1932
Der Abend
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Nr. 58 B 29 49. Jahrgang
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Die Preissenfung ungenügend
Preiskommiffar Goerdeler zieht Bilanz
In einer Pressebesprechung äußerte sich der Reichskommissar für Preisüberwachung über das bisherige Gesamtergebnis der Preissenkungsaktion.
Dr. Goerdeler erklärte, daß der bisherige Erfolg des Preisabbaues nicht befriedigend sei. Die Lebenshaltungskosten feien bis Ende Januar nur um 6 bis 7 Proz. gefallen. Er wies allerdings darauf hin, daß die Kosten der Lebenshaltung gegenüber dem Januar 1927 um 14 Proz. und gegenüber dem Höchst stand pom März 1929 um rund 20 Pro3. gesunken seien. Diese Zahlen fann man aber nicht zu einem Bergleich heranziehen. In dem befannten Brief des Reichskanzlers an den Abgeordneten Wels ist flar gesagt, daß eine neue& auftraftschrumpfung als Folge der Notverordnung vom 8. Dezember eine völlig neue Situation schaffen müffe. Man kann also nur die Senfung der Lebenshaltungskosten im Januar und den folgenden Monaten mit denen des Dezember vergleichen. Und hier zeigt sich bei dem vielfach 15prozentigen Lohnabbau eine neue scharfe Drosselung der Kauftraft.
Es müssen bei der Preisfenfung also noch ganz gewaltige Anstrengungen gemacht werden, um die verheerenden Folgen einer weiteren Schrumpfung der Massenkaufkraft zu verhindern. Für feine weitere Tätigkeit stellte der Reichskommiffar die Richtlinien auf, daß bei Produzenten und Händlern alle Ersparnisse, die direkt oder indirekt aus der letzten Notverordnung entstanden sind, für den Preisabbau bis zum letzten Verbraucher nuhbar gemacht werden müssen.
Sehr charakteristisch für die in Deutschland herrschende freie Wirtschaft" war die Mitteilung Dr. Goerdelers, daß es auf dem Jnlandsmarkt 56 000 gebundene Preise( Kartellpreise) gibt. Auf diesem Gebiet wird in den nächsten Tagen noch die Verordnung erlaffen werden, daß auf dem Berpadungsmaterial der alte und der neue Preis aufgedrudt werden muß bzw. das höhere Gewicht, falls die Preise nicht geändert wurden.
Der Reichskommissar erklärte zum Schluß, daß sich die Preisfenfung in dem gleichen Tempo wie in den letzten sechs Wochen nicht fortfehen werde, erwartet aber, daß im Februar noch genügende Stoßtraft für weiteren Preisabbau vorhanden ist. Der stärkste Druck auf die Preise werde von der zusammengeschrumpften Maffentauftraft ausgeübt, die auch in Jufunft der schärfste Preisregulator bleibe.
Der dunkle Punkt.
Warum blieb Hitler staatenlos? Adolf Hitler , der Heiland der Nationalsozialisten, ist zur lächerlichen Figur geworden. Als falscher Gendarm von Hildburghausen " wird er jetzt dem Hauptmann von Köpenick an die Seite gestellt. Er mag sich dafür bei seinem Oberschieber Dr. Frick bedanken. Aber warum überhaupt dieser Krampf um Hitlers Staatsangehörigkeit? Warum ist er staatenlos? Das ist der dunkle Punkt in Hitlers Vergangenheit, über den er und die Seinen damit hinwegzugleiten fuchen, daß sie sagen, er habe sich bei Kriegsausbruch freiwillig in einem bayerischen Regiment gemeldet und habe den Krieg im deutschen Heer bis zum Ende mitgemacht. Hitler ist 1889 in Braunau in Oberösterreich , unweit der bayerischen Grenze, geboren. Wie in Deutschland , so war auch in Oester reich damals unter der allgemeinen Wehrpflicht jeder männliche Staatsbürger vom 20. Lebensjahre an militärpflichtig und mußte sich alljährlich zur militärischen Musterung der Refruten stellen. Ebenso war er verpflichtet, dem militärischen Bezirkskommando jede Veränderung seiner Wohnung und seines Aufenthaltsortes zu mel: den. Wer ohne solche Meldung ins Ausland ging, galt als„ unsicherer Heerespflichtiger" oder gar als" Deserteur", der bei der Rückkehr in sein Vaterland damit rechnen mußte, sofort verhaftet und auf drei Jahre in den bunten Rock gesteckt zu werden. Hitler ist 1912 als Dreiundzwanzigjähriger nach Bayern gegangen und hat sich der Militärdienstpflicht in seinem österreichischen Vaterland entzogen.
