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Walter Schirmeier:

Der Mann mit dem Milchtopf

MADO

In die kühle Frische des Morgens schrillt wie eine jähe Disso-| nanz das Lärmen der Straßenbahnwagen. Die Sonne tämpft sich langsam durch das Gewölk. Einzeln und in kleinen Trupps streben die Kinder dem großen roten Schulgebäude zu. Es schlägt dreimal dreiviertel acht. Der Platz mit dem weiten Rasenrondell und den grüngestrichenen Bänken ringsherum liegt im Schein der Sonne, die sich endlich durch eine schwächere Stelle in den Wolken Bahn gebrochen hat. An der Straßenbahnhaltestelle stehen nur noch ver­einzelte Wartende. Der große Zustrom in Fabriken und Büros ist vorbei. Ab und zu kommt ein Nachzügler eilig angerannt, läuft einen Augenblick neben der fahrenden Elektrischen her und springt dann auf das Trittbrett eilig und besorgt, den Beginn der Arbeitszeit nicht zu versäumen. An der Schmalseite des Plazzes, wo die Kinderspielpläge sind, wird gearbeitet. Auf der Straße steht der Wagen eines Tiefbauunternehmens. Die Arbeiter haben die Hemdärmel, unter denen gebräunte, muskulöse Arme zu sehen sind, aufgefrempelt und schachten einen tiefen Gang aus. Sie rauchen Zigaretten und unterhalten sich dabei. Auf der Straße steht ein grau angestrichener ehemaliger Postwagen. In ihm ziehen sie sich um und essen während der Pausen an dem Klapptisch ihre Stullen. Neben den Wagen ist eine übermannsgroße Holzminde gerollt. Sie ist mit Kabel bespannt, das an der Schnittstelle fupfern aufglänzt. Aus den Häusern kommen die Frauen mit Einholetaschen. Sie rufen sich Grüße zu ab und zu bleiben sie stehen und sprechen ein Beilchen miteinander. Daß die Preise nicht billiger werden nder, daß man in diesem Jahre keine Feuerung als Wintervorrat einfahren lassen konnte, während man im vorigen Jahre fünfzehn Zentner Kohlen...

Aus einem Hausflur fommt ein Mann. Er hat teinen Kragen umgebunden. Sein brauner Anzug sieht abgetragen aus. In der Hand hat er einen Milchtopf. Er geht mit scheuem Gruß an den Frauen vorbei, über die Straße zum Milchhändler. Schrecklich, mit dem Krüger", sagt die eine. Er ist doch mindestens schon ein halbes Jahr ohne Arbeit?"

,, Acht Monate", erwidert die andere. Ich sprach neulich mit feiner Frau ein paar Worte."

,, Die bekommt man jetzt gar nicht mehr zu sehen!"

,, Ist doch kein Wunder. Sie näht von morgens früh bis abends spät. Bon den paar Mark Unterstügung, die er bekommt, können fie doch nicht leben!"

Die Frauen gehen auseinander. Der Mam tritt aus dem Milchgeschäft. In der Rechten hält er vorsichtig den Porzellantopf mit Milch, in der Linken eine Tüte mit Reis. Er fommt über den

Plaz. Vor einer Bank bleibt er stehen stellt vorsichtig den Topf ab und setzt sich daneben in die Sonne. Er blidt erst hinüber zur Haltestelle, dann, wie unabsichtlich, wandern seine Augen zu den Erdarbeitern, deren lautes Sprechen deutlich zu verstehen ist. Sie streiten über die Bezahlung; der eine will Ueberstunden gemacht haben, die ihm zu Unrecht nicht mit verrechnet worden sind. Der Mann hört das Sprechen: drei Stunden à eine Mart acht unddreißig macht vier Mart vierzehn. Die muß der Alte mir die Woche nachzahlen!" Der Mann auf der Bank schüttelt ungläubig den Kopf. Eine Mark achtunddreißig pro Stunde so viel Geld hat er das nicht auch mal verdient? Aber das ist ja gar nicht mehr wahr; so lange ist das schon her, daß man sich gar keine rechte Borstellung mehr davon machen kann.

