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Beilage

Dienstag, 19. Januar 1932

Frauen schreiben uns:

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Dad

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärks

Als ich arbeitslos wurde...

Bon einer alleinstehenden Frau, Mutter eines schulpflichtigen Kindes, erhalten wir diese zuschrift. Die Frau ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, aber nicht gewerkschaftlich organisiert. Als Angehörige einer Gewerkschaft wären ihr ficher manche Un­annehmlichkeiten erspart geblieben. Trotzdem find ihre Erfahrungen die Erfahrungen vieler. Die Arbeitsämter sind überlastet. Nicht alle Mißstände werden abgestellt werden können. Aber vielleicht läßt sich doch durch eine straffe Organisation manches bessern, viel­leicht ließe sich manche Härte vermeiden, wenn es den Männern hinter den Schaltern stets bewußt wäre, daß den Menschen vor den Schaltern das genommen ist, was sie selbst noch haben: Arbeit und Brot.

Vergebliche Gänge.

Am 1. Januar wurde ich arbeitslos und mußte den Weg gehen, den Millionen vor mir gegangen sind. Ich fannte aber den Weg noch nicht und mußte nicht, was ich zu unternehmen hatte, um meine Unterstützung zu bekommen. Am 2. Januar ging ich aufs Geratewohl los, sprach den ersten besten Schupo an, der mir be gegnete, und sagte ihm, ich sei Büroangestellte, arbeitslos, wolle mich melden, miffe aber nicht wo. Er wurde verlegen: Gehen Sie aufs Revier, da wird man es Ihnen sagen, aber sagen Sie nicht, daß Sie mich gefragt haben." Ich ging aufs Revier, doch das war geschlossen.

Auf dem Heimwege traf ich einen Nachbarn, von dem ich wußte, daß er fast immer arbeitslos ist; ich hoffte, von ihm genaue Auskunft zu erhalten. ,, Ja, das kann ich Ihnen schon sagen; Sie müssen erst zum Revier und sich eine Bescheinigung geben laffen, daß Sie noch hier wohnen; damit gehen Sie aufs Arbeits­amt, D... ftraße, zweiten Stock, und melden sich arbeitslos." Das war am 2. Januar... Der 3. Januar war Sonntag. Am 4. früh 30g ich los. Zuerst zum Polizeirevier. Hier mußte ich eine halbe Stunde warten, denn es waren verschiedene Leute vor mir da. Als ich endlich meine Bitte vorbringen konnte, erfuhr ich, daß ich erst dann eine polizeiliche Bescheinigung haben könne, wenn ich im Besize der Stempelfarte sei; zu diesem Zweck müßte ich erst zum Arbeitsamt.

Also zur D... straße. Hier strömten viele Leute in das be= wußte Haus. Ich fragte ein junges Mädchen, an welche Stelle ich mich wenden müsse. ,, Kommen Sie mal mit, da unten in der Baracke sitzt eine Frau, die Ihnen Bescheid sagen wird." Ich trete in die von heißer Stickluft erfüllte Baracke und schaue mich nach der Frau um. Der Raum ist überfüllt. Ich werde ans Ende der langen Schlange geschubst und warte. Langsam schiebt sich die Bolonaise vorwärts. Endlich stehe ich am Schafter und bringe- mein Sprüchlein vor. Ja, da find Sie hier ganz faffch; Sie gehören in die G.. straße. Aber lassen Sie sich oben, Zimmer 15, gleich Formulare geben, damit Sie nicht erst unnüz hinfahren."

