Beilage
Dienstag, 2. Februar 1932
wistö stig Der Abend töltiq
Die Wandlung der Frau
Anmerkungen eines Mannes
Im Anschluß an Arnold 3 weigs wichtiges Buch Junge Frau von 1914" hat Anna Gener an dieser Stelle mit Recht festgestellt, daß die größere innere und äußere Freiheit der heutigen Frau mit ihrer wachsenden wirtschaftlichen Selbständigkeit zusammenhängt. Aber der Krieg, der die Frauen an, Stelle der im Felde stehenden Männer in das Erwerbsleben zwang, ist nicht die alleinige Ursache dieser Wandlung. Der Krieg hat nur eine Entwidlung beschleunigt und stärker hervortreten lassen, die viel früher eingesetzt hat. Die Wurzeln der modernen Frauenbewegung liegen in der französischen Revolution, die belanntlich das Grbrecht zugunsten der Töchter abänderte; schon 1792 fordert Mary Wollstonecraft als Konsequenz der Revolutionsideen die Gleichberechtigung der Frau. Im 19. Jahrhundert arbeiten immer mehr Frauen in den Fabriken, das Schicksal der arbeitenden Frau verknüpft sich unlöslich mit dem Gesamtgeschid des Pros letariats. Die Arbeiterbewegung, die für alle Entrechteten fämpft, hat sich daher seit ihrem Entstehen auch für die Freimwerdung der Frau eingesetzt. Diese Feststellung ist wichtig; sie zeigt, daß die heutige Lage der Frau durchaus nicht befriedigend sein kann. Schaut man nach rückwärts, so darf man feststellen, daß die Frau von heute größere Freiheit genießt genau wie die Lage des Arbeiters durch die Gewerkschaften heute viel gefestigter ist als in der Frühzeit der Kapitalismus ; wenn man aber den Blick auf die Zu funft wendet, dann erkennt man, daß weder der Arbeiter noch die Frau heute von jeder Unterdrückung und Ausbeutung frei ist. Jeder Sozialist will die wahre Gleichberechtigung der Frau; heute ist viel fach nur eine überaus bedenkliche Scheinfreiheit festzustellen.
Wenn man den Stand der Frauenbewegung beurteilen will, dann darf man nicht, wie es oft geschieht, bei einzelnen Frauen anfragen, ob fie mit ihrem Leben zufrieden sind oder nicht. Auf diese Weise erhält man zufällige und subjektive Antworten. Es ist nötig, auf entscheidende Massenvorgänge zu achten. Bejahen die heutigen Frauen wirklich in ihrer großen Mehrheit die wirtschaftliche, politische und seelische Selbständigkeit? Das muß
man bezweifeln; denn die Hitlerbewegung will bekanntlich die Frauenbefreiung rückgängig machen, fie verlangt die dienende Magd" und dennoch beweist die Höhe ihrer Wahlziffern, daß Frauen gegen die Interessen der Frauenemanzipation ihre Stimme abgeben. Bie die Befreiung der Arbeiter nur von diesen selbst erkämpft werden kann, so ist auch für den Fortschritt der Frau notwendig, daß sie selbst für ihre Befreiung eintritt. Keine Frau dürfte also den reaktionären Parteien ihre Stimme geben. Die durch den Krieg und seine Folgen erzwungene Erwerbsarbeit der Frau hat vielfach nur äußerlich die alte Abhängigkeit beseitigt, die innere Umstellung der Frau ist der neuen Lage noch nicht gefolgt. Das ist begreiflich; die Einreihung der Frau in das Wirtschaftsleben vollzieht sich in Zeiten.der Krise; der chaotische Zustand des Arbeitsmarffes muß sich auf die Frauen besonders stark auswirken, da sie sich die Stellung im Wirtschaftsleben ja erst erkämpfen müssen. Die Frauenarbeit wird zum Teil sehr schlecht bezahlt, gerade verheiratete Frauen verlieren auf Grund des Arbeitsmangels in wachsendem Maße ihre Arbeitsstellen, die berufstätige Frau ist meistens noch
Spalausgabe des Vorwärts
von der sozialen Situation abhängig ist. Die Erfolge oder Mißerfolge der Frauenbewegung beweisen nichts für die Möglichkeit der Gleichstellung, da sich die moderne Bewegung unter sehr ungünstigen Umständen abspielte und die ganzen Bestrebungen noch zu jung sind.
