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Tlr. 47* 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Freitag, 29. Januar 4932

Deutschnationale im Spiegel Erregte Stadtverordnetensitzung Die reaktionären Wirtschaftsverbrecher

Die gestern abgehaltene Stadtverordnetenversammlung überwies zunächst die in den letzten Tagen im Vordergrund kommunaler Fragen stehende Ortsjatzung über die Zuständigkeit der zentralen und der Bezirksverwaltungen ohne Debatte an den tzaushaltausschutz. In der fortgesetzten Debatte über den Abbau und die Zusammeuleguag der städtischen Gesellschaften und Gesellschaftsbeteiligungen sprach Stadtverordneter Riese (Soz.). Er gab feiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß gewisse bürger- liche Parteien im Stadtparlament in der Zeit der fortgesetzten Bank- Zusammenbrüche und Wirtschaftsverbrechen noch den Mut finden, für die freie Wirtschaft einzutreten. Riese erinnerte an den D e o a h e i m- Skandal, er hielt der Rechten des Hauses den Zu- sammenbruch der Beamtenbank und der B a n k für Handel und Grundbesitz vor. Er erinnerte ferner an den Fron k- surter Berficherungsskandal und an das Verbrechen der Gebrüder L a h u s e n in Bremen . Die Kennzeichnung all dieser kriminellen Vorgänge in der privaten Wirtschast löste ins- besondere bei den Deutsch nationalen großen Tumult aus. Als die Derttschnationalen glaubten, der Sozialdenwkratie die Ver- fehlungen der S k l a r e k s anhängen zu können, nahm sich der Redner diese Hüter privatwirrschaftlicher Moral ganz besonders vor. Er konnte unter dem Beifall der sozialdemokratischen Fraktion feststellen, daß es die Veulfchnationaleu waren, die von den Sklareks 6000 ZNark für die Parleikasfc in Empfang genommen hatten, daß es der deutschnationale Pfarrer W o l s f war, der einen silbernen Trinkbecher der Sklareks ein- weihte, daß ferner der dcutschnationale Stadtrat Wege und sein Parteigenosse, der Stadtverordnete K i m b e l sich der Freundschaft der Sklareks bei fedein gerühmt hatten, der es hören wollte. Als die Deutschnationalen immer wieder glaubten, den Redner mit Zwischenrufen unterbrechen zu können, hielt Riese weiter Abrech- nung mit ihnen. Er fragte sie, ob es noch nicht bis zu den Ohren der deutschnationalen Stadtverordneten gekommen sei, daß die Pommersche Milchverwertungsgenosse nschast in Gollnow daran zugrundegcgangen ist, daß sie ihre Gelder ia die Parleikasien der Deulschnalionalen und der Rolionalsozialisten fließen ließ. Riese fragt« weiter, ob den Deutschnationalen nicht 'bekannt sei, daß die Leiter der Pommersche» Hauptgenossen- s ch a f t wegen Steuerbetruges im Kittchen säßen. Und er fragt« sie schließlich, ob sie nicht wüßten, daß der Vorstand der deutschnationalen Landesorganisation in Pommern die Parteibciträge durch die Spiritusverwertungsgenossenschaft hat verrechnen lassen. Als insbesondere Stadtverordneter v. I e ck l i n (Dnat.) mst hochrotem Kopf immer wieder seine Zwischenrufe machte, erklärt« chm schließlich Genosse Rief«, daß er ihn lroh seines Adels und seiner früheren Ofsizierseigenschofl nicht erst nehme. All« städtischen Beiriebe, so fuhr Genosse Riese fort, arbeiten rationell. Eine der umstrittensten Gesellschaften sei die Berliner Reklamegesellschast. die neben dem öffentlichen Anschlag­wesen eine große Plakatdruckerei betreibt. Die Forderung der Rechtsparteien, die Druckausträge der Berel der Privatindustrie zu- kommen zu lasten, zeuge nicht von Sachkenntnis; gerade der Plakat- druck sei für Firmen, die nicht ganz besonders darauf eingerichtet find, ein Anschußgeschäft. Weder Druckereibesitzer noch Druckerei- arbeiter hätten einen Borteil von der Auflösung der Berel, und so forderten die Sozialdemokraten, daß die Berel und mit ihr das öffentliche Anschlagwesen weiter bei der öffentlichen Hand bleibt.(Lebhafter Beifall bei den Soz.) Stadtv. Küuzer(D. Dp.) forderte, städtische Betriebe und Ge-

