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Der, Borwärts" erscheint wochentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Jllustrierte Sonntagsbeilage Bolt und Zeit".
Mittwoch
20. Januar 1932
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Léon Blums Borschlag. Lavals Kammererklärung.
Was hat Deutschland bisher bezahlt?
Das Bedeutsamste an der gestrigen Pariser Debatte er Scheint uns die Anregung des Genossen 2éon Blum zu sein, daß der Streit über die Höhe der bisher von Deutsch land geleisteten Wiedergutmachungen einer schiedsgerichtlichen Entscheidung durch einen Völkerbundsausschuß unterbreitet werde. Die kürzlich von deutscher Seite vorgebrachten Ziffern, nach denen Deutschland bereits an Frankreich allein mehr bezahlt hätte als die Kriegsschäden in Nordfrankreich, sind von der französischen Regierung mit Entschiedenheit zurückgewiesen worden. Sicher ist aber, daß die französische Gegenrechnung, die sich auf die Buchungen durch die verflossene Reparationsfom miffion stügt, noch viel weniger bemeisträftig ist. Denn in den ersten Jahren nach dem Kriege fonnte die Reparationskommission, in der Deutschland gar nicht vertreten mar, machen, was sie wollte. Sie hat zum Beispiel den Wert des liquidierten deutschen Staats- und Privat eigentums willkürlich festgesetzt und hat über alle die zahl losen Fälle von Verschleuderung, von Mißwirtschaft und von Korruption die sich bei der Liquidierung dieser Milliardenwerte ereignet haben, beide Augen zugedrückt.
Nationalistensturm gegen Léon Blum .
Paris , 19. Januar. ( Eigenbericht.)
Die Kammerjigung wurde am Dienslagnachmittag um 3 Uhr bei stark bejeztem Hause und überfüllten Tribünen mit einer Rede des Kammerpräsidenten Bouiffon eingeleitet. Die Rede ging diesmal über den gewöhnlichen Rahmen einer derartigen Kundgebung hinaus, indem sie zu den schwebenden außenpolitischen Fragen Stellung nahm.
Bouiffon führte u. a. aus: Vor einigen Monaten haben Sie ( zur Kammer) eine neue nicht vorausgesehene Berantwortung übernehmen müssen, als Sie den Vorschlag des Präsidenten Hoover billigten. Alle diese Probleme, die gelöst zu sein schienen, sind jetzt von neuem aufgeworfen. Ich weiß nicht, welche Beschlüsse die Kammer fassen wird. Aber der Präsident der Kammer glaubt, ohne bestätigen zu können, daß unser Land nichts von feinen aus der Zurückhaltung herauszutreten, die sein Amt ihm auferlegt, Schuldforderungen ablassen tann.
ohne daß es die Gewähr einer entsprechenden Herabfehung feiner Schulden hat. Ich glaube, in dieser Weise genau den Geist wiederzugeben, in dem alle diefe Abkommen abgeschlossen und ratifiziert worden sind.
( Großer Beifall bei allen Parteien einschließlich der meisten Sozia listen.) Frankreich hat stets seinen Friedenswillen bewiesen, sowohl bei den schwierigen Berhandlungen, von denen ich foeben fprach, als auch durch seine aufrichtige Mitarbeit in den internationalen ten. Die Linke verhöhnt die Rechte wegen dieses Beifalls.) Frank Einrichtungen, vor allem dem Völkerbund.( Beifall auf allen Bän
Daß die Anregung Blums auf wütenden Protest der mit der französischen Schwerindustrie eng verbundenen Reattionäre gestoßen ist, ist schon de., alb verständlich, weil eine unparteiische Untersuchung durch den Völkerbund ins besondere zur Aufdeckung des ungeheuerlichen Standals führen müßte, der sich bei der Liquidierung der deutschen Industriewerte in Elsaß Lothringen abge spielt hat: dort sind in den Jahren 1919/20 milliardenreich will sich nicht im internationalen Leben ijolieren Aber weil merte für ein Butterbrot an die mit der damaligen Regierung eng liierte französische Industrie verschenkt und von der Reparationsfommission mit lächerlich niedrigen Ziffern Deutschland gutgeschrieben" worden.
