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149.3abrgang

Nr. 79 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Berlin wandert.

Großstadtmensch will Licht und Luft.

Aber die

hohen Mieten. Aufgaben des Verkehrs.

Die Wohnungen in den Berliner Neubauten wurden trop der hohen Mieten im allgemeinen doch besetzt. Liegen fie doch zumeist im Grünen, abgerüdt von dem brodelnden Verkehr der City, Licht und Sonne haben freien Zutritt. Es fehlen die kulturwidrigen Hinterhäuser und die Wohnungen sind mehr oder weniger mit modernen Einrichtungen versehen. Viele kleine und mittlere Be­amte und Angestellte leisteten sich unter äußerster Einschränkung auf allen anderen Gebieten eine solche Wohnung. Bis der große Abbau vom vergangenen Jahre und die Herabsehung der Löhne und Gehälter erfolgte. Da begann die Ab wande rung, die Mieten waren für viele nicht mehr tragbar. Die vierte Notverordnung brachte für die Neubauwohnungen auch feine oder höchstens eine ganz geringfügige Mietjenkung, aber sie brachte die Möglichkeit zur Kündigung. Von diesem Recht ist in umfangreicher Weise Gebrauch gemacht worden, und so wird man zu Ostern einen Umzug von ungewöhnlichem Maße erleben.

Rückwanderung in die schlechteren Quartiere.

Wie in den ersten Jahren nach dem Kriege werden Familien, Eltern mit ihren verheirateten Kindern zusammenziehen, alte un­Rüd= hygienische Wohnungen wieder mehr begehrt werden. schritt. Bernünftigerweise ist die Stadt jetzt damit vorgegangen, die Mieten in den mit öffentlichen Mitteln erbauten Häusern herab­zusetzen. Wenn man nicht will, daß die vielfach in jämmerlichem Zustande befindlichen Altwohnungen an die feueren Neubau­wohnungen angepaẞt werden, muß man den umgekehrten Weg

beschreiten, selbst wenn dabei Verluste in Kauf genommen werden müssen.

Der Zug der Bevölkerung aus der Innenstadt nach außen läßt fich nicht mehr eindämmen. Er hat schon vor dem Kriege begonnen. Die 4% Tausend Hektar Kleingartenfläche, über die Berlin verfügt, erweisen zur Genüge die Liebe des Großstädters zur Natur. Der wachsende Berkehr, der Mangel an Licht und Luft in den dicht bebauten Vierteln der Innenstadt läßt die Flucht nach den Außen­bezirken immer stärker werden. Und das, obgleich es für Zehn­tausende große Beschwerden mit sich bringt, indem sie Tag für Tag lange Fahrten bis zu ihrer Arbeitsstätte zurückzulegen haben. Der Berfehr muß sich diesen täglichen

Wanderungen von Süd nach Nord,

vom Zentrum nach der Peripherie und umgekehrt anpassen. Stadt­bahn und die Berliner Verkehrsgesellschaft mit ihren Straßen­bahnen, Autobussen und Untergrundbahnen haben tagtäglich dieje Binnenwanderung zu bewältigen. Der Verkehr folgt den Wohn­stätten, beides tritt in Wechselwirkung miteinander. Aber auch die Industrie zieht immer mehr aus der Innenstadt hinaus in die Randgebiete.

Eine interessante Untersuchung.

günstigere Werte. An der Spitze steht Zehlendorf mit 10,61 Pro3., ihm folgen Reinidendorf mit 7,12 Broz., Köpe. nick mit 6,53 Proz. und Tempelhof mit 6,21 Proz. Unter dem Durchschnitt steht Alt- Berlin mit 0,16 Pro3., Char lottenburg mit 0,84 Proz. und Schöneberg mit 1,05 Broz Was nun die Entwicklung der außerhalb des Berliner Stadt­gebiets liegenden Orte( hier Randgebiet genannt) anlangt, fo haben diese zum Teil erheblich höhere Hundertfäße aufzuweisen. Den höchsten Saz hat die Kolonie Neu Seddin , die durch den dorthin verlegten Verschiebebahnhof der Reichsbahn entstanden ist, mit 128,57 Pro3. Neuwohnungen auf 100 Einwohner des Jahres 1919. Bon diesen Siedlungen ist ein Teil reine Wohnsiedlungen, andere sind auf Industriesiedlungen zurückzuführen. Ganz deutlich

Mittwoch, 17. Februar 1932

zeigt sich die hervorragende Stellung der an den Bahnstrecken ge­legenen Ortschaften gegenüber denen ohne Bahnverbindung. Von den 152 untersuchten Ortschaften liegen 64( 42 Proz.) an einer Bahnstrecke. Auf diese 64 Orte entfallen 11 028 oder 77 Proz. der Neubauwohnungen, während die 83 Ortschaften ohne Bahnverbin dung nur 3330 Wohnungen zu verzeichnen haben.