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Ich gehe die zwei Treppen hinauf. Simmer 15 ist gut gesagt! Wenn ich hineinmollte, müßte ich schon von der Treppe aus über Köpfe fteigen; Zimmer 15 liegt in meiter Ferne. Ich stelle mich an. Die Menschenmasse steht wie eine Mauer. Es vergehen Minuten... Stunden... Endlich stehe ich an der Barriere, um zu erfahren, daß ich die Formulare nicht hier, sondern nur in der G... straße bekommen fönne. Machen Sie fig, bis 12 Uhr ist da nur auf! ruft man mir nach. Die Uhr ist ein Biertel nach 11; mas bleibt mir übrig, als in meine magere Börje zu greifen und mir einen Fahrschein zu lösen. Auch die Auskunft in Biminer 15 war falsch; in der G... straße fam man bis 24 1hr Zim: ner 15 war falsch; in der G... straße fam man bis 4 1hr dran. Atemlos tam ich an und wandte mich an die Auskunft. Hier herrichte Ordnung; hier befam jeder seine Nummer, wurde auf gerufen und an die entsprechenden Schalter oder Zimmer gewiesen. Nach einer Stunde Bartezeit tam auch ich an die Reihe. Ich wurde reichlich für meinen Eifer und meine Geduld belohnt, bekam ein Batet Fragebogen in die hand gedrückt und konnte gehen. Die Fragebogen sollten bis morgen ausgefüllt und in der G... straße eingereicht werden. Heute durfte das nicht geschehen; aus welchem Grunde, ist mir nicht bekannt. Wir Arbeitslosen haben ja Zeit, fönnen laufen: von Tempelhof zum Spittelmarkt ein Kazensprung!

Mit der Stempelfarte in der Hand... Am nächsten Tage reichte ich nach einstündiger Wartezeit meine ausgefüllten Fragebogen ein und befam im Austausch ein An tragsformular, das ich auszufüllen und in meinem Bezirk in der D... straße einzureichen hatte; gleichzeitig wurde mir mein nunmehr wichtigstes Dokument, die Stempelfarte, in die Hand gedrückt, mit der Aufforderung, mich zweimal wöchentlich zweds Abstempelung in der G... straße zu melden.

Tags darauf fand ich mich, nachdem ich mir im Polizeirevier an Hand der Stempelfarte einen Ausweis hatte geben lassen, inr Arbeitsamt D... straße ein. Die Menschen standen Kopf an Kopi in einem Raum von etwa 5 Meter im Quadrat, von dem zwei Drittel für zwei Herren hinter der Barriere abgeteilt waren; ein Drittel stand dem etwa hundertköpfigen Publikum zur Verfügung. Ich stellte mich in die Reihe und bereitete mich auf eine bis anderthalb Stunden Wartezeit vor. Die Luft war zum Zerschneiden. Die Menschen hatten ermüdete, zerquälte Gesichter. Gemächlich wurden einzelne abgefertigt; es wurden viel Worte dabei gemacht nicht etwa freundlicher Natur! Ein qualvoller Seufzer entrang sich einem Wartenden. Der Beamte hob spöttisch den Kopf: Noch deut­licher bitte, der war noch nicht deutlich genug!" Kurze Zeit darauf entstand ein Handgemenge zwischen einem der Beamten und einem, der sich eine laute Bemerkung erlaubt hatte... Als zwei Stunden um waren und feine Aussicht bestand, noch heute abgefertigt zu werden, fragte ich den Beamten, ob ich denn nicht meine Papiere dalassen und mich selbst entfernen könne, ich hätte ein Kind zu Haus, das allein wäre und auf mich warte. ,, Wir haben hier keine Papieraufbewah Antwort: rungsstele. Kommen Sie morgen um 8 Uhr wieder." Bas blieb mir übrig, als seiner Aufforderung Folge zu leisten. Unmüz hatte ich zwei Stunden in dieser Stickluft gestanden, unnüz mein Kind zu Hause alleingelassen. Enttäuscht und traurig trat ich den Heimmeg an.

Am nächsten Morgen.

In der Hoffming, daß ich, menn ich mich pünktlich um 8 1hr ginfinden würde, als eine der ersten abgefertigt würde, machte ich

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| mich am nächsten Morgen früh auf den Weg. Vergebliche Hoff| Zimmer 15 war überfüllt, in Reih und Glied standen die Menschen. Ich nahm meinen Platz ein mit dem festen Vorsatz, heute auszuharren. Vereinzelt drangen von der Barriere etwas lauter geführte Wortwechsel an mein Ohr.

Eine Frau fragte, ob sie nicht früher, vorgenommen werden könne, sie müsse zum Arzt.

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Warum sind Sie denn nicht schon früher hiergewesen?" Ich bin frank und fonnte nicht so früh aufstehen." ,, Tut mir leid, wenn Sie schnell abgefertigt sein wollen, dann müssen Sie früh heraus, auch wenn Sie frank sind und wenn Sie sich anpaden so dick wie eine Litfaßsäule."

