Morgenausgabe
Nr. 43
A 22
49.Jahrgang
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Mittwoch
27. Januar 1932
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Gegen Faschismus und Kriegshebe!
Der Sinn der heutigen Sportpalast- Kundgebung.
Eine neue Welle des politischen Massenwahnsinns| Heute Mittwoch, den 27. Januar, 20 Uhr an dem die Sturzflut des innen- und außenpolitischen Maſſenbrandet über die Welt. Die Massennot hat eine Massenpfychole im Sportpalast, Potsdamer Str . 72
erzeugt. Diese Not ist geboren aus der Wirtschaftskrise, die Wirtschaftskrise ist ein Kind der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.
Immer wenn die Träger des tapitalistischen Systems Gefahr für ihre heiligsten Güter wittern, versuchen sie, den Blick der Massen von den wahren Schuldigen an ihrem Elend abzulenten; denn sie selbst tragen ja die Verantwortung für die herrschenden Zustände, die Schuldigen sind sie selbst. Wehe ihnen, ihrer Macht und ihrem Reichtum, wenn die Mehrheit des Volkes diesen Tatbestand flar erkennen würde! Deshalb die Ablenkungsmanöver nach innen und außen, deshalb die Heze gegen den„ Marrismus“ und gegen den
,, Erbfeind". Deshalb auch die Subventionierung von Prätorianergarden, die, mit scheinsozialistischen Phrasen gefödert, die Aufgabe erfüllen sollen, den wirt lichen Sozialismus zu zertreten.
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Redner:
wahns zerschellen wird.
Das ist der Sinn der Zehntausenden von Versammlungen, die die Sozialdemokratische Partei , das Reichsbanner, die Gewerkschaften, die Sportorganisationen und überhaupt alles, was sich zur Eisernen Front bekennt, in den kommenden Wochen veranstalten. Unter diesen Kundgebungen ist das heutige Treffen im Berliner Sportpala st von beson
Pietro Nenni, ehemaliger Redakteur des derer Bedeutung deshalb, weil dort neben führenden deut
Paul Löbe , Reichstagspräsident
Fahneneinmarsch Musik :: Gesang der Sozialistischen Arbeiterjugend Unkostenbeitrag 20 Pf. Erwerbslose gegen Vorzeigung des Parteimitgliedsbuches und der Stempelkarte frei!
Hand in Hand mit der innerpolitischen Verhegung, die vor feiner Berleumdung, vor feiner Lüge, vor feinem spricht man schon im Flüstertone von dem neuen, unverSchimpfwort, vor feiner Gewalttat, vor feinem Mord zu- meidlichen Krieg, auf den sich Deutschland unter Führückschreckt, geht die planmäßige Aufpeitschung der nationa- rung von Hitler vorbereite. Die französischen Nationalisten listischen Leidenschaften vor sich. Der Blutrausch des Bür brauchen diese Stimmung, besonders angesichts der nahenden gertrieges findet feine, Steigerung in der psychologischen Wahlen. Für sie ist der deutsche Nationalsozialismus ein Borbereitung des Revanchefrieges. Die Niedermeze- Geschenk vom Himmel. Ein republikanisches Pariser Blatt lung eigener Bolfsgenossen stellt gewissermaßen ein mate- verspottete diese nationalistische Spekulation auf die deutschen rielles und geistiges Training für einen fünftigen Be- Hakenkreuzler mit einer Karikatur, die zwei reaktionäre freiungstrieg" dar. Als Bundesgenosse in diesem späteren Wahlmacher im Gespräch zeigt, von denen der eine unter Revanchefeldzug gegen Frankreich wird das Italien Musso- Bariierung eines bekannten Wortes dem anderen zuraunt: linis planmäßig gefeiert. Ihm werden sogar die Viertel- ,, Wenn dieser Hitler nicht wäre, müßte man million ferndeutscher Bauern und Kleinbürger in den Tälern ihn erfinden!" Ein würdiges Gegenstück zu dem beund Städten Südtirols als Opfergabe hingemorfen. rühmten Ausspruch der Deutschen Zeitung" in den Tagen der Ruhrbefezung: Gott erhalte uns Poincaré !" Soll dieser Wahnsinn weitergehen? Haben die Völker an der Vernichtung von zehn Millionen Menschenleben in den vier Kriegsjahren und an der Zerstörung des deutschen Volksvermögens in den wenigen Monaten des Ruhrkampfes nicht genug? Soll es den nationalistischen und kapitalistischen Schuldigen an diesem Meer von Blut und von Tränen wieder einmal gelingen, die Völker zu betrügen und sie in neues Unglück zu stürzen?