Wie stehen die Männer zu dem Problem der selb= ständigen Frau? Die Borherrschaft des Mannes, die so lange be standen hat, erscheint den meisten noch als eine Selbstverständlichkeit, Der Mensch gibt nur ungern Machtpositionen auf, die er besitzt. Dadurch wird die Einstellung vieler Männer zum Frauenproblem beftimmt. Der Frauenüberschuß macht zudem den Mann zu einem immworbenen Objekt mit relativem Seltenheitswert, eine Situation, die ohne Zweifel die Machtposition des Mannes verstärkt. Aber die wirtschaftlichen und sozialen Kräfte, die auf die Gleichstellung der Frau hindrängen, sind stärker als die Wünsche der Männer. Die feelische Einstellung der Männer wird sich unter den Zwang der Tatsachen ändern. Was heute vielen ,, unnatürlich" erscheint, weil es ungewohnt ist und langen Traditionen widerspricht, das fann sehr
die rückläufige Bewegung ist auch in den Wandlungen der Mode zu beobachten: auf die sachlichen, einfachen und kurzen Kleider, die gleichsam Arbeitsgewand sind, ist die Mode der langen Kleider gefolgt, ein deutliches Anknüpfen an vergangene Zeiten. Anna Geyer mag recht haben, daß auch das Leben des Mannes reicher und bewegter wird, wenn an seiner Seite die stärker auf sich selbst gestellte Frau lebt. Aber diese befruchtende Wirkung fann heute nicht zur Auswirkung kommen, da das wirtschaftliche Chaos auch diese Situation vergiftet. Die alte Form der Ehe, die ganz auf der Vorherrschaft des Mannes beruhte, büßt ihre Geltung immer mehr ein, aber die mirklich befriedigende Gewohl in Zukunft als das Natürliche erscheinen, wenn sich erst eine staltung, die den Anforderungen des Lebens gerecht wird, ist noch nicht gefunden. Es ist klar, daß die Wandlung der Frau den stärksten Einfluß auf die ganze Kultur ausüben wird. Andere Anschauungen über das Familienleben, eine neue Segual moral, werden sich herausbilden. Aber niemand kann heute voraus: sagen, welche Gestalt das Leben in Zukunft annehmen wird.
3st, überhaupt die völlige Befreiung der Frau möglich? Viele behaupten, daß es für die Gleichstellung der Frau natürliche Grenzen gäbe, man weist darauf hin, daß die Frau von Natur aus zu einer mehr passiven, aufnehmenden Rolle bestimmt sei. Ist die Frau von Natur aus das schwächere Geschlecht"? Professor Baerting hat mit überzeugenden Gründen gezeigt, daß diese Frage heute noch nicht entschieden werden fann. Bas gewöhnlich als natürliche Minderwertigkeit" der Frau be. zeichnet wird, ist in Wahrheit ein Produkt der sozialen Entrechtung| der Frau. Baerting zeigt, daß sogar die Körpergröße der Frau
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unterstützende Tradition für das Neue gebildet hat.
Das Rad der Geschichte läßt sich nicht zurückdrehen; troh zeitweiligem Stillstand wird die Frauenemanzipation Fortschritte machen; ein freiheitliches Leben aller Menschen wird erstrebt. Dieses Ziel, das fozialistische Ziel, verlangt auch die Befreiung der Frau. Aber die heutige Scheinbefreiung darf nicht mit der Lösung dieser Aufgabe verwechselt werden. Die Frauenfrage fann nicht unabhängig von der Arbeiterfrage gelöst werden. Der Kampf um eine gerechte soziale Ordnung ist zugleich ein Kampf für das Freiwerden der Frau und für eine bessere Ehe- und Sexualmoral. Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen so geregelt werden, daß möglichst alle Menschen sich frei entwickeln können. Erst dann wird man beurteilen fönnen, ob es natürliche Schranken für die Gleichberechtigung der Frauen gibt. Bei der heutigen Situation darf also nicht stehengeblieben werden. Dr. Siegfried Weinberg.
Kultivierter Großkaufmann
oder: Wandlung der Liebe
ein Versuch angewandter Soziologie
Berfolgt man im Inferatenteil einer großen Berliner demo-| fratischen Tageszeitung die Rubrik Geselligkeit", so drängen sich dem Leser eine Reihe von soziologischen Beobachtungen gleichsam von selbst auf, die nichts Geringeres als einen völligen Wandel der bürgerlichen Moralidee bezeichnen. Folgendes Inserat darf als besonders typisch gelten: besonders typisch gelten:
Kultivierter Großfaufmann 30er jucht schlanke blonde 28jährige 1,80 als Autobegleiterin für Paris - Reise; evil. Dauerfreundin.
