noch als ein Mensch ohne Scheuklappen und ohne Boreingenommenheit.

einflussung Schulter an Schulter mit den russischen