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Sein Kopf hängt herunter. Das Kinn ruht auf der Brust. Wie weit liegt es schon zurück, daß er Freitags die Lohntüte mit vierzig, fünfzig Marf nach Hause brachte? 3ft es überhaupt ies mals gewesen, oder kennt man das alles nur vom Hörensagen, aus Erzählungen? Er greift sich an den Kopf, richtet sich auf und versinkt doch nur noch tiefer in seine schmerzvollen Grübeleien. Wie

mar das doch

Grete brauchte nicht zu nähen; abends, wenn man nach Hause tam, stand das Essen schon auf dem Tische... man saß nachher, behaglich, oder auch mal verärgert, wenn's in der Fabrik nicht geklappt hatte, in der Küche und las die Zeitung Sonntags fuhr man mit den Kindern nach außerhalb, in den Wald, ans Wasser... Wenn man Urlaub hatte im vorigen Jahr maren es schon sechs Tage-, dann lebte man mit der Frau froh und glücklich wie damals, als man sich verheiratet hatte. Morgens

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stand er als erster auf, nahm den Milchtopf und die Tasche und ging zum Milchhändler und Bäcker einholen. Einholen das war etwas, an dem man im stillen seinen Spaß hatte. Das war der Frau ins Handwerk gepfuscht; das war ein Scherz, den man sich leistete... Nachher stand er in der Küche herum und guɗte der Frau in die Töpfe, bis sie ungeduldig wurde und ihn davonjagte. Dann ging er spazieren...

Die Schuluhr schlägt einmal hart und laut an viertel Neun. Der Mann fährt erschrocken zusammen schon viertel neun Er seufzt auf wo ist das alles geblieben, das von damals...? mit dem Tage, an dem er seine Arbeit verlor, riß alles entzwei. In der ersten Zeit ging es ja noch. Man hatte sich ein paar Mark gespart, fonnte zusetzen bis nichts mehr da war. Dann fing die Frau an zu nähen, mußte mithelfen, die Familie durchbringen, denn

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Arbeit an Arbeit für ihn war ja nicht zu denken. Es war selbstverständlich, daß er ihr half, ihr Arbeit abnahm, wo er nur fonnte. Er ging einholen was früher nur Spaß gewesen war, murde jegt blanke, nüchterne Selbstverständlichkeit die Frau hatte dazu kein Geld mehr nach und nach übernahm er auch die andern Hausarbeiten, machte sauber, kochte das Essen...

Der Mann lacht bitter auf, während auf aufsteht und den Topf und die Tüte in die Hand nimmt. O ja, er fann es schon ganz gut, er findet sich schon zurecht in der Frauenarbeit und nur im Innern frißt eine stetige, bohrende Scham, wächst ein dumpfer Widerstand und Ekel gegen die Zeit, die die Menschen zur Not zwingt..., die die Frauen zwingt zu arbeiten, Geld zu verdienen, die Familie zu erhalten, während die Männer hilflos und in brennender Erbitterung die Frauenarbeit verrichten.

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Die Erdarbeiter lachen und gehen zum Wagen, frühstücken. Die Schnittstelle des Kabels glänzt rötlich- golden in der Sonne. Eine Straßenbahn kommt angefahren, hält und fährt dann mit lautem Klingeln weiter. Der Mann wirst noch einen Blick auf den Play, dann geht er mit hängendem Kopf, den Milchtopf in der Hand, über die Straße.