Bor dem Krieg wäre ein solches Inserat in einer verantwort lichen liberalen Tageszeitung völlig undenkbar gewesen. Ist es heute selbstverständlich? Das ist nicht mit einem Wort zu beantworten, sondern fordert einige weitergehende Betrachtungen. Zunächst, was befagt das fleine Inferat? Ein Mann fährt mit eigenem Auto nach Paris und möchte während der Fahrt und auch in der fremden Stadt nicht allein sein; er sucht also eine Frau, die seinem Geschmad ziemlich genau entspricht. Erfüllt sie die Bedingungen und ist fie last not least nicht häßlich, dann darf sie mitfahren.
mit den großen Sorgen ihres privaten Haushalts belaftet. Es wird der Fahrt begreiflich, wenn viele Frauen die Unselbständigkeit der Vergangen heit als ein erftrebenswertes Ideal ansehen. Nicht nur der Zulauf zu den Nationalsozialisten ist charakteristisch für diese Ermüdung,
Frauen schreiben uns:
elsalt
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Aus dem Tagebuch einer Hoffenden
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Louise Diels Buch 3h werde Mutter"( Carl, Reißner Verlag, Dresden ) hat dokumentarischen Wert, denn es als tatsächlich etwas Neues das sorgfältig, mit großer bringt Offenheit geführte Tagebuch einer Hoffenben während der bedeutsamen neun Monate. Eine reife, geistig strebende Frau gibt Rechenschaft über eine Mutterschaft, die sie bewußt erlebt.
Die Verfasserin blickt vergleichend zurück auf ihre erste, 16 Jahre hinter ihr liegende Mutterschaft, die sie, noch ganz jung, fast instinktmäßig, selbstverständlich und ohne besondere Vertiefung hinnahm. Zwischen damals und heute fand sie den Weg zu eigener Entwicklung, beruflicher Arbeit und nun, da nach langer Bause die zweite Ehe ihr nochmals das Glück des Muttermerdens schenkt, wird ihr dies tiefftes Erlebnis in allen seinen Phasen.
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Louise Diels Beröffentlichungen einige Bildbeigaben gewidmet und wurde so gewissermaßen Schutzherrin dieses Buches.
Der Gegensatz schlägt uns in seinen Bann. Wir erkennen die heute noch unüberbrückte Kluft zwischen dem heißen Wunsch, viele, viele Frauen mögen in gleich freudiger, stolzer Bejahung Mütter werden, und der entsetzlichen Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit heißt, daß unser Land wie viele andere für breiteste Volksschichten teinen Lebensraum für Mutter und Kind mehr bietet. Sie heißt, daß leidenschaftlichster Mutterwille erstickt wird vom Schrei der Angst vor dem Kinde. Hunderttausend fach muß er, harten Strafandrohungen zum Troß, preisgegeben werden, wir leben unter einer Not, die stärker ist als selbst der naturstarke Muttertrieb.
In den letzten Jahren hat man erfolgreich das keimende Leben im Bild vorgeführt. Filme entstanden, von stärkster Eindrudsfähigkeit reaktionärer Kampf hat gegen ihre Vorführung getobt, jeder Ernstdenkende weiß aber, wie sehr diese Filme erschütterten, im Sinne erhöhter Achtung für das schwere, schöpferische Berk der Mutter und für ihr Leiden wirkten. In Louise Diels Buch verfolgen wir gleichsam in einem geschriebenen Film zum erstenmal die Lebensäußerungen des Kindes in der Mutter Schoß -sein erstes Sich- regen, seine immer lebhafter werdenden Bewegungen in dem engen Raum, der ihm Schuß und Gefängnis zu gleich ist. Wir werden Zeuge der füßen 3wiegespräche zwischen Mutter und Kind, der Träume und Zukunftshoffnungen, auch der dunkleren Stunden dieser nie ganz des Mysteriums entkleideten Zeit, der Reizzustände und Depressionen, des Hangens und Bangens zwischen Glücksempfindungen und Angstvorstellungen. Vom persönlichen Erleben schlägt die Verfasserin Brücken zur Betrach tung des Allgemeinen. Manch kluge Gedanken, manch wissenswerte Tatsachen sind eingestreut über Ernährung, Kleidung, Hypflegerin. Man lese neben Louise Diels Buch die erschütternde giene, Vererbung und Geschlechtsbestimmung, über die Geschichte der Mutter, Geburtenregelung, den grausamen Mutterschaftszwang und viele andere bittere Mängel unserer Gesetzgebung, die troh aller Verheißungen der neuen Verfassung die Frau und Mutter noch immer in so unmürdiger, bejammernswerter Lage gelassen hat.