sellschaften nur in Ausnahmefällen bestehen zu lasten, soweit es das Allgemeininterestc erfordere. Auf keinen Fall dürfe durch das Ar- besten der städtischen Betriebe die Privatindustrie beschränkt werden. Stadtv. Köhler(W.) trat für die Auflösung der städtischen Bau- gesellschaften«in. während der Demokrat Eyk der Vorlage namens seiner Fraktion zustimmte-, er oerlangte aber, daß die Stadt sich darauf beschränke. Monopolbetriebe zu unterhalten: den Antrag der Kommunisten aus Auflösung der städtischen Wohnungsfürsorge- gesellschaft lehnte der Redner ob. Vor langer Zest hatte die sozialdemokratische Fraktion in einem Antrag verlangt, daß endlich die Inkraftsetzung und verkündung des Ortsgesehes über ReichsheimstSlteu., Garteugebiete und Dauerklein- gärten erfolge. Gestern wurde nach wiederholter Beratung dem Antrag endlich zugestimmt. Ein Antrag auf Ermäßigung des Schulgeldes an den höheren Lehranstalten und Mittelschulen wurde angenommen, ebenso eine Anzahl kleinerer Vorlogen. Aazi- Engel und seine Verleumdungen. E ne ungenügende Erklärung Dr. Sahms. Der Artikel imVorwärts" vom gestrigen Donnerstag Nazi-Engel verleumdet" hat dem Verleumder in der Berliner Stadtverordnetenversammlung endlich die Zunge gelöst. Auch der Oberbürgermeister gab eine Erklärung ab. Engel haste in einer Stadtocrordnetensitzung im November behauptet, städstsche Dezerneisten und Beamte vergäben Bauaufträge erst noch Klarstellung der für sie abfallenden Provisionen Der Oberbürger- meister haste zwar auf diese ungeheuerlichen Behauptungen Engels geantwortet, trotzdem mußt« er vom Vorsitzenden der sozialdemokra- tischen Fraktion Genossen F l a t a u daran erinnert werden, daß die Behauptungen Engels unter allen Umständen«in« ö f s e n t- liche Klarstellung notwendig machen. In der gestrigen Sitzung der Stadtoerorneten fügte Nazi-Engel einer von ihm zur Tagesordnung gehaltenen Rede lediglich den Satz «in, seine Behauptung von der Bestechlichkest der städtischen Beam- ten beziehe sich auf die Vergangenheit. Dos war alles! Und nun geschah das Merkwürdige: Oberbürgermeister Dr. Sahm gab sich mit der lendenlahmen Erklärung Nazi-Engels zufrieden! Er Höste, so erklärte der Oberbürgermeister, nur gewünscht, daß Engel in konkreterer Form geantwortet hätte. Das veranlaßt« Genossen Flatau, folgende Feststellung zu treffen: Flatau antwortet: Der Herr Oberbürgermeister hat es zugelassen, daß die unge- heuerlichen Behauptungen des Engel zehn Wochen lang in der Oefsentlichkeit sich erhalten konnten. Der Oberbürgermeister hat sich sogar mit Personen in Verhandlungen eingelösten, die solche Behauptungen aufstellten. Stärkstes Befrem-

Sonntag:

rumToci� Eiserne Front!

Sportpalast

marschiert auf im Es sprechen: Höitermann, Crispien Eggert, Geliert. Max Barthei rezitiert Beginn tier Kundgebung um 17 Uhr» Öffnung des Sportpalastes um 16 Uhr» Das Parkett bleibt für die aufmarschierenden Formationen frei. Erscheint in Massen!

den müsse es erregen, daß der Oberbürgermeister lxi Feststellungen über die«Reinheit der Verwaltung" einen Unterschied mache zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Hiernach können also gegenwärtig tätige Beamte ungestraft beleidigt werden, wenn ein Verleumder nachträglich erklärt, er wolle seine Beleidigungen nur für die Vergangenheit gelten losten. Aus jeden Fall hätten die Behauptungen des Engel in einer anderen Weise zurückgewiesen werden müstcn, als es durch den Oberlürger- meister geschehen ist. Unter diesen Umständen müßten die Sozial- dcinokraten es dem Stadtobcrhaupt überlasten, die Verantwortung in der Angelegenheit zu tragen. Der Oberbürgermeister gab daraufhin eine chronologische Dar- stellung der Vorgänge, die aber nicht davon überzeugen konnte. daß er gegen die nationalsozialistischen Verleumdungen mit der un- bedingt gebotenen Energie vorgehen wollt«.