Elke: Europas größte Eisbahn

Wenn in Norddeutschland der Sturm mit den letzten welken Blättern den Kehraus wirbelt, wenn das Land in Kälte und Frost zu erstarren beginnt, dann herrscht im südlichen Desterreich, an den Ufern des Wörther Sees, noch sommerliches Treiben. Bis in den November hinein leuchtet die Sonne über grünen Matten und dunkelblau schimmernden Wasserflächen, durch die weiße Segel, pfeilschnelle Motorboote und zierliche Baddler freuzen. Dann wird es endlich langsam Winter in Kärnten . Die Farben der Berge und Wälder werden dunkel und schwermütig, und über den See fegt ein eisiger Nordost. Aber die verlorene Leuchtkraft seiner Wasserfläche fehrt zu ihm zurüd. Zum zweitenmal legt ihm die Natur ein Märchengewand an. Wie er im Sommer durch das Türkisblau, das Smaragdgrün seiner Wellen ungezählte Menschen aus allen Ländern Europas an feine Ufer fesselte, so beherrscht er auch im Winter in seinem strahlenden Silberkleid die Landschaft. Die Natur hat ihn in eine spiegelglatte Eisfläche verwandelt, vor deren Weiß das Auge fich geblendet schließt, und wieder beherbergt er Ungezählte, die bei ihm Erholung und Ausspannung suchen. ,, Wie schweigt um uns das meiße Gefild!

Wie ertönt vom jungen Froste die Bahn!..."

Zwei Freunde, dem Aeußeren nach junge Schauspieler, rezi tieren begeistert die Verse des jungen Klopstod zu Ehren des Eis­laufs. Im rhythmischen Klang der Worte gleiten sie dahin über das Eis, bis sie wie zwei winzige Pünktchen in der Ferne ver­schwinden. Eine unübersehbare Strede von 40 Kilometer rund um den See liegt vor ihnen. Da ist nichts von der Enge und Be­grenztheit der städtischen Kunsteisbahnen, auf deren Raum sich die Läufer drängen, nichts von holprigen und ausgefahrenen Bahnen. Unaufhörlich wechselt die Landschaft: Fährt der Schlittschuhläufer pon Klagenfurt , der Hauptstadt Kärntens aus, so genießt er be­ständig den Blick auf die Hochalpen der Karawanken , die schroff und vereist hinter den Hügeln des gegenüberliegenden Ufers empor­ragen. Nur von Zeit zu Zeit versperren ihm kleine, Inseln und Halbinseln den Weg, die er umfahren muß. Das sind die einstigen, lieblichen Buchten des Sommers, der Haupttummelplatz der Bade­gäste und der Kinder Dann grüßt das Wahrzeichen des Börther Sees, die alte Kirche Maria Wörth mit ihrem ejeubewachsenen Friedhof herüber. Der Blick wendet sich nach Westen, hinauf zum Mittagsfogel, hinter dem die weißen Felsengipfel der Julischen Alpen , die Berge des Kanaltals und die Villacheralpe sonnen­beglänzt ruhen. In weitem Bogen geht es um die Ausbuchtungen Pörtschachs, des berühmten Alpenseebads herum, in dem Johannes Brahms so gern weilte. Hinter bereiften, vereisten Tannen auf einer Anhöhe schaut die sagenumsponnene Ruine Leonstein herab. Noch wenige Kilometer, und die äußerste Westecke des Sees ist erreicht. Bor uns liegt Belden, das einstige kleine Bauerndorf, mit seinem alten, turmgekrönten Schloß, das heute weltberühmte Seebad.

Nathan Gurdus: Mordtechnik

Wenn die Techni? etwas Neues erfindet, dann erschallen Bojaunenstöße über die Welt. Jede kleinste Erfindung wird groß der Deffentlichkeit erklärt. Nur ein Zweig der Technik arbeitet im stillen. Von der Arbeit dieser Techniker hört die Deffentlichkeit nichts, und erst wenn die Kanonen dröhnen und in irgendeinem Lande der Blutstrom des Krieges fließt, dann erst merkt die Mensch­heit, was alles die Technik der Kriegsindustrie neu erfunden hat... In jedem Lande gibt es genügend Paragraphen, um Neuig­keiten, die die Kriegsindustrie erfindet, vor der Deffentlichkeit geheimzuhalten. Die Arbeit der Herren Kriegsindustriellen blüht auch im stillen, oder mur im stillen, und wozu soll man den ,, Kälbern", die man für ein neues Schlachten bestimmen will, die ,, Anlagen des Schlachthauses" zeigen?