Ein Mann fam wegen irgendwelcher Differenzen, derentwegen. der Beamte mit einer anderen Stelle telephonieren mußte. Als er verbunden war, fing er so an: Hier ist ein gewisser Gustav Schulz ( alter deutscher Adel), der usw." Als ob es notwendig wäre, über diese armen geplagten Wesen, die Arbeitslosen, die doch un­angenehmere Arbeit zu verrichten haben als mancher Arbeitende, auch noch seine Glossen zu machen!.

Es vergehen Stunden, die Mauer schiebt sich im Schneckentempo weiter. Einer bemerkt: Im Rußland ist einem Poſtamt, dessen Beamte zu langsam arbeiteten, eine Schildkröte als Orden verliehen worden; hier haben sie zehn solcher Orden verdient."

Um 21 Uhr fam ich an die Reihe. Meine Papiere murden durchgesehen; es schien alles in Ordnung, doch nein, plötzlich schaute der Beamte auf: Der Stempel von der Krantentasse fehlt ja noch."( Niemand hatte es mir vorher gesagt, daß ein folcher nötig sei.) Ein Grauen überfam mich, einen Augenblick lang war ich so weit, daß ich auf jegliche Unterstützung verzichten wollte. war ich so weit, daß ich auf jegliche Unterſtügung verzichten wollte. ,, Verschaffen Sie sich den Stempel und kommen Sie morgen wieder." Berzweifelt bat ich den Beamten, doch wenigstens ein Zeichen auf meine Papiere zu machen, daß ich schon hiergewesen sei, damit ich morgen gleich vorgenommen würde. Mitleidlos verweigerte mir der Beamte diese fleine Erleichterung; sein Kollege schien noch nicht ganz so verfruſtet zu sein: er machte mir das Zeichen hin.

spät. Also morgen. Die Woche ging zu Ende und ich hatte noch nichts erreicht.

Eine freudige Ueberraschung erlebte ich in der Krankenkasse. Drei Menschen vor mir und ich wurden in fünf Minuten abgefertigt. Mit dem kostbaren Dokument versehen fuhr ich zur D..straße. Die Menschenmauer ließ mich nicht durch, troß meiner Versicherung, ich habe ein Zeichen auf meinen Papieren, daß ich sie gleich ab= geben könne. ,, Wir müssen alle nur unsere Papiere abgeben, warten Sie, wir müssen auch warten." Ein glücklicher Zufall kam mir zit Hilfe, ich rückte vor, und mit Aufbietung all meiner Energie streckte ich dem Beamten meine Papiere entgegen. Binnen zehn Minuten war meine Sache erledigt.

Seit diesem Tage gehe ich zweimal in der Woche zum Spittel­markt stempeln.

Weswegen ich schrieb.

Weswegen ich Ihnen diese Aufzeichnungen schicke? Sicherlich nicht, um andere Menschen anzuschwärzen. Aber ich glaube, daß es notwendig ist, in der Deffentlichkeit immer wieder darauf hin­zuweisen, wie der Erwerbslose empfindet. Ich stehe ja noch am Anjang meiner Erwerbslosigkeit. Und doch: ich sah es zu deutlich, die Niedergeschlagenheit, die mich bei meinen Gängen und während der furchtbaren Barterei erfaßte, jene anderen werden nicht minder von ihr ergriffen. Es ist ja wohl auch denen, die noch ihre Arbeit haben, verständlich, daß der Zustand der Arbeitslosigkeit einen nervös madyt, in einem bald Gefühle der Minderwertigkeit und bald Gefühle der Auflehmung gegen diese Ordnung hervorruft. Für uns sind die Gänge zum Arbeitsamt teine Kleinigkeit. Sie bestimmen unser Leben. Und von der Behandlung an den Arbeitsämtern hängt, ob wir wollen oder nicht, unsere Stimmung ab. Man spricht jetzt so viel von der seelischen Nothilfe für Erwerbslose. Möchte doch die Deffentlichkeit, möchten doch die Behörden, möchte doch jeder einzelne Beamte einsehen, wie entscheidend wichtig es ist, daß diese seelische nothilfe bei den Arbeitsämtern beginnt! Das glaubte ich gerade als Frau und Mutter einmal schreiben

Für heute war ich erledigt. Für die Krankenkasse war es zu zu müssen.