Mussolini selbst denkt natürlich nicht daran, die Rechnung der deutschen Bierbankpolitiker zu erfüllen. Wenn er mit deutscher Hilfe Frankreich mürbe gemacht haben wird, dann wird er sich mit irgendeinem folonialen Zugeständnis Frank reichs zufriedengeben, sich auf die traditionelle Solidarität der lateinischen Völker befinnen und Deutschland sizzen lassen.
Unterdessen erleben wir, ähnlich wie vor neun Jahren, eine Sturzflut des Franzosenhasses, die von einer Wählergeneration getragen wird, die das Jahr der Ruhrbesetzung und erst recht die viereinviertel Jahre des Weltkrieges ohne politisches Bewußtsein erlebt hat. Die Jungwähler von heute, die die SA. bevölkern und einen wesentlichen Teil der Gefolgschaft Hitlers und Goebbels bilden, waren bei Kriegsausbruch zwei, drei oder vier Jahre alt und haben die Ruhr- und Inflationszeit als Elf, 3wölf- und Dreizehnjährige durchgemacht. Wie leicht ist es in der heutigen Motzeit, ihnen vorzugaufeln, daß der Sieg zum Greifen nahe war, als das deutsche Frontheer vom internationalen Marrismus von hinten erdolcht wurde, und daß auch die Vertreibung der Franzosen aus dem Ruhrgebiet durch den Berrat der Sozialdemokraten und sonstigen Erfüllungspolitiker verhindert wurde!
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So werden auch heute Parolen in die Massen geschleudert, von denen ihre Urheber ganz genau wissen, daß sie unerfüllbar sind, die aber gerade deshalb gewählt wurden. Man verlangt von der Reichsregierung nicht nur, daß sie feine Reparationen mehr zahle was sowieso seit acht Monaten nicht mehr geschieht, sondern auch, daß sie sofort schwarz auf weiß bestätigt erhalte, daß Deutschland nie mehr auch nur einen Pfennig zu bezahlen brauchen werde. Und wenn durch ein Wunder, an das in Wirklichkeit niemand glaubt, Deutschland diesen amtlich beglaubigten Verzicht seiner Gläus biger erhielte, dann würde die ,, nationale" Opposition fich damit noch lange nicht zufriedengeben: Erst fürzlich verlangte ein Hugenberg- Blatt in Hannover vom Reichskanzler BrüMilliarden Mark zurückkehre, die Deutschland nach Auffassung ning, daß er aus der Lausanner Konferenz mit den fünf Der Reichsregierung schon über die eigentlichen Wiederaufbauschäden in der Kriegszone an Frankreich gezahlt habe!
Kein Wunder, wenn dieser Ausbruch von Massenwahn, geschürt von gewiffenlosen Volksverderbern, drüben in Frantreich eine ähnliche Psychose erzeugt hat. In ben Dörfern und Kleinstädten der französischen Provinz
Nein! Niemals! Nie wieder!
schen Republikanern und Sozialisten zwei bekannte Führer der Internationale zu den Massen sprechen werden.
In Pietro Nenni werden wir abermals das un= beugsame Opfer des italienischen Faschismus begrüßen, dessen mahnende Worte gerade in den heutigen Zeiten von den deutschen Arbeitern besonders beherzigt werden müssen. Denn die Leiden der italienischen Arbeiterklasse, die seit Jahren alles verloren hat, mas dem Leben Würde und Schönheit verleiht, und die sogar nach dem Geständnis deutscher Bemunderer des Faschismus auch materiell in dieser Wirtschaftstrise schwerer zu leiden hat als alle übrigen Bölker, müßten für das deutsche Proletariat ein Grund mehr sein. Hitler den Weg zur Macht zu versperren.
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Und in dem Genossen Paul Fàure begrüßen wir den Teil des französischen Volkes, der sich gegen die nationa liftische Psychose auflehnt, der sich durch die Erfolge Hitlers und seiner Haßpropaganda nicht ablenken läßt von dem not wendigen Ziel der deutsch - französischen Verständigung. Paul Faure vertritt im Parlament die Arbeiter von Le Creuzot, dem Zentrum der Rüstungsindustrie. Das hindert ihn und seine Wähler aber nicht, fich mutig für die Abrüstung zu schlagen und für die Umgestaltung der Schneider- Werke, die bisher Geschüße und Panzerplatten erzeugten, in Produktionsmerkstätten des Friedens einzutreten. Gerade deshalb richtet sich der besondere Haß der franzöfischen Reaktion und ihrer kriegsindustriellen Hintermänner gegen Paul Faure ; aber es ist ihnen bisher trop fommunistischer Hilfe nicht gelungen, ihm seine Wähler abspenstig zu machen, und es wird ihnen auch in Zukunft nicht gelingen.