Als 1914 der Krieg ausbrach, lief Hitler Gefahr, von Bayern aus zwangsweise nach Desterreich ausgeliefert zu werden. Dann hätte man ihn dort totficher als Deserteur behandelt, in die zweite Klasse des Soldatenstandes gesteckt und schnellstens mit irgendeinem Himmelfahrtskommando" an die serbische Front geschickt. Bor diesem Schicksal bewahrte ihn seine Meldung als„ Kriegsfreiwilliger" In seinem Buch„ Mein Kampf " sagt er, er habe am 3. Auguſt 1914 ein entsprechendes Gesuch an den bayerischen König Ludwig gerichtet und schon tags darauf eine zusagende Antwort erhalten.
Er bekennt:
,, Als ich mit zitternden Händen das Schreiben geöffnet hatte und die Genehmigung meiner Bitte mit der Aufforderung las,
mich bei einem bayerischen Regiment zu melden, kannten Jubel und Dankbarkeit keine Grenze.
Man darf ihm schon glauben, daß ihm ein Stein vom Herzen gefallen war. Er sagt aber kein Wort darüber, daß er sich in seiner Eingabe als österreichischer Deserteur vorgestellt hat. Ist er über diesen dunklen Bunkt schamhaft hinweggegangen? Im Trubel der ersten Mobilmachungstage wurde jeder, der sich freiwillig" meldete, angenommen, ohne daß viel nach dem Woher gefragt
wurde.
Warum war Hitler aus Desterreich desertiert? er sagt in Mein Kampf ", daß er aus politischen Gründen in erster Linie Desterreich verlassen" habe und fügt hinzu:
„ Ich wollte nicht für den habsburgischen Staat fechten." In einem jüngst erschienenen Buche Hitler im Felde" wird gejagt, er habe deshalb nicht in der österreichischen Armee dienen wollen, weil im österreichischen Offizierstorps zu viele Juden waren. Was würden unsere deutschen Patentpatrioten sagen, wenn ein deutscher Deserteur sich damit entschuldigt hätte, daß ihm im deut schen Offiziersforps zu viel Junter waren und daß er nicht für den Staat der Hohenzollern habe fechten wollen? österreichische Staatsangehörigkeit hat Hitler verloren, weil er für den österreichischen Staat ein Deserteur ist.
Seine
U- Boot M2" gefunden.
In der Nähe des Leuchtturmes von Portland Bill. London , 4. Februar.
Nach achttägigem Suchen ist das Wrack des Unterseebootes ,, M 2" in der Nacht zum Donnerstag 5,8 Seemeilen vom Leuchtturm Porland Bill entfernt aufgefunden worden. Es liegt in der Nähe von vier Wracks, die schon in den ersten Tagen des Suchens festgestellt worden waren, und etwa an der Stelle, an der der Kapitän des Dampfers„ Tynesider" das Unterseeboot hatte fauchen sehen und an der späterhin zwei Signalflaggen gefunden wurden. Die Entdeckung erfolgte durch die Unterwasserschallapparate des Unterseebootabwehrfahrzeuges„ Torrid".
Als die Suchleinen eines Paares der Fahrzeuge auf ein Hindernis auf dem Meeresgrunde ffießen, wurden Taucher abgesetzt, die bald darauf melden konnten, daß man ,, M 2" gefunden habe. Während der Nacht haben die Taucher weitere Feststellungen über die Lage des Wrads vorgenommen. Alle Hebefahrzeuge in Portsmouth find alarmiert und sollen die Hebearbeit sofort beginnen, sobald der Befehl der Admiralität hierzu einläuft. Fachkreise nehmen an, daß der Berlust des U- Bootes höchstwahrscheinlich durch eine Wasserstofferplosion der Affumulatoren erfolgt ist.
Zentrumsführer Heß gestorben.