Ein Märtyrer für die Mütter

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Die Tragödie des Arztes Semmelweis

Die Lebensschicksale von 21 großen Aerzien. Pfadfindern| der Medizin, die sich in heißen, verzweifelten Kämpfen um das Wesen der Krankheit mühten, schildert uns Rudolf Thiel in seinem Buche Männer gegen Tod und Teufel"( Paul Neff Berlag, Berlin ), das eine so starte Anteilnahme gefunden hat, daß bereits menige Wochen nach seinem Erscheinen eine zweite Auflage nötig wurde. Nicht in trockenen Biographien machen wir Wissenschaft, in dramatisch bewegter Form vielmehr, spannend hier die Bekanntschaft der Märtyrer und Vorkämpfer der ärztlichen mie ein Roman, entsteht vor uns die Geschichte der großen Mediziner, die zugleich die Geschichte der Medizin ist", anefbotenhaft und doch den ureigensten Kern jeder einzelnen Persönlichkeit treffend. Hier erfährt auch der Laie, wie dornenvoll die Wege waren, die die Wohltäter der Mensch heit gingen, unter welch unsäglichen Qualen jeder Zoll neuer Er­fenntnis errungen werden mußte. Gegen Tod und Pestilenz, gegen Finsternis und Aberglauben, gegen unsichtbare Gifte und menschliche Dummheit fochten die Jünger Aestulaps von Paracelsus bis zu Bergmann, immer mit dem vollen Einsatz ihrer ganzen Persön lichkeit, ihrer warmen Menschlichkeit.

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Den Frauen am nächsten steht Ignaz Semmelweis , ihr Befreier von der furchtbarsten Geißel, die jemals über Frauen­schicksal schwang.

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In Wien mütete um die Mitte des vorigen Jahrhunderts am Algemeinen Krankenhaus, an dessen erster Klinik der junge Buda pester Arzt Semmelweis ordentlicher Assistent war, das Kind bettfieber. Laß dich nur nicht zu den Aerzten ste den!" raunten damals die Nachbarinnen der jungen Wöchnerin zu, die den schweren Gang ins Gebärhaus antreten mußte. Geh lieber zu den Hebammen! Wenn du zu den Aerzten tommst, so ist es dein Tod." Sie läßt sich nicht mehr verheimlichen, die paradore Tatsache; die ganze Stadt kennt sie bereits: an der ersten Klinit sterben 10, 20, 30 von hundert Wöchnerinnen, an der So zweiten Klinit, bei den Hebammen, dagegen nur 3 oder 4. geht es Jahr um Jahr, seitdem man die beiden Kliniken vonein­ander getrennt hat. Niemand geht mehr freiwillig in die Aerzte­abteilung. Man weiß fich nicht mehr anders als durch Täuschung der jungen Mütter zu helfen, bei denen sich erschütternde Szenen abspielen, wenn sie die Täuschung gewahr werden und nun troß ihrer Schmerzen kniefällig bitten, wieder entlassen zu werden.

Was war nun für ein Unterschied zwischen den beiden Kliniken, die die gleiche Wäscherei, die gleiche Küche, die gleiche Art von Patientinnen hatten? Worin waren die Hebammen besser als die Aerzte? Warum wuchs in der Aerzteklinik die Zahl der Todes­wuchs erst recht, seitdem der eifrige, fälle von Monat zu Monat, fleißige Assistenzarzt seines Amtes waltete? Ein düsteres Geheimnis tofte mußte sich hinter dieser Tatsache verbergen, das der Assistent es, was es wolle, zu lösen schwor.

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Morgens, wenn der Wecker rasselt und Semmelweis aus faun begonnenem Schlafe schreckt, weiß er schon, was ihm bevorsteht: rasch läuft er durch die Klinik und überzeugt sich, daß seine gräßliche Ahnung sich wieder einmal bestätigt. Er geht ins Leichenhaus, zieht die Lederschürze über und deckt den letzten der erloschenen Frauenleiber auf. Und immer wieder bietet sich ihm das gleiche Bild, das fürchterliche Bild pereiterter Gefäße, entzündeten Bouchfells, bas Bild schwerster Leichenvergiftung. Ein Gift aber, so jogt fich Gemmel.