Faschismus und Krieg müssen in jedem einzelnen Lande befämpft werden. Aber sie werden un so sicherer abgewehrt, je internationaler die Kampffront für die Demokratie und für den Frieden ist. Die heutige Rundgebung im Sportpalast Es ist die historische Aufgabe des deutschen Sozialismus, wird in den Berliner und den deutschen Arbeitern das Bedie Massen aufzuklären und aufzurütteln, sie zum Kampfe wußtsein verstärken, daß der Kampf der Eisernen Front sich gegen die faschistischen und nationalistischen Volksbetrüger nicht auf unser Land beschränkt, sondern daß er getragen wird und Volksverderber aufzurufen, sie in eine Eiserne und Volksverderber aufzurufen, sie in eine Eiserne von dem Willen und den Wünschen der Millionen Front zu formieren, einen eisernen Damm aufzurichten, Gleichgesinnter in der ganzen Welt.
In Italien gibt es noch Helden!
Das Häuflein der aufrechten Hochschullehrer.
Locarno , 25. Januar.( Eigenbericht.)
3 wölf italienische Professoren haben es bekanntlich abgelehnt, den Eid der Treue dem faschistischen Regime zu leisten. Einer von ihnen, der Professor der Rechte, Senator Tamaffia, ist inzwischen gestorben und hat keine Verfolgung der Schwarz hemden mehr zu fürchten. Den übrigen elf iſt nahegelegt worden, um ihre Entlaffung einzukommen.
Professor Mario Carrara, Ordinarius für gerichtliche Medizin an der Turiner Universität, hat in einem Schreiben an den Unterrichtsminister die Gründe auseinandergefeßt, die ihm die Ablegung des geforderten Eides unmöglich machen.
..Da ich gewöhnt bin", heißt es in dem Brief, den Eid ernst feit politische Einstellung, Richtung und Ziele zugrunde zu legen, zu nehmen, tann ich mich nicht eidlich verpflichten, meiner Lehrtätig. mehr sie sich frei hält von praktischen und persönlichen Zielen. denn ich erachte diese Tätigkeit für um so wirksamer und höher, je Ganz abgesehen von der tatsächlichen Wirkungslosigkeit einer der= artigen Berpflichtung in dem speziellen Fall meines Lehramtes
der gerichtlichen Medizin habe ich die Auffassung vom Wesen und Ziel des Hochschulunterrichts als etwas über den Barteien stehendes betonen und, soweit dies in moinen Kräften steht,
verteidigen wollen. Wenn wir in den jungen Leuten ein miffen. schaftliches Bewußtsein entwickeln sollen, so müssen wir, uns davor hüten, die spontanen Anfäge durch dottrinäre Vor eingenommenheit und 3 medmäßigkeitsrücksichten zu stören. Die wissenschaftliche Forschung soll frei sein von Leidenschaft und Intereffe nur in dem Sinne, daß ihre einzige Leidenschaft und ihr einziges Interesse die Wahrheit ist Deshalb gea ziemt dem Hochschulunterricht keine andere Grenze als die, die in der intellektuellen und moralischen Rechtschaffenheit des Lehrers liegt... Von dieser Auffassung des Lehramtes überzeugt, habe ich es ab gelehnt, dem Rate zu folgen und meine Versehung in den Ruhestand zu beantragen. weil es mir schien, daß ich selbst dadurch meine gezogen, die Bitterfeit und Unruhe der letzten Ereignisse über mich ergehen zu lassen, um mich so auch moralisch auf der Höhe Infompatibilität mit der Profeffur anerkannt hätte. So habe ich vorder Behörde, der das gesetzliche Recht dazu zusteht, eine endgültige des Amtes zu zeigen, das ich ausübe. Ich ziehe es vor. von Entscheidung abzuwarten."
Zum Schluß bittet Professor Carrara , der ein Schwiegerjohn Cefare Zombrosos ist, den Lehrstuhl für Kriminolanthropo Logie, den er seit dem Tode ihres Begründers unentgeltlich beficibet