Und diese Hinweise rufen Bilder in uns wach, Seitenstücke zu jener glücklichen, von Liebe und Rücksicht umhegten, von Sorgen verschonten Mutter, die ihr Tagebuch schreibt. Vor unseren Augen erstehen die Gestalten der gequälten und elenden, der überlasteten, Förperlich und seelisch zusamunenbrechenden Frauen des Pro letariats, deren Schidfal der unerbittliche Stift unserer großen Meisterin, Käthe Kollmig, wieder und wieder zeichnet und deren begeisterte Künderin Louise Diel durch ihre Lichtbildervorträge mie burch ihre Bücher geworden ist. Räthe Kollmis hat auch
Berfolgen wir in dieſem gewissenhaft geführten Tagebuch, wieviel Rücksichtnahme erforderlich ist, um Mutter und Kind vor jeder Schädigung zu bewahren, wie störend und bedrohlich selbst einer gefunden blühenden Frau manche scheinbar geringe Anstrengung wird, eine kleine Vortragsreise, das Rütteln im Autobus, das Stehen in überfüllter Straßen- oder Untergrundbahn, wie groß der Hunger nach reiner, frischer Luft ist, wie sehr sich die Empfindlichkeit gegen einzelne Gerüche, auch gegen den Geruch bestimmter Speisen steigert, dann verdeutlicht dies mit aller Schärfe, wie ungeheuere Leiden und Opfer viele Berufsarten den Schwangeren auferlegen. Noch wenige Wochen vor der Geburt harren werdende Mütter in Fabriken und Werkstätten aus, unter schädlichen Ausdünstungen, in der stickigen Luft überfüllter Räume. Die einen treten unablässig die Maschine( auch die Heimarbeiterin), die anderen heben schwere Lasten, müssen sich schmerzhaft recen und strecken, werdende Mütter sind Schwerarbeiterinnen auf dem Lande, stehen in der rücksichtslosen, zermürbenden Fließarbeit moderner Industriebetriebe und verrichten in ihrer Freizeit" all die mühevollen und anstrengenden Leistungen der Hausfrau und Kinder Broschüre des Deutschen Textilarbeiter- Berbandes Erwerbs. arbeit, Schwangerschaft, Frauenleid" und der ganze Abgrund zwischen Müttern, die doch alle geeint sein sollten durch das große, nur Müttern gemeinsame Erleben, tut sich auf. Klar wird auch wieder der Wahnwiz jener ,, Opendoor"-Befirebungen, die den richtigen Gedanken der Gleichberechtigung der Frau auf dem Arbeitsmarkt fanatisch verzerren zur Leugnung der Berschiedenartigkeit der Frau und daraus den Kampf gegen die Schußbestimmungen für Mütter ableiten. Mögen sich immer mehr glüdliche Mütter einreihen in die Kampffront gegen unsere mider finnige Gesellschaftsordnung. Diese Gesellschaftsordnung, die noch nicht einmal einen ausreichenden Schwangerenschutz ausgebaut hat, während Millionen fräftiger Männer feiern müssen.
Während der Reise ergibt sich dann leicht die Möglichkeit, ob sie auch für einen, zwar nicht ausgesprochenen, aber doch wohl ganz dann kann sie eventuell seine ,, Dauereindeutigen Zwed paßt freundin" werden. Es besteht also heute die Möglichkeit, öffent lich, wenn auch nonym, eine Freundin" zu suchen, dann gibt es ,, eventuell" eine ,, Dauerfreundschaft", eine Art Versorgungs institution, die einen deutlichen marktmäßigen Charakter hat.
Ist das die so viel beredete Bersachlichung der Liebesbeziehung, die man der Gegenwart der neuen Sachlichkeit nachrühmt? Ich möchte das bestreiten. Diese Art Sachlichkeit ist, scheint mir, lediglich eine ganz zynische, unverhüllte Weise des Suchens nach einer passenden Geschlechtspartnerin, die man wahrscheinlich finden wird: ein Zeichen, daß sich diese Wandlung der Moral" nicht nur auf Seiten des Mannes vollzieht.