Der Borfißende der Zentrumsfraktion des Preußischen Landtags , Dr. Josef Seß, ist heute vormittag an einer Lungenentzündung gestorben. Vor einigen Monaten hatte Heß sich einer Beinamputation unterziehen müssen, feitdem fiechte er dahin. Er hat nur ein Alter von 53 Jahren erreicht.
Wieder ist ein führender Staatsmann der Republik aus der Blüte seiner Schaffenstraft durch ein heimtückisches Leiden abberufen worden. Wie Ebert, Erzberger und Stresemann ist auch ihm fein langes Leben beschieden gewesen. Wohl aber verdient sein Name unter den Männern der ersten Reihe aufbewahrt zu werden.
Wenn auch Josef Heß nach außen hin nicht so in die Erscheinung trat wie die Führer im Reiche, so war doch sein Einfluß auf die poliitsche Entwicklung faum zu überschätzen. Heß war der Führer der preußischen Zentrumsfraktion, und er war ein Führer im vollsten Sinne des Wortes. Seine Persönlichkeit ist wäh
rend des letzten Jahrzehnts mit ausschlaggebend gewesen für die Erhaltung der Demokratie und des republikanischen Systems in Preußen, das sich im Kabinett Otto Braun ver
förpert.
Nicht etwa, daß Heß von Haus aus ein Freund der Sozialdemokratie gewesen wäre. Er hat dem alten Dreitlassenparlament bereits von Juni 1908 an als Vertreter des Kreises Euskirchen bei Köln angehört und hat damals manche scharfe Rede gegen die Sozialdemokratie gehalten. Dann aber war er während des Krieges und nach dem Kriege bei jenen Zentrumsleuten, die gleich Erzberger die Zeichen der Zeit erkannten und zwischen sich und der altpreußischen Reaktion den scharfen Trennungsstrich zogen.
Rheinländer von Geburt und Temperament, mit dem angeborenen Freiheitssinn des Westens ausgestattet, hat Heß gegen die Allüren des ostpreußischen Junkertums stets eine ausgesprochene Daß sich Hitler 1914 in Bayern als Kriegsfreiwilliger meldete, Antipathie gehabt. Er haßte aus tiefster Seele jenes arrogante war für ihn der einzige Ausweg, um der zwangsweisen Ausliefe- Feldwebeltum der ostelbischen Gutshöfe, das vom Kern der rheinirung nach Desterreich zu entgehen. Die„ Freiwilligkeit" scheint da- schen Bevölkerung stets als eine Art Fremdherrschaft empdurch in einem eigentümlichen Licht. Während in den ersten Nach. funden worden ist. Deswegen hielt er auch fest zur Republik, die kriegsjahren von angeblichen besonderen Auszeichnungen Hitlers mit der Junkerherrschaft aufgeräumt und dem deutschen Westen im Kriege nicht gemeldet wurde, beginnt man jetzt ihm allerlei die wirkliche Selbstverwaltung gegeben hat. Vor allem erHeldentaten anzudichten. Aber ganz gleich, wie es damit stehen tannte Seß an, daß der Katholizismus, dessen Belange er in erster mag. Jedenfalls steht fest, daß Hitler sich der Militärdienstpflicht Linie vertrat, erst durch die Republik die Gleichberech in seinem Vaterlande„ aus politischen Gründen" entzogen hat. Er tigung in Preußen erhalten hat, während unter dem alten System hat damit schließlich dasselbe getan, was ungezählte Tschechen, Kroa- eine systematische 3urücksetzung der Katholiken bei der Be ten usw. auch getan haben und poran das Deutschland verbündete ſetzung aller Aemter als selbstverständlich galt. Immer wieder hat Desterreich- Ungarn zugrunde gegangen ist. er das der Rechten vorgehalten, wenn diese ihm sein Bündnis mit der gottlosen" Sozialdemokratie zum Vorwurf machte. Heß war ein bekannter und gefürchteter Debatteredner. Seine Reden zeichneten sich gleichermaßen durch Kürze wie durch Schärfe aus. Niemand im Landtag vermochte Pointen in so zugespitzter Form, dabei mit so sarkastischer Ueberlegenheit vorzutragen wie Heß. Wenn Heß redete, war der Play vor dem Podium dicht umdrängt von Abgeordneten, die sich feines der Heßschen Bonmots entgehen lassen wollten. Aber Heß war nicht nur Redner,
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