Manchmal aber wird der undurchsichtige Vorhang vor der Kriegsindustrie etwas gelüftet. Manchmal gelingt ein Blid hinter die Kulissen der Uniformen, und dann sieht man einen Teil, menn auch nur einen winzigen Teil des Fortschrittes in der Technik des Massenmordes.

Die Chikagoer Banditen sind treue Schüler des Mars. 3war stehen ihnen nicht wie den Herren Generalstäblern die neuent großen Mordwertzeuge zur Verfügung. Die Banditen haben feine feuerspeienden schweren Bombenflugzeuge oder Tants, die nur mit Gasgranaten schießen und innerhalb einer Stunde eine Großstadt in einen Riesenfriedhof verwandeln können, aber in der leichten Waffe haben die Herren Banditen vieles von den Armeen gelernt! Wenn die Banditen Chikagos einen Berdienst überhaupt haben, so ist es der, daß sie der Menschheit an grauenhaften Bei­spielen zeigen, was die Kriegsindustrie alles seit dem großen Bölker­morden neu erfunden hat. Aber wohlbemerkt, die Banden Capones find nur Anfangsschüler von Mars, denn da sie nur en detail arbeiten, brauchen sie nur die leichten Erzeugnisse der Industrie des Mordes.

Der Polizeipräsident Chifagos hat jeßt anläßlich des Jahres wechsels dem Innenministerium der Vereinigten Staaten einen Bericht über den Banditenkampf im Jahre 1931 erstattet. Ein be­fonderes Kapitel in diesem Bericht beschäftigt sich mit den Waffen der Banditenbanden. Die Banditen gebrauchen die modernsten Mordwerkzeuge der Armee. Die Polizei steht oft machtlos gegen über dieser Technif. So z. B. bei folgendem Fall: Ein Banden­führer sollte von einer anderen Bande ermordet werden. In seiner Wohnung im Barterre eines Hauses saß er abends mit feiner Familie wie ein ehrbarer Bürger der USA . am Tisch. Da auf

| einmal splitterte eine Fensterscheibe... Der Banditentönig, seine einmal splitterte eine Fensterscheibe... Der Banditenkönig, feine Söhne und sein Adjutant griffen zum Revolver. Aber kein Schuß ertönte, nur ein leises 3ischen fam vom zerschlagenen Fenster. Die Revolver sanken den Banditen aus den Händen. Alle Anwesenden griffen zum Hals, stöhnten und santen hin. Einer wollte zur Tür stürzen, und schon wälzte er sich in Krämpfen auf dem Boden. Einige Minuten nur dauerte das grauenhafte Schauspiel, dann waren alle Anwesenden tot. Die anderen Fenster wurden ein­geschlagen von den Tätern, und ein dünner gelber Rauch 30g aus dem Zimmer und verflog auf der Straße. Als die Polizei erschien, zeugten nur noch die zerbrochenen Fenster von der Ermordung. Man hätte sonst meinen können, der Tod wäre durch Vergiftung des Effens erfolgt. Wochenlang zerbrachen sich Detektive, Aerzte und Wissenschaftler den Kopf darüber, wie der Mord und mit welcher Waffe er geschehen sei. Die Polizei mar ratios. Da fam man auf die Idee, einen chemischen Sachverständigen der Armee hinzuzuziehen. Der Mann von der Kriegsindustrie studierte den Fall und stellte fest: die Ermordung war mit einem der neuen Gasgewehre der amerikanischen Armee und dem furchtbaren neuen Gas geschehen...

Wochenlang diskutierte man in USA . darüber, wer die Mörder feien. Niemand sprach über das Gasgewehr und das neuerfundene furchtbare Gas. Nur ein fleines Blatt in Chitago erwähnte, daß die amerikanische Armee mit dieser neuen Waffe sehr gut ver= sehen ist.