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Die Untersuchungen des Statistischen Amts haben nur die Eisen, bahnverbindungen in Betracht gezogen. Eine Untersuchung, die auch die städtischen Verkehrsmittel mit einbezöge, würde zeigen, daß auch diese die gleiche Rolle spielen wie die Eisenbahnen. Seitdem diese Berkehrsmittel in städtischer Verwaltung sind, werden die Linien nicht nur nach dem Grundsatz des Verdienens gezogen, sondern die städtischen Einrichtungen dienen den Bedürfnissen der Allgemeinheit. Fast alle der neugeschaffenen Verbindungen nach neuerstehenden Siedlungen sind für lange Zeit 3uschußlinien. Die Durchführung der Gemeinschaftsidee auch auf das Verkehrswesen ermöglicht die Schaffung entfernt von den Industriegebieten liegen­der Wohnungsfiedlungen. Eine weitsichtige Kommunalverwaltung wird beides, Verkehrs- und Siedlungswesen, unter ein und den­felben Gesichtspunkten, dem des Gemeinwohls, betrachten und zu fördern suchen. Dieses Ziel hat die sozialdemokratische Fraktion im Roten Hause stets verfolgt.

Hochbahn wird neu.

Strecke Hallesches Tor- Kottbuser Tor.

werden kann. An diesem Donnerstag findet feine Stadtverordneten­fizung statt.

Der ,, Vorwärts" hatte vor einiger Zeit einen aus| des unter Mitwirkung der Bezirksbürgermeister zustandegekomme führlichen Bericht über die Ursachen und den Umfang der nen Magistatsentwurfs begonnen. Es ist noch zweifelhaft, ob es Schäden auf der Hochbahnstrecke Hallesches gelingen wird, die Vorlage noch in dieser Woche zu verabschieden, Zor- Kottbusser Tor gebracht. Wir hatten ge- so daß sie in der nächsten Woche an das Plenum zurückgegeben fordert, daß die gefährdete Strecke einer völligen Re­novierung unterzogen wird. Die Berliner Verkehrs­Gesellschaft hat jest in ihrem Rechnungsanschlag 1,7 Mil­lionen Mark für die Instandsetzung der Linie bereit. gestellt. Vorläufig ist die Eisenkonstruktion des Viadukts durch mächtige Holzversteifungen gestützt worden, trok­dem mußte an der langsamen Fahrweise der Züge Geschwindigkeit beträgt auf der hauptsächlich gefährdeten Stelle nur 20 Stundenkilometer- festgehalten werden. Jetzt wird man damit beginnen, die Strecke nach und nach gänzlich neu zu ersetzen. Der Fahrbetrieb wird dabei auf rechterhalten werden können.

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die

Bei dem Stück, das man zuerst in Angriff nehmen muß, handelt es sich um die Strecke von der Höhe des Patentamis in der Gitschiner Straße bis zum Bahnhof Prinzenstraße. Hier hatten sich Veränderungen an den Verbindungspunkten gezeigt. Wie die Tech­niker feststellten, hatte die betreffende Baufirma bei der Erstellung des Viadults, das 1902 zum erstenmal befahren wurde, die Löcher für die Verbindungen nicht gebohrt, sondern gestanzt. Durch die dreißigjährige, überaus starfe Inanspruchnahme der Konstruktion stellten sich hier dann die ersten Schäden ein. In den späteren Das Preußische Statistische Landesamt hat inner- Jahren soll allmählich die ganze Strede bis Warschauer halb des bezeichneten Gebietes( Berlin und Randgebiete) 152 Städte, Brüde renoviert werden. Das erfordert jedoch eine Summe von Ortschaften, Güter und Kolonien auf ihre Bautätigkeit in den Jahren 11 bis 12 Millionen Mark, die im Augenblick noch nicht aufgebracht 1919 bis 1927 hin geprüft. Innerhalb Berlins wurden in dieser Zeit werden können. 56 554 neue Wohnungen erbaut, in den Randgebieten 14 358. Die ab­soluten Zahlen besagen wenig. Erst wenn man die neuen Wohnun gen auf je 100 Einwohner umrechnet, erkennt man das Tempo des Wachsens und die Entwicklung der Dertlichkeiten. Die Zahl für Gesamt- Berlin beträgt nur 1,49 auf 100 Einwohner des Jahres 1919 umgerechnet. Teilt man Berlin in seine Bezirke auf, so er­geben sich allerdings für die Außenbezirke fast durchweg erheblich

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Anita

und hir

NOVELLE

VON ERNA BUSING

Cowboy

TEHNERT

Billy zahlt seine Strafe, Billy zahlt dem Ueberfallenen ein Schmerzensgeld, er verprügelt den Indianer und dann zahlt er ihm die Fahrkarte in feine Heimat. Nun war die Nummer kaputt und Billys Ersparnisse waren aufgebraucht. Er hatte alles aufgeben müssen, damit ihm keine Schwierigkeiten erwuchsen, er hat nichts außer seinen Lassos und seinen Revolvern. Er pfeift ein Lied und schwört dabei, nie wieder eine Uhr zu verschenken.