Man darf diesen Vorgang feineswegs leicht nehmen; auch darf er nicht dahin mißverstanden werden, als ob wir die freiere" Denk oder Erlebnisweise, die heute allgemein in diesen Beziehungen herrscht, nun ohne weiteres mit diesem als typisch genommenen Beispiel identifizieren wollten. Hier ist eine deutliche 2 b. grenzung notwendig. Wenn ein sehr fluger ausländischer Beob achter jüngst geschrieben hat: ,, Die Birginität des jungen Mädchens wird vom Gatten nicht mehr gefordert, sie erscheint nicht mehr als das mesentliche Merkmal fittlichen Wertes, und die meisten jungen Mädchen selbst der bürgerlichen Klassen betrachten sich als völlig frei", so ist das ein unbestreitbares Faltum, dem auch ein deutscher Soziologe ausdrüdlich zustimmt. Es ist Willy helpach, der die Wandlung der Liebe ausdrücklich im Hinblick auf die Generations. schichtung folgendermaßen charatterifiert: Das natürlichste Objekt unseres Liebens, bis... etwa zu 1900 hin, ist noch das entrüdte und verhüllte Weib gewesen. Sie", die wir suchten, fonnten überhaupt nur Ahnung und Wagnis finden; denn wir erfuhren weder, wie sie feelisch, noch wie sie törperlich sei. Ihr Körper blieb
zu wesentlichen Teilen immer eingekleidet, und nur auf den Bällen ward ein Stückchen von ihm entblößt; feiner wußte mit Sicherheit, ob nicht Entkleidung tiefste Ernüchterung bedeuten würde. Die Seele? Man tennt die Begrenzung der Gespräche, die Seltenheit ungestörten Plauderns und Erörterns, die anerzogene Schamhaftigkeit, welche so viele wesentliche Themen ausschloß, die Konvention der Briefe bis zur Verlobung und ihrem Du..." Sicherlich eine ganz ausgezeichnete Charakteristik des bürgerlichen Vorkriegsverhältnisses. Der liberale Soziologe führt seine Analyse jedoch bis zur Gegenwart fort:„ Noch fein volles Menschenalter ist seither vergangen, und alle Schranken für das Kennen des Mitmenschen anderen Geschlechts sind niedergeschlagen. Na dt in jedem Betracht, leiblich und seelisch, stehen die Geschlechter voreinander. Schon die Kleidung gibt alle Geheimnisse preis, meist bereits im Alltag, gewiß im Sport; und seelische Verhüllung würde als Hysterie oder Böswilligkeit oder Lächerlichkeit gelten... Was einst Werbung hieß und zwischen der Seligkeit der Erfüllung oder Beschämung der Abs weifung ausgespannt war, ist zu einer Besprechung" geworden, der die Probe und nach ihr die Besiegelung oder der Abbruch folgt; fürs Leben will man sich erst binden, wenn man alles voneinander weiß; übrigens auch dann noch mit dem Vorbehalt, sich zu trennen, wenn die individuellen Entwicklungen auseinandergehen sollten."
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In diesen Sägen dokumentiert sich in der Tat die Wandlung der Liebesbezeigung, die dennoch nichts zu tun hat mit der nipellierenden und zynischen Vermassung des Lebens, für das das eingangs mitgeteilte Inserat Beispiel war. So differenziert das Liebesverhältnis bei den einzelnen Klassen- und Altersgruppen heute in Deutschland liegen mag, die freiere und offenere Gestal tung und Formung dieser Beziehungen enthebt sie nicht einer inneren und äußeren Verantwortung; beide sind taum zu trennen: die innere Berantwortung betrifft das eigentliche, intime Schicksal der Menschen, die in der Beziehung verbunden sind; die äußere Verantwortung zielt auf die Solidarität, in der nur der Mensch der 3wed des Menschen sein darf. So darf sich eine sozialistische und ethische Auffassung der Liebe von der„ Dauerfreundschaft" der bürgerlichen Tageszeitung mit Mary' Worten unterscheiden: Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d. h. menn dein Lieben als Liebe nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußerung dich nicht zum geliebten Menschen machst, ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglüd." Peter Megateros.