Wiener Ltniversität geschloffen. sozialistischer Studenten-Obmann niedergeschlagen. Wien , 28. Januar. Gestern abend kam esaaderwienerllniversitäl wegen des Vortrages des Rabbioers Dr. Samianker zu Zusammeustöhen zwischen gegnerischen Sludenleogruppen. heule vormittag setzte sich diese Demonstration der Studenten sowohl im Untversitälsgebäude als auch im Anatomischen Institut fort. Dabei wurden drei S l u- deuten verletzt, darunter der Obmann der sozialisti- scheu Studentengruppen, Speiser, der Sohn des Stadtrats Speiser. ZNiltags erließ das Rektorat eine Kundgebung, in der der akademische Senat die Vorgänge auf das strengste rügt und gleich­zeitig mitteilt, daß die UnioersitSt bis auf weiteres gefchlosten bleibt.

M II" durch Explosion untergegangen. London . 28. Januar. Die Suche noch dem Unterseebot ,.M 2* wird noch fortgesetzt. Bei der Suche mit dem Schleppnetz ist man an zwei Stellen auf Widerstände gestoßen, die jetzt näher untersucht werden. Wie die Admiralität bekannt gibt, ist von dem Kapitän des Mot-'rschoners..Krone von Dänemark " ein Bericht eingegangen. der es möglich erscheinen läßt, daß das U-Boot 2" infolge einer Explosion untergegangen ist. Der Kapitän will am Dienstagnachmittag 16 Mellen südöstlich von Lyme Negis plötzlich drei Sekunden lang einen hellen Schein gesehen haben. Zehn Minuten später habe er dann zwei laute Explosionen gehört. Das Wetter fei zu dieser Zeit außerordentlich neblig gewesen. Ein Be­richt von anderer Seite über die Explosionen liegt bisher nicht vor: die Admiralität läßt jetzt Nachforschungen anstellen. Der Frauenhilssverein bei der staatlichen polizeiverwaltung Verlin. der es sich in der schweren Notzeit zur besonderen Aufgabe gemacht hat, durch Krantheft in Not geratene Familien von Polizei- beamten zu nnteisttützen und erholungsbedürftige Mütter und deren Kinder in den Sommermonaten zu verschicken, veranstaltet am Mittwoch, 3. Februar, in den gesamten Festsälen des Zoologischen Gartens xinen Wohltätigkeitsgcsellschoftsabend. Die Tanzmusik in ollen Sälen des Zoos führt die Kapelle Marek Weber und das große Orchester der Schutzpolizei aus. Karten ä 3 M. sind erhälllich im Ballbüro des Zoos, den Tbeaterkasten Wercheim, Tictz und KDW. sowie in den Filialen desVorwärts". Logenreservierung ä L M. nur im Ballbüro Zoo. Die Anmeldung zur Einschulung muß in den nächsten Tagen erfolgen. Alle klassenbewußten und sreidenkenden Ellern werden nicht lang« überlegen, welcher Schule sie ihre Kinder anvertrauen wollen: sie schicken sie zur weltlichen Schule, wo die Kinder zu freien und ausrichtig sozialdenkenten Menschen erzogen werden. izür de» Stadtteil Wedding , nördlich der Ringbahn, links von der Müllerstraße bis Seestraße, nimmt Anmeldungen entgegen: Genosse Rektor Paillhe, Lütticher Str. 4, 262. Schule. Wilde Sprilfabrik in Woabit ausgehoben. In der Werftstraße in Moabit wurde eine wilde Spritsabrik ausgehoben, die ein srüheier Gastwirt B. in seiner Wohnung unterhielt. Sämtliche Geräte wuxden beschlaanohmt, desgleichen vorgefundene Sprit- mengen. DerFabrikant" wurde festgenommen.

Noch einem Tagebuchroman von Karl Hans Schober erzählt von Erich Knauf (Schluß.) Eine turmhohe Sturzwell« erfaßt uns und drückt uns nach unten. Das Wasser heult in meinen Ohren. Dann wirft mich ein Stoß wieder an die Oberfläche, aber derLonge Docht" ist verschwunden. Das Schiff ist nicht mehr zu sehen. Die SturMelle war eine Folge der Kesselexplosion, während das Schiff kenterte. Wer noch bei den Kesseln und Maschinen war. ist mit ab- gesoffen. Es gelingt mir, eine Planke zu umkrallen, um die berefts erbittert gekämpft wird. Einer schlagt mit der Faust wütend aus meinen Kopf.Bestie!" Ich schlage zurück: mitten in das Gesicht des Angreifers. Er stöhnt, seine chande lassen los, und er sackt weg.. Ich spüre, wie meine Kräfte mich verlosten. Immer mehr Wasser muh ich saufen. Und dann sehe ich Boote. Zwei Arme fasten nach mir.Halt dich fest!" und sie ziehen mich hoch. Ein kräftige Hand faßt mich am Hintern, und ich fliege kopfüber ins Boot. Fortsetzung folgt. Sechshundert Mann sind ertrunken._ Ich habe Fieber und zittere am ganzen Körper. Aber ich habe festen Boden unt-r den Füßen. Totkronk wie ich bin. soll ich den Weg ins Spital allein und zu Fuß machen. Manchmal krieche ich auf allen Bieren.