John wird arbeitslos.

Zuerst begegnete man John mit der allergrößten Hoch­achtung im Geschäft. Sein Name wurde als Reflame ge­braucht. Das taten die Direktoren und die Angestellten des gleichen.

Bald aber fand man heraus, daß John mit seiner Familie feinerlei Verbindung hatte. Da wurden die Direk toren zurückhaltender. Nach ziemlich raschem Uebergang war John nur noch ein r- beliebiger Angestellter. Er war ein Korrespondent wie so viele andere. Ach, englisch, das ist ja die leichteste Sprache der Welt.

Die Angestellten folgten dem ansteckenden Beispiel der Direktoren. Im ganzen Büro war kein Mensch mehr, der John mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete. Man konnte durch ihn feine Karriere machen. Infolgedessen war er genau so uninteressiert wie sie alle.

John berührt das nicht. Er bemerkt den Umschlag wohl, er deutet ihn vollkommen richtig, er ärgert sich nicht. Er stellt nur eine Tatsache fest, indem er sagt: Jetzt bin ich nicht mehr der Sohn meines Vaters, jezt bin ich endlich ich." Die Wirtschaftskrise wird immer drückender. Allerorts werden Einschränkungen vorgenommen.

Die Direttoren werden sehr offensichtlich launisch, sie schifanieren das Personal, das sehr fusch wird; steht doch im Hintergrund immer die Angst vor der Zukunft. Was soll

Berlins Ortesatzung im Haushaltsausschuß.

Der Haushaltsausschuß der Stadtverordnetenversamm lung tritt in dieser Woche außergewöhnlich an drei Tagen zusam­men, um die endgültige Gestaltung des neuen Orts statuts für Berlin vorzubereiten. Gestern vormittag wurde mit der 1. Beratung

werden? Das ist die bange Frage, auf die niemand Antwort weiß.

Einer der Direktoren, der gerne mit angesehenen Namen renommiert, ruft John stets herein, wenn er hohen Besuch von auswärts hat. John muß den Bärenführer machen, fo­gar dann, wenn er nicht als Dolmetsch für englisch in Frage fam. Das sah nach einer besonderen Ehrung aus, doch es war in Wirklichkeit eine Demütigung. Durch Johns Wahl betonte und erzählte der Direktor: Seht, was für Namen in meinem Betriebe tätig sind.

In dem Geschäft, in dem John arbeitete, wurden Ent­lassungen vorgenommen. Sie waren nicht nötig. Es war Arbeit genug vorhanden. Doch die Direktoren wären sich als unkluge Geschäftsleute vorgekommen, wenn sie die allgemeine Wirtschaftskrise nicht zur Notlage ihrer Angestellten ausge­baut hätten. Dem einzelnen wurde einfach mehr Arbeit auf­

gebürdet.

John wird angesteckt von der allgemeinen Nervosität. Mehr als einmal legt er sich die Frage vor: Was foll werden?"

Mitunter nagt an ihm die Furcht um den Besitz. Er. hat Klubsessel und Automobile, Berserteppiche und elektrisches Licht kennengelernt. Er hat auf manches verzichtet. Jedoch schmerzt dieser Berzicht bis jetzt nicht; denn er hat Anita und ein gemütliches Heim. Er beneidet weder Bater noch Bruder um das Haus in Bremen und die Korrektheit der dortigen repräsentativen Haushaltungen.

Freilich hat er feine eigene Wohnung. Er hat zwei leere Zimmer von einer Witwe gemietet, die sich jetzt ein­fchränken muß und ihre Dreizimmermohnung nicht mehr allein für sich beanspruchen darf. Die Witwe ist zurückhaltend. Sie hat vorher ein paarmal Bech gehabt und ist nun froh, anständige, nette, pünktlich zahlende Mieter zu haben.

Die Miete ist sehr hoch. Doch hindert die Unsicherheit der wirtschaftlichen Lage John, sich um eine eigene Wohnung zu bemühen. Weiß doch feiner, was der nächste Tag bringen wird. Mit großen Plänen darf man nicht in die Zukunft gehen.

Es steht nichts Sanftes im Leben. Jeder Tag bedeutet für irgendeinen Menschen eine Katastrophe.

Und eines Tages wird auch John entlassen. Er schreibt viele Briefe, er macht viele Wege, alles ist vergeblich. An Neueinstellungen denkt kein Mensch. Niemand hat Arbeit zu vergeben.