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Im Gegensatz zu der mutigen Rede des französischen Sozialistenführers, der sich wieder einmal den gleichen Befchimpfungen von nationalistischer Seite ausgesetzt hat, wie fie gegen die Führer der deutschen Sozialdemokratie hier zulande üblich sind, enthielt die Regierungserklärung nals nichts Neues. Sie stellte eine Wiederholung der be= fannten These dar, daß Frankreich auf seine Rechte nicht verzichten fönne. Sie hat es mit Entschiedenheit, aber ohne provozierende Schärfe getan. Zur Beurteilung der Regie rungspolitik wird man wohl die weiteren Ministerreden abwarten müssen, die im Laufe der heutigen Debatte gehalten
werden dürften.
es von einem weiten Bersöhnungsgeist und von einer Sympathie beseelt ist, die angesichts der Schwierigkeiten und Leiden der anderen Nationen tatkräftig zu sein versteht. und weil es immer zu aller durch die Notwendigkeiten bedingten Anpassung bereit ist, glaubt es fordern zu können, daß ausführlich diskutierte und feierlich vertündete Abkommen nicht durch den einseitigen Beschluß einer der beteiligten Parteien aufgehoben werden fönnen."( Großer Beifall auf allen Bänken.)
Im Anschluß daran verlas
Laval die Regierungserklärung. Er wurde von der Rechten mit Beifall, von der Linken mit Rufen Briand", Briand" empfangen, was ihn fichtlich nervös macht, so daß er den Anfang seiner Erflärung mit unsicherer Stimme ver. las. In seiner Erklärung ging Laval sofert auf die beiden großen Probleme ein, die zur Zeit Gegenstand internationaler Beratungen Probleme ein, die zur Zeit Gegenstand internationaler Beratungen bilden, nämlich auf die Reparations- und Abrüstungsfrage". Es
Lausanner Konferenz unwahrscheinlich. heißt darliber:
Loudon, 19. Januar .( Eigenbericht.)
Die inoffiziellen Bemühungen der französischen Regierung zur Bertagung der Lausanner konferenz sind auch am Dienstag in London fortgesetzt worden. Immerhin hofft man hier, Frankreich von feinem Plan unter der Voraussehung abbringen zu können, daß die Reparationskonferenz nur eine Berlängerung des Hoover- Moratoriums um ein halbes oder ganzes Jahr beschließt, und zwar zu den Bedingungen, die feinerzeit auf der Londoner Konferenz vereinbart wurden, also mit Zahlung der ungeschühten Annuität und ihrer Rüdleihung an Deutschland. Das englische Auswärtige Amt hat sich am Dienstag u. a. auch bemüht, Deutsch lands Zustimmung zu dem von ihm erstrebten Plan zu erreichen. Der deutsche Botschafter in London hatte zu diesem Zwed eine Unterredung mit dem englischen Außenminister.
Die Aussichten für die Causanner Konferenz haben sich im Laufe des Dienstag wesentlich verschlechtert. In manchen Kreisen betrachtet man die Konferenz bereits als erledigt. Von englischer Seite wird jedoch erst am Mittwoch eine Entscheidung fallen.
1000 Bersammlungen in Hannover. Die Eiserne Front marschiert.
Die Eiserne Front" marschiert auch in Stadt und Land Hannover. Nachdem in der vorigen Woche der Bezirksausschus der Eisernen Front ent standen ist, bestehen jetzt bereits Hunderte von Crtsaus schüssen. In den wenigen Tagen seit der Gründung sind schüssen. In den wenigen Tagen seit der Gründung sind bereits 563 öffentliche Kundgebungen ange meldet worden. Die Zahl der angefekten Versammlungen bürfte bis Ende der Woche auf über 1000 an teigen.