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meis, muß doch irgendwie zu fassen sein. In bangen, schlaflosen Nächten brütet er über dem Geheimnis und kann doch keine Lösung finden, bis ihm der Zufall zu Hilfe kommt. Ein trauriger Zufall allerdings, der ihm seinen besten Freund, den allezeit fröhlichen Gerichtsmediziner Rolletschta entreißt. Ein ungeschickter Praftitant hatte dem Professor beim Sezieren in den Finger geschnitten, und dieser starb an den gleichen Erscheinungen wie die Wöchnerinnen, Hirnhäute, Kindbettfieber also, wenn man so wollte, auf an schweren Eiterungen der Lymphgefäße, des Herzbeutels und der einen gefunden Mann übertragen durch einen winzigen Messerschnitt! Das Messer war vergiftet durch das Blut des Leichnams!

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Hier mar der gesuchte Zusammenhang: Das Kindbettfieber wird durch ein Gift hervorgerufen, das sich an faulenden Leichen bildet; sobald es ins Blut tommt, muß der Körper sterben. Ins Blut der Wöchnerinnen aber gelangt es besonders leicht durch die blutenden Gebärorgane, durch die Hand des untersuchenden und helfenden Arztes! Hier lag die Lösung der furchtbaren Paradorie. Der fleißige Forscher Semmelweis , der zwischen Sezier- und Geburtssaal hin und her pendelte, brachte an seinen Fingern das Leichengift mit und infizierte die unglücklichen Frauen, denen er so gern helfen wollte. Die Hebammen aber, die ja nicht sezierten und den Leichensaal nicht betraten, waren weniger gefahrbringend!

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Der Gedanke: Wie zerstöre ich das Leichengift?" läßt nun den jungen Forscher nicht mehr los. Gegen den entseglichen Geruch des ,, Denn wo Leichengiftes ist sein Kampf in erster Linie gerichtet Geruch ist", so meint er, da ist auch ein Gift!" Er taucht seine Hände in faulende Stoffe, in abscheulich riechende Eiferbeulen, bis er dann wäscht und bürstet er sie mit Sand, fast ohnmächtig wird, Lauge, Spiritus und Chlorwasser. Da endlich gelingt es ihm, den häßlichen Fäulnisgeruch zu bannen. Man schreibt das Jahr 1847, das Geburtsjahr der Antisepsis.

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Der Assisi enzarzt eröffnet nun einen unerbittlichen Chlor­feldzug im Krankenhaus. Aerzte und Hebammen werden angehalten, vor jeder geburtshilflichen Untersuchung oder Hilfeleistung die Hände gründlichst in Chlorwasser zu desinfizieren. Trotzdem kommt noch manch schwerer Rückschlag, bis der Forscher erkennt, daß nicht nur Leichengift, sondern überhaupt das Gift jeder zerfallenden Geschwulst, jeder eitrigen Wunde Fieber hervorrufen kann, daß das Kindbettfieber nichts anderes ist als eine Wundvergiftung, jedem gewöhnlichen Wundfieber gleichzustellen! Nun erst ist das Rätsel um das so gefürchtete Kindbettfieber endgültig gelöst. Der junge Buda­pester Arzt, der so heiß mit dem Dämon rang, hat diesen zuletzt doch noch bezwungen.

Daß indessen der Prophet nichts gilt in seinem Vaterlande, hat Semmelweis mit aller Härte am eigenen Leibe erfahren. Jahr­zehntelang werden seine Lehren kaum beachtet, totgeschwiegen, ver­geffen. Er schreibt ein Buch, offene Briefe; er rüttelt am Gewissen der Welt. Als er endlich Gehör findet, ist es für ihn selber zu spät: da sinkt sein empfindsamer Geist, den ewigen Enttäuschungen nicht mehr gewachsen, in Umnachtung. In die Irrenanstalt in Wien hat er eine fleine Fingerwunde mitgebracht, die von einem Eingriff an einem Neugeborenen herrührt. Zu spät erkannte man, daß die Wunde brandig wurde.

So ging der Schöpfer der Antisepsis, der Entdecker der Fäulnis, vergiftung, der große Wohltäter der Frauen, felber an Blutvergiftung. Dr. Lily Herzberg. elend zugrunde!