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Zum Tode Siegfried Weinbergs. Beileidsschreiben des Oberbürgermeisters und des

Stadtverordnetenvorstehers.

Zum Tode des Stadtverordneten Genossen Dr. Siegfried Weinberg, der heute vormittag um 10.30 Uhr im Krematorium Wilmersdorf den Feuer übergeben wird, haben Oberbürgemeister Dr. Sahm und Stadtverordnetenvorsteher Genosse a ß der Gattin des Verstorbenen das nachstehende Beileidsschreiben übersandt:

,, Es ist uns ein aufrichtiges Bedürfnis, Ihnen zu dem un­erwarteten Heimgang Ihres Gatten, des Stadtverordneten Dr. Sieg­fried Weinberg, unsere herzlichste Anteilnahme zugleich namens der Gemeindekörperschaften zum Ausdruck zu bringen. Ihr Herr Ge­mahl, seit dem 22. April 1918 Mitglied des Stadtparlaments, hat beinahe eineinhalb Jahrzehnte in der Deputation für Kunst und Bildungswesen, dem Aufsichtsrat der Städtischen Oper AG., dem Aufsichtsrat der Berliner Philharmonische Orchester G. m. b. H. und in vielen anderen Organen der städtischen Verwaltung hingebende, selbstlose Arbeit geleistet. Obwohl durch seinen Beruf als Rechts­anwalt und Notar vollauf in Anspruch genommen, hat er dennoch sein städtisches Ehrenamt mit seltenem, von rechtem Bürgerfinn ge­tragenen Pflichtbewußtsein geführt und sich so über den Kreis der engeren Freunde hinaus größter Wertschätzung erfreut. Diese seine Berdienste und fein lauterer Charakter werden Dr. Siegfried Wein­berg in der Stadtverwaltung ein ehrendes Andenken sichern."

Sprechchor für Proletarische Feierstunden. Donnerstag, den 18. Februar, 20 Uhr, im Gesangsfaal der Sophienschule, Wein­meiſterſtraße 16/17, Uebungsstunde( photographische Aufnahme).

John schreibt an den jungen Thormeilen, aber der ist mit einer Filmegpedition unterwegs und weder Briefe noc) Telegramme erreichen ihn.

Billy hat gute Engagements gehabt, er ist sehr sparsam gewesen und sein Geldbeutel hat daher den Wutanfall des Indianers verschmerzt.

Billy reist mit einem mittleren Zirkus. Die Geschäfte sind schlecht, die Stimmung ist gedrückt, doch Billy gefällt. Er bastelt gern und hat sich eigenartige Apparate konstruiert.

Billy fist in Potsdam gerade in dem Packwagen der Wild- West- Schau, als plöglich John auftaucht.

Billy begrüßt ihn herzlich und John nimmt ohne Auf­forderung auf einem großen Koffer Platz und setzt sich un­geniert auf Billys Lederhose, die einer Schürze gleich über­gezogen wird, wenn Billy in die Manege geht. Billy ist ein flein wenig eigenartig gefleidet, er trägt das blaurot farrierte Cowboyhemd und die helle Hose seines Straßen­anzuges.

Doch macht er feine Anstalten, sich anders anzuziehen oder sich ob seines Anzuges zu entschuldigen.

Billys erste Frage gilt Anita. John sagt ehrlich: ,, Ich glaube, sie ist glücklich."

,, Das glaube ich auch", antwortet Billy. Wäre sie es nicht, hätte ich es aus ihren Briefen zwischen den Zeilen gelesen."

John freut sich. Diese Antwort ist ihm viel wert, nament lich in jeziger Zeit. Dann erzählt John, daß er stellungslos ist. Billy beichtet ihm: ,, Auch ich habe keinen Anschluß. Ich fürchte, ich werde ein paar Monate liegen. Für den Winter müßte ich schon unbedingt besetzt sein."

Was willst du tun?" fragt John.

,, Na, wenn ich nicht gebucht werde, mir für meine Sachen irgendwo einen Speicher suchen, einen Probierraum mieten, fleißig neue Trids einüben und weiter Anschluß suchen. Für nächsten Sommer gehe ich nach Polen . Das ist ficher. Ich werde dort in Zoologischen Gärten und Luna­Barts arbeiten. Da ist zwar ein anderes, mir unbekanntes Bublikum Na, es wird schon werden."

,, Unsere Zeit ist Wertvernichtung", sagt aus tiefem Sinnen heraus John. In Kongreßpolen sollen Postfutschenüberfall und Block­hausbrand noch heute fo ziehen, wie zu Buffalo Bills Zeiten in ganz Europa ", läßt sich Billy vernehmen.

( Fortsetzung folgt.)