,, Die Welt nimmt mit Begierde nach Formeln, die eine Heilung der Weltkrise versprechen, leider mit zu großer Gunst die Thesen auf, die nach ihrer Meinung ein Allheilmittel ohne jede Reue bringen. Die Streichung der Reparationen und Schulden würde von einem solchen Geisteszustand ausgehen. Wir können für die Zukunft nicht Lösungen annehmen, die, ohne die Krise zu lösen, Frankreich in seinen wesentlichsten Interessen und in seinen Rechten schaden würden, die durch feierlich abgeschlossene Berträge bestätigt find.( Beifall rechts und in der Mitte. Schweigen links.)
Wir werden nicht das Recht auf die Reparafionen verjähren lassen. Man verlangt von uns eine Generalquiffung zugunsten unserer Schuldner. Eine doppelte Pflicht ist uns auferlegt: gegenüber den Generationen, die den Krieg mitgemacht haben, eine Pflicht der Billigkeit:
Wir dürfen nichts von unserer Forderung opfern, ohne eine entsprechende Erstattung unserer eigenen Schulden; gegenüber den zu fünftigen Generationen: wir müssen alle Abkommen einem gerechten Gleichgewicht der Produktions- und Eristenzbedingungen unterordnen. Dieses Gleichgewicht wäre aber gestört, wenn nach der Krise das Mißverhältnis zwischen den finanziellen und den Steuerlaften uns in der internationalen Konkurrenz in einen Zustand sicherer Unterlegenheit versehen würde.
Die Regierung wird bei allen Verhandlungen betreffend einer Anpaffung der in Kraft befindlichen Schuldenabkommen an die Periode der wirtschaftlichen Depression sich strift von jenen fundamentalen Grundfähen leiten laffen, die das französische Parlament fiets gebilligt hat."
Die nächsten Absätze der Erklärung bestehen sich auf die zur Abschwächung der Krise in Frankreich zu ergreifenden Maßnahmen. Der Schluß ist der Abrüstungskonferenz gewidmet. Die Erklärung verteidigt das französische Memorandum vom 15. Juli 1931, das jede Beschränkung der französischen Rüstungen von einer Erhöhung der Sicherheit durch die Achtung vor den Verträgen, Schiedsgerichts berfeit, genaue. Differenzierung des Angreifers und gegenseitigen Beistandes abhängig macht.( Beifall rechts, Schweigen fints.)
Nachdem der Kammerpräsident die inzwischen
angemeldeten Interpellationen
verlesen hatte, erflärte sich der Ministerpräsident mit der fofortigen Distuffion der Interpellationen einverstanden, die sich auf die Zufammensetzung, die allgemeine Politik und die Außenpolitik der Regierung beziehen. Der erste Interpellant, der radikale Abgeordnete Le doug, der die Zusammensetzung der neuen Regierung kritisierte, rief durch seine humoristische Sprechweise wahre Heiterkeitsstürme im ganzen Hause hervor. Besonders groß war die Heiterfeit, als Lebour in bezug auf den neuen Außenminister Laval ausrief:„ Nun sehen Sie sich mal das an. An Stelle Briands fizt Herr Laval! Glaubt er, eine genügende Autorität zu besitzen? Glaubt er denn, Ledoux schloß mit der Erklärung, daß er zu Laval und seiner Redaß die Mehrheit, an deren Treue er oft appelliert, ihn liebt?" gierung kein Vertrauen habe, denn statt die Einigkeit der Parteien herbeizuführen, trenne Laval die Parteien.