Oder folgendes: Bei einem Straßenkampf gegen Banditen setzte die Chikagoer Polizei Panzerwagen ein. Die Banditen schossen mit besonderen Maschinengewehren nach den Panzerwagen, und fiehe da, die Stahlwände bekamen Löcher und durch die Panzer platten wurden Bolizeibeamte vermundet! Nächsten Tag meldete der Armeejachperständige, die Banditen hätten mit den neuen Majdinengewehren der Armee geschossen, die mit neuartigen Dynamitpatronen geladen waren. Auch eine Neuerfindung der Kriegsindustrie, die leichten Panzerschuh illusorisch macht. Solche Beispiele lassen sich bis in das Hundertfache aufzählen. Erfindungen über Erfindungen. Und doch alles nur ein Bruchteil der neuen Werkzeuge des Mordes. Bei jedem Straßenkampf mit Banditen, bei dem neuartige Waffen verwendet werden, erscheinen jezt in USA . Immer Sachverständige der Kriegsindustrie. Sie wollen an Hand der Opfer die Wirkung ihrer genialen" Erfindungen sehen. Die größeren Objekte hebt man für das große Geschäft in irgend einen Teil der Welt auf...

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Segelschlitten tauchen auf. Scharf freuzen sie gegen den Bind an und sausen in fliegender Eile vorüber. In wenigen Sekunden tauchen sic in den Horizont ein und wirfen dort wie dahinjagende Segelboote, die auf geheimnisvollen Wasserflächen schweben. Aber ebenso schnell nähern sie sich wieder und gleiten nun mit sicherem Schwung am gegenüberliegenden Ufer am Fluß der Karawanken , die wie ungeheure Kristallberge glizern, heimwärts.

Mit der untergehenden Sonne versinkt diese helle, leuchtende Welt. Das Zwielicht, die Stunde zwischen Nacht und Tag, spannt ihre geheimnisvollen, grauen Fittiche aus, die allen Glanz der Landschaft verhüllen Im Eis des Sees fracht und knirscht es, als ob die alte Volkssage vom Wassergeist, der ein unterirdisches Loch ins Eis gräbt, um ans Land zu steigen, sich erfüllen wollte. Unheimlich, gefahrdrohend, lauernd starren die grauen Häupter der Karwanken in die düstere Landschaft.

Aber noch einmal gewinnt der See seine Schönheit zurück und wird zum Märchensee. Wenige Stunden später, und Myriaden Don Sternen, unwirflich groß und fremdartig leuchtende Gestirne, gießen ihre Lichtflut über das schweigende, stille Land. Sie ziehen breite, in Licht getauchte Straßen, fie spiegeln fich im Weiß des emigen Schnees und hüllen die Eisbahn in ein Leuchten, das iberirdisch anmutet. In weiter Ferne verschwimmen helle, fleine Lichter, Zeichen menschlicher Wohnstätten. Sie tauchen in Nacht und Dunkel, in die Sorgen und Kämpfe des Alltags. Ueber der von zartem Glanz überstrahlten Fläche des Sees jedoch liegt der Hauch des Unfaßbaren, des märchenhaft Unwirklichen. Der Alpen­see offenbart seine geheimste, verborgenste Schönheit.

Der Zigarrenftummet

Rüdwärtige offene Plattform eines Straßenbahnwagens. Es ist grimmig falt. Mein Nachbar trägt einen prächtigen Belzmantel. Ueberhaupt: diesem Herrn geht es( unberufen) gut. Er ist tüchtig mit Fett ausgepolstert. Auf seinem Nacen faltet sich rosa Spec. Seine diden Hände( Würstelfinger und Bolsterrüden") steden in herrlichent Wildleder, mit Hafenfelt. Aus dent ,, gesegneten Purpürgesichte schauen stumpfsinnig met unbescholtene Aeuglein. Unentwegt und mit sichtlichem Behagen zieht der Dice an einer imposanten Zeppelin- Zigarre und pafft in beneidenswerter Zufriedenheit den bläulichen, warmen Rauch in die falte Winter: luft. Es riecht köstlich. Fein hat's der Bursche, denke ich mir und spiele in der Manteltasche mit den Löchern meines rechten Hand­schuhs.