Nur fort! Nur weiter! Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Gespenst. Die Leute in der Hasenstadl blicken mich so seltsam an. Sie sympathi- sieren jetzt offen mit demFeind". Borhin hat einer sogar mit einer Peitsche nach mir ge- schlagen, weil ich von dem Rücken seines Esels, der vor einen kleinen Wagen gespannt war, die Decke ziehen wollte. Ich friere, daß alles an mir zittert. Das Herz schlägt mir rasend oben am Halse. Aber ich darf nicht zusammenbrechen! Nur fort von hier! Auf dem Meer ist es jetzt still. Vom Flaggschiff ist nicht einmal mehr der Kiel zu sehen, der rioch gestern aus dem Wasser ragte. Nur ein großer Oelfleck zeigt die Stelle an, wo das Schiff unterging. Mit sechshundert Kameraden. Ich lebe. Ja, ich lebe, wenn es auch nicht so aussieht, das gebe ich zu. Friede! Heunat! Leben! Was für schöne Worte. Was für starke Worte. Ich muß mich erst wieder an sie gewöhnen. Leute bleiben stehen und lachen über mich wie über einen Betrunkenen. Ich habe aber nur zu viel Seewaster getrunken, meine Herrschaften, zu viel Leichenwaster, bitte! lind dann trage ich ja eine Last. Die Last meiner Er- innerungen. Meine Ernmerungen, die ich nicht von mir werfen kann. Und die ich nicht von mir werfen darf! Ich muß sie auf- schreiben, ich muß leben, um kommende Geschlechter zu warnen. Wer Leichenwaster getrunken hat, ist hellsichtig. Und ich sehe es kommen, daß die Kinder, die jetzt geboren werden, vielleicht auch diejenigen schon, die jetzt über mich lachen in der köstlichen Dummheit ihrer zehn Jahre, ich sehe es kommen, daß sie mit Zeitungsgeschrei, Fahnen und An- sprachen verrückt gemacht werden, und es wird wieder Kriegs- freiwillige geben, die Glocken werden läuten, und dann heißt es:Zeichnet Kriegsanleihe!" O nein, uns werden sie nicht dazu brauchen können. Wir sind für das Geschäft verdorben. Wir haben uns den

Magen verdorben an dem Zeug. Aber die kommenden Ge- schlechter werden wieder soweit sein. So wird dos weitergehen, immer so weiter? Oder etwa nicht? Was meint ihr? He, antwortet! Entschuldigung. Ich bin laut und heftig geworden. Vitt schön, ein kranker Mensch, ein kaputter Soldat, Eiftschuldi- gung. Herrschaften... Ihr sagt: Revolution, Republik , Freiheit!... Ganz recht? Gratuliere! Sehr schöne Sachen. Famos! Ich mache mit. Wir werden ja sehen. Wie gesagt, ich mache mit. Ich werde damit beginnen, daß ich meine Erinnerungen niederschreibe, um sie zu ver- öffentlichen. Ich kann nicht schweigen. Ich kann nicht schweigen! Ich darf nicht schweigen. Meine toten Kameraden ver- langen das von mir. Die Kinder meiner toten Kameraden verlangen das von mir. Ich muß die Wahrheft aussprechen, die Wahrheft über den Krieg. Der Krieg ist ein Triumph der jetzigen Gejelljchafts- Ordnung. Diese Weisheft ist nicht von mir, sondern von Leuten, die es ja wissen müssen, von Professoren und Dom- Predigern. Vielleicht haben sie reckt. Gut, dann schreibe ich also die Wahrheft über die heutige Gesellschaftsordnung, indem ich über den Krieg schreibe. Ob die Ordnung das verträgt? Ich bin trank, hungrig, elend. Ich habe alles her- gegeben, was ich hatte. Aber ich bin euch, wie es scheint, im Wege? Ein Denkmal aus Stein, mit sechshundert Namen, ist euch lieber, wie? Lieber als eine lebende Erinnerung an die Matrosen vom Flaggschiff. Ich eigne mich nicht zu Kranzniederlegungen und Ansprachen mit Musik. Ich rede dazwischen. Die Sechshundert reden aus mir. Sechshundert? Sechshuuderttausend! Sechs Millionen? Die Nullen warten darauf, sich anzuhängen. Nullen. Nummern, von Müttern geboren. Und deshalb rede ich und erzähle. Zu dir, Kanonen- futter von morgen! Hör' zu: Das erste Kapitel heißt.Hurra!" Täglich drei Spalten unterm Strich. Mit Fortsetzung folgt.