Der zweite Interpellant, der Sozialist Frossard, machte zu Beginn seiner Rede auf die Kriegsgerüchte aufmerksam, die über den Städten und auf dem Land verbreitet sind und die nach seiner Anficht auf die Ohnmacht der Regierungen in internationaler Beziehung, das Recht an die Stelle der Gewalt zu setzen, und auf die zu zahlreichen Kundgebungen zurückzuführen sind, die einer loyalen Achtung der Verträge widersprechen. Frossard kritisierte in scharfer Weise die Art der Regierungsumbildung, wobei man nur das Ziel edelmütig Herriot ein Portefeuille angeboten, über das er noch gar verfolgt habe, ohne Briand an der Macht zu bleiben. Laval habe nicht verfügt habe. Herriot habe das Anerbieten mit Recht abgelehnt. Das gegenwärtige Rabinett sei das reattio= na rste der jeßigen Legislaturperiode. Mit dieser Regierung fönne teine Politik des Friedens gemacht werden.( Großer Beifall lints.)
Blum
seine Interpellation. Der Sozialistenführer, dessen Gesundheitszustand etwas angegriffen ist und der infolgedessen nicht in der ihm sonst eigenen kraftvollen und überlegenen Weise sprechen fonnte, ertlärte, er wünsche von der Regierung Auskunft darüber, welche
Saltung fie in den beiden bevorstehenden internationalen Konferenzen einnehmen werde oder vielmehr, welches Mandat fie
von der Kammer verlangt 3n bezug auf die Reparationen habe sich die Lage seit der Baseler Sachverständigenkonferenz, der Bankierkonferenz, den Beschlüssen des amerikanischen Kongresses und den Erklärungen Brünings geändert. Brüning habe gesagt, daß Deutschland jetzt nicht zahlungsfähig sei und wahrschein. lich auch später nicht mehr zahlen könne. Er habe gemisfermaßen die Gegenwart in die Zukunft projiziert. Er sei in dieser Hinsicht fast vom ganzen deutschen Volte gebilligt worden. In Deutschland scheine also die Liquidierung der Reparationen als beschlossene Sache angesehen zu werden.
Ein Bolt, das sich in einer so tiefen Berzweiflung und Nof befindet wie das deutsche( Proteste rechts; man hört Rufe wie: Unerhört“,„ Wir sind hier nicht im Reichstag" usw.), könne fich nur schwer vorftellen, daß es eines Tages wieder in der Lage fein werde, die Reparationszahlungen aufzunehmen, die nach seiner Ansicht die Hauptursache feiner Leiden seien.
Diese These sei durchaus verständlich. Er, der Redner, müsse die Frage aufwerfen, ob die verschiedenen Regierungen Frankreichs immer alles getan haben, was in ihren Kräften stand( erneute Protefte rechts), um die republikanischen, demokratischen und pazifistischen Kräfte zu unterstützen.( Cebhafter Beifall links.) An den Tatsachen fei jetzt nichts zu ändern und Frankreich stehe vor folgender Alternative: Wenn Frankreich an seinem Recht festhalte und von Deutschland die Einhaltung aller vertraglichen Verpflichtungen verlangt, werde dies die Propaganda Hitlers noch be. günftigen.( Burufe des Nationalisten Marin: Blum täuscht sich und täuscht uns. Unterbrechung links.)
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Blum, fortfahrend: Wenn Frankreich dagegen in einem Geiste der Solidarität nachgibt...( energische Proteste rechts, die so laut werden, daß Blum sich genötigt sieht, die Tribüne zu perlaffen.) Nachdem der Kammerpräsident die Rechte aufgefordert hat, den Redner ruhig anzuhören, setzt Blum seine Ausführungen fort: Wenn Frankreich in einem Geifte der Solidarität nachgibt, ristiert es scheinbar auch, und das ist das Kritische an der Situation, den Nationalismus zu stärken, denn dieser würde darin einen Erfolg erblicken. Was soll man also tun? Frankreich könne auf das Prinzip der Reparationen nicht verzichten. Die Reparationen hätten nicht den Charakter eines Tributes, sondern stellten für Deutschland eine rechtliche Ber. pffttung bar. Sie feien auch nicht die einzige und hauptsächlichte Uriage der deutschen Krise. Nach seiner