Allmählich wird die Zigarre fleiner; aber es ist immer noch ein stattlicher Stummel. Da wirft ihn der Dide( bedenken Sie nur!) ohne die geringste Hemmung auf die Straße. Ich schaue ihm wehmütig nach und schüttele, innerlich, den Kopf. Junge, Junge! Gleich darauf steht der Wagen: meine Haltestelle ist ange­tommen. Auch der Dicke steigt aus.

Raum stehe ich auf der Straße, als sich etwas Sonderbares ereignet: von den beiden gegenüberliegenden Gehsteigen eilen zwei Männer hastig auf die Straße, büden sich und greifen fast gleich­zeitig nach dem zwischen den Schienen liegenden und noch rauchen­den Zigarrenstummel. Gierig strecken sich die mageren Hände da­nach aus. Ein alter Mann und ein junger. Sie scheinen Arbeits­lose zu sein: äußerst dürftig geffeidet, ausgehungert und durch­gefroren. Die Hand des Alten zittert. Sein Rivale ist ihm zuvor gefommen: er hat den Stummel bereits im Munde.

Da höre ich dicht neben mir ein eigentümliches Geräusch: ein grunzendes Lachen, ein feistes und fürchterlich leeres Lachen. Mein Junge aus der Straßenbahn! Dem scheint diese Szene einen Heidenspaß zu bereiten. Er äugt auf die beiden Menschen, grunzt schwappernd und schüttelt seinen Schweinskopf. Dann wackelt er schnaufend von dannen. Ich sche noch seine rosigen Nadenfalten.

Unterdessen hat sich zwischen den beiden Arbeitslosen ein Streit entwickelt; sie scheinen im nächsten Augenblick handgemein zu wer­den. Der Jüngere flucht und stoßt den Alten beiseite. Der schreit heiser auf( seine Kappe fällt zu Boden) und fuchtelt maßlos er­regt mit seinen dürren Armen. Dann hebt er die Kappe auf und humpelt, noch immer heftig gestikulierend und vor sich hin schimpfend, auf den Gehsteig zurüd. Etmas ungeheuer Ergreifen­des liegt in dem fraftlos erbosten Berzicht dieses alten, gebrech­lichen, vom Leben verbrauchten Menschen.

Der andere fümmert sich nicht um ihn. Die Hände in den Hosentaschen, seine Beute zwischen den Zähnen, mischt er sich unter die Bassanten... Er hat sich vielleicht schon stundenlang nach ein wenig Rauchbarem gefehnt. Etwas muß der Mensch doch haben, das ihm das Leben leichter macht; wenn es auch nur der kleine, abgelutschte Rest einer Zigarre ist, den ein anderer weggeworfen hat. Daß er dabei nicht an den Alten denkt: Not verhärtet eben

Wenige Augenblicke darauf hat der Strom der Straße diese Episode weggeschwemmt. Die Menschen haben ja teine Zeit, am allerwenigsten für die fleinen Tragödien anderer. Die Angst hoot ihnen im Genic, die Angst um ihr Leben, und peitscht sie durch die steinernen, talten Straßen. Aber es ist gut so: wie wäre es möglich, außer der eigenen Not auch noch auf Schritt und Tritt bas angezählte Leid seiner Mitmenschen zu ertragen?! Dem find wir nicht gewachsen! Wer sich nicht abstumpft, der muß zerbrechen Ist es nicht furchtbar, daß wegen eines Zigarrenstummels Haß entbrennt, Gier auflodert und Menschen zu Feinden werden läßt? In eine so namenlose Bedrängnis sind wir geraten.

Aber, glaubt mir, erschütternder noch als das Elend der beiden Arbeitslosen ist das armselige, hohle Lachen dieses grunzenden Fett­manstes. Der lebt in abgrundtiefer Finsternis, trotz seines Belz­Harald Spitzer.

mantels.